SCHLESIEN – ALTES DEUTSCHES LAND
Von Heinrich O. Olbrich
Im Gedenken an die grausame Vertreibung aus der ostdeutschen Heimat vor zehn Jahren veranstalteten unsere Landsmannschaften gewaltige Kundgebungen, die jeweils von Hunderttausenden von Schicksalsgefährten besucht waren. Die Sprecher in diesen Veranstaltungen, ob Vertreter des Bundes, der Länder oder Landsmannschaften, richteten an das Weltgewissen den feierlichen Appell, schmachvolles Unrecht an den zehn Millionen Vertriebenen nicht zu vergessen, vielmehr ehrlich darum bemüht zu sein, daß dieses einst wieder gutgemacht werde. Die Heimatvertriebenen üben sich indessen in Geduld, Gelassenheit und in einer stillen Zuversicht.
Die Polen, denen die Gebiete östlich der Oder-Neiße-Linie durch die Abkommen von Jalta und Potsdam zunächst nur zur Verwaltung übergeben worden sind, haben gleichzeitig in Presse und Rundfunk den mageren Versuch unternommen, unsere ostdeutsche Provinzen als „uralte polnische Erde“ für sich zu reklamieren. — Es ist daher durchaus an der Zeit, daß wir uns alle auf die Geschichte und die Kultur des deutschen Ostlandes besinnen und, wo es erforderlich ist, auch unser bestehendes Fehlurteil einer Berichtigung zu unterziehen.
Der Umfang des vorliegenden Heimatkplenders gestattet mir nur, eine Provinz, Schlesien, in den Mittelpunkt der beabsichtigen Betrachtung zu stellen.
Wenn man von Schlesien und der Kultur des schlesischen Menschen sprechen will, dann taucht zunächst als erste Frage auf, w o diese Kultur ihren Anfang genommen hat. Wenn, wie polnische Stimmen behaupten, Schlesien heute, nach 800 Jahren, zu „seiner Mutter“ heimgekehrt sei, dann wäre also die Mutter Schlesiens und unsere schlesische Kultur letztlich auf einem polnischen Boden aufgegangen.
Der „Bayrische Geograph“, ein Geschichtsschreiber des neunten Jahrhunderts, zählt vier schlesische Gaue auf; die der Dadosesani und Sleenzana, der Opolini und Golencini. Die Golencini gehörten zu Österreich-Schlesien, die Opolini siedelten ‚um Oppeln, die Sleenzaner um den Slenz, den Zobten, d. h. im Raum Breslau, um die Dadosesani an der unteren Oder. Es wird nicht bestritten, daß slavische Splittergruppen im sechsten nachchristlichen Jahrhundert m die ostdeutsche Landschaft einsickerten. Sie saßen zuvor in der „Urheimat der Slaven“, im Sumpfgebiet des Pripet. Ehe polnische Stämme nach Schlesien kamen, wohnten hier aber schon längst germanische Stämme, die jedoch in der Völkerwanderung weiter zogen. Zahlreiche Gräberfunde bestätigen u. a. auch diese Tatsache.
In diesen polnischen Zwischenzeiten ist das spätere Schlesierland unserem Volke jedoch nie entfremdet worden.
Was Rechte schafft, das sind allein die Leistungen. — Als die Piasten, Nachkömmlinge polnischer Herzöge, nach Schlesien deutsche Bauern ins Land riefen, sah es dort recht trostlos aus. Der Chronist vom Kloster Leubus berichtet uns, daß von einer Landwirtschaft in der vorübergehenden polnischen Zeit keine Rede sein konnte. Die harte Erdkrume wurde mit dem hölzernen Hakenpflug aufgerissen. Die Ernte war so gering, daß sich selbst die wenigen Menschen nur dürftig ernähren konnten. Die wenigen Städte waren klein und verkommen. Von einem Bürgertum war keine Rede.
Oppeln – Rathaus
Erst nachdem die genannten Piastenherzöge, die selbst längst die deutsche Kultur angenommen hatten und sich durch viele Heiraten mit Fürstentöchtern Westdeutschlands an Deutschland anlehnten, aus dem westdeutschen Mutterlande die Bauern ins Land riefen, trat die große Wende in der Entwicklung ein.
Wir können den Weg der Deutschen in Schlesien beinahe Schritt für Schritt verfolgen: Die deutschen Klöster, die um das Jahr 1000 die Riesenwälder rodeten, die deutschen Bauern, die den Mönchen folgten und das versumpfte Land urbar machten, die deutschen Handwerker und Kaufleute, welche den Städten erst das Antlitz verliehen — man muß nur an die Geschichte Breslaus denken —, kündeten durch ihre Bauwerke, daß ihre Erbauer aus Franken und Hessen und aus Thüringen gekommen waren, deutsche Sitten und Gebräuche ins Land brachten, die bis zur Vertreibung Bestand hatten.
Die ohnehin schwachen Einflüsse des Polentums waren bereits im 11. bzw. 12. Jahrhundert völlig zurückgedrängt, und um das Jahr 1250 war bereits der Höhepunkt deutscher Entfaltung in Schlesien erreicht. Diese Provinz war deutsches Land geworden, erfüllt von deutschen Städten und Dörfern. Unter dieser Entwicklung entsagte Polen im Vertrage von Trntscbin im Jahre 1335 feierlich allen Ansprüchen auf Schlesien, das sich in diesem Jahre auch staatsrechtlich von Polen gelöst hat. Dieser am 24. August 1335 durch die Gesandten des polnischen Königs geschlossene Vertrag wurde auf der Fürstenversammlung zu Plintenburg bestätigt und 1339 vom polnischen König persönlich unterzeichnet. Dieser historische Vorgang war nicht etwa das Ergebnis einer augenblicklichen Zwangslage, sondern der Abschluß einer volksgeschichtlichen Entwicklung. Seit 1335 hatte Schlesien mit Polen nichts mehr gemein.
Als im 16. Jahrhundert sich der Herzog Friedrich IV. von Liegnitz um die erledigte polnische Krone als Piastenstämmling in Krakau bewarb, wurde er von den Polen als Deutscher entschieden abgewiesen.
Heute Schlesien zur „polnischen Mutter“ heimführen zu wollen, ist ein geschichtlich unmögliches und ganz unbegründetes Unterfangen. Man kann, was man 700 Jahre lang als deutsch nannte, nicht — um eine augenblickliche günstige Situation zu nützen — plötzlich polnisch nennen.
Heute, aus der Ferne, scheint die geistige Kraft, die aus den in Schlesien erhaltenen zahllosen Bauwerken und ihren einladenden Toren strömt, noch deutlicher vernehmbar als einst: Die erhabene Größe, die immer wieder den Besucher Schlesiens bezauberte, die gläubige Standhaftigkeit, die vor 700 Jahren die Baumeister der Zisterzienser und Prämonstratenser in die wuchtigen Mauern und Türme fügten, die Treue, die nach dem Türkeneinfall die geistlichen Herren von Breslau zum „dennoch“ bewegte, oder die sanfte, schöne Klarheit, die viele unbekannte Meister in manches zierliche Filigran hineinlegten — die Zahl der Sinnbilder deutschen Denkens ist unerschöpflich wie der Quell der abendländischen Lebensströme, aus denen die deutsche Vergangenheit der nun geraubten Heimat im Osten erwuchs.1)
Wie es heute in der einst so blühenden Provinz Schlesien aussieht, ist uns aus laufenden Berichten bekannt.
Wer eine Heimat raubt, wer die kulturelle Kontinuität zerbricht, zerstört Kultur. Und er reißt aus, was tausend Jahre, Zelle um Zelle gewachsen ist. Es wirft den Menschen, wirft ein Volk und tausendjährige Leistung eines Volkes über Bord.
1) Die deutsche Sprache wurde In Schlesien seit jeher besonders gepflegt. Es sei nur erinnert an die 1. und 2. schlesische Dichterschule und an die Kulturarbeit der schlesischen Sprachgesellschaften, so daß Schlesien ein Quickborn für die gesamte hochdeutse Sprache wurde. Auch das deutsche Schulwesen erhielt von Schlesien einen neuen Auftrieb durch die Pädagogen Trotzendorf und Felbiger.