Sinzig, Gedanken über die kulturellen Aufgaben einer Stadt
Josef Ruland
Anläßlich des 25jährigen Bestehens der Volkshochschule Sinzig hielt Dr. Josef Ruland am 8. Dezember 1974 einen Vortrag, der die kulturellen Aufgaben eines städtischen Gemeinwesens am Beispiel der Stadt Sinzig umriß. Über die Situation der Stadt Sinzig hinaus entwickeln die Ausführungen allgemein gültige Gedanken zur Frage der städtischen Kulturpflege, die durch die Veröffentlichung im Heimat-Jahrbuch einem größeren Kreis Interessierter Leser zugänglich gemacht werden.
Im Jahre 1785, also vor knapp 200 Jahren, Sinzig zählte damals 820 Einwohner, erschien in Bonn das Buch „Mahlerische Reise am Niederrhein“ eines Freiherrn von Schönebeck, der damals an der kurfürstlichen Universität in Bonn Professor der Botanik war. Er war ein glühender Anhänger Kants und wirkte in dessen Sinn zur Erziehung des Menschengeschlechts. Alle Menschen sollten zu einer persönlichen, innerlichen Religiosität, zu Humanität und Toleranz erzogen werden. Und das gab dem pädagogischen Verfasser die Gelegenheit, bei der Erwähnung des Ortes Sinzig, den er sehr gut kannte und auch schätzte, wo ihn aber der damals getriebene Kult mit der Mumie des Vogts von Sinzig ärgerte, zu schreiben: „Möchten doch die betrogenen Sterblichen anstatt neue Götter und neue Reliquien den einzigen wahren, allmächtigen, allweisen und allgütigen Schöpfer des Weltalls, dessen Geist alles erfüllt, erkennen und im Geist und in der Wahrheit anbeten.“
Man ersieht daraus, daß unsere Lande am Rhein bereits damals den Wunsch nach Bildung und Erziehung hatten, daß also die Volkshochschule Sinzig, die auf ein 25jähriges Bestehen zurückblickt, innerhalb einer größeren und auch weitreichenden Bestrebung steht. Man wußte eben auch damals noch, welche Bedeutung dieser kleinen Stadt, die bereits seit 1267 Stadtrechte besaß, zukam. War sie doch immer noch im Beziehungssystem des hl. römischen Reiches deutscher Nation, welches bestand, ein wichtiger Punkt.
Es war nicht nur in territorialer Hinsicht der südliche Eckpfeiler des Herzogtums Julien am Rhein, sondern gleichzeitig ein geistiger Umschlagplatz hohen Ranges, denn ab hier gingen die großen Heiltumsfahrten nach Aachen vom Rhein weg und zogen über Land weiter, über Rheinbach auf Düren zu, von da nach Aachen zur Stadt der Kaiserkrönung, zur urbs regalis Karls des Großen.
Und als die großen Kämpfe zwischen Weifen und Staufer das ganze Reich in zwei große Hälften aufteilen wollten, da war Sinzig der mit allen Mitteln verteidigte nördlichste Platz der Staufer am Rhein, gemeinsam mit Westum und der benachbarten Landskrone und der Münzstätte Remagen ein Faustpfand kaiserlicher Reichspolitik. Nicht umsonst trägt St. Peter als eine der großen Kirchen am Rhein unverwechselbar die Züge staufischer Architektur und heute wieder, wenn auch bereits etwas verwittert, die staufischen Farben an der architektonischen Gliederung, nämlich schwarz, rot und goldgelb.
Noch kurz vor dem dreißigjährigen Krieg, als die gesamte damalige Welt die große europäische Auseinandersetzung erwartete, geriet Sinzig abermals in den Blickpunkt der großen Politik. Das Hinscheiden des letzten kinderlosen Herzogs von Julien warf nämlich die Frage auf, in wessen Hand diese größeren Territorien am Niederrhein übergehen würden. Sinzig mit der Ahrmündung war von dieser Erbmasse der südlichste Vorposten und kam dann als Bestandteil von Julien mit Berg gemeinsam an den Pfalzgrafen von Pfalz-Neuburg und später dann unter Wit-telsbachische Regierung mit dem Regierungssitz In Düsseldorf. Dieser kleine Exkurs soll nur verdeutlichen: Sinzig war in den damaligen Verhältnissen bis zur französischen Revolution nicht ein unbekanntes Atom, dessen Lage und Wirkung gleichgültig war und blieb, sondern Sinzig stellte etwas dar. Die Bürgerschaft wußte das sehr wohl, zeugen doch die von Eckertz in der sogenannten Sinziger Chronik veröffentlichten Unterlagen eindringlich davon. Mehr noch, Sinzig hatte Humanität, es besaß nämlich ein Hospital und Bürgerhaus etwa seit 1584. Natürlich wird das Hospital ein einfacher, schmuckloser Bau gewesen sein, aber war human, indem man sich der Kranken annahm. Das Bürgerhaus hingegen muß nach dem heutigen Sprachgebrauch als Altersheim angesprochen werden — und wieder dürfen wir fragen: Hatten alle vergleichbar großen Orte rundherum Bürgerhäuser? Ich glaube nicht. Darüber hinaus wurde das damals noch vor Sinzig stehende Schloß gern als Residenz der Herzöge von Julien zeitweise benutzt, einige Jahre gegen Ende des 17. Jh. sogar als Alterssitz einer Herzoginwitwe, die sich hier sehr wohl gefühlt haben muß. Mit alledem will ich sagen: Sinzig hatte in diesen, heute gern düsteren Jahren des Mittelalters genannten Zeiten jenes Gefühl für Urbanität, für städtisches Bürgertum, das ihm die Sicherheit kulturellen Wirkens verlieh, um die wir heute jene Zeiten beneiden. Und noch die schöne schmiedeeiserne Kommunionbank in der Kirche ist ein echtes Zeichen um das Wissen jener kulturellen Aufgabe, die man hatte, weil man in einer Stadt
lebte mit Tradition und Herkunft. Das ist jene untrügerische Haltung des Bürgers, der weiß, daß die Stadt ihn trägt, der aber auch bereit ist, die Stadt zu tragen und die dann einen Goethe, als Sohn einer freien Reichsstadt, das stolze Wort prägen läßt:
„Wo kam die schönste Bildung her, Und wenn sie nicht vom Bürger war?“
Da wurde nicht lange überlegt, ob nun Kultur zu den Aufgabenbereichen des städtischen Gemeinwesens gehöre, da gehörte Kultur eben selbstverständlich dazu. Die Sinziger Bürger haben damals sicherlich nicht ihr Ortsstatut gefragt, ob dies ihnen den Kauf eines so schönen Altares genehmige, wie er in der Pfarrkirche steht. Das war man Gott und dem heiligen Peter schuldig, einen schönen und künstlerisch wertvollen Altar zu haben. Kurzum, man leitete seine kulturellen Aufgaben aus seinem Stand ab, weil man wußte, daß eben diese kulturelle Entfaltung überhaupt erst die Berechtigung verlieh, sich Stadt zu nennen. Kulturelles Leben ist doch das einzige zuverlässige Zeichen einer kräftigen Bevölkerung. Alle anderen Funktionen, ob Krankenpflege oder Straßenbau, Versorgung mit Wasser oder Lebensmitteln, können von Firmen oder irgendwelchen anonymen Gesellschaftsteilen übernommen werden. Anders ausgedrückt: Ein Gemeinwesen beginnt überhaupt erst ein Gemeinwesen zu werden, wenn es sich kulturell regt, etwas für seine Bildung tut, seine Eigenart darstellen will und die Ihm Innewohnenden schöpferischen Kräfte zu Wort kommen läßt. Absolut berechtigt kann man hinzufügen, ein Gemeinwesen ist aber auch genau so viel wert, wie es für seine Kultur zu tun gewillt ist. Wir erleben heute im Zeichen der Kommunalreform das Verschwinden so manchen stolzen Namens — wir brauchen nicht einmal weit zu gehen — und fast durchweg ist es der kulturell Unterlegene, nicht der an Einwohnerzahl oder Steuerkraft Schwächere, der in dieser Reformperiode seine Eigenständigkeit und schließlich auch seinen Namen verliert.
Es ist meines Amtes, sehr viel mit Parlamentariern, gleich welchen Parlaments und gleich welcher Fraktion, zu sprechen. Jeden Monat erlebe ich mindestens einmal das etwas beschämende Schauspiel, immer wie
der auf die freiwilligen Leistungen zur Kultur, also zu Theater, Kunst, Wissenschaft, Museum und anderen Einrichtungen, aufmerksam machen zu müssen. Aber mittlerweile sind auch wir abgebrüht worden und sagen im gleichen Tenor: Die kulturellen Aufgaben gehören genau so gut in den kommunalpolitischen Katalog wie alle anderen Gemeinschaftsaufgaben. Als die einzelnen Bundesländer dem Bund gegenüber ihre Selbständigkeit betonten, konnten sie dies nur aufgrund ihrer verschiedenen kulturellen Herkunft und Entwicklung. Und der Bürger zahlt für die Schaffung und Erhaltung kultureller Einrichtungen ebensogut seine Steuern wie für die Müllabfuhr oder die Abwässerbeseitigung. Deshalb hat er dann auch ein Recht darauf, daß die Behörden sich darauf einspielen, die kulturellen Bedürfnisse, je nach den Mitteln und der Größe des Gemeinwesens, zu befriedigen.
Die Goldene Meile
(Gemälde von F. R. Unterberger, 1838—1902)
Einrichtungen, welche die kulturelle Einstellung des Gemeinwesens betonen, sind deshalb auch das Aushängeschild der Gemeinden und Städte. Es liegt zum Teil etwas geradezu Groteskes darin, wenn man erleben muß, wie Gemeinden jahrzehntelang ihr überkommenes Gut im Unstand lassen, um es dann in einem überhasteten Versuch der Wiedergutmachung für einen besonderen Besuch wiederherzustellen, zum mindesten so herzurichten, daß man es zeigen kann. Es steckt etwas von der List des berühmten Russen Potemkin dahinter. Aber ich glaube, diese Einstellung wird sich sehr schnell ändern. Nur noch unbelehrbare Optimisten glauben an ein unbegrenztes Wachstum, wovon sie schon das schöne Sprichwort der Großmutter hätte abhalten können, die da sagte: Kind, kein Bäum wächst in den Himmel. Mit dieser Zurückdämmung wachsen notwendigerweise diejenigen Werte auf uns zu, die wir bisher nicht schätzten, die wir für ersetzbar hielten, die wir mit der Moderne glaubten ad acta legen zu können. Und das sind zur Hauptsache kulturelle Werte und ihre Träger. Das können Gebäude sein, sachliche Gegenstände aus verflossenen Epochen, Gegenstände der Kunst, des Kunsthandwerks, der Tradition. Ich will damit sagen, wenn uns schon die Mittel ausgehen, ständig nach Neuem zu greifen, dann müssen wir das pflegen, was wir haben. Diejenigen Gemeinden und Städte, welche daran arm waren, haben sich schon in der Vergangenheit darum bemüht, diejenigen, die diese Dinge in Überfluß besaßen, sind damit umgegangen wie mit einer überreifen Ernte.
Es wird also schon aus ganz nüchternen Gründen notwendig, daß wir uns diesen Dingen wieder zuwenden. Oder wer glaubt, man könne es sich jetzt noch leisten, auf den Altbaubesitz zu verzichten, um neu zu bauen? Selbst der Abriß könnte teurer kommen, als man ihn sich leisten kann. Die jüngsten Empfehlungen des Bundes gehen eindeutig in diese Richtung. In dieser Lage befinden wir uns zur Zeit, weshalb ich die sogenannte Nostalgiewelle einstufen möchte als Bescheidungswelle und dabei die Hoffnung hege, daß die Jugend diese Zeichen eher verstanden hat als wir älteren. Darum ergeht an die Bürger der Ruf: Wuchern Sie mit den Pfunden, die Sie haben. Und Sie haben deren immer noch eine Menge, obgleich die vergangenen Jahre sehr leichtsinnig damit umgegangen sind.
Es ist in diesem Zusammenhang sicher interessant, einen einleitenden Abschnitt aus der Erzählung „Asja“ des großen russischen Dichters Iwan Turgenjew zu zitieren, den dieser 1856/57 niedergeschrieben hat. Tür-. genjew lebte damals vorwiegend in Westeuropa, In Deutschland auch, und wir dürfen aufgrund der vorliegenden Geschichte annehmen, daß er auch in Sinzig und Linz gewesen ist. Er läßt nämlich diese bittersüße Liebesgeschichte in diesen beiden Rheinorten spielen, obgleich nur mit den Anfangsbuchstaben ,S‘ und ,L‘ in der Erzählung gekennzeichnet. Er schreibt:
„Vor zwanzig Jahren also lebte ich in der kleinen deutschen Stadt S. am linken Ufer des Rheins… Dieses Städtchen gefiel mir wegen seiner Lage am Fuß zweier hoher Hügel, wegen seiner baufälligen Mauern und . Türme, seiner hundertjährigen Linden, seiner steilen Brücke Ober dem klaren, in den Rhein fließenden Bächlein — hauptsächlich jedoch wegen seines guten Weins. In den engen Gassen ergingen sich abends, unmittelbar nach Sonnenuntergang (es war im Juni), allerliebste, blondlockige Rheinländerinnen und wünschten dem Fremden, dem sie begegneten, mit lieblicher Stimme „Goten Abend“! Einige von ihnen kehrten selbst dann noch nicht heim, wenn bereits der Mond hinter den spitzen Dächern der alten
Die Kirche zu Sinzig mit der Königskapelle
Repros: Kreisbildstelle
Häuser emporstieg und die kleinen Steine des Pflasters sich deutlich in seinen unbeweglichen Strahlen abzeichneten. Ich schlenderte dann gern in der Stadt umher; der Mond schien unverwandt vom wolkenlosen Himmel auf sie herab; und die Stadt empfand diesen Blick und lag, in leisen Schlaf gehüllt, friedlich da, ganz vom Mondlicht umflossen, von diesem ruhigen und zugleich die Seele sanft erregenden Lichte. Der Hahn auf dem hohen gotischen Glockenturme glänzte in mattem Gold; in dem gleichen Gold schillerten auch die Wasserstreifen auf der dunklen Glanzfläche des Baches; kleine Lichter (der Deutsche geht sparsam um!) brannten bescheiden an den schmalen Fenstern unter den Schieferdächern; die Weinreben streckten geheimnisvoll ihre gekrönten Ranken hinter der Mauer hervor; etwas huschte im Schatten des alten Brunnens auf dem dreieckigen Marktplatz vorüber, plötzlich ertönte das schläfrige Pfeifen des Nachtwächters, ein gutmütiger Hund knurrte mit halber Stimme, und die Luft umfing so milde das Gesicht, und die Linden dufteten …“
Man darf diesen Abschnitt nicht voreilig als romantische Idylle abwerten, denn aus diesen Zeilen spricht nicht nur ein Bild vergangener Zeiten, sondern auch ein gut Teil dessen, was wir heute mit dem Wort Lebensqualität kennzeichnen. Und das besagt soviel, daß heute wie damals Dinge zum Leben wichtig sind, die nicht nur auf den Daseinskampf hinauslaufen. Auch dahinter stecken zum Teil sehr nüchterne Überlegungen. Wir wollen alle haben, daß unsere jungen Menschen nicht abwandern, dahin, wo man mehr verdient, vor allem aber dahin, wo man besser leben kann. Im Gegenteil, wir möchten unsere wertvollen und auch körperlichen Kräfte hier haben und halten. Das können wir aber nur, wenn wir den jungen Menschen hier einen angemessenen Lebensraum erhalten, wo sie verdienen und leben können. Und zu diesem Leben gehört so vieles: das bekannte Bild der Heimat, die Sprache, die Gewohnheiten, der menschliche Lebenskreis, aber auch diejenigen Dinge, die das tägliche Leben seelisch eher ertragen, ja vielleicht sogar mit einer stillen Freude erleben lassen. Diese Dinge jedoch, welche die Lebensqualität heben, sind vorwiegend kultureller Natur. Den Weg dahin zu öffnen, ist eines der Hauptanliegen unserer Schulen, sollte es auch sein. In Sinzig wurden bedeutende Vorleistungen dafür getroffen, denn das Schulzentrum, das hier im Gebiet der Ahrmündung entstand, kann sich nicht nur im Kreis Ahrweiler sehen lassen. Selbst größere Städte hätten Grund, darauf stolz zu sein.
Im übrigen ist man, wenn ich richtig orientiert bin, noch einen Schritt weitergegangen und hat in dieses Bildungszentrum nicht nur die Jugendbildung, die ja zum Teil pflichtgemäß wahrgenommen werden muß, eingeplant, sondern auch die Weiterbildung, Fortbildung. Hier können nachmittags oder am frühen Abend Erwachsene und Jugendliche gemeinsam sich mit Fragen künstlerischer Gestaltung beschäftigen, miteinander sprechen, Filme ansehen, Bücher lesen, Dias zeigen, Vorträge halten. Solche Bestrebungen dürfen nicht um des lieben Geldes willen aufhören. Was man als Bürger in ein solches Unternehmen steckt, rentiert sich auf die Dauer besser als vieles andere. Ist nicht auch die Volkshochschule Teil dieser Bestrebungen in diesem Zentrum? Sollen das alles nur Früchte der fetten Jahre gewesen sein, die bei der augenblicklich ernsteren Lage sofort wieder vertrocknen müssen? Ich glaube nicht; denn das widerspräche grundlegend aller pädagogischen Weisheit und Erkenntnis und schließlich hat sich Sinzig auch wohl nicht umsonst um ein Gymnasium bemüht, dessen Leiter dazu ein Kunsterzieher ist, also eine Persönlichkeit, die nach ihrem ganzen Wesen auf Kultur angelegt ist. Es darf nicht unerwähnt bleiben, daß in Sinzig berühmte Leute tätig gewesen sind. Ein Vinzenz Statz, der das Schloß schuf, ein Peter Josef Lenne, preußischer Gartenbaudirektor, der den Park dazu anlegte und die herrliche Baumgruppe an der Kirche, ein Andreae, der hier seinen Lebensabend beschloß. Aber auch, wenn ich meinen ersten Lehrer, Franz Steinborn, nennen darf, oder den Freund des Vaters, Johannes Mumbauer. Diese Persönlichkeiten müssen doch an Sinzig etwas gefunden haben. Ich möchte sagen, sie scheinen hier die eben genannte Lebensqualität bereits entdeckt zu haben, als das Wort noch nicht bestand. Aber noch ein Wort zum Museum. Ich stelle die bange Frage, kommen auch Besucher hierhin? Oder war dieses Museum mehr oder weniger Liebhaberei, die man in besseren Zeiten sich erlauben kann, in finanzärmeren Jahren hingegen abschließt und versiegelt? Wir wissen alle, welchen Stellenwert in unserer Gesellschaft Museen erhalten. Wir können es uns nicht leisten, Gegenstände im Werte von Tausenden und gar Millionen dem Publikum vorzuenthalten. Daher muß das Museum in alle Überlegungen am Mündungstrichter der Ahr einbezogen werden. Sinzig war einmal führend für die Sigillataherstellung in Westeuropa. Von hier ging die Ware bis Marseille, Norditalien und Spanien. Da, wo früher die römischen Kolonisten und Töpfer saßen, sitzt heute ein großes Unternehmen gleicher Art. Könnte man dieses nicht dazu bewegen, sich hier Schritt für Schritt, aber instruktiv und demonstrativ, an einem lebendigen Museum zu beteiligen, das ja letztlich auch seiner Werktradition zugute kommt?
Auch das sind keine Utopien. Dafür bin ich zu lange auf dem Sektor der sogenannten Kulturpflege tätig, um nicht zu wissen, was man machen kann. Sinzig hat in Hinsicht Museum A gesagt, nun muß man auch B sagen. Auf eine geschickte Art muß der Strom des Verkehrs, der einerseits Gott sei Dank an der Stadt vorbeifließt, andererseits wieder in den Ort geholt werden. So etwa nach dem Motto: Entdecken Sie Sinzig. Wo ein Franz Ittenbach und ein Johann Martin Niederee Werke hinterlassen haben, wo die Sammler Gustav Strohe, Franz Floßdorf, Philipp Niederee und nicht zuletzt die Familie Bennerscheid gemeinsam mit dem ehemaligen Bürgermeister Zimmer, dem Amtsvorgänger von Herrn Holstein, so manchen Besitz aus der Bürgerschaft eingebracht haben, da muß man erst einmal, und immer wieder, die Bürgerschaft darauf aufmerksam machen, sie zu ihrem Besitz hinführen. Wenn die Bürger, vor allem Neubürger, die immer besonders eifrig sind, und die heranwachsende Jugend ihre Stadt entdeckt haben, dann sind sie auch bereit, dafür zu werben, für sie einzustehen.
Europa, zumindest der ganze Westen, aber auch Ostblockländer, begehen das Jahr 1975 als das Jahr der Europäischen Denkmalpflege. Es stellt sich die Frage, was man auch in Sinzig tun könnte. Wenn ich z. B. an den von Turgenjew erwähnten Marktplatz denke mit der wunderbaren Front der alten Schule, oder an die hiesige Barbarossastraße mit zum Teil herrlichen Bauten, aber auch die liebenswerten Ecken im Verlauf der ehemaligen B 9 durch die Stadt, dann möchte ich sagen, daß ein Fassadenwettbewerb sich auf die Verbesserung der Lebensqualität steigernd auswirken könnte.
Der Traum eines permanenten Bevölkerungswachstums ist bei den stagnierenden Geburtenzahlen hoffentlich ausgeträumt, obgleich sich für die Stadt die Nähe Bonns noch ein wenig positiv auswirken kann. Aber das wird man gewiß schon genau überdacht und dementsprechend die Zukunft vorbereitet haben: Ausbau — Verschönerung — Bildung im Innern. So etwa kann die Parole lauten. Bürger und Behörden müssen hier Hand in Hand arbeiten.
Dann wird das fast 2000jährige Sinzig auch diese Aufgaben meistern.