Pardon, Monsieur le Gouverneur! Beim verbotenen Forellenfang erwischt
Franz Koll
Später lernte ich Frankreich sehr schätzen:
Seine Landschaften, seine Kultur, seine Menschen und deren Sprache. Freundschaften wuchsen und bestehen fort. Reisen und Besuche gibt es regelmäßig.
Monsieur de Bois-Lambert
Damals aber, zur Zeit der französischen Besatzung nach dem Zweiten Weltkrieg, war meine noch keimhafte schlummernde Neigung zum Nachbarvolk im Westen für einen Augenblick gefährdet, als ich mit einem wichtigen Repräsentanten der Grande Nation buchstäblich in Berührung kam. Sein klangvoller Name lautete de Bois-Lambert, was sich aus dem Munde der Leute in Staffel anhörte wie ‚de büs Lambert‘. Diese Eifeler Einfärbung lag durchaus nahe, denn der Name des Militärgouverneurs, um den es sich handelte, wurde in aller Regel in unangenehmem Zusammenhang genannt – wenn etwa Ortsvorsteher Matthias Seifert eine der zahlreichen einschränkenden Verordnungen von damals vor der Kapelle öffentlich bekanntgab und dabei stets mit der Floskel endete: „Onner-schriwwe – ‚de büs Lambert'“. Leibhaftig in Erscheinung trat der Gouverneur hingegen selten. Einmal nur war er mir flüchtig zu Gesicht gekommen bei einer Jagd, an der ich als ju-gendlicherTreiberteilgenommen hatte und bei der der übergroße Respekt der französischen Jäger vor den sangliers d’Eifel (den Eifeler Wildschweinen) dazu führte, daß sie am Ende kaum eines zur Strecke gebracht hatten. Dabei wären den Staffelern einige Schwarzkittel weniger nur recht gewesen, hatten sie sich doch im Gebiet des ehemaligen Luftwaffenübungsplat-zes Ahrbrück beinahe ungehindert vermehrt. so daß die dreistesten ungeniert bis in die Hausgärten vordrangen und wüsten Schaden anrichteten.
Forellenfang im klaren Eifelbach
Aber nicht nur die Jagd in den weiten Wäldern um Staffel, auch die Bachläufe mit ihren Forellen standen zeitweilig unter der Hoheit von M. de Bois-Lambert. Derlei abstrakte Regelungen störten uns Jungen indessen kaum. Wir fingen Forellen, wo und wann sich Gelegenheit dazu bot. Sie gehörten zum Bach wie die hellen Kiesel. Und wenn der Staffeler Bach, aus dem wir Wasser schöpften, an dem wir uns wuschen und aus dem das Vieh soff, unser Bach war, so waren es auch unsere Forellen, die wir mit bloßen Händen in Mauerritzen, unter Steinen und Wurzelstöcken fingen.
So beschwerte uns auch kein Gedanke an womöglich verbotenes Tun, als Berthold und ich Anfang Oktober, nachdem am Michelstag die Weidegrenzen aufgegangen waren und das Kühehüten dadurch ein gut Teil leichter geworden war, unser Vieh grasend das Wiesental hinauf nach Heckenbach ziehen ließen. Und wie so manchem Eifeler Mädchen und Jungen das Hüten einen recht dehnbaren Zeitbegriff vermittelt hat, galt auch für uns beide nur das Abendläuten aus dem Dorf als fernes Ende des bevorstehenden langen Nachmittags. Was lag da näher, als sich dem Bach zuzuwenden, der im Schatten des steil aufsteigenden Waldhangs floß und so den Einblick von der Straße her kaum zuließ.
Berthold, ein halbes Jahr älter und einen Kopf kleiner als ich, war mir im Forellenfangen an Geschicklichkeit überlegen, so daß von den etwa 15 Stück, die wir schon bald gefangen hatten, die meisten auf sein Konto gingen. Wir hielten sie in einem kleinen, abgetrennten Tümpel frisch, um sie abends zunächst zu Hause anzubieten und die übrigen Nachbarn zu überlassen, von denen wir gewöhnlich ein paar Groschen dafür erhielten. An Ort und Stelle überm offenen Feuer brieten wir unsere Forellen nur in den Anfängen unserer Fängerlaufbahn; mit höherer Meisterschaft schien uns dies, obwohl die Kost am häuslichen Tisch im allgemeinen schmal war, in jenen Jahren, nicht mehr vereinbar.
Von der Obrigkeit erwischt
Als sich bei einsetzender Dämmerung bei Berthold und mir gerade eine gewisse Zufriedenheit mit unserem Tagwerk einstellen wollte, mit sattem Vieh und reichem Fang, hörten wir ein Auto nahen. Dies überaus seltene Ereignis im Tal schreckte uns auf. Um jedem Verdacht in Richtung Bach zuvorzukommen, kontrollierten wir schnellen Blicks, was wir zu verbergen hatten, prüften hastig und in der Eile nicht sonderlich gründlich unsere Hosentaschen, in die wir die jeweils zuletzt gefangenen Forellen zu stecken pflegten, deckten den Tümpel zusätzlich mit einigen großen Lattichblättern ab und gingen ein Stück in Richtung Straße, um vom vermeintlich einzigen Beweis unseres Treibens vorsorglich ein wenig Abstand zu nehmen.
Schon war das Auto, ein Militär-Geländewagen, auf unserer Höhe und hielt an. Zwei Herren in grüner Kleidung stiegen aus und kamen mit energischen Schritten geradewegs auf uns zu. In dem einen erkannten wir Förster Fisang. Den anderen schien im Nähertreten irgendein Umstand sehr zu erregen. Sein Gesicht war puterrot, Zornesadern schwollen auf seiner Stirn. Als der mittelgroße, im Ruhestand gewiß weit weniger bedrohliche Mann schließlich dicht vor uns stehen blieb, war ich mir plötzlich ziemlich sicher, in ihm den Gouverneur wiederzuerkennen. Er begann, in fremder Sprache, aber mit sehr wohl deutbaren Gesten lebhaft auf uns einzureden. Berthold trat, seinen Blick seltsam unverwandt auf meine linke Hüfte heftend, eingeschüchtert ein paar Schritte zurück, während ich mich, noch weitgehend gelassen, nicht von der Stelle rührte. Warum auch sich ängstigen? Wir hatten unsere Angelegenheit doch bestens geregelt und jede nur erdenkliche Vorkehrung getroffen. Unsere Forellen lagen gut versteckt, für Uneingeweihte kaum zu entdecken, 50 Meter entfernt von uns im Bach. Als Förster Fisang, die wütende Ansprache des Gouverneurs gleichsam verständlich zusammenfassend, in strengem Ton fragte: „Hat ihr widder Forelle jefange?“, blickte ich die Herren treuherzig an und verneinte kopfschüttelnd:
„Nä, esu Jet don mir net; dat es doch verbodde“. Im gleichen Augenblick versetzte mir M. de Bois-Lambert eine Ohrfeige, die alles in den Schatten stellte, was mir davor bei Lehrer Zug in der Schule und bei Pastor Potz beim Meßdienen in dieser Art je widerfahren war. Ich war völlig verstört. Zunächst kam mir alles wie ein Mißverständnis vor. Für mein Dafürhalten hatte ich absolut überzeugend die Unwahrheit gesagt. Aber welcher Franzose war schon in der Lage, Eifeler Platt zu verstehen in der nuancierten Eigenprägung eines Seitentals der Ahr? Die Ohrfeige selbst verkraftete ich ja noch, so gewaltig sie auch gewesen war. Nur die Erklärung dafür fand ich nicht. Bis ich in meiner Betroffenheit und Beschämung an mir hinuntersah: Aus meiner linken Hosentasche schaute zweifingerbreit das Schwanzende meiner letzten Forelle. Schlagartig wendete sich meine Bewußtseinslage. Schuld und Verantwortung fürdie Ohrfeige nahm ich nun ohne jede Einschränkung auf mich. Wer so trottelig war wie ich, hatte eben dafür zu büßen. Und für den Herrn Gouverneur, eben noch Inbegriff des ungerechten Besatzers, hatte ich mit einem Mal vollstes Verständnis. Auf Förster Fi-sangs Gesicht war der Anflug eines verschmitztversöhnlichen Lächelns zu bemerken, als er meinte: „Äwwer die Forell moßdeafjen,Jong“.
Ich zog sie leichten Herzens ganz hervor – sie war keine von den besseren dieses Nachmittags – und reichte sie artig dem Herrn Gouverneur, der sie hastig in eine grüne Umhängetasche steckte.
Grußlos machten die Herren darauf kehrt, gingen durch die Wiese zurück zum Geländewagen und fuhren davon.
Berthold hörte lange nicht auf, den Kopf zu schütteln, und ich hörte ihn ein ums andere Mal murmeln: „Dat dat äwwer och passiere könnt!“ Unterdessen war es fast dunkel geworden. Das Läuten hatten wir wohl überhört. Mit unserer Heimkehr waren wir jedenfalls beträchtlich über die Zeit. Wir trieben schleunigst das Vieh zusammen, teilten die verbliebenen Forellen auf, knüpften sie in unsere großen Taschentücher und machten uns auf den Weg nach Hause.
Dort mußten wir uns wegen unseres späten Eintreffens zwar einige Fragen gefallen lassen, erzählten aber vom Zusammentreffen mit de Bois-Lambert, genannt ‚de büs Lambert‘, nur das eben Nötigste.
Das Ereignis selbst wirkte nicht allzu lange nach, und die Forellen im Bach waren auch nur für eine kurze Zeit vorsichtiger Zurückhaltung vor uns sicher. Berthold begann nur wenige Tage später bereits wieder, in eindeutiger Absicht die Ufer entlangzustreifen. Dabei besann er sich fürs erste auf seine außerordentliche Linkshänderfähigkeit, durchs Wasser schießende Forellen, wenn er nur ein wenig Glück dabei hatte, durch einen Steinwurf zu erlegen. Da ich darin in keiner Weise mithalten konnte, drängte ich schon bald darauf, wieder zur bewährten Manier des eigenhändigen Fangs zurückzukehren.
M. de Bois-Lambert aber soll viele Jahre später, in seiner französischen Heimat hochbetagt seine Pension verzehrend, Memoiren verfaßt haben, in denen dem Vernehmen nach die Nachkriegszeit und sein Regieren von seiner Residenz im Bassenheimer Schloß aus einigen Raum einnähmen. Daß allerdings der Vorfall im Heckenbacher Tal darin Erwähnung findet, ist kaum anzunehmen.