„Müllerfränzje“ – Eine Eifler Geschichte
Im tiefen Tal
In alten Liedern, Sagen, Märchen und Geschichten wird oft von einsamen Mühlen gesungen und erzählt, von rauschenden Bächen, schilfgesäumtem Teich, dem mächtigen Mühlrad und einem alten Gehöft. Darin hausen der mehlbestäubte Müller, sein Mahlknecht und die schöne Müllerin. In romantischer Verklärung wird das Leben im alten Mühlhaus geschildert, oft weit entfernt von der Wirklichkeit, den Forderungen des Alltags, von Mühsal und Schwere der Arbeit, von Gewinn und Verlust, Aufstieg und Fall.
Die Eifler Mühle, von der wir erzählen wollen – weit und breit in den kleinen Dörfern seit alters her „Fränzensmüll“ genannt – lag verlassen von der lauten Welt und ihrem Treiben in einem engen Seitentälchen der Oberahr an einer Stelle, wo ein Felsenmassiv Raum gelassen hatte für eine ebene, kleine Bucht, gleichsam eine Insel im endlosen Waldmeer. Der Wald schloss den Ort ein wie eine dunkle Klammer, von den Kuppen erloschener Vulkane rauschte der Bergbach ins Tälchen und floss in einen tiefen, länglichen Mühlteich. Durch ein Stauwehr wurde er zum oberschlächtigen, großen Mühlrad hin abgeschlossen.
Zeichnung Johannes Friedrich Luxem
Hinter dem Gehöft erstreckten sich bis zum Saum des Waldes eine sumpfige Wiese und zwei schmale Äcker, auf denen der Müller seine Kartoffeln, Hafer fürs Vieh und Gerste anbaute. Seitlich davon, auf einer Ödlandfläche, die von einer Wildnis aus Huflattich, Zinnkraut, Waldweidenröschen und Ginsterbüschen überwachsen war, erhob sich ein seltsames, turmartiges Gebilde aus Eisen und Kanthölzern. Die Konstruktion endete oben, an ihrer Spitze in vier schmalen Flügeln. Es war eine Windradpumpe, vom Müller selbst erdacht und errichtet. Sie förderte klares, säuerlich schmeckendes Trinkwasser aus den Tiefen der vulkanischen Erde. „Datt öss ohser Heilwässerche“, sagte der Müller oft zu den Bauern, die seine Begeisterung voller Misstrauen allen Neuerungen gegenüber nicht erwiderten. –
Dies alles ereignete sich vor über hundert Jahren, als über der kargen, armen Eifel noch ein Schleier von Weltferne und Vergessenheit lag. Kein Wunder, wenn die Bauern das klappernde Pumpenwerk des emsigen Erfinders – überall „et Müllerfränzje“ genannt – nur mit Staunen und derbem Spott betrachteten. „Datt do seiht demm Müllefränzje ähnlich“, meinten sie, „Datt öss esu en Spillerei, die nixt bränge deht. Dä Kärl soll sech besser om seng ahl klapperich Möll kümmere“, kritisierten sie beim Sewweströmkarten in der Wirtsstube.
Und tatsächlich – damit trafen sie den Nagel auf den Kopf. Seit seiner Jugendzeit war das Müllerfränzje ein begabter Tüftler und Bastler mit erstaunlichem handwerklichem Geschick. Vielleicht war es die Wirkung des großen Mühlrades, seiner unaufhörlichen Umdrehungen, die ihm ein Interesse an allem weckte, das sich bewegen ließ. Seine Phantasie gaukelte ihm Bilder vor von Rollen, Zahnrädern, Kugeln, Achsen und Transmissionen, von Kräften und ihren Wirkungsgesetzen.
Der kluge Dorflehrer erkannte die Begabung des Knaben und schenkte ihm ein Physikbuch von 1885 mit dem Titel „Warum und Weil“. Da stand nun alles drin, was den Knaben beschäftigte: Teilbarkeit, Trägheit, Elastizität, Kohäsion, Fallgesetze, Pendel, Centralbewegung und vieles mehr.
Perpetuum Mobile
In einer Kammer über dem Mahlwerk hatte sich Müllerfränzje eine Werkstatt eingerichtet. Hier verbrachte er viele Stunden, oft ganze Nächte, um seine Träume von Maschinen, verwirrenden Konstruktionen und Bewegung umzusetzen und schwierige Probleme zu lösen.
Eine Idee war es besonders, die im Laufe der Jahre von ihm regelrecht Besitz ergriffen hatte.
Er wollte eine Maschine bauen mit starkem Antriebsrad, das, einmal mit großer Kraft in Bewegung versetzt, sich von alleine ohne weitere Energiezufuhr endlos weiterdrehen würde. – Das also war die Obsession des Müllers: er wollte ein Perptuum mobile bauen, jene geheimnisumwitterte Maschine, um deren Verwirklichung sich schon viele Erfinder und Tüftler vergeblich bemüht hatten. –
Da würde die Welt aufhorchen, dachte Müllerfränzje und den Spottdrosseln in den Dörfern auf der Höhe sollte die Häme, müsste das Lachen schon vergehen. –
Zahllos waren seine Versuche, Pläne, Konstruktionen, um etwas zu verwirklichen, das ihm als Vollendung vorschwebte. Er überwand Widerstände, erduldete Enttäuschungen, Rückschläge und beantwortete sie mit dem Mut des Neubeginnens. Zu alledem kam noch die Kraft eines wunderlichen Beharrungsvermögens und ein vom Urahn ererbter Starrsinn, die Gabe des Nichtloslassenkönnens. Insgeheim jedoch blieb er von wachsenden Zweifeln erfüllt, ob seine Idee zum Erfolg führen würde. Der junge Schullehrer hatte ihm bei Besuchen in der Werkstatt langatmig erklärt, dass die Idee eines solchen Perpetuum mobile nicht zu verwirklichen sei. Dagegen stünden unantastbare Naturgesetze wie eine unüberwindliche hohe Mauer, die allwirksame Gravitation etwa oder das Gesetz von der Erhaltung der Energie.
„Ihr Wunsch, ihre Idee“, meinte nachdrücklich der Schulmeister, „eine Maschine zu bauen, die ohne Unterbrechung, ohne Energiegabe, ohne äußeren Anstoß sich bewegt, Leistung erbringt, ja, das gibt es leider nicht“! Und er redete lange von Gesetzen der Thermodynamik, notierte Zahlen und Formeln, die der Tüftler misstrauisch beäugte und mit Kopfschütteln quittierte.
Insgeheim dachte er grollend: „Datt öss ohch esu ene Besserwisser, dä Schullmeester. Dä deht esu, als wöss dä alles jenau“. Und als der Erklärer gegangen war, brummte der Müller ingrimmig vor sich hin: „Nee, dä weeß ohch net alles, ohch wenn dä Schlipsje on Krahre ahnhätt“. Und er griff zu seinen Plänen und Entwürfen, zeichnete neue Skizzen, verwarf das Alte, baute Teil für Teil weiter an seiner Klapperkonstruktion, die von weitem aussah wie eine Miniaturmühle.- Doch wenn Fränzje das Räderwerk mit Kugeln, Schöpfbechern,Nieten, Schrauben und Bändern durch einen Stoß in Bewegung versetzte, wurde er jedesmal enttäuscht. Wohl rappelte und klapperte das seltsame Gebilde für eine Weile und es hatte den Anschein, als ob die Bewegung konstant bliebe. Dann aber verlangsamten sich die Umdrehungen, zögernder fielen die Kugeln in die kleinen Schöpfbecher – ein rasselndes Geräusch und das Perpetuum mobile stand still.
Zeichnung Johannes Friedrich Luxem
Doch war es seltsamerweise gerade dieser Stillstand, die lautlose Unbeweglichkeit des Mechanismus, die den Tüftler erneut anstachelte, Verbesserungen, Änderungen auszudenken, weitere Versuche anzustellen, um endlich der ersehnten Lösung des Problems auf die Spur zu kommen.
Nacht
Je mehr sich das Müllerfränzje seinen phantastischen Ideen verschrieb, je länger er sich statt in der Mühle in seiner Werkstatt aufhielt, desto nachlässiger erfüllte er seine Arbeit, seine Pflicht, die ihm auferlegt war.
Jritt, seine Schwester, die ihm den Haushalt führte, das Vieh versorgte und sich um den Mühlenbetrieb kümmerte, beobachtete das Verhalten des Bruders mit Verdrossenheit und großer Sorge. Bis spät in die Nächte hinein hörte sie ihn in der Werkstatt sägen und hämmern; unermüdlich schien er zu sein, wenn es um die Verwirklichung seiner Pläne ging.
Dann herrschte wieder eine längere Zeit Ruhe, eine ungewohnte, bedrohliche Stille, die sich Jritt nicht erklären konnte. Zuweilen trieb sie eine Mischung aus Besorgtheit und Neugierde, nachzuschauen, was in der Werkstatt vor sich ging.
Leise, Schrittchen für Schrittchen, tastete sie sich durch die Schwärze der Nacht über den holperigen Hof hinüber zur Müllerwerkstatt. Ein bläulicher Lichtschein wies ihr den Weg. Durch ein kleines Fenster spähte sie in den spärlich erhellten Raum. Was sie da vor sich sah, erfüllte sie mit einem jähen Schrecken. Eine Azethylenlampe erleuchtete gespenstisch die Scenerie. An seinem Werktisch saß der Bruder regungslos, den Kopf auf die Arme gelegt: …er war eingeschlafen. Fahl fiel ein Lichtstrahl auf das verwirrende Räderwerk seiner Maschine. Daneben stand eine halbleere Flasche des scharfen Selbstgebrannten; ein Glas lag in Scherben auf den Dielen. Totenstill war es in der Kammer, Jritt vernahm nur das leise Zischen der Lampe. „Deuwelszeuch“, flüsterte sie halb ingrimmig, halb voller Mitleid. „Watt mohs dä sich ohch möt esu enem Jekröhms afjewwe. An nix anneres kann dä mih denke onn hän kütt doch net weider möt senge Plän! Un jetz fängt dän ohch noch möt em Saufe ahn, nee, wat en Onjlöck em Huuhs. Jood, datt de Vatter dat net mih erläwwe däht“!
Zeichnung Johannes Friedrich Luxem
Ja, es war ein Bild des Jammers! Da hockte der betrunkene Müller schlafend vor dem Wirrwarr seiner Traummaschine, die nie fertig wurde und die ihm den Verstand raubte.
Dunkle Vorahnungen erfüllten die Seele Jritts, Traurigkeit und Resignation; sie begann lautlos zu weinen. „Do mohs mer jo dat heulend Elend krieje“ dachte sie und tappte zurück ins Haus. Im Flur griff sie ins Weihwasserkesselchen, sprengte das Wasser in die Richtung der Werkstatt. Ein Schauder lief ihr über den Rücken. Im gleichen Augenblick, in dem sie in einer innigen Geste die Hilfe des Himmels erflehte, erlosch da drüben das Flackerlicht.
Unheimlich lag pechschwarze Dunkelheit über der Mühle, dem Hof und dem Teich. Aus der Tiefe des großen Waldes vernahm Jritt das Gurren der Wildtauben.
„Et öss wie et öss, et kütt wie et kütt“
„Es ist wie es ist, es kommt wie es kommt“, so sagten die Bauern. Und in dieser Binsenweisheit lag etwas von in Jahrhunderten kargen Daseins entstandener Ergebenheit in die Wechselfälle des Lebens, eingebettet in die Hoffnung, dass es eines Tages besser werden könnte, dass an Stelle von Missernten, Naturgewalten, Krankheiten glücklichere Zeiten kommen würden. –
Doch über der alten Mühle schwebte Unheil. Langsam wucherten die Gifttranken des Unglücks, geduldig warteten die drei Parzen, an die vor fast zwei Jahrtausenden hier in den düsteren Eifelwäldern schon die römischen Legionäre glaubten, an Klotho, die den Schicksalsfaden spinnt, Lachesis, die ihn geduldig aufwickelt und Atropos mit der Schere, die ihn nach Belieben abschneidet. –
Das, was die Jritt durch das Fensterchen nachts erspähte war für sie wie ein Menetekel. Sie erinnerte sich an eine Bibelstunde, in der der Herr Pastor wortgewaltig das Ende des Frevlers Nabuchodonosor schilderte, schreckliche Drohung:„Gezählt, gewogen, geteilt“.
Und wie es so ist, wenn das Räderwerk des Schicksals einmal in Bewegung gerät, ging es mit der Fränzjesmühle und dem Müller Stufe um Stufe abwärts. Alle Versuche Jritts, in ihrer Verzweiflung den Niedergang von Mühle, Haus und Hof abzuhalten blieben letztlich vergebens.
„Een Onjelöck kütt selten alleen“, sagte sie oft vor sich hin und es schien, als hätten ihre Worte eine Macht des Herbeibeschwörens. Allmählich blieb die Kundschaft aus; das Fränzje schob dringend notwendige Reparaturen an Mühlrad und Mahlwerk auf die lange Bank. Da half auch Schimpfen und Gezeter der robusten Jritt nichts mehr, die schon seit Monaten als resolute und praktisch veranlagte Person alles übernommen hatte, was mit Mahlbetrieb, dem Moltern, mit Rechnungen, Steuern, Versicherungen und Schulden zu tun hatte.
Zu aller Misere kam neues Unglück über die Geschwister:„Unten im Flusstal, günstig an einer Kehre und Straßenkreuzung gelegen, wurde eine neue große Mühle erbaut.
Korn- und Ölmühle nannte sie sich mit modernen Maschinen, einem tüchtigen Müller und zwei Mühlknechten. Hierhin brachten nun die Bauern ihr Getreide, Weizen, Roggen, Dinkel und Hafer. „Hee wären mir beim Moltere net öwwer et Uuhr jehaue onn et Mehl öss vell besser; on billijer öss et he ohch“ sagten sie. „Do baut ohch keener an su enem Perpetuum mobile eröm“, meinten die Spötter und machten dabei eine bezeichnende Handbewegung zur Stirn hin.
Ja, hier wurde das Korn besser ausgemahlen, für Hochzeiten und Kirmes wurde das Mehl sogar gebeutelt.
So kam nun tatsächlich alles, wie es Jritt prophezeit hatte; nur wenige treue Kunden fanden noch den Weg ins enge Tälchen zur Fränzjesmüll. Und um das uralte Sprichwort vom Unglück wahrzumachen, lasteten bald drückende Schulden auf dem Anwesen, ein Berg von Schulden, die das Fränzje nicht zurückzahlen konnte.-
Immer tiefer geriet er in einen Teufelskreis, aus dem es kein Entrinnen mehr gab. Seine Kundschaft wurde in dem Maße spärlicher, in dem die Schulden mit Zins und Zinseszins unaufhaltsam in die Höhe stiegen.
Zweimal kam der Gerichtsvollzieher aus der Kreisstadt; schließlich drohte die Zwangsversteigerung der alten Mühle. „Och Jott, heilijer Jodokus hellef ohs doch!“ schrie die Jritt, als das schreckliche amtliche Schreiben gestempelt und gesiegelt eintraf. Sie rannte in den Stall, als wollte sie bei ihrem Viehzeug Trost suchen und redete mit der stummen Kreatur: „Nee, et bleiwt ehnem nix erspart, lewer Jott, datt ech dat noch erläwwe mohs! Wenn ohser jooder Vatter datt wöss, der däht sich em Jrahw erömdrähe!“
Fränzje hörte die Lamentationen derSchwester nicht. Er hatte das Verderben bringende amtliche Schreiben gelesen, war dann wortlos fortgerannt in die Wälder. Eine kopflose, vergebliche Flucht vor der Realität, die mit ihren Pflichten und Forderungen für ihn schon lange Zeit nicht mehr existierte.
Roter Hahn
Über dem Eingang der Mühle, eingekerbt in ein dunkles, uraltes Eichenbrett, stand eine Jahreszahl: 1746 und darunter ein Hausspruch:
herr jesus Christ
dein leHen dies ist
die müll ist dein haus
wir all gehn hier
nur ein und aus
Lange stand die Jritt davor, schüttelte den Kopf und jammerte vor sich her:„Jo, esu weit ös et jekomme“, und sie las die letzte Zeile: Die Buchstaben tanzten vor ihren Augen. Ach, sie kannte den Spruch auswendig, war stolz darauf wie auf die Mühle und das Gehöft. Ja, diese letzte Zeile die zwei Wörter „Ein und Aus“ – jetzt, vor der drohenen Zwangsversteigerung erfuhren sie eine schreckliche Bedeutung und immer wieder dieses eine furchtbare Wort „aus“.
Doch die Jritt, ein Leben lang durch eine harte Schule von Arbeit und täglicher Fron gegangen, war nicht willens, in dieser Not die Hände im Schoß zu falten und dem kommenden Schicksalsschlag tatenlos entgegenzusehen.
Sie spürte ein immer stärker werdendes Aufbegehren der Gefühle, schwankend zwischen ohnmächtiger Verzweiflung, Wut und Tatendrang. Sie war entschlossen, alles zu tun, die Zwangsversteigerung zu verhindern, der unvorstellbaren Schande zu entgehen, wie Bettelleute von der Mühle, dem alten Besitz der Familie verjagt zu werden.-
Unruhe trieb sie hin und her, sie konnte sich zu keinem Entschluss durchringen. Von der Küche lief sie in den Stall, aus dem Mahlraum in die Scheune. Nein, nichts würde sie loslassen von diesem Besitz, von allem, an dem ihr Herz hing, das ihr vertraut war seit sieben Jahrzehnten, alles, was ihr Heim und Heimat bedeutete.
Und dann – war es Fügung oder schnöder Zufall: Ihr Blick fiel in einer Scheunenecke auf eine verbeulte Kanne mit Petroleum. Wie ein Blitzstrahl durchzuckte es die Verzweifelte – ja, das war die Lösung!Sie tastete nach dem Fixfeuer in ihrer Schürzentasche, wandte den Blick nach oben zum alten Dachgebälk, zu den trockenen Strohvorräten. Alle Hilflosigkeit, Zweifel, Zukunftsängste waren plötzlich verschwunden. Wie eine Befreiung kam es über sie – ihr Entschluss stand unwiderruflich fest. „Keener soll us aus ohserem Huuhs jage, uss ohsere Müll“, sprach sie laut vor sich hin;„wenn mir ohs Eijentum net behaahle dürfen, dann soll datt ohch keene andere hann!“ Und aufatmend flüsterte sie:„Onn von dämm Jeld von der Feuerversicherung könne mir noch lang jood läwwe!“
In der Nacht darauf herrschte im Tälchen ein furchtbares Unwetter. Blitze zuckten ihre Lichtbänder durch die Schwärze des Himmels, tauchten die Mühle in Gespensterlichtschein. Im engen Tal und den Waldschluchten brach sich der Donner in schaurigem Echo; in der jood Stuff des Hauses flackerte die Gewitterkerze. Wassermassen ließen den Mühlteich überlaufen, rissen das Wehr mit sich fort. Die Gewalt der Fluten erfasste das Mühlrad. Dann zerbrach die Sperre; das Rad begann sich zu drehen, schneller und schneller. Zahnräder, Achsen, Riemen und Gestänge bewegten sich wie rasend, die schweren Mahlsteine dröhnten und brachten das alte Gebälk zum Beben.-
In der Scheune züngelte plötzlich ein bläuliches Flämmchen hoch, kroch über den Boden hin zu den Strohhaufen. Wie Zunder brannte das trockene Stroh, die Flammen erfassten das Gebälk, griffen über zu Haus und Mühle. Krachend barst dasScheunendach, eine mächtige Flammensäule schoss aufwärts in die Nacht. Zu spät kam die Feuerwehr – bis auf die Grundmauern brannte alles nieder.-
Wunderliche Geschichten erzählte man sich in den Dörfern vom Geschehen dieser Schreckensnacht. Die Alten, die noch an Hexerei mit siebtem Buch Mose und an Gespenster glaubten, flüsterten sich zu:„Datt öss janz jewess, do hätt dä Deuwel sing Fingere em Spell jehatt. Watt do alles passiert öss, datt jeng net möt rächte Denge zo!“
Man erzählte sich, dass Müllerfränzje schreiend, betrunken mit seiner Deuwelsmaschin aus der brennenden Werkstatt fort in den Wald gelaufen sei.-
Die Jritt aber hätte man gesehen, dass sie, wie einst Lots Weib bei Sodom und Gomorra, wie erstarrt am Rand des Mühlteichs gestanden sei und in die Flammenhölle geschaut habe, bis das Gebälk zusammenkrachte.
Dann sei sie plötzlich gestrauchelt, über die Böschung abgerutscht und im Mühlteich elend ertrunken.
Das Müllerfränzje fand man Tage danach am Steinbruch in den Wäldern. Er ließ sich geduldig fortführen, sprach wirre, unverständliche Worte und hielt die Reste seines Perpetuum mobile fest umklammert wie einen kostbaren Schatz, den man nicht loslassen darf.-
Die Gendarmen und Kommissäre der Provinzial-Feuerversicherung forschten zielstrebig nach der Brandursache. Man vermutete zunächst, das Feuer sei durch einen Blitzschlag ausgelöst worden. Doch nach langer Suche entdeckte ein junger, diensteifriger Gendarm unter verkohltem Gebälk eine verbeulte Petroleumkanne. Und, um einen Holzstock gewickelt, fand er die Reste von dunkelblauem Samtstoff eines Frauenrocks – dem Feiertagsgewand der armen Jritt.
In der Gerichtsverhandlung gab Müllerfränzje im Zustand geistiger Verwirrung zu, den Brand gelegt zu haben. Er lächelte nur, nickte ständig und rief:„Jo, Jo, jetzt hüert doch op möt eurer lästije Frogerei, ech senn et jewäse, ech hann alles anjestoche.“
Man wies ihn schließlich in eine geschlossene Heilanstalt ein. In seiner Zelle lebte er noch einige Jährchen; ein ruhiger, in sich verschlossener und mit seinem Los zufriedener Patient.
Man besorgte ihm Werkzeug und Material und ließ ihn an einer eigenartigen, immer größer werdenden Maschine bauen, deren Räderwerk sich rasselnd bewegte, jedoch rasch wieder stehenblieb.
Die Wärter nannten den Müller unter sich – halb anerkennend, halb spöttelnd – „unser Perpetuum mobile“.-
Epilog
Im unabänderlichen Gleichmaß vergingen Jahre und Jahrzehnte; die Zeit verflog in rätselhafter Eile und hinterließ im einsamen Mühlentälchen ihre Spuren – der Wald holte sich zurück was ihm gehörte. Auf den Überresten der Fränzjesmühle wuchs eine dichte, dunkelgrüne Decke von Vinca, überwuchert von Brombeerranken und Wildrosen. Zwischen Bruchsteinen und verkohltem Gebälk siedelten sich Birken, Ebereschen und Wildkirschenbäume an, Schilf, Binsen und Seggen bedeckten den versumpften Mühlteich; Silberweiden umsäumten seine Ufer. In hellen Sommernächten quackten die Chöre der Frösche ihre uralten monotonen Rufe, die sich mit dem Gurren wilder Tauben zu einer seltsamen Melodie vermischten.
Die tragische Geschichte der Fränzjesmühle hatte man in den kleinen Eifeldörfern im Laufe der Zeit vergessen. Nur die alte Scheuerbäb erzählte den Nachbarn, sie habe jüngst beim Waldbeerenströppen in der Abenddämmerung über den Mauerresten der alten Mühle ein gespenstisches Gebilde gesehen. Hinter Gestrüpp, Dornen und dichtem Astgewirr habe ein bläulichroter Schein aufgeleuchtet, züngelnde Flammen in der Gestalt eines riesigen roten Hahnes. Und aus dem ehemaligen Mühlenteich habe sie Klagelaute, ein gequältes, tiefes Seufzen vernommen bevor sie, von Angst gejagt, den unheimlichen Ort fluchtartig verließ.
Überall erzählte das die Bäb denen, die es hören wollten. Dann lauschten die Alten schweigend und nickten verständnisvoll. Nur die Jungen lächelten und warfen der Gespensterseherin Bäb verstohlen mitleidige Blicke zu.
Monate später trug sich etwas Seltsames zu. Der neue Forsteleve, der sich gerne mit Heimatgeschichte und Archäologie befasste, stöberte eines Tages in den Ruinen der abgebrannten Fränzjesmühle. Als er einen schweren Sandsteinpfosten umwendete entdeckte er darunter eine dunkle, fast unversehrte Eichentafel, in die mit altmodischen Buchstaben eine Inschrift eingekerbt war:
herr jesus christ
dein leHen dies ist
die müll ist dein haus
wir all gehn hier
nur ein und aus