RITTER ROLAND UND DIE NONNE

Von Walther Ottendorff-Simrock

Zwischen Remagen und Bonn, gegenüber den Sieben Bergen, schaut von der Höhe ein merkwürdiges Bauwerk ins Tal: ein Bogen, aus Steinquadern gefügt, den das Volk nach dem tapferen Paladin des Kaisers Karl, dem Helden Roland, benannt hat: der Rolandsbogen. Um dieses alte Gemäuer hat das rheinische Volk eine seiner schönsten Sagen gerankt. .

Es ist schon über tausend Jahre her, da zog der getreue Roland mit seinem kaiserlichen Herrn in den Krieg. Zuvor jedoch hatte er sich von Hildegunde, seiner Jugendliebe, das Jawort geben lassen. Lange Zeit verging, ohne daß eine Kunde von den Recken in die Heimat gelangte. Aber eines Tages ging es von Mund zu Mund, daß Roland fern in Spanien nach tapferem Kampf mit den heidnischen Sarazenen gefallen sei. Wehklagen erfüllte die Städte und Burgen des weiten Frankenreiches; die Sänger zwischen Garonne und Rhein priesen in ihren Liedern den Helden und seinen letzten Streit im Tal von Ronceval, und die Augen vieler Frauen und Mädchen weinten um ihn. Hildegunde verging fast vor Gram. Sie verschloß sich lange Monde in ihrer Kammer. Als sie wieder hervortrat, waren die einst so blühenden Wangen bleich geworden, und der Glanz der Augen war erloschen. Sie trat zum Abschied vor den Vater hin und bat um seinen Segen: „Ich will zu den Klosterschwestern auf Nonnenwerth gehen, will in Gott und im Gebete leben, bis der Tod mich meinem Verlobten zugesellt.“ Schweren Herzens ließ der Graf die Tochter ziehen. Die Klosterpforte tat sich auf und fiel hinter der Jungfrau ins Schloß. Schon im Frühjahr darauf legte sie das Gelübde ewiger Entsagung ab und war nun der Welt für immer entrückt.

Held Roland aber war nicht tot. Im Tal von Ronceval war er von einem edlen Sarazenen schwer verwundet unter einem Hügel von Leichen seiner Feinde gefunden worden. Der wackere Gegner führte ihn in sein Haus und pflegte ihn gesund. Als der Frühling ins Land kam, war er genesen; er bestieg sein Roß und ritt durch die prangenden Fluren des Frankenreiches dem Rhein entgegen, wohin ihn sein Herz mit süßen Kräften zog. Als die ersten Nachtigallen schlugen, ritt er durch das Burgtor des Vaters seiner Braut. Wie erschrak er, als sie ihm nicht entgegeneilte und als ihm kund wurde, daß Hildegunde eine Braut des Himmels und für immer von ihm geschieden sei.

Roland war bis ins Herz getroffen; aber er klagte nicht. Stumm verließ er die Burg und stieg zu jener Höhe hinan, von der er über den Rhein und über das Eiland mit dem Kloster blicken konnte, unter dessen Dach er die Geliebte wußte. Er errichtete sich auf dem Berg eine Klause; dort lebte er einsam und weltabgeschieden. Vom frühen Morgen bis zum späten Abend stand er am Fenster und schaute mit umflortem Blick ins Tal. Er dachte nicht daran, eine Botschaft an Hildegunde zu senden, er liebte sie so sehr, daß er nimmer ihre Ruhe im Frieden Gottes stören wollte. Der einzige Wunsch, der sein Herz erfüllte, war, daß bald der Tod sie einen möchte.

Dieser Wunsch wurde ihm erfüllt. Als nach zwei Jahren leidvollen Harrens die Sterbeglocke vom Kloster her über das Wasser erklang, als unter feierlichen Gesängen eine junge Nonne zu Grabe getragen wurde, da wußte der Einsame, obgleich ihm niemand dies berichtet hatte, daß Hildegunde gestorben sei. Da blieb auch Rolands Herz stehen, und die befreite Seele flog hinauf zu der Geliebten in die Welt der Seligkeit. Als am nächsten Morgen die Diener das Zimmer des Grafen betraten, fanden sie einen Toten. Sein Angesicht war dem Kloster zugewandt, und die Hände hatten sich wie zum Gebet geschlossen.