Rückkehr nach Mayschoß
Rückkehr nach Mayschoß
Emst-Edmund Keil
Er ist, seit es plötzlich, als es noch keiner erwartet hätte nach diesem frostigen und nicht endenwollenden Winter, warm wurde und der Frühling, fast übergangslos, in Frühsommer umschlug, in diese Idylle zurückgekehrt. Die Idylle mit dem Dörfchen und seinen schiefergedeckten Fachwerkhäuschen am mäandernden Fluß und dem tiefen Talkessel in seinem Rücken, worin zwischen steilen Weinhügeln der geräumige Campingplatz liegt. Rotweinreben ranken bergan zwischen zartgrünendem oder weißblühendem Buschwerk und schiefergrauem Geröll, auf einer Seite bis auf die himmelblau überspannte Kuppe, auf der anderen, deren Hänge womöglich noch steiler sind und weniger besonnt, immerhin bis zur halben, dichtbebuschten Anhöhe, über deren begrünten Wipfeln jetzt erste dräuende Wolkenhaufen heraufziehen.
Es ist Ende April. Beglückend die Stille, die hier, abseits der verkehrsreichen Straße, die Weindorf mit Weindorf verbindet, eingezogen ist und sich auch am volkreichen Wochenende nicht vertreiben läßt. Obwohl hier auf schmalbrüstigen, frischgemähten Parzellen Wohnwagen an Wohnwagen steht und auf vielen Dächern die schüsselförmigen Antennen zu sehen sind, herrscht hier nur die Musik der Amseln, Meisen, Finke und Stare, die sich hier, als wäre es für sie ein Rückzugsgebiet, das sie gegen menschlichen Lärm und Schmutz erfolgreich verteidigen, ein fröhlich zwiterschendes Stelldichein geben. Selten hört man einen anderen Laut, einen Hammerschlag etwa, mit dem ein Hering oder Holzpfahl tiefer in das feuchte Erdreich getrieben wird. Wasser, das für kurze Zeit aus dem Hahn einer Wasserstelle spritzt, ein klirrendes Trinkglas, ein kurzer Gruß über den Nachbarzaun.
Aus der Hecke seiner Parzelle schlägt mannshoch gelbblühender Ginster lauter kleine Flämmchen, die bis in den späten Abend ein helles Licht versprühen. Auf dem heckengezäumten Rasenstück, auf dem nicht viel mehr als eine Liege, ein zusammenlegbarer Tisch und zwei Klappstühle Platz haben, nicken in der Abendbrise Gänseblumen und Löwenzahn, und manchmal glaubt er, sie nicken ihm zu, und er erwidert stumm ihren Gruß. Und der Duft nach frischgemähtem Gras steigt wie leichter Opferrauch in den sich rosa färbenden Himmel über ihm.
Hier ist es gut sein, denkt er. Hierher kommen die Menschen, um auszuruhen, ein wenig zu lesen, zu trinken in kleinen Schlucken (denn man hat Zeit), Nachbarschaft, die es in der Stadt nicht mehr gibt, zu erneuern und zu halten, im Schutz und Schatten der Vorzelte miteinander zu plauschen und sich auszutauschen. Es gibt so vieles zu erzählen nach der langen Winterpause. Aber man unterhält sich leise und spricht langsam, in Ruhe und mitzeit. Oderein Camper bückt sich tief mit Harke und Kanne über die kleinen Blumenrabatte, die er rings um den Wagen oder in grünen Hängekästen angelegt hat und in denen es jetzt wieder blüht in den buntesten Farben. Die Stille ist golden unter der Sonne. Selbst die Hunde, die es hier gibt, bellen nicht. Und niemand schreit, niemand streitet sich. Hier herrscht vorpfingstlicher Frieden.
Vielleicht ist dies, sinnt er, der Grund, warum die Menschen auf den Spuren ihrer Vorväter aus Urzeit noch einmal zu Nomaden geworden sind, die leichte und bunte Zelte aufschlagen unter einem freien und reinen Himmel inmitten einer wieder ergrünenden Natur, die noch heil ist oder von der sie glauben, daß sie es sei. Sie duftet und sie klingt so. Findet er und ist ein bißchen glücklich, was er lange Monate so nicht gewesen ist. Glück des späten Nomaden, der sich im Einklang weiß mit sich selbst und seiner kreatürlichen Umwelt.