Schlesien ein Land bedeutender Weber
Schweidnitz/Schlesien Blick auf das Rathaus der alten Fürstentumshauptstadt
Von H. O. Olbricht
Es war wohl einst in allen Teilen unseres Vaterlandes so, daß die Landbevölkerung den Bedarf an Textilien durch die eigene Hausspinnerei und Weberei gedeckt hat. Viele Landleute entwickelten in dieser Hausbeschäftigung, die besonders in den Wintermonaten betrieben wurde, eine besondere Kunstfertigkeit. Die hergestellten Webarbeiten wurden zunächst in den Stätten der engeren Heimat zum Kauf an Markttagen angeboten. Schließlich kamen Kaufleute auch von weit entlegenen Städten zu unseren Webern, um die wertvollen Weberzeugnisse aufzukaufen.
So entwickelte sich aus einer Hausbeschäftigung eine besondere Hausindustrie, vor allem seit jenem Zeitpunkt, als Händler auch aus fremden Ländern nach Schlesien kamen und an den hergestellten Webwaren Gefallen fanden. Damals verkauften viele von den Webern ihre kleinen ländlichen Anwesen und widmeten sich nunmehr ausschließlich dem neuen Beruf, der Weberei.
Gegen Ende des 16. Jahrhunderts entwickelte sich zunächst die Landstadt J a u e r zum Mittelpunkt des schlesischen Leinenhandels. Kaufleute aus allen europäischen Ländern und aus Amerika holten hier die wertvollen Leinen.
Nach dem Dreißigjährigen Kriege verlor Jauer seine Bedeutung als Handelsplatz für Webereierzeugnisse. Die Weberei verlagerte sich in die Täler der Vorberge und des Riesengebirges. Hirschberg, Schmiedeberg, Greiffenberg, Landeshut, das Grüssauer Land mit Schömberg, das Gebiet der Eule und die Grafschaft Glatz begründeten den Weltruf des schlesischen Leinens. Vor allem war es der Raum Hirschberg, der durch die Entwicklung des damals begehrten „Schleierleinens“ berühmt geworden ist. Die „Schleierherrn“, so hießen sie im Volksmunde, schlössen sich zu einer besonderen Zunft zusammen, knüpften in aller Welt Handelsbeziehungen an und gelangten zu großem Reichtum.
Indessen verdienten die kleinen Weber in ihren armseligen Hütten nur Hungerlöhne. An Markttagen kamen sie oft meilenweit in die Städte, boten den fremden Händlern die „schockweis“ gerollte Leinwand an und wurden bei diesem ohnehin mageren Geschäft arg ausgebeutet. Die Händler suchten sich nur die besten Stücke aus und setzten die Preise nach Belieben fest, wobei die harte Arbeit der Weber nur schlecht entlohnt wurde.
Eine Besserung in der wirtschaftlichen Lage der Weber trat ein, als Friedrich der Große nach Schlesien kam und für die Weberei außerordentliches Interesse zeigte. Damals stand die „Damastweberei“ in großer Blüte. Der König zwang die Hirschberger und Schmiedeberger Kaufherrn, besonders diese berühmt gewordene Webart zu pflegen. In dieser Zeit entstanden die weitverbreiteten und sehr begehrten „Friedensdecken“, die in feinster Bildweberei die Siege des großen Königs darstellten. Das schlesische Leinengewerbe blühle bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Da trat ein jäher Umsturz ein. Es kamen aus England die ersten Maschinenwebstühle nach Schlesien, wodurch eine erhebliche Verbilligung des Leinens eintrat. Bei den nunmehr sinkenden Leinenpreisen und der gleichzeitig steigernden Teuerung gerieten die ohnehin darbenden Weber in bitterste Not. Durch Verfälschung des bis dahin reinen Leinens mit der billigeren Baumwolle versuchten sie den Rückgang auszugleichen, erschütterten aber dadurch namentlich das Vertrauen im Ausland und verarmten und verelendeten noch mehr.
In langen, bittersten Notjahren versuchten die immer ärmer gewordenen Weber, dennoch ihr althergebrachtes und einst zu höchster Blüte entwickeltes Handwerk zu pflegen und sich gegen jede Neuerung zu sperren, bis auch in Schlesien die Maschine das Handwerk bezwang.
Aber trotz aller verlockenden Neuerungen ist die schlesische Handweberei nicht ausgestorben. Das wohlvertraute Geklapper der Webstühle ist nie ganz verstummt. Bis zur Vertreibung der Schlesier im Jahre 1945 klang der Rhythmus jedem Besucher dieser Weberorte in den Ohren, von dem es im Weberlied heißt:
„Tritt auf und tritt nieder,
schieß durch und schlag nieder,
tritt auf!“
Seit der Vertreibung sind die Webergeräte zerschlagen, die Ketten zerrissen und die Werkstätten und Hütten der schlesischen Weber verlassen. Zwar zunächst in alle Winde zerstreut, haben sich die Weber wieder zusammengetan, und seit geraumer Zeit hört man wieder das liebe alte Gepolter der Webstühle in Niedersachsen, auf den Nordseeinseln, im Weserbergland, in Baden und Oberfranken, wo sich der Schaffenswille der Weber wieder Bahn gebrochen hat. Sie künden erneut die schlesische Weberei und „weben am sausenden Webstuhl der Zeit“.