Mit dem Dosimeter unterwegs Natürliche Radioaktivität im Laacher-See-Vulkangebiet.
Radioaktivität – wer denkt nicht bei diesem Wort an Hiroshima und Tschernobyl, an Brokdorf und Castor-Transporte. Den Wenigsten von uns ist bewusst, dass die Radioaktivität seit Anbeginn aller Zeiten zu unserer Umwelt gehört und „Natur“ ist wie Luft, Wasser, Boden, Pflanzen und Tiere. Mehr noch: Ohne die wärme-spendende Radioaktivität im Inneren wäre unsere Erde schon seit Jahrmilliarden ein toter Eisplanet. Eigentlich Gründe genug, um sich mit der Radioaktivität in unserer nächsten Umgebung und ihre Auswirkungen auf den Menschen etwas näher zu beschäftigen.
Natürliche radioaktive Strahlung stammt aus zwei Quellen: Dem Weltall und dem Boden. Die aus den Tiefen des Kosmos (und zu einem geringen Teil von der Sonne) zu uns dringende Strahlung besteht überwiegend aus hochenergetischen Teilchen. Sie werden aber teilweise vom Magnetfeld der Erde abgelenkt, teilweise durch Kernreaktionen in der Atmosphäre gewissermaßen „herausgebremst“. Dennoch erreicht ein messbarer Teil die Erdoberfläche. Radioaktiver Zerfall von in Gesteinen eingeschlossenen instabilen Uran-, Thorium und Kalium-Atomen erzeugt hingegen die Bodenstrahlung.
In deutschen Mittelgebirgslandschaften ist der Anteil der kosmischen Strahlung an der natürlichen Gesamtradioaktivität weitgehend konstant. Variationen der natürlichen radioaktiven Strahlung können also nur aus dem Erdboden stammen. Sie sind mithin an die besondere Geologie der Landschaft gebunden. Der größte Teil unseres Kreisgebietes ist aus kilometerdicken, unterdevonischen Sandstein- und Tonschiefer-Gesteinspaketen aufgebaut, die vielfach von einer Lössdecke überlagert werden. Daneben finden wir aber auch zahlreiche Monumente eines bis in die jüngste geologische Vergangenheit reichenden Vulkanismus: Schlackenkegel, quadratkilometergroße Tuffdecken, Glutlawinenablagerungen und vulkanische Schlammströme.
Uran- und Thorium-Mineralien sind weder im unterdevonischen Deckgebirge, im Lössboden noch in den vulkanischen Gesteinen in nennenswertem Umfang vorhanden. Hauptträger der natürlichen Radioaktivität in der Vulkaneifel ist Kalium-40, abgekürzt K-40. Viele Mineralien enthalten es zusammen mit dem nichtradioaktiven K-39. Das instabile K-40 zerfällt in einem komplizierten Prozess, wobei schnelle Elektronen und energiereiche elektromagnetische Gammastrahlung ähnlich der Röntgenstrahlung abgegeben werden. Während die überwiegende Zahl der Elektronen im Gestein selbst und der angrenzenden Luftschicht absorbiert wird, reicht die elektromagnetische Strahlung im Gelände mehrere Meter weit über die Gesteinsoberfläche hinaus und kann so zu einer Strahlenbelastung eines lebenden Organismus führen. Aufgrund der geringen Zerfallsrate des K-40, die sich in der langen Halbwertszeit (= Zeitspanne, nach der eine radioaktive Substanz zur Hälfte zerfallen ist) von mehr als einer Milliarde Jahre niederschlägt, ist diese Strahlungsbelastung der Umgebung jedoch relativ gering.
K-40 und K-39 stehen in der Natur stets in konstantem Verhältnis zueinander. Das bedeutet einerseits, ein Mineral ist umso „aktiver“, je mehr Kalium prozentual in seinem Kristallgitter vorhanden ist, andererseits nimmt die radioaktive Strahlung von Gesteinen mit steigendem Gehalt an Kalium-Mineralien zu. Bei Exkursionen im Bekanntenkreis habe ich gelegentlich auf diese Zusammenhänge hingewiesen und die Strahlung von Gesteinen mit einem alten Geigerzähler demonstriert. Stets kam nach dem ersten Staunen dann auch die besorgte Frage: Wie gefährlich ist diese Strahlung für den Menschen?
Gering erhöhte Bodenstrahlung: Basaltische Aschen, Lapilli und Schlacken am Bausenberg (Aufschluss M 11 des Geopfades „Mittleres Brohltal“)
Ein Geigerzähler gibt auf diese Frage leider keine Antwort: Er zeigt nur, dass etwas strahlt – sonst nichts. Für die exakte Messung der Strahlenbelastung eines menschlichen Körpers braucht man spezielle, geeichte Messgeräte, sogenannte Dosimeter. Sie zeigen die Strahlenbelastung in der Maßeinheit Sievert/Stunde an. Diese Maßeinheit berücksichtigt viererlei: a) wie stark eine Substanz strahlt, b) welche Form von Strahlung – z. B. Elektronen oder elektromagnetische Strahlung – freigesetzt wird, c) die unterschiedliche Empfindlichkeit des menschlichen Körpers für die einzelnen Strahlungsarten und d) die Zeitdauer, über die die Strahlung einwirkt. Sievert/Stunde ist eine sehr große Maßeinheit; die natürliche Umgebungsstrahlung wird in der Regel in Nanosievert/ Stunde (nSv/h), das ist der milliardste Bruchteil, gemessen.
Um in Zukunft für die Fragen meiner Exkursionsteilnehmer besser gewappnet zu sein, habe ich im Frühjahr dieses Jahres mehrere Aufschlüsse v. a. auf den Geopfaden U, M und O des Brohltals mit einem Dosimeter – Typ FH 40 G-L der Firma ESM, Meßbereich 100 nSv/h bis 25mSv/h, Energiebereich 36 keV bis 1,4 MeV – aufgesucht (Tabelle). Neben einigen Klettertouren war dafür auch eine Portion Geduld erforderlich: Die verhältnismäßig geringen Strahlungsraten der Gesteine bedingen, dass solche Messgeräte sich erst im Verlauf von 10 – 15 Minuten auf konstante Wertebereiche einpegeln. Die Messungen erfolgten in der Regel 1 m über dem Boden und in einem Abstand von ca. 1 m zum Aufschluss. Handels-übliche Dosimeter können nur elektromagnetische Strahlung messen. Sie können nicht zwischen der kosmischen und der Bodenstrahlung trennen. Die Messwerte der Tabelle erfassen daher nur die für den Menschen unter den genannten Bedingungen relevante elektromagnetische Strahlung als Summenwerte beider Strahlungsquellen.
Bei der Betrachtung der Tabelle fallen einige Dinge auf:
1. Die natürliche Belastung aus kosmischer und Bodenstrahlung liegt in weiten Teilen des Kreises Ahrweiler, der überwiegend aus Unterdevon-Gestein im Untergrund aufgebaut ist, bei etwa 140 nSv/h. Das entspricht einer Strahlendosis von 140 X 24 X 365 nSv/h = 1,2 mSv/Jahr – allerdings nur bei ständigem Aufenthalt im Freien.
2. Vulkanisch geprägte Landschaftsteile weisen lokal eine höhere Strahlenbelastung auf. Da der Anteil der kosmischen Strahlung an der natürlichen Strahlung im Kreis als konstant betrachtet werden kann, müssen diese Veränderungen auf einen höheren Kaliumgehalt der Gesteine zurückzuführen sein.
3. In basaltischen Schlackenkegeln wie z. B. dem Bausenberg ist die Bodenstrahlung nur geringfügig stärker. Der Anteil kaliumhaltiger Mineralien im Gestein – Nephelin, Hornblende und Biotit sind z. B. in den Basaniten des Bausenbergs (Bild 1) zu finden – ist nur wenig höher als im Unterdevon-Gestein.
4. Über phonolithisch geprägten Tuffen und Gläsern (= Bims), ob sie aus dem geologisch älteren Rieden-Weiberner Vulkankomplex, vom Hüttenberg (Bild 2) oder aus dem jüngeren Laacher-See-Vulkan stammen, wird in etwa eine doppelt so hohe Ortsdosis gemessen. Phonolithische Tuffe und Gläser sind für ihren hohen Kaliumgehalt bekannt.
5. Die höchsten stündlichen Dosen werden am kompakten Phonolith (Engelner Kopf, Olbrück) registriert. Der Kaliumgehalt – gemessen als Kaliumoxid in der Brennprobe – liegt hier bei über 9% (!).
6. Örtliche Besonderheiten der Geologie können die Strahlenbelastung erheblich variieren: In engen fast allseitig mit Gestein umschlossenen Räumen steigt die Strahlenbelastung an, da hier zur an der Aufschlusswand gemessenen Strahlung noch die Streustrahlung aus Boden, Decke, Nachbarwänden kommt. Deswegen ist z. B. in den Trasshöhlen im Brohltal die Strahlung intensiver als im Freien an den fast gleichartig aufgebauten Glutlawinenablagerungen des Tönnissteiner Tals. Andererseits können tonige Ablagerungen wie am Laacher See die Strahlung aus dem vulkanischen Untergrund zurückhalten. Und zuletzt liegt die Ortsdosis im Brohltalbahntunnel niedriger als in den nur wenige hundert Meter entfernten Unterdevon-Aufschlüssen, weil die Gesteinsüberdeckung des Tunnels einen Teil der kosmischen Höhenstrahlung abhält.
Nun zu der Frage, die Vulkanpark-Touristen am meisten bewegt: Sind diese Strahlungsarten – an der Olbrück immerhin bis zum 2 1/2-fachen des „Normalwertes“ für das Kreisgebiet – für die Gesundheit gefährlich? Zur Beantwortung dieser Frage müssen wir zunächst einmal die Gesamtheit aller Strahlendosen betrachten, die ein Einwohner des Kreises im Laufe eines Jahres erhält. Nehmen wir an, ein Idealbürger verbringt 10 Stunden am Tag in einem aus den regionaltypischen „Schwemmsteinen“ (Leichtziegel aus Bimszement) erbauten Haus. Die übrigen 14 Stunden ist er im Freien überwiegend in unterdevonisch geprägten Gegenden tätig. Dann erhält er im Haus eine Dosis von 10 X 365 X 240 nSv/h = 0,9 mSv/Jahr und im Freien eine zusätzliche Dosis von 14 X 365 X 140 nSv/h = 0,7 mSv/Jahr. Dazu kommen 0,01 mSv (!) aus Reaktorunfällen/Kernwaffen-Fallout und 1,5 mSv aus medizinischen Anwendungen, v. a. aus der Röntgendiagnostik. Summa summarum sind das 3,1 mSv = 3.100.000 nSv. Ein vierstündiger Aufenthalt am Krufter Ofen zur Mineraliensuche entspricht einer zusätzlichen Dosis (gemessene Ortsdosis minus der im Kreis üblichen „Normaldosis“) von 4 X (240-140) nSv = 400 nSv, d. h. dem 7750-sten Teil der jährlichen natürlichen Strahlendosis. In solchen Bereichen kann auch mit den besten statistischen Methoden eine gesundheitliche Gefährdung durch die zusätzliche Strahlenbelastung nicht erfasst werden.
Ein klein wenig anders sieht es aus, wenn unser Idealbürger in einem aus Phonolith-Bruchsteinen erbauten Haus wohnt. Hier können Werte wie unter dem Gewölbe unter dem Pallas der Burg Olbrück erreicht werden: Ca. 450 nSv/h (eigene Messung). Die Strahlenmehrbelastung im Vergleich zum obigen Idealbürger beträgt 10 X 365 (450-240) nSv/h = 0,75 mSv/Jahr. Auch diese augenscheinlich recht hohe zusätzliche Dosis muss relativiert werden: Sie entspricht in etwa der Hälfte der Dosis, die zum Beispiel medizinisches Personal in Bestrahlungseinrichtungen monatlich erhält und die trotzdem von den Strahlenschutzkommissionen als völlig unbedenklich eingestuft werden.
Zusammenfassend kann man für unser Kreisgebiet feststellen, dass an vielen Orten vulkanischen Ursprungs eine leicht erhöhte Bodenstrahlung registriert werden kann. Es lohnt sich aber, diese sowohl bei einem Tagesausflug zu erkunden als auch in altes Natursteinhaus in einem gemütlichen Dorf zu ziehen: Viel Bewegung in schadstoffarmer Luft, ein beschauliches Leben in einer faszinierenden Landschaft und jeden Tag ein Glas „Roten“ von der Ahr fördern die Gesundheit und lassen jeden strahlenden Stein vergessen. Das kann die Legion der über 90-Jährigen in unserem Kreis bezeugen.
Bild 2: Tuffe des Hüttenberg-Vulkans. Erhöhte Bodenstrahlung durch höheren Gehalt an kaliumreichen Mineralien.