Schützet den Seidelbast!
VON DR. WERNER LINDENBEIN
Wieso? wird mancher Leser erstaunt fragen, der Seidelbast ist doch bei uns längst geschützt! Allerdings, und zwar seit dem 30. Mai 1921, als die 1. „Verordnung zum Schütze von Tier- und Pflanzenarten in Preußen“ erlassen wurde. Aber damals schon sagten die Minister Grimme und Steiger in ihrem Runderlaß vom 15. 3. 1930: „Der Tier- und Pflanzenschutz ist erfolgreich nur mit der Bevölkerung, nicht gegen sie durchführbar. Behördliche Anordnungen können nur ein notwendiges Rüstzeug schaffen. Die eigentliche Aufgabe bleibt die werbende Aufklärung der Öffentlichkeit.“ Und sie bleibt es auch heute nach 40 Jahren noch. Der Wortlaut der Verordnung ging dann fast unverändert in das Reichsnaturschutzgesetz von 1936 über. Auf Grund Beschlusses des Bundesverfassungsgerichtes vom 14. 10. 1958 gilt dies Gesetz nach dem 8. 5. 1945 als Landesrecht weiter. Der § 4 lautet: Es ist verboten, wildwachsende Pflanzen der folgenden Arten zu beschädigen oder von ihrem Standort zu entfernen, besonders sie auszugräten oder auszureißen oder Teile von ihnen abzuschneiden oder abzureißen. Es folgt eine Liste von 24 Pflanzengattungen mit Artenangabe. Unter Nr. 18 heißt es: „Seidelbast, Daphne, alle Arten.“ Im Kreise Ahrweiler wächst wohl nur der Gemeine Seidelbast wild, doch wurde früher auch von dem in Deutschland äußerst seltenen Lorbeer-Seidelbast ein Standort bei Sinzig angegeben. Welche Gesichtspunkte waren für die Unterschutzstellung maßgebend? Allgemein, heißt es, „ist die Seltenheit, Schönheit, Eigenart oder sonstige Bedeutung für das Allgemeininteresse ausschlaggebend. Insbesondere ist wildwachsenden Pflanzen Schutz zu gewähren, wenn es sich um seltene oder in ihrem Bestand bedrohte Arten handelt, so daß ihre mißbräuchliche Aneignung und Verwendung verhütet werden muß.“
1. Seltenheit. Die Standortsangabe für den Gemeinen Seidelbast lautet: „Bergwälder; kalkliebend; zerstreut, fehlt im NW, selten in NO.“ Besonders für SW-Deutschland, zu dem der Kreis Ahrweiler im floristischen Sinne als nordwestliches Grenzgebiet gehört, heißt es: „Ziemlich häufig in krautreichen Buchen-, Eichen-, Hainbuchen- oder Nadelmischwäldern auf frischen, nährstoff- und basenreichen milden bis mäßig sauren humosen, steinigen oder reinen Ton- und Lehmböden, meist Mullboden (Braunerden).“ Solche Standorte finden sich bei uns reichlich, doch ist, wie wir weiter unten ausführen werden, bei uns der Seidelbast nicht mehr als „ziemlich häufig“ zu bezeichnen.
2. Schönheit. Was diese anbetrifft, so gibt es nur wenig wildwachsende Pflanzen des Waldes, die sich mit dem Seidelbast vergleichen könnten, und so früh im Jahre überhaupt keine. Blüht der Seidelbast doch schön im März, wenn alle anderen Waldpflanzen noch tief in der Knospenruhe stecken. Mit der Schönheit ist es aber sogleich vorbei, sobald der Seidelbast gepflückt wurde; man bringt ihn kaum bis nach Hause und dort in Wasser gestellt, erholt er sich nicht wieder.
3. Eigenart oder sonstige Bedeutung für das Allgemeininteresse. Hier gibt es viel zu sagen. Zunächst ist der Seidelbast bei uns der einzige Vertreter einer in mindestens 36 Arten weitverbreiteten Gattung südlicher Landstriche. Die Gattung Daphne wiederum ist bei uns die einzige Vertreterin einer Familie, die in heißen und warmen Ländern in etwa 360 Arten vorkommt. Dieses ist gewiß etwas Eigenartiges und würde allein schon genügen, diesen Einzelgänger unter Schutz zu stellen. Die eigenartige Pflanze ist denn auch seit alters von Geheimnissen umgeben. Die germanische Sage berichtet von Bändern aus dem Bast des Strauches, die die bösen Geister bezwingen. Er hat besondere Kräfte, die früh bekannt waren. Besonders Bast und Beeren enthalten das brennend scharfe und stark giftige Mezerein. Das lange wirksame Gift kann schon durch das Abreißen der Zweige Hautreizungen verursachen. Hippokrates schon wandte den Seidelbast als Abführmittel an. Die Volksmedizin gibt die Beeren als „Gewaltmittel“ bei Halskrankheiten an. So soll der Name „Kellerhals“ von „quäl den Hals“ kommen, und manche wollen den Namen Seidelbast von „Siedebast“, brennender Bast, ableiten. Andere mittelhochdeutsche „zidel“ = Biene in dem Namen erkennen. Auch der Name Zilander gehört hierher. Tatsächlich werden die Blüten von Bienen, langfüßligen Fliegen und Schmetterlingen, besucht. Pfefferstrauch, Beißbeere, Wolfsbast, Rachbeere und Märzblume sind noch gebräuchliche Namen. Die Beeren wer-
Repr.: Kreisbildstelle
Seidelbast
den von Drosseln gefressen, die aber die Samen ausspeien, wodurch sich das truppweise Vorkommen der Pflanze erklärt. Nur selten werden die Samen verschluckt, wodurch dann für eine weitere Verbreitung auch gesorgt ist. 4. Ist der Seidelbast bei uns in seinem Bestand bedroht? Auf diese Frage müssen wir leider mit einem entschiedenen Ja antworten. Daß er in letzter Zeit immer seltener geworden ist, hat schon mancher ältere Wanderer beobachtet. Dafür kann man eine Reihe von Gründen anführen. Zunächst ist zu bedenken, daß, wie wir oben erwähnten, der Laubwald der eigentliche Lebensraum des Seidelbastes ist. Und dieser geht mehr und mehr zurück. Aus wirtschaftlichen Gründen werden heute alle Kahlschläge mit Fichten, Douglasien oder Kiefern aufgeforstet. Der reine Nadelwald, in dem der Seidelbast nicht gedeihen kann, gewinnt immer mehr an Raum. Zwar sind die jungen Schonungen ein beliebter Standort, und man beobachtet hier eine häufige Ansiedlung des Seidelbastes, worunter viele junge Sämlinge sich finden. Aber durch das sogenannte Freistellen, d. h. die im Winter durchgeführte Säuberung der Schonung, werden die meisten Seidelbastpflanzen vernichtet. In älteren Schonungen und im geschlossenen Nadelwald würden diese Pflanzen allerdings ohnehin zu Grunde gehen. Andere wirtschaftliche Maßnahmen kommen hinzu. In letzter Zeit wurden bei uns reiche Standorte vernichtet durch Straßenbau, durch Bau einer Ölfernleitung sowie durch Verlegen eines Fernmeldekabels. Der wesentlichste Faktor ist aber immer noch die Unsitte vieler Spaziergänger, große Sträuße zu pflücken und die der Gartenfreunde, den Strauch auszugraben und in den Garten zu versetzen! Dabei ist es heute leicht möglich, den Strauch aus Baumschulen zu beziehen. Das kostet freilich etwas Geld, aber dafür macht man sich auch nicht strafbar.
So erscheint uns denn der seit 50 Jahren bestehende Rechtsschutz des Seidelbastes auch für unser Gebiet wohl begründet zu sein. Aber die Zeiten wandeln sich, und neue und nie gehörte Argumente werden heute angeführt. Kürzlich konnten wir aus dem Munde des Präsidenten eines großen Bundes für Naturschutz folgende Meinung hören: „Ohne die Aufgaben zu verkennen, können wir heute sagen, daß Opas Naturschutz tot ist. Naturschutz ist heute nicht mehr Tier- und Pflanzenschutz, sondern ist Menschen- und Lebensschutz geworden.“ Also der Naturschutz hat heute für Zelt- und Badeplätze zu sorgen. In einer süddeutschen Stadt demonstrierten die Oberschüler gegen das Recht überhaupt mit dem Plakat „Recht schafft Herren und Knechte“. Diesen jungen Leuten wollen wir die Verse Mörickes entgegen halten:
Der Eine fragt: was kommt danach,
der Andre: ist das Recht?
Und also unterscheiden sich
der Freie und der Knecht.
Nicht als gehorchende Knechte wollen wir den Seidelbast schützen, sondern als Freie, die wissen, was danach käme, wenn wir es nicht täten, nämlich eine traurige Verödung unseres heimischen Waldes.