„Mauern abbrechen – Brücken bauen“ – Regelschule Ringleben (Kyffhäuserkreis) – Realschule Ahrweiler: Porträt einer lebendigen Schulpartnerschaft

„Mauern abbrechen – Brücken bauen“

Regelschule Ringleben (Kyffhäuserkreis) – Realschule Ahrweiler: Porträt einer lebendigen Schulpartnerschaft

Friedhelm Schnitker

So fing es an

Im Rahmen der nach der „Wende“ getroffenen Ländervereinbarungen zwischen den alten und neuen Bundesländern über Formen der Zusammenarbeit wurde Rheinland-Pfalz zum Partnerland von Thüringen. In dieser frühen Phase, in deren Verlauf eine koordinierte Unterstützung der Kommunen und Schulen in den neuen Bundesländern noch kaum möglich war, ging der Kreis Ahrweiler eine Partnerschaft mit dem thüringischen Kreis Artern ein.

Und eines Tages flatterte ein „Zettelchen“ der Schulabteilung des Kreises auf den Schreibtisch der Schulleitung unserer Schule, in dem eine Oberschule aus Ringleben im Kreis Artern Kontakt zu einer Realschule suchte.

Anfang Januar 1991 ging dann ein erstes Schreiben aus Ahrweiler auf den Weg zu einem postalischen Bestimmungsort nach 0 – 4371 Ringleben zu Händen der damaligen Schulleiterin Lydia Pilch. Neben einem Kurzporträt der eigenen Schule stand der Wunsch nach einem Gedanken- und Erfahrungsaustausch im Mittelpunkt der kollegialen Zeilen.

Nur kurze Zeit später traf Antwort aus dem Thüringer Land ein. In herzlichen Worten erwiderten Kollegium und Schulleitung die Grüße aus dem Ahrtal. Gleichzeitig äußerte man großes Interesse an einem Informations- und Erfahrungsaustausch, zumal in jenen Tagen eine allgemeine Verunsicherung vorherrschte, „wie es an unserer Bildungseinrichtung unter den veränderten gesellschaftlichen und den konkreten schulischen Bedingungen weitergehen kann und soll“.

Nach diesen Ausführungen zur drängenden Problematik der Bildungs- und Schulpolitik folgt ein Kurzporträt von Schulort und Schule:

„Die Gemeinde Ringleben liegt im südwestlichen Ausläufer des kleinen Kyffhäusergebir-ges. Unser Gebiet ist wenig industrialisiert und aufgrund der natürlichen Gegebenheiten landwirtschaftlich bedeutsam … Unsere Schule ist eine zweizügige 10klassige Oberschule mit 340 Schülern … 24 Lehrer der Unter- und Oberstufe sowie 7 Horterzieher arbeiten in unserer Einrichtung.“ Nun wußten wir also, wer und von wo im fernen Thüringer Land uns Post hatte zukommen lassen.

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Gemeinsames Projekt von Schülern aus Ringleben und Ahrweiler. „Lebensformen im Mittelalter“ – Herstellung von Tongefäßen (17.5.1994)

Erste Besuche

Im Verlauf der engen Kooperation auf der Ebene der Kreisverwaltungen erging für den 16. April 1991 seitens der Schulabteilung eine Einladung zur einer Aussprache, in deren Verlauf ein Mitarbeiter der Kreisverwaltung Artern das am 25. März 1991 vom Thüringer Landtag beschlossene vorläufige Bildungsgesetz vorstellte und erläuterte. AlsAhrweiler Realschule mußten wir uns für unsere Ringlebener Partner an eine neue Schulartbezeichnung gewöhnen: aus Oberschule war durch bildungspolitische Umstrukturierung des thüringischen Schulsystems Regelschule geworden.

Auf eben dieser Zusammenkunft beschlossen interessierte Schulleiterinnen und-leiter gemeinsam mit der Leitung der Schulabteilung, sich vor Ort im Kreis Artern zunächst sachkundig zu machen und den Erfahrungsaustausch mit den Schulleiterinnen und -leitern zu suchen.

Voller Ungeduld aber wollten Ringleben und Ahrweiler diese für den November 1991 geplante Fahrt in den Partnerkeis Artern nicht abwarten.

Schon im Mai 1991 weilten 4 Schüler/innen und 4 Lehrpersonen, unter ihnen die Schulleiterin Lydia Pilch, zu einem ersten Besuch an der Realschule Ahrweiler. Es waren Tage des gegenseitigen Kennenlernens und des Erfahrungsaustausches. Die Atmosphäre der Gespräche war überaus kollegial, wie unter alten Bekannten. Fragen zur inhaltlichen und organisatorischen Neugestaltung des thüringischen Schulsystems wurden erörtert, es bahnten sich schnell Kontakte zwischen den Lehrpersonen in fachlichen und pädagogischen Bereichen an, Unterrichtsbesuche folgten; Aspekte rheinland-pfälzischer Schulorganisation und-trägerschart waren ebenfalls Thema eines Besuches im Schuldezernat der Kreisverwaltung. Die Schüler/innen fanden, wie unter jungen Menschen eigentlich selbstverständlich, schnell die „gemeinsame Wellenlänge“. Es waren Tage guter Gespräche und des Kennenlernens.

Vom 7.11. bis 10.11.1991 erfolgte dann die erwähnte Fahrt von Schulleitungsmit.gliedern in den Partnerkreis Artern. Hier wurde Gelegenheit gesucht und gefunden, das Kollegium der Regelschule in Ringleben weiter kennenzulernen, Unterricht zu besuchen und Schulgebäude und Ort zu besichtigen. Zwei bleibende Eindrücke: liebenswerte, hilfsbereite Kolleginnen und Kollegen voller Gastfreundlichkeit und Erfindungsreichtum und Pfiffigkeit bei der Erstellung von Lehr-, Lern- und Anschauungsmaterialien.

Die Schulpartnerschaft gedeiht

Im April 1992 besuchten 4 Lehrpersonen aus Ringleben, darunter die neue Schulleiterin Isolde Franke, nun schon gute Bekannte, Ahrweiler. Auch bei diesen Gesprächen stehen Fragen der neuen thüringischen Schulgesetzgebung im Mittelpunkt. Gleichzeitig aber dienen die Gespräche der Vorbereitung des ersten Besuches von Schülern und Lehrern der Ahrweiler Schule in Ringleben.

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Schüler aus Ringleben präsentieren in ihrer Schule die Ergebnisse der Ahrweiler Projektwoche (7.5. bis 12.5.1995)

Vom 10.6. bis 13.6.1992 treten 27 Schüler/ innen sowie 4 Lehrpersonen, darunter der stellvertretende Schulleiter Hans-Jürgen Reiris, die Fahrt ins ferne Thüringen an. Es wurden Tage erfüllt von Begegnungen und Besichtigungen im schulischen Alltag des Unterrichts, im kollegialen Miteinander fachlichen Gedankenaus-tauschs und berühmter Sehenswürdigkeiten. Ein weiterer Schritt auf dem Weg von einer Schulpartnerschaft zu einer echten Freundschaft unter Menschen, jungen und älteren, war getan, im äußeren zwar geplant, von innen aber spontan mit viel Leben erfüllt.

Im März 1993 erfolgte in Ringleben die Übergabe der in Ahrweiler abgelösten älteren Computer der Schule mit Zustimmung des Schulträgers an die Ringlebener Schule. Bei diesem „Material-Transfer“ engagierte sich der Förderverein der Ahrweiler Schule mit dem ehrenamtlichen Vorsitzenden Lothar Hujet in hervorragender Weise. Zusammen mit ihm machte sich der stellvertretende Schulleiter in privater Mission auf den Weg nach Ringleben, die noch voll funktionstüchtigen Geräte in Pkw’s wohl verstaut. Hans-Jürgen Reihs vermittelte seinen Ringlebener Kolleginnen und Kollegen in einem „Crash-Kurs“ ein fundiertes Computer-Grundwissen. 

Im April 1993 besuchen 30 Schüler/innen und drei Lehrpersonen sowie zwei Vertreter des Schulelternbeirates aus Ringleben die Ahrweiler Schule; angereist aus Thüringen, um die zunächst noch zarte Pflanze der Partnerschaft – symbolisiert durch eine als Geschenk mitgebrachte Grünpflanze – miteinander zu pflegen. Die Gäste erwartete ein reichhaltiges Programm:

Kennenlernen des mittelalterlichen Ahrwe[ler, Ausflüge nach Bonn, eine Fahrt in die Eifel und zum Nürburging mit einer schnellen Busrunde über die Piste, vor allem aber menschliches Miteinander mannigfaltigster Prägung. Es gab sportliche Wettkämpfe, kollegiale Fachgespräche, Gespräche der Elternvertreter mit ihren Ahrweiler Partnern. Als Elternvertreter der Ahrweiler Schule übergab Schulelternsprecher Eberhard Breuer seinen Ringlebener Partnern den Gewinn des Sommerfestes zur Anschaffung einer Videokamera. Die Ahrweiler Schule ließ ein bleigefaßtes Glasbild mit Bildmotiven des Kreises sowie zu dessen erinnerungsvoller Betrachtung im thüringischen Ringleben flüssige Stimmungsmacher überreichen. Konrektor Norbert Eckert aus Ringleben drückte seine Freude darüber aus; Freunde gefunden zu haben, „die uns in der noch bestehenden Unsicherheit unterstützen und uns Hoffnung geben“.

Erste gemeinsame Projektwoche

Vom 15.5. bis 19.5.1994 weilten 17 Schüler/ innen und 3 Kollegen aus Ahrweiler bei den Freunden in Ringleben, um, nach umfangreichen Vorarbeiten „hüben wie drüben“, zum ersten Mal eine gemeinsame Projektwoche durchzuführen. Unter dem Motto „Sprachen vereinen – miteinander – voneinander lernen“ engagierten sich Schüler/innen und Kollegen in Projekten wie „Lebensformen im Mittelalter am Beispiel der Königspfalz Tilleda“, „die Erforschung der Barbarossahöhle in Rottleben“, „versteinertes Holz wird erforscht“, „gemeinsames Zeichnen auf dem Schlachtberg Bad Frankenhausen nach einem Panoramabesuch“ und zum Abschluß ein gemeinsames Sprachenfest„Ringlebener Franzosen treffen Ahrweiler Engländer“.

„Offiziell besiegelt…“

Im Mittelpunkt dieser Begegnungstage aber stand der formale Akt der Unterzeichnung der offiziellen Partnerschaftsurkunde beider Schulen, womit auf dem Papier besiegelt wurde, was „längst beispielgebend lebt und blüht“. So formulierte es der Ahrweiler Personalratsvorsitzende Wilfried Kälicke richtungsweisend.

In einer Feierstunde in Anwesenheit von Land-rätin Regina Porschel und Schulamtsleiter Jürgen Reichardt unterzeichneten die Schulleitungen, Personalräte, Elternbeiräte und Schülervertretungen, nach allseitigerZustimmung durch die Gremien beider Schulen, das Dokument.

Die neue Schulpartnerschaft,,. . . will den Rahmen schaffen für menschliche Begegnungen sowie den Erfahrungsaustausch in Fragen der Schulpraxis und der schulischen Erziehung.“

Die beiden Landräte der Partnerkreise Artern und Ahrweiler, Regina Porschel und Joachim Weiler, unterzeichneten die Partnerschaftsurkunde in der Realschule Ahrweiler.

Im September 1994 gründet sich unter der Leitung des Ringleben-Förderers und Betreuers Wilfried Kälicke die erste Arbeitsgemeinschaft „Partnerschaft Ringleben“ an der Ahrweiler Schule.

Partnerschaft in Freundschaft

Ab 12.5.1995 kamen 29 Schüler/innen und 4 Lehr- und Begleitpersonen unserer Partnerschule, darunterdie Schulleiterin Isolde Franke, nach Ahrweiler zur Durchführung einer weiteren gemeinsamen Projektwoche.

Die Ringlebener Gäste hatten sich umfassend in die vorher vereinbarten Projektthemen in ihrem Bereich eingearbeitet, so daß sich eine äußerst ergebnispositive Zusammenarbeit ergab. Dies war die Folge eines intensiven Vorbereitungstreffens von Ringlebener und Ahrweiler Kolleginnen und Kollegen in Fulda. Im Rahmen des Ost-West-Schulprojektes „Gemeinsam handeln – voneinander lernen – zusammenwachsen“ hatte man diesmal die gemeinsame Arbeit auf der anspruchsvolleren Ebene historischer und geographischer Bearbeitung der Projekte angesiedelt:

  • „Weinbau und Genossenschaftswesen an der Ahr“;
  • „Klöster in Göllingen und Maria Laach“;
  • „Auf den Spuren der Römer in Ahrweiler (Römervilla)“;
  • „Vulkanismus in der Region“. Wobei in den Projekten „Linoldrucktechnik“ und „Dokumentation“ vielfältige künstlerische Eindrücke festgehalten und die reichen Arbeitsergebnisse dokumentiert werden sollten.

Im Rahmen eines abschließenden Beisammenseins gingen aus den Projekten mit auf die Reise nach Ringleben: vulkanische Gesteinsbrocken, sechs Weinreben. Die heimische Region grüßt Ringleben.

Nicht möglich gewesen wären diese umfangreichen schulischen, wertvollen Aktivitäten ohne die finanzielle Unterstützung durch die Robert-Bosch-Stiftung, die in jährlichen Förderwettbewerben unter dem Titel „gemeinsam handeln -voneinander lernen – zusammenwachsen“ die Begegnung und die Zusammenarbeit in gemeinsamen Projekten ost- und westdeutscher Schulen fördert.

Von der Jugendstiftung der Kreissparkasse Ahrweiler wurden ebenfalls gemeinsame Partnerschaftsprojekte unserer Schulen unterstützt. Hinzu kamen Anerkennung und ermutigender Zuspruch zur Fortsetzung unserer gemeinsamen Projektarbeit aus den jeweiligen Ministerien.

Staatssekretär Hermann Ströbel aus dem Thüringer Kultusministerium dankte der Schule in Ringleben für ihren Beitrag zur Verwirklichung der deutschen Einheit und ermutigte sie, sich weiterhin für das Zusammenwachsen Deutschlands einzusetzen.

Die Ministerin für Bildung und Kultur Rheinland-Pfalz, Dr. Rose Götte, dankte der Ahrweiler Schule für ihre Zusammenarbeit mit der ostdeutschen Schule, für ihre Bereitschaft „voneinander zu lernen, Erfahrungen auszutauschen und das Verbindende wieder aufzudecken, um damit einen wichtigen Beitrag für den Prozeß des Wiederzusammenfindens unseres Volkes zu leisten“.

Ermutigt durch solche Worte sind die Planungsgruppen der Schulen bereits dabei, im Rahmen des Förderwettbewerbs der Robert-Bosch-Stiftung ein neues Projekt gedanklich zu fixieren, in dessen Rahmen auf sehr anspruchsvoller Ebene die Fachbereiche Kunst (Musik, Theater) und Spiel/Sport Beiträge leisten sollten für ein mögliches Rahmenthema „Schulfrust nein -Schullust ja – Kreativität gefragt“.

Der Wert der Partnerschaft der beiden Schulen besteht darin, daß jeder einbringt, was er zu leisten vermag. So gibt es nur zwei gleichberechtigte und -wertige Partner. Diese Partnerschaft lebt auf allen Ebenen des Schulischen, zwischen Kolleginnen und Kollegen, Eltern, Förderern und, vor allem, jungen Menschen.

Es gab von Beginn an keine besserwissenden „Wessis“ und keine kontaktscheuen „Ossis“; es gab Kolleginnen und Kollegen, einfach Menschen, die Erfahrung austauschen wollten und wollen und die sich schätzen lernten. Vor allem aber geht es um die jungen Menschen. Es gibt sie nicht mehr von „hüben und drüben“, sondern eher aus „alt und neu“ oder, noch angemessener, aus Ringleben und Ahrweiler.

Gemeinsame verpflichtende Aufgabe für uns alle, in unseren Schulen und außerhalb, bleibt:

  • trennende Mauern endlich abzubrechen
  • und verbindende Brücken wiederherzustellen, oder, wie es junge Menschen zitieren:

„ Wenn viele kleine Menschen an vielen Orten viele kleine Dinge tun, verändert sich die Erde.“

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