Mord und Totschlag und jede Menge Branntwein
Vor dem Koblenzer Schwurgericht hatte sich im März 1886 ein Angeklagter zu verantworten, von dem man dies am wenigsten erwartet hätte, nämlich der „Nikolaus“.
Der Müller Heinrich Gilles aus Marienthal ging am 5. Dezember 1885 in seinem Dorf als Nikolaus von Haus zu Haus. Anscheinend hatte der „heilige Mann“ an jenem Abend großen Durst und so kehrte er in das Marienthaler Wirtshaus von Joseph Krichel ein. Schon erheblich angetrunken fing er Streit mit einem anderen Gast an. Als dies ernstere Folgen zu zeitigen drohte, verfrachteten ihn mehrere Anwesende in einen nebenan befindlichen Saal, wo er weiter schimpfte und mit Heinrich Krichel, dem Bruder Joseph Krichels, „handgemein“ wurde. Hierbei schlug er seinen Kontrahenten mit seiner Nikolausschelle so heftig auf den Kopf, dass Blut floss. Heinrich Krichel maß der Wunde keine besondere Bedeutung bei, was ich im Nachhinein aber als tragischer Irrtum herausstellte: „Schon am Abende des 6. Dez. bemerkte die Schwägerin des Verletzten an dessen Kopfe mehrere Anschwellungen. Es stellte sich eine Entzündung ein, am folgenden Tage bekam er noch einen Blutsturz und am 10. Dez. starb der Verletzte. Die Obduktion ergab, daß derselbe an einer Entzündung des Gehirns und der Lunge gestorben war.“
Die Geschworenen sahen Gilles als schuldig an, Krichel an jenem folgenschweren Nikolausabend „mit einem gefährlichen Werkzeuge körperlich verletzt“ zu haben. Sie verneinten dagegen die Frage, „ob dadurch der Tod des Verletzten erfolgt sei.“ Unter Zubilligung mildernder Umstände wurde Gilles daraufhin vom Gerichtshof mit einer halbjährigen Gefängnisstrafe belegt.1)
Noch im gleichen Jahr, genauer gesagt am 8. November 1886, beschäftigte sich das Schwurgericht mit einem anderen Vorfall aus derselben Region. Der Ahrweiler Tagelöhner Hermann Joseph Spessart, geboren im Juni 1864 in Ramersbach, und der Tagelöhner Anton Schmitz hatten es sich am 14. Juli 1886 auf einer Bank vor einem Haus in Ahrweiler, in dem sie wohnten, bequem gemacht. Schmitz schickte bald darauf seinen Hausmitbewohner mit einer leeren Flasche fort, um Schnaps zu holen. Als Spessart mit der gefüllten Flasche zurückkam, trat seine Mutter hinzu, nahm ihm die Flasche ab und goss sie aus, da ihr Sohn, wie sie meinte, an dem Tag schon genug „geistige Getränke“ konsumiert habe. Im Streit um die leere Flasche, die Spessart seiner Mutter wieder entrissen hatte und die nun Schmitz als ihm gehörig zurückforderte, kam es zu Handgreiflichkeiten, die einige Zeugen zunächst „mehr als eine Neckerei und Balgerei als eine ernste Sache angesehen“ hatten.
Schmitz wollte mit einem Schrubber, den er an jenem Tag wegen eines „wehen Fußes“ als Krücke benutzte, die mittlerweile zu Boden gefallene Flasche zu sich herüberziehen. Als er dabei ins Straucheln geriet, nutzte Spessart die Gelegenheit, um seinen Kontrahenten niederzustoßen. Er entriss dem „in der Gasse liegenden“ Schmitz die Krücke respective den Schrubber und versetzte ihm damit einen Schlag auf den Kopf, „daß der Stiel vom Schrubber abbrach und Schmitz wie leblos liegen blieb“. Nicht viel später erlag er seinen Verletzungen. Der herbeigerufene Arzt konnte nur noch einen Schädelbruch konstatieren. Das Urteil des Koblenzer Schwurgerichts gegen Spessart lautete auf zwei Jahre Gefängnis.2)
Zu einer weiteren Gefängnisstrafe verurteilte das gleiche Gericht im November 1894 einen Angeklagten, der taubstumm war. Es handelte sich um den 1866 in Danzig geborenen und in Neuenahr wohnhaften Schreinergesellen Julius Pich. Bei der Verhandlung fungierte der Direktor der Kölner Taubstummenanstalt als „Dolmetscher“.
Weil Pich mit einigen jungen Burschen wegen Hänseleien Streit gehabt hatte, betrat er am Nachmittag des 24. Juni 1894 die Ahrweiler Wirtschaft Schäfer erst, nachdem er sich ein Taschenmesser ausgeliehen hatte, um sich, wie er sagte, im Ernstfall wehren zu können.
Offensichtlich erschien keiner seiner Kontrahenten in der Gaststätte, und so lief die Sache darauf hinaus, dass sich Pich ein Bier und einen Schnaps nach dem anderen genehmigte. Drei Stunden später lag er angetrunken am Maschinenschuppen des Ahrweiler Bahnhofs. Von einigen Passanten wurde er beiseite geschafft und ins Gras gelegt, wo er weiterschlief. Als er gegen 10 Uhr abends auf Anordnung eines Stationsbeamten den Bereich der Bahn verlassen musste, erhielt er Hilfe von einem Zeitgenossen namens Faßbender, der sich anbot, Pich nach Neuenahr zu geleiten. Doch so einfach war das nicht. Kaum hatte er Pich einmal kurz losgelassen, fiel dieser zu Boden. Mit der Unterstützung des hinzugekommenen Kanzlisten Alexander Gotzen gelang es, den Gestürzten wieder auf die Beine zu bringen. Da dieser währenddessen fortwährend seine Hände in den Hosentaschen hielt, sah sich Gotzen veranlasst, ihn zu ermahnen: „Hier wird nicht mit Messern umgegangen.“ Die Befürchtung des Kanzlisten erwies sich als berechtigt. Bei der erstbesten Gelegenheit holte Pich das Messer hervor und ging auf ihn los. Während Gotzen den Angreifer mit seinem Stock abzuwehren versuchte, erhielt er einen Messerstich in den Oberschenkel. Die Wunde blutete stark und so beeilte er sich, mit Hilfe Faßbenders den Ahrweiler Bahnhof zu erreichen. Nachdem sich zwei Ärzte um ihn gekümmert hatten, wurde Gotzen nach Hause gebracht – ins Krankenhaus wollte er nicht. In der Nacht war er sehr unruhig, sodass die Wunde wieder zu bluten begann. Erst gegen 5 Uhr morgens kam ein Arzt. Zwei Stunden später starb der gerade 19 Jahre alte Kanzlist an Verbluten. Unter Zubilligung mildernder Umstände wurde Pich zu drei Jahren Gefängnis verurteilt.3
Quellen:
- Koblenzer Volkszeitung Nr. 69 vom 26. März 1886.
- Koblenzer Volkszeitung Nr. 258 vom 9. November 1886.
- Koblenzer Volkszeitung Nr. 259 vom 9. November 1894.