Nie verliebt und doch vermählt: Zum silbernen Ehejubiläum Burgbrohl, Weiler und Oberlützingen

Nie verliebt und doch vermählt:

Zum silbernen Ehejubiläum Burgbrohl, Weiler und Oberlützingen

P. Drutmar Cremer OSB

Es sind nun fünfundzwanzig Jahre vergangen, seit die Gemeinden Burgbrohl, Niederoberwei-ler und Oberlützingen in der damals vollzogenen Verwaltungsreform verbunden worden sind. Um es in einem Bilde auszudrücken – denn Bilder haben ihre eigene plastische Anschaulichkeit – die vordem selbständigen Gemeinden wurden in einer Ehe verbunden. Lächelnd würde ich es so formulieren: Burgbrohl ist in dieser Ehe der Mann, Niederoberweiler die Frau und Oberlützingen die schon erwachsene Tochter aus erster Ehe.

Eine Ehe unter Druck, gleichsam als ziviler Verwaltungsakt, ist in jedem Fall ein höchst problematisches und spannungsreiches Unternehmen – ein Wagnis sozusagen. Und eine solche Geschichte voll Schwierigkeiten, Mißverständnissen und eifersüchtigen Erbausein-andersetzungen zum Silbernen Ehejubiläum kann man eigentlich nur mit spitzbübischem Humor gesund überstehen. Denn ich habe den Eindruck, um es im Burgbrohler Dialekt zu sagen: Dat Lewwe woe kä Zuckeläcke!“ Vielleicht können das nur jene verstehen und lächelnd bewerten, die im Brohltal aufgewachsen sind und die aus eigenem Erleben die reichlichen und tiefgegründeten Spannungen und Verletzlichkeiten selbst erfahren und vielleicht auch durchlitten haben.

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Blick auf Burgbrohl, 1995.

Spannungen – historische Gründe

Das hat seine Gründe. Sie liegen historisch wohl in der Tatsache begründet, daß zunächst diese beiden Orte Burgbrohl und Niederober-weiler sich getrennt entwickelt haben. Der kleine Ort Weiler, der nach Peter Schug vielleicht noch älter ist als das etwas größere Burgbrohl, war frühzeitig eine Pfarrei im kanonistischen Sinn und wurde 1320 der nahegelegenen Prob-stei Buchholz inkorporiert. Buchholz aber war von der großen Benediktinerabtei Mönchen-gladbach abhängig. Darauf waren die Bewohner von Weiler mit Recht stolz. „Unter dem Krummstab“ läßt sich bekanntlich gut leben. Die Spannung zwischen der Bevölkerung von Burgbrohl und Weiler liegen auch politisch darin begründet, daß vor allem im 17. und 18. Jahrhundert erhebliche Streitigkeiten aufkamen zwischen der Abtei Mönchengladbach, der Weiler zugehörte, und den Herren von Burgbrohl, die umfangreiche Vogteirechte beanspruchten. Gerichtsbarkeit, Fisch- und Jagdrechte, Abgaben mit Gewalt erhoben, auch wenn es sich nur um einige Hühner oder Enten handelte, erst recht aber, wenn es sich um Fronarbeit, also meist schwerer Handarbeit drehte, waren damals nicht in’den Wind gesäte Kleinigkeiten, sondern schürten Mißmut und Ablehnung.

Solches zeigte sich auch deutlich im kirchlichen Bereich. In mehreren Visitationen noch des 18. Jahrhunderts wurden dem Offizial von Koblenz in Begleitung eines Jesuiten Schwierigkeiten in Weiler bereitet. Das entspreche nicht den Vorschriften des tridentinischen Konzils, da die Pfarrei von Mönchen betreut würde, die einem Abt unterständen. Der Offizial mußte schon einen Spezialauftrag des Bischofs von Trier vorlegen, um überhaupt vortreten zu dürfen. Er durfte zwar eine Katechese halten und die Schöffen und Lehrer examinieren, aber nicht die Kirchen- und Rechnungsbücher einsehen. Solche Vorgänge habe sich bis heute kaum geändert:

Wenn es ums Geld geht, werden die Grenzen eng. Der Offizial bekam zwar seinen Taler für sich und einen halben Talerfür seinen Sekretär, aber das war es dann. Er mußte seine Wege gehen. Die Bewohner von Weiler wußten ihre Rechte zu verteidigen. Als aber dann der letzte Mönch von Buchholz im Jahre 1809 die Prob-stei Buchholz verlassen hatte, geriet Weiler unter Druck. Ob sie wollten oder nicht, sie mußten Kontakt zu den Burgbrohlern aufnehmen. Noch 1824 tauchten Gesuche aus Weiler auf, die ihre pfarrliche Selbständigkeit neu begründen sollten. Niederoberweiler hatte damals 310 Katholiken. Begründung: Sie hätten doch noch ein eigenes Pfarrhaus. 1833 berichtete der damalige Pfarrer aus Burgbrohl von Widersetzlichkeiten der Bewohner in Weiler, die nur eigene Gottesdienste in St. Vitus annähmen, aber nicht zum Gottesdienst nach Burgbrohl kämen.

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Burgbrohl-Weiler, 1995.

Er drohte mit gänzlicher Einstellung der Gottesdienste in Weiler. Als dies 1842 realisiert wurde, gingen erneut jahrelange Gesuche nach Trier, die aber abgelehnt wurden.

Kann nicht auch der moderne Mensch trotz seiner allmählichen Erziehung zu einem europäischen Bewußtsein, also zu einem Denken in größeren Einheiten, verstehen, daß aus solch weit zurückliegenden, verletzten Gefühlen sich Abneigung und Zurückweisung spurenweise erhalten haben?

Wirtschaftliche Eigenentwicklung – unterschiedliches Lebensgefühl

Dazu kam, daß sich Burgbrohl im 18. und 19. Jahrhundert wirtschaftlich und damit auch soziologisch weiter entwickelt hatte. Zwischen 1750 und 1794 war der Basalt- und Trassabbau im unteren Brohltal intensiviert worden. 1769 wurde dort die jetzige Nonnsmühle neu errichtet. Ab 1832 kam die Firma Gebrüder Rhodius nach Burgbrohl, das 1815 auch Sitz der preußischen Verwaltung wurde. Die Bevölkerung im Schatten der Herrschaft von Burgbrohl mit ihrer mächtigen Burganlage auf bewaldetem Hügel, veränderte ihre Denkart. Die Burgbrohler wurden ganz langsam ein wenig wohlhabender. Dort lebten zudem im Verwaltungssitz aller umliegenden Gemeinden die Beamten, die Handwerker, die Angestellten der sich aufbauenden Industrie. Der bäuerliche Anteil ging allmählich zurück. Und die Burgbrohler waren stolz auf diesen Aufstieg. Sie warten sich naturgemäß in die Brust und eines Tages waren sie nicht mehr nach landesüblichem Kosenamen die Burgrohler „Sau“ im Gegensatz zu den Weilere „Oese“ und der „Lötzinger Kässeläppe“ sondern die „Burchbrohler Dreiviirelshääre“. Spöttische Zungen behaupten, die Feiertagshemden der Burgbrohler Herren hätten nur einen gestreiften weißen Kragen und einen „Brustlatz“ ohne Rücken und ihre Uhrkette vorne auf der Weste sei zwar eindrucksvoll geschwungen, aber nur eine billige Attrappe, ohne goldene Uhr. „Dreiviirelshääre“! Damit ist alles gesagt.

Ein bißchen Tüchtigkeit, ein wenig Stolz, gekonntes Auftreten kamen dazu. Wirtschaft, Bildung und Verkehr über die Talgrenzen hinaus veränderten den Charakter.

Als äußere Pioniere für diese Entwicklung um die Wende zum 20. Jahrhundert gelten die Gebrüder Rhodius, der Bauunternehmer Wilhelm Bell, Erbauer der Kaiserhalle, aber auch die Bauunternehmen und Firmen der Familie Schoor und Hermann Schmilz, der die neue Burgbrohler Kirche errichtete.

Auch die Bevölkerung des kleineren, bescheidenen Örtchens Oberlützingen hatte ihr eigenes Bewußtsein und ihren dörflichen Stolz. Die Ortschaft ist vermutlich sehr alt, das zeigt das

Kirchenpatronat St. Martin. Martin von Tour ist 391 gestorben. Seit der Verwaltungsreform zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde es zwar von Burgbrohl aus verwaltet, behielt aber auch, auf der Höhe gelegen, seinen eigenen, bäuerlichen Lebensstil. Spannungen blieben und sogar winzige Dialektunterschiede wurden gepflegt. Man heiratete natürlich untereinander, „de Eseslwääch erop un eronne“, trotz der dazwischen liegenden „Wolfsschlucht“. Die unterschwelligen und bisweilen auch offen dokumentierten Probleme blieben, besonders unter der Jugend.

Ich kann mich selbst noch recht gut erinnern, wie wir als Kommunionkinder gemeinsam mit den Jungen und Mädchen aus Niederoberwei-ler, die zum Kommunionunterricht in Burgbrohl verpflichtet waren, die frommen Unterweisungen und Mahnungen des damaligen Dechanan-ten Hammes anhörten. Kaum hatten wir die Pfarrkirche verlassen, als sich spätestens an „Strangs Brock“ gegenüber dem Kriegerdenkmal der Krawall entwickelte. Wir schlugen uns gegenseitig blau, in der einen Hand den Katechismus und das Gesangbuch, in der anderen die damaligen Zeitschrift für unseren Stand, Titel: „Das Kommunionskind“.

War es darum ein Wunder, daß die geschichtliche gewachsene Spannungen und die soziologische Verschiebung zwischen den Teilen der Brohltalbevölkerung handfest vor allem unter der Jugend zum Ausdruck kamen? Der Druck der kirchenpolitischen Anweisung und der verwaltungstechnischen Befehle von oben, dazu ein Anflug von Neid und Mißgunst, leicht begleitet von Erhabenheitsgefühlen der Burgbrohler „Dreiviirelshääre“, mußten doch zu Engpässen des Gemütes führen.

Nachkriegsentwicklung

Und nun kam die notwendige Neugliederung der Nachkriegszeit. Die Zeit des Hungers, in der auch die Brohltalbevölkerung zu leiden hatte, und in der Knappheit der Lebensmittel, der geringen Einkommen und der bangen Frage nach Zukunft, hatte eigene Gesetzlichkeiten. Es war die Epoche des totalen Neubeginns, des Tauschens und Verkaufens, um das Überleben nach dem Zusammenbruch des Naziregimes zu gewährleisten. In dieser Notzeit wanderten Möbelstücke, Kleider, Stoffe, Teppiche und Goldwaren aus der Stadt aufs Land- heißt es in einer Burgbrohler Chronik jener Zeit. Das Interesse an Arbeit sank beträchtlich, weil sie den Menschen nicht einmal ausreichend Brot brachte. Man sammelte lieber in den Wäldern der Gegend Bucheckern. Es war eine schwere Zeit des Neuaufbauens auf allen Gebieten, die in den Jahren 1950 und 1970 von dem unvergessenen Ortsbürgermeister Hubert Weiter und dem noch lebenden Amtsbürgermeister Arnold Arntz angegangen wurde. Es waren Jahre der inneren Gärung und der Neugliederung aller Organe der Verwaltung, der Industrie, der kommunalen Politik und des gesellschaftlichen Lebens.

Ende der 60er Jahre wurde auch auf Landesebene die Verwaltungsreform eingeleitet. Man dachte in großen geistigen und verwaltungstechnischen Zusammenhängen. Die enge, ländliche Vorstellung mit geschichtlich gewachsenen, gemüthaft entfalteten und festgelegten Traditionen und Wertsystemen sollten abgelöst werden von größeren Einheiten des Bewußtseins und der vereinfachten, bürgernahen Verwaltung. Es kam zur Zusammenlegung der bisherigen Amtsbürgermeistereien Burgbrohl, Nie-derzissen und Kempenich in einer Verbandsgemeinde Brohltal.

Der Verwaltungssitz dieser neuen, kommunalen Einheit wurde nicht, wie eigentlich vorgesehen, in den kulturell und wirtschaftlich stärksten Ort des Brohltales gelegt, nämlich nach Burgbrohl, sondern in die geographische Mitte dieser neuen Verbandsgliederung, nach Niederzissen.

Die Entscheidung der Landesregierung – das darf sicher mit Offenheit auch heute gesagt sein – wurde in Burgbrohl mit Unverständnis und Kritik bedacht und emotional eigentlich auch bis heute nicht ganz verkraftet. Das mag dokumentieren, wie verletzlich das menschliche Herz sein kann und wie schwierig es ist, geschichtliche Entwicklungen in einer neuen Zeit zu verändern. Den Verlust des Verwaltungssitzes wollten maßgebliche Politiker durch die Bildung einer Großgemeinde Burgbrohl, Niederoberweiler und Oberlützingen positiv auffangen. Aber auch das erwies sich als außerordentlich spannungsreich und schwierig.

Die Geschichte von Jahrhunderten läßt sich nicht in 30 Jahren umwandeln. Auch im Zeitalter eines werdenden Europas bleibt eines erforderlceh, was selbst Helmut Kohl in diesen Jahren deutlich erfahren hat: Geduld. Die Ehe zwischen Burgbrohl, Weiler und Oberlützingen erwies sich als Vernunftsehe unter Druck und läßt den Slogan zu: „Nie verliebt und doch vermählt.“

Großgemeinde Burgbrohl

Allen Unkenrufen zum Trotz wurde in der Großgemeinde Burgbrohl der Versuch unternommen, kommunalpolitisch gute Arbeit zu leisten. Am 8.11.1971 wurde der Verwaltungsssitz der Verbandsgemeinde Brohltal offiziell nach Niederzissen verlegt. Die Außenstellen Burgbrohl und Kempenich hatten bis zum 31.3.1971 bestanden.

Umfangreiche Straßenbaumaßnahmen wurden in allen Ortsteilen durchgeführt, darunter der Ausbau des Greimerstales und der von Brule-Straße in Burgbrohl, die Verlängerung des Vi-tumhofes bis zum Lommersfeld, die Errichtung des Wohngebietes „Stockbuschacker“ in Weiler, „Unter den Kirschbäumen“ und „Am Lerchenberg“ in Oberlützingen. Das waren erste Zeichen der Zusammenarbeit. Inzwischen sind überall bemerkenswert helle, stattliche Wohngebiete entstanden.

Der Ausbau der Industrie wurde gefördert, so die Werke der Firma Rhodius mit ihrer Getränkeabteilung Pepsi Cola und ihrem neuen Tätigkeitszweig auf dem Gebiet des Verpackungswesens und spezieller Baumaterialien in der früheren Brohltal AG.

Sogar ein Jungunternehmer mit beachtlichem Wagemut nahm seine Chance wahr. Bernhard Heuft zog 1979 in das alte Burgbrohler Rathaus, um ein Unternehmen für „System-Technik“ zu entwickeln. Er baut vor allem erfolgreich eine Flaschenkontrollanlage mit einer Leistung von 120.000 Flaschen pro Stunde. 120.000 Flaschen pro Stunde! Die sprichwörtliche Entschlußkraft und Schnelligkeit der damaligen Beamten des Rathauses haben bei diesem Erfolg gewiß Pate gestanden. Die Beamten wenden ja heute noch an einem Montag blitzschnell zwei Kalenderblätter: Samstag und Sonntag. Welche Aktivität!

Die Agefko GmbH für Kohfensäuretechnik erlebte einen neuen Aufschwung und die Firma Rick, ein altes Burgbrohler Unternehmen für Hoch- und Tiefbau, nahm an Umfang zu und wurde damit auch zu einem maßgeblichen Arbeitgeber für viele Menschen im Brohltal.

Die neue Hauptschule in Burgbrohl war schon 1968 begonnen worden und erleichterte nach ihrer Fertigstellung die Modernisierung im Bildungswesen des Brohltals. Das Volksbildungswerk Burgbrohl hatte plötzlich in den Räumen größere Möglichkeiten, um lernwilligen Menschen zu dienen. Die Wasserversorgung in Lützingen wurde in den Jahren 1972/73 durch Anschluß an die Hauptleitung in Burgbrohl sichergestellt und die Situation in Burgbrohl selbst verbessert durch Erschließung neuer Quellen in Glees.

Eine großartige Leistung für das Wohl der gesamten Brohltalbevölkerung war die erfolgreiche Mühe, den weiteren Bestand des Krankenhauses zu erreichen. Das hat vielen Menschen der ganzen Verbandsgemeinde große Dienste erwiesen. Neben dem damaligen Bürgermeister Theo Sundheimer hat sich vor allem Josef Degen persönlich verdient gemacht. Ergründete unter großem Einsatz eine Interessengemeinschaft eigens für diesen Zweck.

Das Hotel „Zur Krone“ am Josefsplatz wurde durch die Bemühung der Firma Rhodius restauriert und damit zur guten Stube der Großgemeinde Burgbrohl. Durch die Bemühungen des alten Bürgermeisters Rick, einem echten Burgbrohler, wurde die Josefssäule, deren Fundament durch den Neubau von Strangs Brücke unschön abgesunken war, auf das dem Heiligen ja zukommenden Niveau angehoben. Schließlich war der heilige Josef schon im 17. Jahrhundert der Ortsheilige. Es bestand eine Josefsbruderschaft. Der alte Josef Strang aber, seines Zeichens Metzgermeister von beträchtlichem Leibesumfang und gezwirbeltem Kaiserschnurrbart, hätte wohl treffend bemerkt, wenn er mit seiner ebenso kräftigen Minna vor seinem Ladenlokal zuschaut hätte! „Minna, dau kreis noch daumebrääte Krampoodere, wenn de he stääs un zokuckst, su lang dauert dat. Kannste dat verstoon?“

Das Leben des unteren Brohltals ging weiter seinen Weg in den allmählich veränderten Zeitläufen. Das kirchliche, bürgerliche, gesellschaftliche und sportliche Leben erfuhr die Umwandlung der Nachkriegszeit. Eine Aufzählung aller Persönlichkeiten und Leistungen in all‘ den vergangenen Jahren kann ich hier wohl übergehen. Sie sind bekannt. Aber vielleicht mag der Versuch interessant sein, die atmosphärische Veränderung der bundesdeutschen Gesellschaft aufzuzeigen, die sich auch im Brohltal deutlich offenbarte. Es waren Jahre vor allem der wirt-schaftlicherr Entwicklung, die sich ebenfalls in dieser Region bemerkbar machte. Sie war grundgelegt in dem notwenigen, totalen Neubeginn nach dem 2. Weltkrieg und wurde erreicht durch den bekannten Fleiß des deutschen Menschen, der zutiefst ausgerichtet ist auf Arbeit und Aktion, auf Wettbewerb und Vermögensbildungen. Die Zeit war günstig. Eine ganze Anzahl Industrien kamen zur Hochkonjunktur, die Menschen wurden wohlhabender, wagemutiger und damit auch anspruchsvoller. In der Region der vorderen Eifel hatte die Steinindustrie mit ihren Gruben, Fabrikationshallen und ihrem Straßenbau ihre große Chance. Auf der Grundlage der vielen Mineralquellen entwickelte sich die Getränkeindustrie und bei der natürlichen Schönheit der Gegend allmählich der Fremdenverkehr. Neue Lösungen der menschwürdigen Unterbringung fremder Gäste wurden gesucht und entwickelt. Die typisch, klein-bürgerliche Auskunft: „De Trapp erop hamme noch drei Zem-mere und onnech dem Daach zwää klääne Zemmeche“ reichte bei weitem nicht mehr aus. Der geistige Horizont auch der Menschen des unteren Brohltals weitete sich. Die beschauliche Schrebergarten-Welt der Menschen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Brohltal wurde abgelöst durch größere Weltoffenheit und weitere Sichten, begünstigt durch die Medien, erst durch den Rundfunk, dann durch das Fernsehen in Schwarz-Weiß und bald in Farbe. Vorstellungen und Ansprüche wurden geweckt, damit nicht selten auch Illusionen. Wir könnten dabei die gesellschaftskritische Frage erheben:

Wurde der Mensch selbst mit seinen gehobenen Ansprüchen auch wirklich glücklicher? Die- . se Frage wäre sehr differenziert zu analysieren. Die anwachsende Mobilität in Auto und in Flugreisen riefen geradezu ein neues Zeitalter ins Leben und die anspruchslose Lebensart etwa des alten Burgbrohler Seh reinermeisters Kierig, der sein Leben in Burgbrohl zugebracht hatte und von dem es hieß, er wäre nie aus dem Brohltal verreist, ja, er hätte in gut achtzig Jahren nicht einmal den Laacher See besucht, weckt heute ein belustigtes Lächeln bei den Bayer-Ferien-Fans oder auch bei jenen Reisenden, die so selbstverständlich nach Teneriffa fliegen als besuchten sie einen harmlosen Supermarkt.

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St. Martin, Oberlützingen, 1995.

Natürlich hatte das alles auch seinen Preis. Reisebüros und Autofahrschulen wurden plötzlich modern. Hektik kam auf, auch im unteren Brohltal. Das gemütliche Brohltalbähnchen wurde eingestellt und in eine exotische Bimmelbahn mit nostalgischen Akzenten umfunktioniert. Merkantile Romantik! Mit dem praktischen Ende der Brohltalbahn als Verkehrsmittel stieg die Zahl der privaten Autos. Der offizielle Verkehr wurde mit riesigen Bussen abgedeckt. Die Straßen war veraltet, ihre Linienführung, wie überall, zu eng.

Die Ortschaft selbst, in die früher nicht zuletzt die Schelle des Gemeindedieners Thiel, kurz Thiels Christ, Leben und Neuigkeit brachte, wurden nun durch lärmende Schwerlaster mit Steinen, Sand und Getränkekisten durchbraust, schon früh am Morgen und spät in der Nacht. Die Wohlhabenheit wuchs, die Lebensqualität in der Weise einer gesellschaftlich-menschlichen Verbundenheit nahm ab. So ist es kein Wunder, daß über dem dörflichen Kurpark der dreißiger Jahre ein Supermarkt errichtet wurde. Der Verlust der Verwaltungssitzes in Burgbrohl war nicht selten auch eine Ursache für kommunalpolitische Spannungen und Auseinandersetzungen in der Großgemeinde Burgbrohl. Man könnte es auch „Ehekrach“ nennen.

Aber wir sind auf dem Weg nach Europa und unsere geistige Haltung müßte sich eigentlich geweitet haben, obwohl gerade der forcierte Aufbau Europas im Gegenzug die Betonung nationalistischer Tendenzen und regionaler Eigenwerte ins Rampenlicht der Öffentlichkeit gebracht hat. Damit sind m. E. Lebensängste verbunden, vor allem die Sorge, im Verzicht auf manche Eigenständigkeit könnte das Althergebrachte, Liebgewordene und Gewohnte unerträglichen Schaden erleiden. Müßten wir nicht innerlich großzügiger werden? Mit ein wenig Einfühlung und Humor könnten wir uns herzli-cherdie Hände reichen, auch über dem Gartenzaun der Nachbarschaft hinweg.

Vergangenheitsbewältigung – Zukunftsschau

Kathrinsche, so könnte doch der Dreiviirelshäär aus Burgbrohl seiner Frau aus Weiler zurufen:

De Zessene hat de Setz! Joot! Awwer mie han de Burech, ään Newwe-Ställ vom Wiener Burech-Theater. Is dat kääne Grond, ze stronze? Dat doon mie doch esu jää! Pluus net jöömmere!

De Zessene han de Setz! Joot! Awwer mie han de Kaiserhall, de Renemier-Stuff von de Dreiviirelshäre!

De Zessene han de Setz! Joot! Awwer mie han et Krankenhaus met em Jast-Arwede als Chef. Dat es en Kapazität von Dokte. De Burech-broole sen nau at international.

De Zessene han de Setz. Joot! Awwer se han bluus ään Kerech. Mie han fönnef! Änn in Weile, ään in Lötzing, ään in Bochoitz, ään ich Burech-brool, und dozo noch en ewangelisch Kerech. Pass opp, et dauert net mie lang und mie han ooch e Minarett im Paffedaal. Wann ommends jeroofe wierd: Allah is gruus! Dan en Halef-Toon dronne: Awer de Dreiviirelshäre kommen baal dono! und de Gromufti vom onnere Brohldaal, de Hadschi Halef Omar Ibn Ben Saudi het dan ooch en Palast met Harem am Nonnsdeuwel, jäjenüwer de Fällebue. Oose Pastuur von Bu-rechbrool setzt dann at längst als Rejonaspropst in Bochholz. Is dat kään multikulturelle Jesällschaft?

De Zessene han de Setz! Joot! Awwer mie han seit 1976 en internationale Stammdösch für en Champagnerkur in Frankreich, un dat Kaff hurt sech an als hätt et en Aadelstitel: Poix du Nord! Is dat nix, Kathrinsche? Dat passt doch zu oss! De Zessene han de Setz! Joot! Awwer wat han se dann soss? Na jo! De Bause-Berech un veleicht: de Zakspeed! Awwer es der at Weltmeister jewure? Nä! De Burechbrooler, die sen at längst Weltmeister: Em Stronze!

Awwer dat ääne will ech de sonn, Kathrinsche: mie feieren och noch Joldene Huchzet. Mie han us jo off jeballecht, awwer no fuufzech Joor sen mie doch Jan joot verheirodt. Und dau wies gucke: bei der Joldene Huchzet da hamme veleicht ooch de Jeläse bei oos. De Jeläse Baach kütt doch en de Brohlbaach, un lääft net ant Looch. Is dat netjeopolitisch jedaach? – No ja! Bei de Lööche Patere un Brööde maache se och noch jet Bloosmusick. Dat kan esu bleiwe. Und de Wasseneje komme zo oos. Die hat suwisu de Kunksköpp nur aafjebaut, weil sie besse noo Burechbrohl gucke wollten. Ooser Pastruur versorscht se jetz at.

Un de „Keller Tudeköpp“ kummen veleicht zeröck. Pass opp! Funefundzwanzech Joor han die op en Stroos no Annenach jewaat. Is dat bürjernahe Politik? Nä! No Burechbrohl kommen die met em Hubschrauwer an de ronde Dösch von de Kaisehalle bei de Jemeinderat. Un wat määnste? De Oweerbürjemeester von Annenach und Maye, die kreien dan en Summe-Villa am Hööner-Berech. Die lacken sich die Fingere dono!

Un ooser Landrat Weiler aus Aaweile, der kütt och int Brohltaal, wen erjrau wierd und wen er in Rente jäht. Der baut sich en Villa en Weile, bo sos?

Un schleeslech Kathrinsche, hamme ooch widde de Setz!

Wat manne Se, wat dat Kathrinsche dann söht? Mattes, dau be en richtije Burechbroole Dreiviirelshäär. De Zessene han de Setz! Joot! Awwer, dau ahle Schaute, dau häss ääne setze!

Anmerkung:

Überarbeitete Fassung der Festrede, die von P. Drutmar Cremer am 26. Mai 1995 in der Kaiserhalle Burgbrohl gehalten wurde

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