Meine Nieder klingen aus deinen Tälern zurück . . „

Zum Gedächtnis an den Eifeldichter Heinrich Ruland

VON WALTHER OTTENDORFF-SIMROCK

Es sind noch viele unter uns, die den großen Freund des Eifellandes gekannt haben, Heinrich Ruland, der 1882 in Andernach am Rhein geboren wurde und 1943 in Bonn starb. Er war Postinspektor, seine Aufgaben lagen also im Bereich der nüchternen Pflicht. Er lebte in einem Beruf, von dem längst der romantische Glanz gewichen war, jener Glanz, den wir in so vielen Gedichten Eichendorffs und anderer Poeten beglückend erleben — damals in der „guten alten Zeit“, als noch die Postkutsche Mir. In Bad Neuenahr verwaltete er zwischen 1919 und 1929 tagsüber sein „traumloses Amt“. Doch kam der Abend, so verwandelte er sich. Dann erlebte er erneut, was ihm der freie Sonntag und der Urlaub geschenkt hatten: die Wanderfahrten durch das Land der Eifel. In den stillen Stunden des Abends schrieb er nieder, was ihn in der Begegnung mit Dorf und Bauer, mit Berg und Tal, mit Acker, Wald und Heide angerührt hatte, und was er schrieb, wurde Poesie:

Heimat, du heilige, große, die alles glättet und stillt,
Blut aus deinem Herzen zu meinem Herzen quillt!
Deine festen Hände geben Geleit mir und Halt,
in deinem heiligen Wissen werden die Wünsche
Gestalt.

Ohne deinen Segen keinen Schritt kann ich tun,
du heißest das Werk mich vollbringen und gibst mir
die Stätte zum Ruh’n.
Und wenn ich den Hammer führe, ich schmiede an
deinem Glück;
meine Lieder klingen aus deinen Tälern zurück.

Die Literaturgeschichten nennen den Namen Heinrich Ruland nur selten, und heute, wo Sensation und Sex das Bild des Lebens bestimmen, ist der Name fast ausgelöscht. Die unverdorbene Natur, die Landschaft und mit ihr der ungebrochene Mensch, sie sind — wie ihr Dichter — kaum noch Gegenstand literarischer Bemühung. Und doch ist diese volksnahe, in vielem fast naive, ehrfürchtig-gläubige Dichtung nur in den Hintergrund getreten; sie lebt in der Sehnsucht vieler Menschen unserer technisierten und oft so kaltherzigen Welt, sie verdient es, daß man sie kennt und liebt. Heinrich Ruland zählt zu den echten Heimatdichtern im rheinischen Raum. Er feierte die Heimat in Poesie und Prosa. Die Welt, in der seine Verse und Geschichten leben, ist verhältnismäßig klein, aber sie ist randvoll gefüllt mit all den Kräften, die gesund der heimischen Erde erwachsen.

Foto: J. u. H. Steinborn
Heinrich Ruland

Seine Dichtungen umfassen kindlich-liebevoll und erd- und gotthingegeben den Umkreis in dieser Landschaft. „Der große Rhythmus der Natur spannt alles Leben ein“,

und

Ich kenne die Wege der Eifel, alle sind mir vertraut, ich kenne die Menschen der Eifel, alle sind mir verwandt.

Diese Verbundenheit ist bei aller Schlichtheit in die Tiefe gehend. Immer bildet die Eifellandschaft unter einem weiten Himmel die Kulisse seiner Erzählungen: „Die fernen Bergzüge verblaßten, irgendwo auf einer Straße hinter Feldern und Wäldern blitzte das Licht eines Autos auf. Der Himmel war von schiefrigem Glanz, und die Wolken, die fast unmerklich vorwärtsrückten, färbten sich mit einem zarten Blau, das bald wieder wie von unsichtbarer Hand weggewischt wurde, um einem Hauch von Rosa und lichtem Rot Platz zu machen.“ Auf dem Hintergrund dieses Himmels ragt ein Bergkegel empor, „wo wie ein gespenstisches Schloß ein paar Fensterbogen, die sich an einen dunklen Turm lehnten, auf einem schwarzen Hügel standen . . . ein Totenmonument auf einem Riesengrabe“ (aus Rulands Erzählung „Das Kartoffelfeuer“). Diese Burgruine — es ist die Olbrück im Zissener Ländchen — veranlaßte den Dichter, eine Eifelsage einzuflechten. Den „Herbst in der Eifel“ erlebt Ruland als „große Wandlung“: „Wie über Nacht ist der Herbst eingezogen. Still und unbemerkt, obschon das Violett und Karmesin der Heide braun und fahl wurde und die Ebereschen an den Straßenrändern schon seit Tagen ihre roten Beeren in den Graben rollen ließen, als ob müde Kinder mit Korallenketten spielten und ihre Perlen verstreuten. Die Nebel aus den Tälern stiegen höher und höher, erfüllten die leichte, dünne Luft mit ihrem silbernen Glänze und legten sich wie ein zarter Hauch an das gläserne Blau der hochgewölbten Himmelsglocke“. Als Vorbote des Winters jagt der Sturm durch das Land, „zaust die mageren Bäume am Straßenrand, springt gellend hinauf den kahlen Hang, wo schüchtern und bang wie verirrte Kinder Wacholder und Ginster aneinanderrücken“. Und weiter heißt es:

Sturm jagt durch das Eifelland,
treibt mit Fauchen und Zischen
aus hohen Kronen und niedern Büschen
die bunten Blätter in wirbelndem Gewimmel
hoch auf in den grauen, wolkenzerfetzten Himmel,
läßt sie tarnen und sich drehn
und sie all
in jähem Fall
in den Gräben und Schluchten verwehn.
Über die braunen Kuppen und Hügel
streicht mit weitgespanntem Flügel
eine Rabenschar,
johlt und schreit:
„Eifelland, ’s kommt harte Zeit —
harte Zeit!“

Den „Winter erlebt der Dichter im Eifelwald an den Hängen des Ahrtals. Es ist „ein kalter und doch mit Glanz angefüllter Wintersonnentag“, und er geht „wie ein schöner, leuchtender Cherub“ durch die Stille seiner Erinnerungen. Eben noch war ihm in einem kleinen Winzerdorf im lustigen Spiel der Kinder das Leben begegnet: „Rotbackige, vermummte Kinder tollten auf kleinen Schlitten die Dorfstraße hinunter, wälzten sich lachend im Schnee, schüttelten sich prustend, hauchten in die dicken, blaugefrorenen Fäuste.“ Dann aber verklang das Kinderlachen. „Ein paar Schritte noch das enge Felsental hinaus, und die ganze Winterwunderwelt mit all ihrem Zauber, all ihrem Glanz und ihrer funkelnden Pracht lag vor mir. Hohe Tannen schlössen sie ein, hoben sich höher und höher, bildeten zackige Kämme, auf allen Ästen breite Streifen des flockigsten Schnees tragend. Ein leises Stäuben und ewiges Rieseln sickerte in die Stille, sonst kein Laut, kein Ton. Goldene Sonnenstrahlen tasteten an den Stämmen hin, legten sich prunkvoll wie ein Königsteppich über den marmorweißen Boden, schienen den steilen Hang hinauf und ließen den buschigen Ast einer Wintereiche aufleuchten, als ob er brenne.“

So oft der Dichter die winterlich-weiße Eifellandschaft besingt, so oft weckt sie auch in seiner Seele das Weihnachtserlebnis. Erzählungen wie „Ein heiliger Abend“ und der Gedichtzyklus „Eifel Weihnacht“ gehören zu den stärksten Schöpfungen seiner Gestaltungskraft, aber auch zu seinen empfundensten. Wie ist die Erscheinung des Engels, der die Weihnachtsbotschaft zu den Menschen trägt, hineingestellt in die rauhe Eifelwelt:

Von Dorf zu Dorf, hurtig und weit,
läuft der Engel, der Künder der Gnade.
Zwängt sich durch Türen, niedrig und schmal,
drängt sich in dumpfe Stuben hinein,
tritt wie irgendein Nachbarkind
in grobem Mantel, durchfroren und fahl,
zu Bauer und Bäuerin in den Schein …

Und da wird es auch gegenwärtig, das arme, das fromme Volk der Eifel:

Nicht nehme ich Sorgen und Beschwerden,
euer Teil bleibt Armut und Leid —
ich bringe Frieden, den Frieden auf Erden,
euch, die ihr guten Willens seid!
Weiter sollt ihr bauen und pflügen
mit tropfender Stirne und schwieliger Hand,
in herbem Entsagen, kargem Begnügen
reiß ihr zur Heimat und werdet dies Land!
Wachset empor! Seht groß in der Runde
euere Berge, einsam und kühn —
in des Jahres heiligster Stunde
segne die Gnade Arbeit und Müh’n!

Für das Idyllische bleibt bei Ruland wenig Raum. Und wenn es auftritt, geschieht es in verhaltener Form. Die Eifel mit ihren oft so harten Konturen, die Menschen, die vor kurzem vielfach noch in Einsamkeit gelebt haben, lassen idyllische Vorstellungen kaum aufkommen. Auch eine humorvolle Darstellung des menschlichen Lebens liegt dem Dichter durchweg fern. Er ist ernst wie die Eifel, selten nur blitzt Humor auf. Was ihn mit Jakob Kneip, dem Hunsrückdichter, verbindet, ist nicht nur die Herzensnähe zum Leben des Bauern und dessen Land, sondern auch seine tiefe Religiosität. „Das Reich seiner Seele blüht in herber Gegenständlichkeit oft in die Sphäre des Imaginären und ist dann oft von Mythos und Mystik in wundersamen Bildern umstellt.“ Das, was der frühverstorbene Arthur Friedrich Binz einmal von Jakob Kneip gesagt hat, trifft mit der gleichen Aussagekraft auch auf Ruland zu. Seine Religiosität ist unbefangen, ist einfältig, aber immer farbig ausgemalt und so von der Anschauung getragen, die den Leser anspricht. In den Städten, in denen er im nüchternen kühlen Dienst seiner Pflicht steht, in Frankfurt etwa, in Andernach, Koblenz und Bonn, vermag er nicht immer die Nähe des Ewigen zu verspüren; doch wenn er die Unrast der Stadt verläßt, dann ist Gott ihm nahe:

Ich bin ein Korn, das deiner Hand entfiel,
das allzutief im Erdreich Wurzeln hat geschlagen—
als Blume wirst du mich dereinst in Händen tragen.
Ich weiß:
ich bin aus dir und werde in dich münden!

Die alten Bildstöcke und Kreuze an den Wegen, ihnen gehört die besondere Liebe des Dichters und Wanderers Ruland. Der christlichen Gesinnung und dem religiösen Brauchtum setzt er in Erzählungen „Das Kreuz an der Wiese“, „Die Glocke unterm Dach“ und anderen Geschichten ein Denkmal. In der vom Weihnachtsgeheimnis umwitterten Erzählung „Der andere Hirt“ aber gelingt dem Dichter eine echte Legende. Von innerem religiösem Leben künden auch zahlreiche Gedichte, „Die zerfallene Kirche, „Kreuzrast“ etwa oder „Am Totenmaar“. Den Ahr-weiler Buben und Mädeln widmet er die Verse vom „Sankt Martins-Abend“:

Die Fackeln werfen roten Schein.
Wer kommt durch Tor und Bogen,
wer kommt auf hohem Roß herein
in unsere Stadt gezogen?
Ihr Mädchen brav, ihr Buben gut,
macht euch bereit, ihr Kinder
der Oberhut, der Niederhut,
ihr anderen auch nicht minder!
Recht artig mit dem Heil’gen zieht,
schwätzt nicht, macht kein Gegackel!
Nun singt zum Gruß ein frommes Lied
und leuchtet mit der Fackel!

Das Gedicht „Die ausgewanderte Muttergottes“ läßt die harten Zeiten, die Kriegsnot und Mißernte nur zu oft über das arme Eifelland brachten, bildhaft werden. Die Himmelskönigin, sie vermag das Elend um sie her nicht mehr länger zu ertragen. Es

rafft Maria mit zitternder Hand
ihr weites, buntes Gewand
und schreitet über die ausgetretene Schwelle
aus dem armen Gotteshaus
in die tauklare Morgenhelle —
und wandert aus!

Aber dann ergreifen Mitleid und Erbarmen das Herz der heiligen Frau und lassen sie den Weg zurückgehen zu den Ärmsten der Armen:

Die Bauern kommen an allen Tagen,
beten und jammern, flehen und klagen.
Maria thront über dem niedern Altare,
und ihr Gesicht, das gütige, klare,
lächelt Verheißen und himmlische Gnaden.
Sie trägt einen Kranz von Ähren und Raden;
und Eifelnot und Eifelweh
bekümmern ihr Mutterherz wie eh.

Unsere so sachlich sich gebende Zeit, aus der die Stille floh, neigt dazu, über Persönlichkeiten wie Heinrich Ruland hinwegzugehen und sie geringschätzig abzutun. Doch die da die Achsel zucken, wenn sie von dem Eifelwanderer hören, ahnen gar nicht, wie arm sie geworden sind: Sie wissen nicht mehr, wie reich die Begegnung mit der ungebrochenen Natur den Menschen macht.

Jene aber, die trotz der Aufgaben der Gegenwart mit den starken Kräften, die Naturnähe und Stille zu schenken vermögen, verbunden geblieben sind, sie verstehen das Wesen Heinrich Rulands, seine Liebe zur gesunden Erde, und darum ist ihnen auch die Sprache dieses Mannes vertraut. „In weiten Bezirken ist kein Land dir so treu, wie es die Eifel ist“, sagt er in einem seiner letzten Gedichte. Alle, die die Eifellandschaft lieben, bleiben diesem stillen Dichter und Menschen in einem echten Gefühl der Liebe und Dankbarkeit zugetan.