Pommern – schönes Land am Ostseestrand

VON HEINRICH O. OLBRICH

Das Heimat-Jahrbuch hat immer versucht, über die engeren Grenzen des Heimatkreises hinaus den Blick zu weiten und historische und kulturelle Beziehungen aufzuzeigen. Gleichzeitig wurden Brücken geschlagen zwischen den deutschen Landen und zwischen den Menschen, die in diesem Kreise alteingesessen, und denen, die hier eine neue Heimat fanden. So soll auch die folgende Darstellung über Pommern die historischen und kulturellen Beziehungen zwischen den west- und ostdeutschen Landen aufzeigen.

Geschichtliche Entwicklung

Der Sage nach waren die Bewohner an den Ostseegestaden die Pomeranen, d. h. am Meer wohnende. Sie waren vorwiegend Fischer. Im Hinterland wohnten die Polani, d. h. Feldbebauer. Pomerani und Polani betrachteten sich stets als zwei verschiedene Volksstämme und lagen oft in Fehde.

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Darstellung aus dem „Sachsenspiegel“: Überreichung des Erbleihebriefes, Waldrodung und Hausbau

Die Besiedlung dieser Räume durch Deutsche erfolgte gleichzeitig mit der Besiedlung des Landes zwischen der Elbe und den Ostgestaden der Oder. König Heinrich I. (919 bis 936) hatte nach seinem Sieg über die benachbarten Magiaren eine Anzahl befestigter Plätze im Grenzgebiet errichtet und damit die Gründung und Entwicklung deutscher Städte begründet.

Kaiser Otto I. schlug die Magiaren endgültig am Lechfeld im Jahre 955 und errichtete östlich der Elbe eine Reihe von befestigten Marken, um diesen Teil der Reichsgrenze zu sichern und zu erschließen. Er gründete die Bistümer Oldenburg (später Lübeck), Havelberg, Brandenburg, Posen sowie insbesondere das Erzbistum Magdeburg, Zeitz-Naumburg und Meißen. Sie waren Ausgangspunkt der Missionierung.

Den deutschen Kaisern ging es nicht nur um Machtzuwachs und Grenzsicherung, sondern vielmehr um die Ausbreitung des Christentums und die Hebung der östlichen Gebiete auf das geistige und zivilisatorische Niveau des Abendlandes. Das bewies Otto III.

durch seine Unterstützung bei der Errichtung selbständiger Erzbistümer zu Gnesen, Krakau, Breslau und Gran. Die Marken östlich der Elbe blieben noch für ein Jahrhundert politisches Vorfeld des Reiches. Es ist bezeichnend, daß dort vor 1096 kein einziges Kloster gegründet wurde. Erst im 12. Jahrhundert setzte die planvolle, bäuerliche Besiedlung dieser schwach bevölkerten Räume ein. Die deutschen Bauern folgten dem Ruf der Fürsten, der geistlichen Herren und der Klöster der Zisterzienser und Prämonstratenser. Sie führten in der Landwirtschaft Wandlungen ein, wie sie in den Gebieten zwischen Rhein und Loire längst gepflegt wurden. Die Dörfer wurden nach deutschem Vorbild angelegt. Die bisher ungeregelte Feld-Graswirtschaft wurde durch die Dreifelderwirtschaft abgelöst. Die gesamte Dorfgemarkung wurde gleichmäßig an die Einwohner verteilt. Der Obstbau fand eine starke Beachtung. In diesem Zusammenhang ist festzustellen, daß die deutschen Bauern wegen ihrer fortschrittlichen landwirtschaftlichen Methoden auch von nichtdeutschen Fürsten als Siedler bevorzugt wurden. Der wachsende Wohlstand der von deutschen Bauern besiedelten Gebiete war überzeugend. In mühsamer Rodearbeit brachen sie in die großen Wälder ein und entrissen ihnen Ackerland. Auf dem noch wilden Boden bauten sie ihre Häuser und gewannen dem Acker die ersten Ernten ab. Der eiserne Scharenpflug ermöglichte ihnen die Bearbeitung auch der härtesten Böden. Kraft verbrieften Rechts saßen sie auf ihrem erworbenen Grund und Boden. Ihre neugegründeten Siedlungen nannten sie Hagendörfer, so daß noch heute der Name Hagen in Orts- und Flurnamen häufig vorkommt. Die Bauern lebten unter eigener Verwaltung nach altem deutschen Recht.

Aus den Städten des Reiches kamen die Bürger an den Ostseestrand. Sie gründeten Marktflecken, aus denen sich dann Städte nach deutschem Stadtrecht entwickelten. Die meisten heute vorhandenen Städte Pommerns stammen aus dieser Siedlungsperiode. Zahlreiche Klostersiedlungen unterstützten die Christianisierung. Die Verwaltung der Städte erfolgte nach dem Lübecker- oder Magdeburger Stadtrecht. Kunsthandwerker kamen aus dem Reich ins Pommernland und errichteten Kirchen und Dome, Speicher und Wohnhäuser. Sie bauten Rathäuser, Patrizierhäuser und legten Mühlen an. Die Entwicklung der Städte wurde stark gefördert durch den Hansabund unter Führung der Stadt Lübeck. Zahlreiche Städte verdanken der Stadt Lübeck ihre Gründung und anfängliche Entwicklung: Stettin, Stargard, Treptow, Köslin, Beigard, Kolberg, Rügenwald, Stolp. Die blühende Provinz Pommern erlitt einen furchtbaren Rückschlag durch die Auswirkungen des 30jährigen Krieges. Anfangs waren es die kaiserlichen Truppen, die das Land schwer heimsuchten. Die Lage des Volkes wurde jedoch unerträglich, als die Söldnerheere Wallensteins hier „Quartier“ machten. Sie übertrafen bei weitem die Drangsale der Kaiserlichen. Als endlich der Westfälische Friede in Osnabrück und Münster den grausamen Krieg beendete, sah sich der damals in der Mark Brandenburg regierende Große Kurfürst um seine Erbrechte auf Pommern um die Hälfte des Besitzes betrogen. Schweden blieb in Vorpommern bis über die Oder. Brandenburg erbte nur Hinterpommern. Erst König Friedrich Wilhelm von Preußen gelang es 1720 das Land zwischen Peene und Oder gegen Zahlung von zwei Millionen Talern von den Schweden zurückzukaufen. Im Jahre 1815 sprach der Wiener Kongreß Vorpommern mit der Insel Rügen dem Land Preußen zu, und das ganze Pommern wurde eine preußische Provinz. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde die Provinz wieder auseinandergerissen. Vorpommern kam zur sowjetisch-besetzten Zone und Ostpommern wurde polnischer Verwaltung unterstellt. Die Eingliederung Ostpommerns in den polnischen Staat hat „Pommerland zugeschlossen“, wie es in einem volkstümlichen Abzählvers heißt, der die Nöte Pommerns im Laufe der Vergangenheit festhielt:

Wir reiten nach Pommerland,
Pommerland ist abgebrannt,
Pommerland ist zugeschlossen,
Schl
üssel sind davongeflossen.“

Pommerns Geistesgrößen

Trotz seiner Abgelegenheit als nördlichstes Randgebiet Deutschlands ist die Bedeutung des Pommernlandes für das deutsche Kultur- und Geistesleben weit größer, als gewöhnlich angenommen wird. Als markanteste Persönlichkeit von deutschem und europäischem Rang ist wohl Heinrich von Stephan, der Begründer des Weltpostvereins, anzusehen. Schon früh war man auf die Fähigkeiten und Leistungen des in Stolp geborenen Heinrich von Stephan aufmerksam geworden. Über die großen Postämter Danzig und Berlin kam von Stephan nach Köln, um von hier aus das Postwesen in Westdeutschland von Grund auf neu zu ordnen. Anschließend organisierte er im Raum Frankfurt (Oder) den Reise- und Revisionsverkehr. Als angesehener Mitarbeiter im Generalpostamt in Berlin verfaßte er das Werk „Geschichte der Preußischen Post“. Im Verfolg seiner weitreichenden Ideen besuchte von Stephan 1860 die Völker Europas, um über Preußen und Deutschland hinaus zwischenstaatliche Postverträge abzuschließen. Nach Beseitigung der damals noch bestehenden Fürstlich Thurn- und Taxischen Post waren die Wege frei für eine europäische Ausweitung der Post. Im Jahre 1868 wurde zwischen den europäischen Staaten und den Vereinigten Staaten von Amerika der erste Weltpostverein gegründet.

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Heinrich von Stephan

Ähnliches Verdienst auf dem Gebiete des Eisenbahnwesens erwarb sich der im Kreise Naugard geborene Geheime Kommerzienrat Friedrich Lenz, Begründer der Weltfirma Lenz in Stettin. Nach größeren Erweiterungsbauten des pommerschen Eisenbahnnetzes sowie in Brandenburg und Sachsen galt er als maßgeblicher Fachmann des Eisenbahnwesens. Er führte Eisenbahnprojekte auch im damaligen Deutsch-Ostafrika und Deutsch-Westafrika aus.

Als geistige Persönlichkeit Hinterpommerns, die weit über die Grenzen der Heimat bekannt geworden ist, tritt uns Johann Bugenhagen entgegen. Nach anfänglicher Gegnerschaft Martin Luthers war er Freund und Förderer der neuen evangelischen Kirche, die er in Pommern, Holstein und Brandenburg organisierte.

Von den Dichtern auf Pommerns Boden sei zunächst E w a 11 Kleist genannt, der Dichter des „Frühlings“. Seine Dichtungen zeichnen sich durch männlichen Ernst, echtes Gefühl und innige Naturverbundenheit aus. Gleich vielen anderen aus dem Geschlecht von Kleist starb er als Offizier Friedrichs des Großen 1759 zu Frankfurt (Oder). Ferner wären der Dichter Hans Hoffmann und der Lyriker Robert Prutz zu nennen, die ihrer Heimat und dem deutschen Volk viel an Innigkeit und feinem Empfinden geschenkt haben. Ein weiterer Sohn des Landes und Historiker von Ruf war Gustav Roysen, der den Grundsatz aufstellte, daß ein jedes Volk ein Recht auf seine Geschichte habe. Neben Mommsen und Ranke begründete er die führende Stellung mit, die Deutschland in den Wissenschaften damals besaß. Einer der bedeutendsten Physiker war der Kösliner Rudolf Clausius. Er veröffentlichte 1850 seine fundamentale Arbeit „Über die bewegende Kraft der Wärme“. Als Vertreter Deutschlands repräsentierte er die deutsche Wissenschaft auf dem Elektriker-Kongreß 1881 in Paris. Auch zwei bedeutende Mediziner, Rudolf von Virchow und Ludwig Schleich, sind Pommern. Virchow galt als Fürst der Medizin seiner Zeit. Ganz anders geartet war der Stettiner Ludwig Schleich, der eine nahezu geheimnisvolle Persönlichkeit voll dichterischer Gefühlstiefe und philosophischer Weisheit war. Seine große medizinische Entdeckung war die örtliche Betäubung. In 23 Büchern hat dieser pommersche „Paracelsus“ Weisheit und Dichtung verarbeitet, deren meisterliche Sprachkunst jeden Leser gefangennimmt.

Die Insel Rügen

Von Stralsunds Küste führt ein 2,50 m breiter Damm nach Rügen hinüber. Weltbekannt ist dieses herrliche Fleckchen Erde durch seine Kreidefelsen, die majestätisch aus den blauen Fluten emporsteigen. Die ganze Insel besteht aus einem Kreidekern, der mit Moränen überlagert ist. Besonders die bis zu 122 m hohe Steilküste im Osten der Insel, die Stubbenkammer, ist für Reisende ein großer Anziehungspunkt. Der Besucher ist immer wieder begeistert von

den vielen Halbinseln und Buchten, Bodden genannt, die die Insel Rügen säumen. Westlich von Rügen liegt verträumt die Insel Hiddensee, auf der der Dichter Gerhart Hauptmann seine letzte Ruhe gefunden hat.

Immerdar wird mit der Insel Rügen verbunden bleiben Ernst Moritz Arndt, der hier als Sohn eines Pächters geboren wurde. Er begeisterte die deutsche Jugend. Sein Ruhm bleibt unvergeßlich „soweit die deutsche Zunge klingt und Gott im Himmel Lieder singt“.

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