Remagener Kleinkunst – Eine kleine Stadt bietet ein großes Kulturangebot
Remagener Kleinkunst
Eine kleine Stadt bietet ein großes Kulturangebot
Amim Franke
Die Halle voll besetzt – mit einem über 1000 Köpfe zählenden Publikum. Spannung liegt in der Luft, alle sind frohgelaunt. Veranstaltungsbeginn: 20.00 Uhr. Es ist kurz vor acht, vom Künstler keine Spur. Hinter den Kulissen tupft sich der Mann den Schweiß von der Stirn, der verantwortlich ist für das Gelingen oder den Reinfall dieses Abends. Dann klappt die Garderobentür. Der so sehnlichst Erwartete erreicht die Vorhalle des Musentempels. Er wirkt so, als hätte er sich schon ewig lange auf seinen Auftritt, sozusagen an Ort und Stelle, vorbereitet. Beide genehmigen sich in der Garderobe ein „Versöhnungsgläschen“ Wein, dann nimmt der „Quwasi-Rheinländer“ aus Tirol, Konrad Beikircher, die Bühne im Sturmschritt und badet im ersten Applaus.
Wieder einmal geschafft. Martin Tillmann, Leiter des Verkehrsamtes der Stadt Remagen, kann aufatmen. Ein über die regionalen Grenzen hinaus bekannter Kabarettist spult sein erstklassiges Programm ab. Er ziseliert fein und genüßlich Sprache und Seele des Rheinländers – natürlich im blumigsten Rheinisch verpackt. Tillmanns Lohn der Angst: Ein volles Haus und entsprechend viel Geld in der Kasse. Die Aufregung vor jedem Auftritt gehört beim „Strippenzieher“ hinter den Kulissen ebenso dazu, wie das Anzapfen von Geldquellen. Von allein kommt kaum etwas, doch die Remagener Kleinkunst bringt sich ganz gut um die Runden. Merke: Das Theaterleben, nicht nur das auf der Bühne, ist listen- und tückenreich.
Aus dem Haushalt des pittoresken Rheinstädtchens Remagen fließen jährlich 10.000 DM in die Kleinkunstkasse. Das Land Rheinland-Pfalz schießt noch einmal den gleichen Betrag dazu – mal mehr, mal weniger. Was dann noch fehlt? Tillmann ist clever genug, um die Lücken zu schließen. Wenn die Publikumslieblinge wie Beikircher, Harald Schmidt, Werner Schneyder, Hans Scheibner, Richard Kogler oder Thomas Freitag die allen Ansprüchen genügende Rheinhalle bis auf den letzten Platz füllen, dann bleiben schon mal ein paar Mark übrig. Diese und den Reingewinn aus dem Verkauf von Getränken im achteckigen Foyer der Halle, legt der Verkehrsamtsleiter auf die Seite – für magere Zeiten. Hinzu kommen die Einnahmen aus inzwischen 340 Abonnements. Erwachsene zahlen für das mittlerweile zehn Vorstellungen umfassende Abo 195,-DM, Jugendliche 155,-DM. Eng wird es aber alle Jahre wieder, denn die Fernsehgrößen und Besten der deutschen Kabarettszene, wie beispielweise Lisa Fitz, haben ihren Preis. Mit anderen Worten: finanzielle Gönner sind stets willkommen.
Mit diesem Begehren reiht sich die Stadt Remagen in die lange Schlange anderer zahlloser kleiner Städte oder Gemeinden. In den Kreishaushalten klaffen ebenso riesige Löcher wie in den städtischen Kassen. Es wird eisern gespart, so daß so mancher Posten im Kulturetat dem Rotstift zum Opfer fällt. Das Ärgerliche dabei: Gerade die Bereiche Fremdenverkehr und Kultur gehören zu den wenigen freiwilligen Aufgaben der Kommunen. Hier aber muß trotzdem kräftig gestrichen werden. Der Grund: Bund und Länder schieben immer mehr Aufgaben auf die Kommunen ab, ohne den dazu notwenigen finanziellen Ausgleich zu schaffen.
Dennoch: Schon seit vielen Jahren macht Remagen mit einem bemerkenswerten Kulturangebot von sich reden. Dazu gehören klassische Konzerte, Theatervorstellungen, Puppenspiele für Kinder (es gibt ein eigenes Puppentheater) und Kinderliederfestivals.
Erste Schritte in Richtung Kabarett erfolgten im April 1987. Als „Versuchsballon“ holte Martin Tillmann den in der Region bekannten Kabarettisten Hans Georgi in die Rheinstadt. Die Resonanz brachte den gelernten Bankkaufmann auf die Idee, mit einer Kleinkunstreihe dem Remagener Kulturangebot ein weiteres Glanzlicht aufzusetzen. Der damalige Bürgermeister der 16.000 Einwohner zählenden Stadt, Hans-Peter Kürten, zog mit und unterstützte diesen Vorschlag. Noch im Dezember 1987 gelang es Tillmann, den bundesweit bekannten „bierernsten“ Komiker Dudenhöfer an den Rhein zu holen.
Harald Schmidt gastierte am 21.11.1995 in der Remagener Rheinhalle mit dem Programm „Schmidtgift – heilt nicht, aber lindert.“
Mit zwei Veranstaltungen pro Jahr startete die Kleinkunstreihe, kam aber nicht so recht in Fahrt, obwohl das Publikumsinteresse am Kabarett zunahm. Das Blatt wendete sich, als Gerry Trautvetter vom Büro für kommunale Kulturplanung (Nördlingen) 1992 seine Hilfe – auch in einer verstärkten Öffentlichkeitsarbeit – anbot. In Zusammenarbeit mit Trautvetter gelang es nicht nur, gute und bekannte Künstlerinnen und Künstler zu verpflichten, sondern auch die Anzahl der Vorstellungen auf acht pro Spielzeit zu erhöhen. Bereits nach drei Jahren managte Martin Tillmann die Kleinkunstreihe im Alleingang. Zehn Vorstellungen pro Spielzeit finden mittlerweile statt. Inzwischen kennt er sich in der Szene aus, liest sehr viel über Kleinkunst und Kabarett, besucht jede Menge Veranstaltungen, um Kontakte zu knüpfen und Ideen zu sammeln. Im Kölner E-Werk beispielsweise ist Tillmann längst Stammgast. Gerade dort laufen erstklassige Bühnenproduktionen ab. An dieser „Kultstätte“ begann für viele Künstler eine große Karriere. Immerhin avancierte die Kleinkunst inzwischen zu einer hochprofessionellen Kultursparte und erfreut sich der Gunst des Publikums.
Martin Tillmann, Vater von zwei Söhnen und seit 16 Jahren in Dienste der Stadt Remagen, verhandelt entweder mit den Künstlern selbst oder stellt die Verbindung über Agenturen her. Ein reger Gedanken- und Erfahrungsaustausch findet auch mit anderen Verkehrsamtsleitern statt. Voller Stolz erinnert er an die Auftritte von Eva-Maria Hagen und Wolf Biermann oder der Leipziger Pfeffermühle. Das Improvisationstheater „Springmaus“ ist mittlerweile Dauergast auf Tillmanns Kleinkunstbühne. Aber auch internationale Künstlergruppen aus Frankreich. Spanien oder Italien geben sich in Remagen ein Stelldichein, glänzen beim Comedy-Theater oder musikalischen Kabarett.
Am Tage der Vorstellung, die stets um 20.00 Uhr beginnt, wirbelt Tillmann bereits ab 13.00 Uhr durch die Halle. Er überprüft die Mikroanlage, das Licht, die Bestuhlung, die Getränke und. und, und. Am Abend steht er dann selbst im Rampenlicht, wenn er „seine“ Künstler ansagt. Sein Credo: Durch wenig Personaleinsatz Kosten sparen. Warum dieses Engagement? „Das Leben in Remagen soll lebenswert bleiben. Natur und Landschaft reichen dazu allein nicht aus“, sinniert Tillmann. der ursprünglich den Job des städtischen Kassenleiters machen sollte. Ein Glück für die Stadt, daß aus ihm ein Verkehrsamtsleiter wurde. Gerade diese Art von Tätigkeit erfordert kreatives Denken und Handeln. Mut zum Risiko. Offenheit, den totalen Einsatz, der ohne das eigene Herzblut nicht funktionieren könnte.
Einer Kreisverwaltung kann es wohl gefallen, wenn die kreisangehörigen Städte und Gemeinden aus dem großen Angebot des Thespiskarrens eine gute Mischung in ihre Mauern holen und damit Lebensqualität und Freizeitwert erhöhen. Die Verpflichtung zur Daseinsfürsorge schließt gerade auch die Kunst und Kultur ein. Sie sind im ländlichen Raum Kriterien für eine gesunde Gesellschaftsstruktur, denn nur dort. wo sie lebendig sind. mündet alles Mühen und Streben ein in jene Sphäre, die jedes Dasein erst lebenswert erscheinen läßt. Daß es dabei insbesondere auf die Einstellung der handelnden Menschen ankommt – eine Binsenweisheit. Ebenso simpel dürfte die Erkenntnis sein. diesem Engagement entsprechende Freiheiten und Spielräume zu belassen. In Remagen klappt das. Die Kleinkunstreihe wird über die Volkshochschule abgerechnet. Der Bürgermeister steht als Vorstandsmitglied dieser Bildungseinrichtung voll dahinter, ebenso der Rat, der nicht zu allem und jedem befragt werden muß.
Martin Tillmann, wie sollte es auch anders sein, blickt voller Optimismus in die Zukunft. Er verkauft seine Karten bis in den Düsseldorfer und Frankfurter Raum hinein und will die Nachfrage noch weiter steigern. Ebenso ist geplant, mehr Nachwuchstalente in das Programm einzubauen. Der nächste Schritt des risikofreudigen Verkehrsamtsleiters: Eine Abendveranstaltung mit heimischen Künstlern. Damit soll der Beweis angetreten werden, daß auch die sogenannte „Provinz“ über bemerkenswerte künstlerische Talente verfügt. Hieran besteht im Landkreis Ahrweiler ohnehin kein Mangel.