Rheinromantik – Ahrromantik Romantische Landschaften im Kreis Ahrweiler
200 Jahre Rheinromantik
Das Jahr 2002 war für den Mittelrhein von historischer Bedeutung: Zum einen wegen einer Vielzahl an Veranstaltungen und Ausstellungen von Bingen bis Köln, mit denen Tourismusverbände und kulturelle Einrichtungen das 200. Jubiläum der Rheinromantik feierten. Zum anderen wegen der Aufnahme des oberen Mittelrheintales in die prestigeträchtige Liste des Weltkulturerbes der UNESCO. Im Folgenden soll hinterfragt werden, inwiefern die zum Kreis Ahrweiler gehörende Rheinlandschaft die romantische Vorstellung beeinflusst hat und wie sie selbst von der Rheinromantik geprägt wurde. Darüber hinaus bietet sich ein Blick auf das Ahrtal an.1)
Romantiker bereisen das Rheintal
Den Anlass, das Jahr 1802 gewissermaßen als Geburtsjahr der Rheinromantik zu sehen, bieten die Reisen von romantischen Schriftstellern2): Friedrich Schlegel (1772-1829) erfuhr den Mittelrhein als eine romantische Ideallandschaft. Die Freunde Clemens Brentano (1778-1842), ein gebürtiger Ehrenbreitsteiner, und Achim von Arnim (1781-1831) bereisten das Tal auf dem Weg von Bingen nach Koblenz. Ihr Interesse galt besonders den Sagen, Märchen und Liedern des Volkes. Aber sie fühlten sich nicht nur zu deren Sammlung angeregt, wofür bis heute die berühmte Volksliedsammlung „Des Knaben Wunderhorn“ steht. Der Rhein inspirierte sie auch zur eigenen Dichtung, was vor allem für Brentano gilt: Seine „Rheinmärchen“ haben wenig mit den Geschichten des Volkes zu tun, sie sind Kunstdichtung. Genauso wie die weltbekannte Loreley, die eine Kunstfigur Brentanos ist.
Bedeutender für die Rheinromantik war allerdings das Reiseerlebnis Friedrich Schlegels, weshalb er auch zu Recht als Initiator dieses geistigen und künstlerischen Phänomens gilt. Allerdings war es gegen Ende des 18. Jahrhunderts generell zu einem Wechsel der landschaftlichen Anschauung gekommen. Die Aufklärung, für die noch Georg Forster 17903) steht, konnte dem engen Rheintal nichts abgewinnen. Ihr galt es als eine unnütze Landschaft, wirtschaftlich schlecht verwertbar und von Burgruinen und alten Städtchen als Relikten des „dunklen“ Mittelalters geprägt. Erst englische Bildungsreisende sahen das Rheinland mit einem anderen Blick. Sie schätzten die pittoreske Felslandschaft und sahen die rheinischen Höhenburgen als großartige Zeugnisse der Vergangenheit.4)
An diese Gedanken knüpft Schlegel an, wenn er den Mittelrhein zwischen Koblenz und Bingen mit Begeisterung betrachtet. Denn dort „wird das Tal immer enger, die Felsen schroffer, und die Gegend wilder.“5) Sie wirke wie „ein in sich geschlossenes Gemälde und überlegtes Kunstwerk eines bildenden Geistes.“ Was ihn zu der Aussage hinreißt: „Für mich sind nur die Gegenden schön, welche man gewöhnlich rauh und wild nennt; denn nur diese sind erhaben, nur erhabene Gegenden können schön sein, nur diese erregen den Gedanken der Natur.“ Ohne auf die Feinheiten romantischer Sichtweisen einzugehen, sei auf den fundamentalen Unterschied gegenüber der Aufklärung verwiesen. An die Stelle eines profanen Nützlichkeitsdenkens ist eine Ästhetik getreten, für die entscheidend ist, was die Natur im Betrachter für Gefühle hervorruft. Ihre Erhabenheit6) (ein Schlüsselbegriff) hebt auch ihn über das Kleinliche und Niedrige empor. Was davon blieb ist die Emotionalität, die selbst wir noch mit dem Begriff des Romantischen verbinden. Doch Friedrich Schlegel geht weiter und bewertet auch die Burgruinen neu. Für ihn sind „kühne Burgen auf wilden Felsen“ Relikte einer großen Vergangenheit. Ebenso führt die Bewunderung gotischer Architektur zu einer Neubewertung des Mittelalters. Als monumentales Beispiel dient Schlegel und seinen Nachfolgern der noch unvollendete Kölner Dom, der im 19. Jahrhundert zu einem romantischen und patriotischen Symbol werden sollte.
Friedrich Schlegels Impressionen und Reflexionen von 1802 bieten alles, was die Rheinromantik in den folgenden Jahrzehnten ausmachte und was sie bis in die Gegenwart prägt: Die Felsenlandschaft des engen Flusstales, die Höhenburgen (Burgenromantik), mittelalterliche Bauwerke wie die gotischen Kirchen, die rheinischen Städte mit ihrem altertümlichen Ambiente und schließlich die Bevölkerung mit ihrem Brauchtum. Die Rheinromantik sollte jedoch nicht bei diesem Blick auf das historisch Gewachsene (oder Zerstörte) verharren. Im his-torisierenden Stil der Neugotik oder Neuromanik wurden Burgen wieder aufgebaut, wurde der Kölner Dom nach fast 300-jähriger Unterbrechung fertig gestellt, entstanden Bauwerke in vermeintlich mittelalterlicher Manier neu.
Rheinromantik im Kreis Ahrweiler
Das zum Kreisgebiet gehörende untere Mittelrheintal zwischen Brohl-Lützing und Rolandswerth hat auch ohne die exponierte landschaftliche Dramatik des oberen Tales seit Jahrhunderten die Aufmerksamkeit von Reisenden und Künstlern geweckt. Schon Friedrich Schlegel schreibt: „Bei dem freundlichen Bonn fängt die eigentlich schöne Rheingegend an; eine reich geschmückte breite Flur, die sich wie eine große Schlucht zwischen Hügeln und Bergen eine Tagereise lang hinaufzieht bis an den Einfluss der Mosel bei Koblenz…“ Hier sieht er die Landschaft eher idyllisch als im strengen Sinne romantisch. Darin ist ihm der italienische Dichter Aurelio de´ Giorgi Bertòla (1753-1798) vorausgegangen.7) Als er im Herbst 1787 mit der Kutsche von Köln nach Mainz reist, nimmt er die Gegend zwischen Oberwinter und Unkel als den „Höhepunkt landschaftlicher Schönheit“ wahr. In seinem Reisebericht schwärmt er von einem goldenen Oktober, von den Weinbergen und den Menschen mit ihren Erntefes-ten, was in dem Satz gipfelt: „Wir hatten einen der schönsten, heitersten und angenehmsten italienischen Herbsttage.“ Bertòla gilt als Vorläufer der Romantik, der die Landschaft mit Gefühl und Phantasie als Stimmungslandschaft wahrnimmt – allerdings eher idyllisch als pittoresk-romantisch.
Das romantische Mittelrheintal mit Burg Rheineck, Stahlstich von Lange, 1844
Ein Höhepunkt der Rheinromantik
Doch in den folgenden Jahrzehnten sollte sich diese Gegend im Blick von Dichtern, Künstlern und Reisenden zu einem Schwerpunkt der Rheinromantik entwickeln: Das Landschaftsensemble des Siebengebirges mit dem Drachenfels und der Insel Nonnenwerth nebst dem Rolandsbogen, denen sich südlich der Apollinarisberg anschließt. Seine Bedeutung belegte augenfällig eine Ausstellung des Stadtmuseums Bonn zum Jahr der Rheinromantik im Ernst-Moritz-Arndt-Haus, in der Rolandseck, Nonnenwerth und Drachenfels zu den häufigsten Motiven zählten.
Romantische Treffpunkte in Bonn und im Kreis Ahrweiler
Dass sie in der Bonner Ausstellung so stark vertreten waren, ist kein Zufall. Waren es doch vor allem Professoren und Studenten der 1818 gegründeten Universität, die Ausflugsziele im nahen Kreis Ahrweiler besuchten und bekannt machten.8)Beispielhaft steht dafür der Historiker und Publizist Ernst Moritz Arndt (1769-1860), der von Bonn aus nicht nur vielfältige Beziehungen im Ahrkreis pflegte und auf Wanderungen das Rheinland kennen lernte.9) In seinen „Wanderungen aus und um Godesberg“ nennt er Drachenfels und Rolandseck einen „der herrlichsten Punkte am Rheinstrom“. Auch Karl Simrock (1802-1876), Bonner Germanistikprofessor und berühmt für die Übertragung des Nibelungenliedes, machte sich im Geiste der Romantik um das Rheinland verdient. Seine Sammlung von Rheinsagen und –dichtungen, sein prächtiger Band „Das malerische und romantische Rheinland“ trugen erheblich zur Popularität dieser Region bei. Die Illustrationen im damals hoch modernen Stahlstich zeigen unter anderem Rolandseck und Nonnenwerth. Simrock gehörte dem 1840 von Gottfried Kinkel und dessen späteren Frau Johanna Mockel gegründeten „Maikäferbund“ an, der Bonn zu einem Zentrum der Rheinromantik machte,10) dessen Strahlen weit ins Ahrgebiet reichten.
Aber auch hier gab es Treffpunkte, an denen die Künste und Gesellschaftsleben gepflegt wurden: In den ehemaligen Klostergebäuden auf Nonnenwerth existierte etliche Jahre eine Gastwirtschaft, die häufig prominente Gäste hatte: Ernst Moritz Arndt und Karl Simrock, der zum romantischen Kern gehörende Joseph Görres, die französische Schriftstellerin George Sand und der Komponist Franz Liszt.11) Auf dem Apollinarisberg unterhielten die aufs Engste mit der Romantik verbundenen Kölner Kunstsammler Sulpiz und Melchior Boisserée zwischen 1807 und 1836 einen Musenhof. Später entwickelte sich unter den Bethmann-Hollwegs die neu erbaute Burg Rheineck zu einem gesellschaftlichen Treffpunkt.
Dichter, Sagen und der Rolandsbogen
Die meisten Dichter, die sich rheinromantischen Themen widmeten, schrieben keine hohe Literatur.12) Das gilt für Max von Schenkendorf (1783-1817), den „Sänger der Freiheitskriege“, der seine letzten Jahre in Koblenz lebte und Nonnenwerth und Rolandseck besang. Dazu zählt Wolfgang Müller von Königswinter (1816-1873), dessen Gedichte heute weit gehend vergessen sind. Auch Ferdinand Freiligrath (1810-1876) kann nicht zu den Großen der Literaturgeschichte gerechnet werden. Gleichwohl gebührt ihm, der um 1840 in Unkel wohnte, ein Ehrenplatz in der Geschichte der Rheinromantik. Gedichte wie „Rolandseck“ und das „Rosenlied von der Ahr“ waren als Teile seiner sentimental-romantischen Lyrik bekannt. Berühmt machte ihn seine Initiative zum Wiederaufbau des eingestürzten Rolandsbogens im Jahre 1840. Der „Vater romantischer Denkmalpflege“13) sorgte damit nicht nur für die Rettung, sondern auch für die Etablierung eines Symbols der Rheinromantik. Mit ihm wurde die Sage vom unglücklichen Ritter Roland verbunden, der von Burg Rolandseck, deren letzter Rest der Rolandsbogen ist, sehnsuchtsvoll nach dem Kloster auf Nonnenwerth schaut, wo seine Braut den Schleier genommen hatte.14) Die bis heute berühmten Rheinsagen verdanken ihre Beliebtheit den Romantikern mit ihrer Vorliebe für die Geschichte und Volksüberlieferung, wie sie schon 1802 Brentano und von Arnim bekundeten. Niklas Vogt, Aloys Schreiber, Amalie von Imhoff und nicht zuletzt Karl Simrock sind nur einige aus der großen Zahl derjenigen, die Sagen herausgaben. Geschichten wie die von der Loreley oder vom treuen Roland erwecken den Anschein eines hohen Alters. Tatsächlich sind die meisten Rheinsagen erst im 19. Jahrhundert erdichtet worden.15)
Bildmotive der Rheinromantik
Außer in der Literatur bewirkte der romantische Blick auch in der bildenden Kunst eine Veränderung. Die bis dahin eher gering geachtete Landschaftsmalerei wurde neben anderen bildlichen Darstellungen zu einem wichtigen Medium der Rheinromantik.16) In unserer Region waren es vor allem die Maler der 1819 gegründeten Düsseldorfer Akademie, etwa Caspar Scheuren und Carl Schlickum, die Motive an Rhein und Ahr aufgriffen. Im 19. Jahrhundert entstanden in großer Zahl Darstellungen von Rolandseck, Nonnenwerth, Drachenfels, Apollinarisberg, Sinzig, Rheineck und anderen Orten. Von den vielen Künstlernamen sei der des Engländers William Turner genannt. Schon auf seiner ersten Rheinreise im Jahre 1817 lernte er die Ufer des Kreisgebiets kennen. Etliche Motive (Rolandseck, Nonnenwerth, Drachenfels, Remagen) hielt er in Skizzen fest, zu denen zum Teil Aquarelle entstanden.17)
Rheinromantik und Architektur
Die Rheinromantik hat ihren sichtbarsten Ausdruck in der Architektur gefunden.18) Vor allem mit der Neugotik versuchte sie historisierend an die nationale mittelalterliche Geschichte anzuknüpfen; auch darin folgte sie übrigens den Engländern. Im Rheinland verband sich damit allerdings schon früh ein politisches Anliegen. Die Hohenzollern betrieben als die neuen Herren nach 1815 eine regelrechte Burgenpolitik, indem sie mit dem Wiederaufbau von Burgruinen an die rheinische Geschichte anknüpfen wollten.19) So errichteten sie bis 1829 Burg Rheinstein bei Bingen und bis 1842 Schloss Stolzenfels bei Koblenz – als moderne Bauten im historischen Gewand, die als Höhepunkte romantischen Burgenbaus gelten. Dem preußischen Königshaus folgten viele Adlige und wohlhabende Großbürger. Zu ihren Bauprojekten zählen im Kreisgebiet Burg Rheineck bei Bad Breisig, deren „Neubau“ der Bonner Professor von Bethmann-Hollweg 1834 beziehen konnte,20) das Sinziger Schloss, dessen Aufbau Vincenz Statz 1858 vollendete, und das zur selben Zeit errichtete Schloss Marienfels. Darüber hinaus erinnert eine Vielzahl von Villen, Hotels und auch der Bahnhof Rolandseck in verschieden Stilrichtungen des Historismus an die Rheinromantik.21)
Die Apollinariskirche
Das berühmteste Beispiel neugotischer Architektur im Kreis Ahrweiler ist ein Kirchenbau: die Apollinariskirche in Remagen. Sie entstand auf dem Apollinarisberg, dessen ehemalige Benediktinerpropstei zuerst den Boisserées, seit 1836 dem Freiherrn von Fürstenberg-Stammheim gehörte. Für ihn erbaute Dombaumeister Ernst Friedrich Zwirner bis 1843 eine neue Wallfahrtskirche im neugotischen Stil, deren hohe Fassaden mit den filigranen Türmen noch immer einen auffallenden Akzent in der Rheinlandschaft setzen. Turmhelme und Balustraden bestanden aus Gusseisen und stellten als Produkte der Isselburger Hütte bei Rees am Niederrhein Zeugnisse moderner Technik dar. St. Apollinaris ist im Sinne romantischer Ästhetik ein Gesamtkunstwerk, zu dem verschiedene Künste beitragen. Zwischen 1843 und 1852 entstand ein Zyklus von Wandmalereien, an dem die Maler Ernst Deger, Andreas und Karl Müller sowie Franz Ittenbach in der Tradition der romantischen Nazarener beteiligt waren.22)
Die Ahrromantik
Das Ahrtal oberhalb Ahrweilers war noch in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts außerhalb der Region kaum bekannt und zum Teil schwer zugänglich. Vertretern der Düsseldorfer Malerschule fiel um 1829 die Ahr als romantische Landschaft auf. Maler der Gruppe um Lessing, Schirmer, Scheuren, Pose und andere wählten die Lochmühle zu ihrem Stützpunkt. Sie entdeckten zwischen Walporzheim und Kreuzberg ein tief eingeschnittenes, felsenreiches Tal, das mit seinen abgeschiedenen Dörfern und Burgruinen an den romantischen Rhein erinnerte. Darüber hinaus trug Jean Nicolas Ponsart mit seinen Darstellungen entscheidend zum Bekanntwerden des Ahrtals bei.23)
Als einer der ersten lernte der Düsseldorfer Dichter Karl Immermann die Ahr kennen. Ahrweiler mit seiner mittelalterlichen Stadtmauer sah er als „die artigste kleine altdeutsche Stadt“. Die mittlere Ahr beeindruckte ihn mit ihrer Felsenlandschaft.24)
Ahrromantik in Reiseführern
Dass die Ahr populär wurde, beweisen die Reiseführer, die in den 30er- und 40er-Jahren des 19. Jahrhunderts erschienen und damit dem Trend des Rheintourismus folgten.25) Ernst Weyden erschloss den Lesern das Ahrtal in einem umfassenden Sinn: seine Natur und Geschichte, seine Menschen mit ihren Sagen und seinen Wein. Er kennzeichnet die „niederrheinische kleine Schweiz“ als „das romantische Thal“ und spart auch sonst nicht mit diesem Attribut. Die Gegend von Walporzheim ist ihm „wildromantisch“, das Tal bei Altenahr nennt er „die schönste, romantisch großartige Gruppe“ der ganzen Ahr. Hier bot das enge geschlungene Tal mit seinen pittoresken Felsformationen, der Ruine der Burg Are und dem Ort Altenahr alles, was als romantisch galt. Bei allen sachlichen Informationen spricht Weyden auch phantasievoll schaurige Momente an, so eine Bergbesteigung bei Nacht: „Wie Geisterwehen flüstert es durch die Thalschluchten … Wie finstrer Spuk schallt der Flügelschlag der Nachtvögel … Der Geist der Sage wird lebendig …“ Das mochte eher trivial als romantisch klingen, seine Wirkung verfehlte es nicht.
Auch Ernst Moritz Arndt geht auf das Ahrtal in seinen „Wanderungen“ ein. Er bezeichnet den Gipfel der Burg Are als „die erhabenste Stelle der Ahr“ und greift damit auf einen Begriff zurück, der von Anfang an mit der Rheinromantik verbunden war. Gottfried Kinkels populäres Ahrbuch folgt ebenso romantischen Stimmungen und Begriffen. So empfiehlt er die Wanderung bis Kreuzberg oder Pützfeld, „weil der Eindruck des Tales hier plötzlich wechselt und aus dem Sturm der Romantik in friedliche Idylle umspringt“. Mehr als 40 Jahre nach Friedrich Schlegel wendet er dessen romantisches Landschaftsbild an!
Die andere Seite der Rhein- und Ahrromantik
Die Phänomene der Rhein- und Ahrromantik implizieren auf den ersten Blick unberührte, wilde Landschaft mit den ruinenhaften Zeugnissen einer untergegangenen Vergangenheit. Romantik bedeutet unter anderem ein Zurück ins Mittelalter, um daraus Visionen für die Zukunft zu schöpfen: in der Kunst, in der Literatur, in der Religion, in der Politik. Es gibt jedoch zwei Seiten, wofür Ernst Moritz Arndt ein treffendes Beispiel bietet: Er schwärmt von Altenahr und seiner Natur genauso wie von „Straßen und einer merkwürdigen Kunstherrlichkeit“: Es sei nämlich unter der Burg „ein prächtiger Felsenweg ausgesprengt und gewölbt, unter dessen schauerlich erhabener [!] Decke man achtzig Schritt fortgeht, ehe man wieder ans Licht gelangt …“ Damit ist der 1834 eingeweihte Altenahrer Straßentunnel gemeint, der als Meisterwerk preußischer Ingenieurskunst zu einer Attraktion wurde.26) Er galt als Symbol für technischen Fortschritt und die Erschließung des Landes. Straßen- und Eisenbahnbau, Gasthöfe und Hotels, Dampfschiffe und Reiseführer brachten Touristen und damit zahlende Gäste ins Rheinland. Den Engländern folgten im 19. Jahrhundert die Deutschen und viele andere Nationen, die den romantischen Rhein, später auch die romantische Ahr erleben wollten. Den Rheinländern war dies recht; bot doch der Fremdenverkehr eine oft lebensnotwendige Einnahmequelle. So ist Rheinromantik, die an sich Einsamkeit und Besinnlichkeit propagiert, aufs Engste mit Massentourismus und Massenerlebnissen verbunden.27)
Der Altenahrer Tunnel und Burg Are, um 1839
Eine weitere bemerkenswerte Zwiespältigkeit kommt hinzu: Rheinromantik bewahrt selten authentische Vergangenheit, sie rekonstruiert und konstruiert. Historisierender Burgenbau vermittelt ein Kunstmittelalter des 19. Jahrhunderts, verbunden mit modernem Wohnkomfort. Um die prachtvolle neue Apollinariskirche zu errichten, musste die alte, verfallene, aber zweifelsohne authentischere Kapelle abgetragen werden. Der Rolandsbogen wurde wieder aufgebaut, aber doch versetzt mit Blick auf den Drachenfels. Der romantische Rhein, an dem der Kreis Ahrweiler so bedeutenden Anteil hat, und die romantische Ahr sind zu großen Teilen eine Kulturlandschaft des 19. Jahrhunderts. Straßen und Eisenbahnen begleiten schon recht früh den Lauf des Rheins, der just in dieser Zeit gebändigt wird.
Ein Fazit
Diese Bemerkungen wollen nicht die Rhein- und Ahrromantik schmälern, die auch für den Kreis Ahrweiler ein erhaltenswertes Kulturerbe darstellen und Anziehungspunkte des wichtigen Fremdenverkehrs sind. Das 20. Jahrhundert hat auch hier – durchaus in der Fortschrittstradition des 19. – der Landschaft beträchtliche Schäden zugefügt.28) Heute wie zukünftig gilt es abzuwägen zwischen der Unmöglichkeit, eine dichtbesiedelte Kernlandschaft Mitteleuropas zu archivieren, und der Unmäßigkeit so mancher Baumaßnahme, die vielleicht auch „eine Nummer kleiner“ ihre Aufgabe erfüllen könnte. Unter Betonrampen und futuristischen Kolossen29) fällt es schwer, Ferdinand Freiligraths Worten zu folgen: „Gruß dir Romantik! – Träumend zieh´ ich ein in deinen schönsten Zufluchtsort am Rhein!“
Literatur:
Quellen:
- Arndt, Ernst Moritz. Wanderungen aus und um Godesberg. Bonn 1844. (Neue, bearbeitete Ausgabe: Hermann Kochs (Hg.). Ernst Moritz Arndt. Wanderungen rund um Bonn ins rheinische Land. Köln 1978).
- Kinkel, Gottfried. Die Ahr. Landschaft, Geschichte und Volksleben. Bonn 1849 (2. Aufl.). (Neue, bearbeitete Ausgabe: Hermann Kochs (Hg.). Gottfried Kinkel. Die Ahr. Eine romantische Wanderung vom Rheintal in die Hohe Eifel. Köln 1999 (2. Aufl.).
- Schneider, Helmut J. (Hg.). Der Rhein. Seine poetische Geschichte in Texten und Bildern. Frankfurt am Main 1983.
- Weyden, Ernst. Das Ahrtal. Ein Führer von der Mündung der Ahr bis zu ihren Quellen, nebst einem Abstecher nach dem Laacher=See und dem Brohlthale. Bonn 1839 (2. Aufl.).
Sekundärliteratur:
- Dischner, Gisela. Ursprünge der Rheinromantik in England. Zur Geschichte der romantischen Ästhetik. Frankfurt am Main 1972.
- Fechner, Jörg-Ulrich. Erfahrene und erfundene Landschaft. Aurelio de´ Giorgi Bertòlas Deutschlandbild und die Begründung der Rheinromantik. Opladen 1974.
- Haffke, Jürgen. Der Fremdenverkehr im Kreise Ahrweiler – Gegenwart und Geschichte -. In: Der Kreis Ahrweiler im Wandel der Zeit. Bad Neuenahr-Ahrweiler 1993. S. 311-346, bes. S. 327ff.
- Honnef, Klaus. Weschenfelder, Klaus. Haberland, Irene (Hg.). Vom Zauber des Rheins ergriffen … Zur Entdeckung der Rheinlandschaft. München 1992.
- Janta, Leonhard. Kunst und Kultur im Kreis Ahrweiler. In: Der Kreis Ahrweiler im Wandel der Zeit. Bad Neuenahr-Ahrweiler 1993. S. 219-232, bes. S. 226ff.
- ders. Literarische Wanderungen durch den Kreis Ahrweiler. In: Heimatjahrbuch Kreis Ahrweiler 1994. 1993. S. 187ff.
- Kleinschmidt-Altpeter, Irene. Rheinromantik und Biedermeier in einem Bonner Professorenhaus. Köln 1989. (Historische Meile. Eine Ausstellung in 8 Stationen anläßlich der 2000-Jahr-Feier der Stadt Bonn. 6. Station). Bes. S. 17-42.
- Krause, Arnulf. Ernst Moritz Arndt: Ein Bonner Professor und das Land von Ahr, Rhein und Eifel. In: Heimatjahrbuch Kreis Ahrweiler 2001. 2000. S. 130-135.
- ders. Wie der Ritter Roland nach Rolandseck kam. Auf den Spuren der Rolandsage von den Pyrenäen bis an den Rhein. In: Heimatjahrbuch Kreis Ahrweiler 1999. 1998. S. 48-53.
- Landeshauptstadt Düsseldorf, Stadtmuseum (Hg.). Schinkel im Rheinland. Düsseldorf 1991.
- Landesmuseum Koblenz (Hg.). Der Geist der Romantik in der Architektur: Gebaute Träume am Mittelrhein. Regensburg 2002 (Begleitpublikation zur Sonderausstellung „Gebaute Träume“ des Landesmuseums Koblenz).
- Möhring, Heino. „Da, wo Rheineck neu entstanden …“ – Moritz August von Bethmann-Hollweg und Burg Rheineck. In: Heimatjahrbuch Kreis Ahrweiler 2000. 1999. S. 110-113.
- Ottendorff-Simrock, Walther. Die Stimme des Rheins. Der Strom im Spiegel der Dichter des 18. und 19. Jahrhunderts. Honnef 1956.
- Pauly, Peter Paul. St. Apollinaris Remagen. Regensburg 2002 (3. Aufl.).
- Powell, Cecilia. William Turner in Deutschland. München 1995.
- Röcke, Matthias. Villen am Rhein. In: Heimatjahrbuch Kreis Ahrweiler 1982. 1981. S. 46ff.
- Ruland, Josef. Der Rolandsbogen in Remagen-Rolandseck. Zur Wiedererrichtung vor 150 Jahren. Köln 1990 (Rheinische Kunststätten 359).
- Schäfke, Werner. Rheinromantik. Bonn 2001.
- Schmidt, Hans M. Malsch, Friedemann. Van de Schoor, Frank (Hg.). Der Rhein – le Rhin – de Waal. Ein europäischer Strom in Kunst und Kultur des 20. Jahrhunderts. Köln 1995.
- Schmitz, Michael. William Turner am Rhein – Ansichten aus dem Kreisgebiet. In: Heimatjahrbuch Kreis Ahrweiler 1990. 1989. S. 78f.
- Stader, Karl Heinz. William Turner und der Rhein. Bonn 1981.
- Tümmers, Horst Johs. Rheinromantik. Romantik und Reisen am Rhein. Köln 1968.
Anmerkungen:
- Der Eifel soll ihre Romantik nicht bestritten werden. Allerdings kann im historischen Sinn nicht vom Aufkommen einer Eifelromantik in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts gesprochen werden.
- Vgl. zum Folgenden Schäfke und Tümmers, S. 42 – 46.
- In „Ansichten vom Niederrhein“, 1791.
- Vgl. zum englischem Einfluss:Dischner, Tümmers, S. 61 ff. Irene Haberland. Auf der Suche nach der pittoresken Schönheit. Englische Künstler am Rhein im 19. Jahrhundert. In: Honnef u.a. S. 41 – 66.
- Wenn nicht anders vermerkt, stammen die Zitate aus Schneider.
- Vgl. zu diesem Begriff das Register in Dischner.
- Dazu Fechner.
- Vgl. Kleinschmitt-Altpeter.
- Ausführlicher behandelt von Krause 2000.
- Kleinschmitt-Altpeter, S. 19.
- Liszt weilte Anfang der 40er-Jahre mehrere Sommer auf Nonnenwerth, wo er zu einigen Rheinliedern inspiriert wurde, darunter auch „Nonnenwerth“.
- Allgemeine Überblicke zum Thema Literatur und das Rheinland bzw. der Kreis Ahrweiler bieten Janta 1993 sowie Ottendorff-Simrock.
- Ruland, S. 15.
- Zur Thematik der Rheinsagen: Krause 1998.
- Vgl. Krause 1998, S. 52.
- Ohne hier auf einzelne Künstler einzugehen, sei auf folgende Literatur verwiesen:Honnef u.a., Janta 1993, Schäfke, Tümmers.
- Vgl. dazu Powell, Schmitz, Stader.
- Dem trug die Ausstellung „Gebaute Träume“ des Landesmuseums Koblenz im Jahre 2002 Rechnung. Der Katalog widmet sich analog zur Präsentation der Ausstellung auch Objekten imKreis Ahrweiler:Burg Rheineck, Rolandsbogen mit Nonnenwerth, Altenahrer Straßentunnel, Apollinariskirche.
- Vgl. Schäfke und Tümmers.
- Dazu Möhring.
- Bekannte und erhaltene Häuser nennt Röcke.
- Vgl. Pauly.
- Dazu Janta 1993.
- Text in Schneider.
- Den berümtesten Rheinreiseführer gab 1828 Carl Baedeker in Koblenz heraus.
- Mit ihm ist der Name Karl Friedrich Schinkels verbunden, der als Architekt nicht nur klassizistisch, sondern auch neugotisch baute, und der als Maler romantische Motive wählte. Sein Entwurf zur Ausschmückung des Tunneleingangs (1832) ist nicht realisiert worden. Er plädierte für eine Gestaltung des Tunnelumfeldes, die „eine sehr angenehme Wirkung in der Landschaft“ mache. Vgl. dazu Landeshauptstadt Düsseldorf 1991, S. 46, 68 f. Landesmuseum Koblent, S. 54 f.
- Vgl. zu diesem Thema Haffke, Schäfke, Tümmers.
- Beispiele, auch aus dem Kreis Ahrweiler, nennt: Kühn, Norbert. Kritische Betrachtungen zum Umgang mit der Rheinlandschaft. In: Schmidt u.a. S. 59 ff.
- Bei der notwendigen kritischen Würdigung von Großbauten wie dem Arpmuseum sollten „kleine“ Objekte nicht übersehen werden. Für den Autor stellt etwa ein aktueller Neubau am Bad Breisiger Rheinufer ein ästhetisches Desaster dar!