Schneggesch Köbes von Bengen
VON WERNER KELLER
Schneggesch Köbes sagte man, wenn man von diesem Original sprach. Er persönlich legte Wert auf die Anrede „Jakob“, weil das sein Taufname sei nach dem Willen seiner Eltern; denn ihn, die Hauptperson, habe man ja nicht gefragt.
Das Profil seines Gesichtes und die Schädelbildung ließen erkennen, daß er kein Alltagsmensch war. So wunderte man sich nicht, wenn man erfuhr, daß der Schneggesch Köbes bei den Bonner Husaren gedient hatte. Es kann aber nicht nur die doppelte Dienstzeit — gegenüber den Sandhasen (Infanteristen), wie er sich auszudrücken pflegte — gewesen sein, daß soldatische Disziplin und Ordnung zur zweiten Natur des Köbes geworden waren. Neben zwei militärisch gedrillten Windhunden, mit denen er sich stets umgab, war charakteristisch für seine Persönlichkeit die Vielfältigkeit seines Wirkens. Köbes war gelernter Uhrmacher und Landwirt. In seinem kleinen Heimatdorf mit 350 Einwohnern betrieb er, unmittelbar gegenüber der Kirche, ein für die kleinen ländlichen Verhältnisse und die damals bescheidenen Lebensverhältnisse ungewöhnliches Geschäft mit einem ebenso differenzierten Warenangebot. Uhren und Goldwaren, Zigarren, Zigaretten, Tabake und Pfeifen. Er verkaufte ebenso Glühbirnen wie Schreibwaren und Fahrräder. Nicht ohne Stolz sagte Köbes: „Ich bin ein Tietz im Kleinen.“
Als Krönung und Abschluß der Renovierung der Pfarrkirche sollte eine Turmuhr mit vier Zifferblättern installiert werden. Für Köbes war es selbstverständlich‘ daß er den Auftrag für die Lieferung und Montage der Kirchenuhr erhielt. Getreu seinem militärischen Habitus ging er an das Problem heran. Ganze Berge von Angeboten studierte er und kam zu dem Ergebnis: „Generalstabsmäßig geplant und mit preußischer Genauigkeit ausgeführt, die Uhr werde nie eine Sekunde nachgehen, dafür werde er sorgen.“ Das Original „Schneggesch Köbes“, der die meisten Muskeln „am Maul“ habe, wie die Leute sagten, wurde merklich zurückhaltender, als das Projekt Kirchenuhr in sein entscheidendes Stadium trat und er vom Pastor noch nicht zu Rate gezogen worden war. Unfaßbar für ihn war der Beschluß des Kirchenvorstandes, die Uhr unmittelbar bei der Fabrik zu bestellen. Daß er als ortsansässiger Uhrmacher dennoch die Provision bekam, war für ihn mehr eine Beleidigung als Einnahme. Köbes war zutiefst in seiner Ehre gekränkt. Seine generalstabsmäßige Planung war in dem kleinen Dorf lange das Tagesgespräch gewesen. Nun lauerten seine Mitbürger auf die Reaktion. Der Köbes wurde „angespitzt“, wie der Volksmund sagt. Je spitzer die Äußerungen der Leute gegenüber dem Köbes wurden, umso stiller und zurückgezogener wurde er. Er, der sonst niemandem ein Wort schuldig blieb und auf jedes Töpfchen ein Deckelchen hatte, schwieg und grollte im stillen. Es dauerte Jahre, ehe Köbes diesen Schock überwunden hatte.
Die Kirchturmuhr war schon 15 Jahre alt, als der Pastor ein Männerapostolat gründete und einige Wochen später in der Sonntagspredigt bat: „Die Handvoll Männer der Gemeinde, die noch abseits stehe, möge doch beitreten. Nach der hl. Messe werde ein Meßdiener diesen Männern eine Beitrittserklärung überbringen, und er hoffe, daß der letzte Mann der Gemeinde Mitglied werde.“
Nun muß man wissen, daß der Herr Pastor, ein zweifacher Doktor, nach seinem Wahlspruche „Bete und arbeite“ handelte. Von der ganzen Gemeinde geliebt und verehrt, galt er als heiligmäßiger Mann. Als der Meßdiener bei Schneggesch Köbes erschien, hatte dieser, die willkommene Gelegenheit nutzend, schon seinen Entschluß gefaßt. Köbes sagte kein Wort, nahm die Beitrittserklärung, drehte sie um und schrieb auf die Rückseite:
Foto: Kreisbildstelle
Kirche in Bengen
„Es wundert mich, daß man weiß, wo ich wohne, als man eine Kirchenuhr kaufte, wußte man es nicht.“
Übrigens, dem Herrn Pastor ist der Köbes im Grunde nie gram gewesen, denn als dieser 1928 betrauert und beweint starb, und zwar von der ganzen Gemeinde, sagte Köbes:
„Der F. (er nannte den Zunamen) hatte schon lange seinen Tornister gepackt und konnte durch Gottes Gnade und Erbarmen nach menschlichem Ermessen appellfähig der größten Stunde seines Lebens entgegensehen; schade, daß die Duckmäuser — gemeint war der Kirchenvorstand — ihn stets an der Nase geführt haben.“