„Nachbar in Not“ – Aktion besteht seit 20 Jahren
„Nachbar in Not“ – Aktion besteht seit 20 Jahren
Hubertus Kischkewitz
Die Witwe, Mutter von fünf Kindern, stirbt im Dezember. Alle Kinder, der älteste Sohn ist 21 und das jüngste Kind 13 Jahre alt, studieren oder gehen zur Schule. Zum Haushalt gehört noch der 85jährige Großvater. Eine Tochter, die zur Realschule geht, übernimmt die Stelle der Mutter und führt den Haushalt. Da für drei Kinder noch ein Vormund bestellt werden muß, wird die Vollwaisenrente noch nicht bezahlt. Doch alle wollen zusammenbleiben, die Angst der Kleinen, in ein Heim zu müssen, ist groß. Nachbarn sind in Not – wer hilft?
Ein junger Mensch verunglückt schwer. Trotz mehrerer Operationen trägt er dauerhafte Schäden davon und ist auf den Rollstuhl angewiesen. Die verzweifelte, alleinstehende Mutter besucht den in einer Klinik außerhalb des Kreises liegenden Sohn mehrmals in der Woche und beschafft ihm auf eigene Kosten Stärkungsmittel. Trotz ihres schmalen Geldbeutels. Doch Versicherung und Krankenkasse können nicht alle Kosten übernehmen. Die Schulden wachsen. Was tun?
Der junge Vater hinterläßt nach seinem plötzlichen Tod die Ehefrau und zwei schulpflichtige Kinder. Auch eine körperbehinderte Person, die sich im Haushalt befindet, war auf ihn angewiesen. Die monatlichen Verpflichtungen fressen erbarmungslos die letzten Ersparnisse auf. Die zu erwartende Witwen- und Waisenrente wird hinten und vorne nicht reichen. Wie geht’s weiter?
Landrat Joachim Weiler nimmt eine von vielen Spenden für in Not geratene Familien und Einzelpersonen im Kreis Ahrweiler entgegen.
Das Logo für die kreisweite Hilfsaktion „Nachbarin Not“ von Mike Henneberger, 1989.
Zwei angewinkelte Arme treffen im Mittelstück des Buchstabens „N“ aufeinander, um sich symbolisch die Hände zu reichen.
Fälle wie diese gab und gibt es im Kreis Ahrweiler zuhauf. Jeden kann ein solch harter Schicksalsschlag treffen. Doch, wer kann, wer will helfen? Wie kann geholfen werden? Immer wieder suchte Dr. Christoph Stollenwerk, ehemaliger Landrat des Kreises Ahrweiler, nach Antworten auf diese Fragen. Schließlich mit Erfolg. Im November des Jahres 1974 rief Dr. Stollenwerk die Aktion „Nachbar in Not“ ins Leben. Und er rief nicht vergeblich. Von der lokalen Presse regelmäßig unterstützt und verbreitet, fanden seine Appelle in der Bevölkerung offene Ohren. 20 Jahre später nähert sich das Spendenaufkommen der Millionengrenze. Mehr als 807.000 Mark sind auf das Spendenkonto mit der Nummer 810.200 geflossen, das bei der Kreissparkasse Ahrweiler eingerichtet wurde. Für Menschen, die unverschuldet in Not geraten sind und denen schnell und unbürokratisch geholfen werden muß. Und vielen Hunderten wurde geholfen.
„Ich habe natürlich gehofft, daß die Spendenbereitschaft vorhanden ist, daß sie jedoch so groß ist und so lange anhält, davon konnte ich nur träumen“, freut sich Dr. Stollenwerk heute. Dankbar ist der „Vater“ von „Nachbar in Not“ seinen Nachfolgern im Amt, Dr. Egon Plümer und Joachim Weiler, die mit gleich großer Hingabe die Aktion weiterführten bzw. führen. Dankbar ist er jedoch vor allem denen, ohne die „Nachbar in Not“ selbst chancenlos wäre:
Kinder schlachteten ihr Sparschwein, Kegelclubs plündern ihre Kasse, Geburtstagskinder verzichten auf Geschenke. Auch Firmen und Vereine füllen immer wieder die Kasse auf, die vor allem nach Katastrophen schnell leer ist. Nach dem jüngsten Hochwasser etwa, als die Fluten des Rheins auch zwischen Brohl und Rolandswerth Hab und Gut von Tausenden zerstörten und aus den Häusern spülten. „Nachbar in Not“ half schnell und mit jener Diskretion, die zweifellos zum Gütezeichen der Aktion geworden ist. Denn viele, die arm sind, verstecken sich, sie schämen sich ihrer Not. Wer stolz auf das eigene, gute Herz mit seiner Hilfe öffentlich hausieren ginge, könnte sie nie erreichen. Nur der Landrat und der Leiter der Sozialabteilung der Kreisverwaltung kennen die Namen derer, denen geholfen werden soll. Sie garantieren auch, daß die Spenden der Kreisbürger in voller Höhe an die richtigen Adressen weitergegeben werden. Freiwillig lassen sie die Konten der Spendenaktion regelmäßig vom Rechnungsprüfungsamt prüfen.
„Nachbar in Not“ hängt die Hilfe nicht an die große Glocke. Gerne stellt Landrat Joachim Weiler allerdings die vor, die helfen. „Wir alle müssen Ihnen dankbar sein. Vielleicht spornt ihre uneigennützige Hilfe andere an, es ihnen gleich zu tun.“