Schwierige Zeiten. Der französische Kreiskommandant Monfraix äußerte sich 1947 zur Lage im Kreis Ahrweiler
Neubeginn
Das Ende des Zweiten Weltkrieges brachte auch im Kreis Ahrweiler, der 1945 rund 67 000 Einwohner zählte, die Chance zum Neubeginn aus dem Chaos.1)
Bei der Mehrheit der Bevölkerung standen in den ersten Nachkriegsjahren existenzielle Fragen im Zentrum: Sorgen um Angehörige, Sicherung der eigenen Existenz, Ernährung, Kleidung, Wohnung, Heizen.
An politischen Fragen waren die meisten vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit der Zeit des Nationalsozialismus desinteressiert. Dennoch glückte der demokratische Neubeginn. Bei den ersten freien Wahlen zur Kreisversammlung am 13. Oktober 1946 errang im Kreis Ahrweiler die CDP (CDU) 79,7% der Stimmen. Die SPD kam auf 13,4%, die KPD auf 3,99% und die LP (Liberale Partei) auf 2,8% der Wählerstimmen. Die Protokolle der ersten Kreisversammlungen ab 21. Oktober 1946 sind wichtige Quellen für diese Zeit. Sie dokumentieren neben dem politischen Neuanfang die dramatische Not dieser Jahre, in denen in weiten Teilen der Bevölkerung „Hungerzustände herrschten“.
Den Vorsitz in den Kreisversammlungen führte Landrat Dr. Hermann Schüling, der mit dem Einverständnis der französischen Militärregierung am 20. August 1945 als Landrat des Kreises eingesetzt worden war.
Verhältnis zur Militärregierung
Das Verhältnis der Bevölkerung und der deutschen Behörden zur französischen Militärregierung und ihren Repräsentanten war aufgrund vieler unpopulärer Maßnahmen angespannt.
Von der französischen Militärregierung wurden die Amtsverwaltungen und die Kreisverwaltung in den ersten Nachkriegsjahren oft nur als nachgeordnete Hilfsorgane angesehen, die Befehle umzusetzen hatten. Sie mussten mitwirken bei der Beschlagnahmung von Wohnraum und Dingen des täglichen Gebrauchs ebenso wie bei der Requirierung von Lebensmitteln, Vieh, Wein, Holz etc.
Alle Beschwerden und Eingaben an die Militärregierung mussten in französischer Sprache abgefasst sein. Dies war eine erhebliche Hürde und wurde von der Bevölkerung vielfach als Schikane betrachtet.
Neujahrsnacht 1946/47
Zu einem spektakulären Ereignis kam es in der Neujahrsnacht 1946/47 in Bad Neuenahr, wo zahlreiche französische Offiziere mit ihren Familien lebten. Dort waren französische Flaggen heruntergerissen und zerstört worden. Die Täter konnten trotz intensiver Nachforschungen nicht ermittelt werden. Die französische Militärregierung nahm daraufhin vorübergehend 10 Bürger als „Geiseln“ fest. Schließlich wurde eine Sühnezahlung von über 30 000 Reichsmark festgelegt. Damit war die Angelegenheit, von der sich alle politischen Gremien distanzierten, erledigt.
Zur Lagebeschreibung des Kreiskommandanten Monfraix 1947
In einer Sondersitzung der Kreisversammlung Ahrweiler, zu der auch Vertreter aus allen Ämtern des Kreises Ahrweiler als Multiplikatoren eingeladen waren, ging der französische Kreiskommandant Monfraix am 16. Oktober 1947 auf die drängenden Probleme der Nachkriegszeit ein. Neben seiner Bestandsaufnahme zeigte er auch Zukunftsperspektiven in dieser schwierigen Zeit auf. Die Rede wurde zusammen mit einer Antwort von Landrat Dr. Schüling gedruckt, um die Bevölkerung über der Lage zu unterrichten und über das bereits Geleistete zu informieren.
Zentrale Aussagen aus diesem zeitgeschichtlichen Dokument werden hier zusammengefasst. Sie verdeutlichten die Sicht der französischen Militärregierung und ihre Vorgaben an die deutsche Verwaltung und Politik im Kreisgebiet. Die Krise der Nachkriegszeit war sowohl eine Versorgungskrise als auch eine Vertrauenskrise weiter Bevölkerungskreise. Gegenüber der Verwaltung, dem politischen Neubeginn und der französischen Militärregierung herrschte durchweg Misstrauen.
Die Bestandsaufnahme des Kreiskommandanten enthält Zielvorgaben für das künftige Handeln der Verwaltung. In knapper Form dargestellt werden die Erwartungen an die deutschen Verwaltungsdienststellen, an die Politiker, aber auch an die Bevölkerung.
Den Anwesenden wollte der Kreiskommandant „Richtlinien (…) erteilen, die wir in den öffentlichen Angelegenheiten am kommendem Frühjahr (1948) angewandt wissen möchten.“2)
Er stellte fest, dass nur durch eine enge Zusammenarbeit von Verwaltung, Militärregierung und Landrat ein Ausfall der Brotversorgung 1947 verhindert werden konnte. Landrat Dr. Schüling hatte zu unpopulären Maßnahmen gegriffen und kurzerhand bei vielen Landwirten Brotgetreide beschlagnahmt. Das trug ihm herbe Kritik ein, führte zu Verleumdungen und auch zu Misstrauensbekundungen in der Kreisversammlung.
Angesichts der 1947 durch Trockenheit sehr schlecht ausgefallenen Ernte forderte Monfraix ein rigoroses Vorgehen gegen Unterschlagung und Vergeudung von Lebensmitteln.
„Ich werde von Ihren Dienststellen gerechte Verteilung und genaueste und pünktlichste Durchführung der diesbezüglichen Vorschriften verlangen. Jeden Beamten werde ich unnachgiebig zur Rechenschaft ziehen durch dessen Verschulden Vorräte verderben, ebenso jeden Schieber, der versucht, auf dem Unglück des Volkes sich sein eigenes Vermögen zu gründen.“
Der französische Kreiskommandant verkannte nicht die schwierige Lage der Bauern, forderte aber ihren uneingeschränkten Einsatz. Er ermahnte sie an die Pflicht, alle geforderten Abgaben zu liefern. Das galt für vor allem für Getreide, Kartoffeln und Schlachtvieh.
Von den rund 67000 Einwohnern im Kreis waren 17000 als Selbstversorger eingestuft worden. Die übrige Bevölkerung musste von den hier ansässigen landwirtschaftlichen Betrieben und von auswärts versorgt werden, was immer wieder zu Engpässen führte. Eine Selbstversorgung des gesamten Kreises war zu keiner Zeit möglich.
Monfraix ging auf die Situation der Winzer ein. Er lobte die Qualität des Ahr-Rotweins und warnte vor einer Ausdehnung des Weißweinanbaus, denn damals wurden mit Weißwein höhere Preise erzielt als mit Rotwein.
Den Klagen der Landwirte, die oft meinten, die Last der Kriegsfolgen alleine zu tragen, stellte er die weitaus schlechtere Lage der Arbeiter entgegen: „Die ihnen zugeteilten Rationen erlauben kaum, sich am Leben zu halten. Die Löhne, die sie erhalten, zwingen sie in eine mittelmäßige Lebensführung hinein. Sie besitzen keine Tauschmittel. Aber durch ihre Arbeitsleistung wird das Land nach und nach aus dem Abgrund, in den es hineingeraten ist, herauskommen. Der Arbeiter stellt materiell wieder einen Teil der Schäden her, für die ihr Land verantwortlich ist; ich möchte sogar sagen, dass es die Würde ihrer Arbeiterklasse ist, die Wertschätzung für Deutschland wieder gewinnt. …“
Ungleichheit in der Lastenverteilung prangerte der Kreiskommandant an. Drückebergern und Schiebern drohte er mit strengsten Maßnahmen, falls sie sich nicht dem Arbeitsamt zur Verfügung stellten und folglich nicht bereit waren, für die damals geringen Löhne zu arbeiten.
Angesprochen wurde das Thema der Reparationen. Neben umfangreichen Lieferungen von Holz, Wein etc. an Frankreich wurden selbst im landwirtschaftlich geprägten Kreis Ahrweiler Werkzeugmaschinen beschlagnahmt. Monfraix warb um Verständnis für diese Maßnahmen.
Mit dem Stand des Wiederaufbaus zeigte sich der Kreiskommandant wenig zufrieden. So waren von den insgesamt 6400 im Kreis durch Kriegseinwirkung beschädigten und zerstörten Häusern 1947 erst 647 wieder hergestellt. Das waren lediglich 10 %. Der Landesdurchschnitt lag damals aber bereits bei 18 %.
Zudem verliefen die Aufbaumaßnahmen sehr ungleich. Begünstig waren die Winzer, die durch das Tauschgut Wein leichten Zugang zu Material und Arbeitskräften hatten, was aber eigentlich offiziell verboten war und unter Strafe stand.
Französische Soldaten vor dem Kurhaus von Bad Neuenahr, um 1946
Um einen Ausgleich zu schaffen, versprach der Kreiskommandant Sonderlieferungen von Baumaterial für das von Kriegsschäden am stärksten betroffene Remagen, aber auch für Kripp, Schuld, Sinzig, Brohl und Ahrweiler, damit dort Wohnungen möglichst bald wieder hergestellt werden konnten.
Der Fremdenverkehr als wichtige Einnahmequelle des Kreises wurde von der Militärregierung gefördert. Bad Neuenahr war das erste Heilbad, das in der französischen Zone wieder eröffnet wurde. Der Kurbetrieb in Niederbreisig sollte folgen. Nach Beseitigung der Kriegsschäden auf der Rennstrecke Nürburgring konnte dort am 17. August 1947 das erste Rennen stattfinden, zu dem rund 50 000 Besucher in die Hocheifel kamen. Hierfür wurden auch alle Zufahrtsstraßen erneuert und der kriegszerstörte Bahnhof Adenau wieder hergestellt.
Von dem Filmstudio in Remagen, das mit seinen Synchronisierungsstudios ebenfalls 1947 die Arbeit aufnahm, erhoffte sich die Militärregierung wirtschaftliche Impulse. Sie sah dieses Unternehmen schon als ebenbürtig neben der Filmstadt München an.
Die Verwaltung und die politischen Gremien waren in den frühen Nachkriegsjahren gleichermaßen ständiger Kritik ausgesetzt. Monfraix wandte sich gegen jede Verleumdung der Verwaltung, die er auf Unkenntnis der Bevölkerung mit öffentlichen Angelegenheiten zurückführte, zudem musste seiner Meinung nach die Bevölkerung die Demokratie erst erlernen.
„Es ist nun so, dass Ihrem Volk ein gewisser Grad von politischer Reife fehlt, den man aber nur durch Erfahrung erreichen kann. Wenn man darauf nicht achtgegeben hätte, wäre Deutschland von der Diktatur unmittelbar zur Anarchie gelangt.
Um eine Demokratie aufzubauen, muß man erst deren Prinzipien erlernen. Hierfür gibt es keine bessere Schule als die Führung der Gemeinde- und Provinzialangelegenheiten.“
Die Amtsbürgermeister und Mitglieder der Kreisversammlung bat der Kommandant um Werbung für „die Liebe zu Ihrer engeren Heimat und die Liebe zur Menschheit“. Das betrachtete er als Garant gegen aufkeimenden Nationalismus.
Viel versprach er sich für die Lösung von Zukunftsfragen durch Diskussionen in einer Elite, die aber nicht auf begüterte oder gebildete Kreise beschränkt sein sollte. Sie sollte sich vielmehr aus Vertretern aller Schichten zusammensetzen.
Ebenfalls regte er die Gründung einer wissenschaftlichen Gesellschaft an, „mit dem Ziel, historische, archäologische und geographische Studien im Kreise weiter zu entwickeln.“
Große Hoffnungen setzte er auf die Ausbildung neuer Lehrer in der pädagogischen Akademie von Neuenahr, die im April 1947 eröffnet worden war. Hier hatten auch schon französische Gastdozenten unterrichtet und Vorträge gehalten. Durch solche Kontakte und Begegnungen, vor allem aber durch den Jugendaustausch, erhoffte sich die Militärregierung schon kurz nach dem Zweiten Weltkrieg die Schaffung einer Atmosphäre der Völkerverständigung.
Landrat Dr. Hermann Schüling dankte dem Kreiskommandanten für seine Lagebeschreibung. Er kam in seiner kurzen Rede zur gleichen Beurteilung der Situation.
Besonders mahnte der Landrat die Zusammenarbeit aller gesellschaftlichen Gruppen bei der Bewältigung der katastrophalen Lage an.
Auch er hob als langfristiges Ziel die Völkerverständigung zwischen Frankreich und Deutschland hervor, wobei er ebenfalls besonders die Jugend zum Gedankenaustausch mit den Nachbarn aufrief. Hierfür sollten auch Gelegenheiten zum Kennenlernen des jeweiligen Landes und der dortigen Eigenheiten und Probleme geboten werden.
Die Gewinnung der Jugend für die Ziele der Demokratie sah Dr. Schüling als die entscheidende Herausforderung an:„… die neu entstandene Demokratie wird sich zu behaupten wissen, sie hat aus der Vergangenheit gelernt, steht aber vor dem schwierigen Problem, die in den Ideengängen des 3. Reiches großgewordene und durch den Ausgang des Krieges maßlos enttäuschte Jugend für den politischen Gedanken der Demokratie zu gewinnen und sie davon zu überzeugen, dass sie in einer falschen Gedankenwelt gelebt hat.“3)
Er schloss: „Und wird auf diesem Wege die Verständigung von Jugend zu Jugend gewonnen, so ist alles gewonnen.“
Freilich standen weiterhin im Vordergrund die Daseinssicherung, Wohnraumbeschaffung, Versorgungsprobleme und das drängende Flüchtlingsproblem. Aber es ging langsam aufwärts. Eine entscheidende Zäsur brachte die Währungsreform im Juni 1948. An die Stelle der Reichsmark (RM) trat die Deutsche Mark (DM). Die Versorgung der Bevölkerung mit Gütern des täglichen Gebrauchs verbesserte sich schlagartig. In der Verwaltung führte der Wegfall der finanziellen Reserven zunächst zu finanziellen Engpässen, die aber nach und nach ausgeglichen werden konnten.
Nachfolger von Kreiskommandant Monfraix wurde 1948 Bataillonschef Paul Begel. Landrat Dr. Hermann Schüling verließ den Kreis 1950, weil er zum stellvertretenden Regierungspräsidenten in Mainz ernannt worden war. Er hatte den Kreis Ahrweiler in schwieriger Zeit sicher geleitet.
Anmerkungen:
- s. hierzu die aufgelistete Literatur
- Alle Zitate stammen aus der Rede von Kreiskommandant Monfraix in der Sondersitzung der Kreisversammlung vom 16. Oktober 1946 (Kreisarchiv Ahrweiler Bestand 03 – 587)
- Rede von Landrat Dr. Hermann Schüling am 16. Oktober 1946 (Kreisarchiv Ahrweiler Bestand 03- 587)
Quellen und Literatur:
Protokollbuch der Kreisversammlung Ahrweiler im Kreisarchiv Ahrweiler Bestand 03- 587; Kreisarchiv Ahrweiler Bestand 03- 149, 150, 1578; Rhein-Zeitung 1946, 1947; Dorothee Bender/ Anton Neukirchen/ Hubert Rieck: Kriegsende und Neubeginn im kreis Ahrweiler 1945 – 1949. Zusammenbruch und Wiederaufbau. In: Studien zu Vergangenheit und Gegenwart Band 1. Bad Neuenahr-Ahrweiler 1987. S. 137 – 214.;Peter Brommer (Bearb.): Quellen zur Geschichte von Rheinland-Pfalz während der französischen Besatzung März 1945 bis August 1949. Mainz 1989.; Franz-Josef Heyen (Hrsg.): Rheinland-Pfalz entsteht. Beiträge zu den Anfängen des Landes Rheinland-Pfalz in Koblenz 1945 – 1951. Boppard 1984.;Leonhard Janta / Hubert Rieck: Von der frühen Nachkriegszeit bis heute. In: Der Kreis Ahrweiler im Wandel der Zeit. Studien zu Vergangenheit und Gegenwart Band 3. Bad Neuenahr-Ahrweiler 1993. S. 219 – 232.;Leonhard Janta: „… war Mitglied der NSDAP“. Zur politischen Säuberung im Kreis Ahrweiler nach 1945. In: Heimatjahrbuch Kreis Ahrweiler 1993. S. 141 – 147.;Ders.: „… die Zeit kann man nicht vergessen…“ März 1945: Das Kriegsende im Kreis Ahrweiler. In: Heimatjahrbuch Kreis Ahrweiler 1995, S. 102 – 107.;Ders.: Gemeinde- und Kreistagswahlen 1946. Erste freie Wahlen der Nachkriegszeit im Kreis Ahrweiler. In: Heimatjahrbuch Kreis Ahrweiler 1996, S. 125 – 129.;Hubert Rieck: Der Neubeginn des politischen Lebens im Kreis Ahrweiler 1945 – 1947. In: Kreis Ahrweiler unter dem Hakenkreuz. Studien zu Vergangenheit und Gegenwart Band 2. Bad Neuenahr-Ahrweiler 1989. S. 315 – 344.;Hubert Rieck: Zeitaufnahme: Aus den politischen Lageberichten des Ahrweiler Landrats von 1945 – 1948. In: Heimatjahrbuch Kreis Ahrweiler 1987. S. 136 – 143.;Günther Schmitt: Christian Ulrich: Die Stunde Null war seine Zeit. In: Heimatjahrbuch Kreis Ahrweiler 2003. S. 214 – 217.;Christoph Schnitker: Im Westen entstand Neues – Die Internationale Film-Union GmbH Remagen seit 1947. In: Heimatjahrbuch Kreis Ahrweiler 2002, S. 186 – 191.;Hans Warnecke: Das „Päda“ in Bad Neuenahr. In: Heimatjahrbuch Kreis Ahrweiler 1999, S. 134
– 191.;Hans-Jürgen Wünschel (Bearb.): Quellen zum Neubeginn der Verwaltung im rheinland-pfälzischen Raum unter der Kontrolle der amerikanischen Militärregierung April bis Juli 1945.Mainz 1985.