Matronenkult im Rheinland
„Göttinnen thronen
hehr in Einsamkeit,
Um sie kein Ort,
noch weniger eine Zeit,-
Von ihnen sprechen,
ist Verlegenheit:
Die Mütter sind es! . .“
(Goethe: Faust II/1)
Weihestein für die aufanisdlen Matronen, gestiftet von Quintus Vettius Severus Quästor (Leiter des Finanzwesens) der Colonia Agrippinensis im Jahre 164
Die römischen Eroberer fanden in unserer Heimat den uralten kelto=germanischen Kult der Dreimütter vor. Tolerant, wie sie waren, ließen sie ihn bestehen und machten ihn sich zu eigen. Ganz fremd war er ihnen nicht. Die immer in der Dreizahl erscheinenden Suleviae, von den Römern als Matronae bezeichnet, entsprachen in etwa den römischen Parzen. Bei den Griechen hießen diese düsteren Schicksalsgöttinnen Moiren oder Charitinnen. Da war Klotho, die Spinnerin, Ladiesis, die Zuteilerin und Atropos, die Unabwendbare, die den Lebensfaden durchschneidet. Bei den Germanen des Nordens erscheinen die drei als die finsteren Norneri: Urd, Wäranda und Skuld (Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft). Bei anderen Germanenstämmen waren es die freundlicheren Bauerngöttinnen Arnbet, Borbet und Wilbet als die Personifizierungen von Erde, Sonne und Mond, Die keltischen Matronen waren vollends gütige Fruchtbarkeitsgöttinnen.
IM WORMSER DOM die drei heiligen Jungfrauen
St. Embede
St. Warbede (Borber)
St. Willebede
Photo-Kulturinsritute Worms
Römische Künstler stellten sie auf Votivsteinen und Terrakotten, die in großer Zahl in unserem rheinischen Land zutage traten, so dar: auf hohen Sesseln, welche in eine tenipelartige Nische eingefügt sind, sitzen sie ne= beneinander, in faltenreiche, keltische Gewänder gekleidet. Den Kopf der beiden außen thronenden Mütter ziert eine große, kreisförmige Hause, fast einem Heiligenschein gleichend; die mittlere Göttin ist jugendlich und meist ohne Kopfputz dargestellt. Auf dem Schoß halten sie flache Körbchen, die mit Gaben gefüllt sind. Man erkennt Früchte, Brote, Blumen, Vögel, Schweine oder Schweinsköpfe, auch Kinder u. a. m. Die Namen der Matronen, die uns aus den Weiheinschriften der Fundstücke bekannt wurden — weit über fünf= zig verschiedene Namen —, sind stets Sammelnamen meist keltischen, manchmal auch germanischen, nie jedoch römischen Ursprungs. Sie bezeichnen eine Sippe, eine örtlichkeit, oder sie enthalten ein Lob. Unser Bild zeigt z, B. die „Aufanischen Matro= nen (Fundort Köln). Prof. Wrede deutet den Namen also: die „öffnenden“, d. i. die den Frühling Bringenden. Der größte bisher bekanntgewordene Tempelbezirk bei Fesch (Eifel) war den „Matronae Vacallinehae“ geweiht. Den Ortshamen Wachen= dorf bringt man mit den M.V. in Verbindung. Im Volksmund heißt die örtlichkeit der „Heidenpütz“.
Besonders reizvoll ist es zu sehen, wie sich das in spätrömischer und frühfränkischer Zeit in unserer Heimat sich ausbreitende Chrisentum zum Matronenkult verhielt. Ein so tief im Gemüt der Eifeler verwurzelter Kult ließ sich nicht leicht austilgen. Die christlichen Sendböten mußten danach trachten, für ihn eine christliche Sinnge-bung zu finden. Vielfach knüpften sie an die heilige Dreizahl an. So weihten sie viele Matronenheiligtümer der Heiligen Dreifaltigkeit.
Zahlreich sind daher hierzulande die Dreifaltigkeitskap eilen und =bildstöcke. Erwähnt sei die leider zur Ruine gewordene Trinitatiskapelle zu Fornich am Fuße des Fornicher Kopfs, auf dessen Gipfel, dort, wo die Hohe Buche ihre Äste zum Himmel reckt, ein Matronenheiligtum vermutet wird. Fornich gegenüber, dicht bei der Ruine der Burg Hammerstein auf altem Götterberg, steht unter einer mächtigen Linde ein uralter Bildstock der Trinität, ein sogenannter „Gnadenstuhl“, wohin noch alljährlich am Dreifaltigkeitssonntag die Talbewohner pilgern. Am Fuße des kahlen, wie für einen Opferberg geschaffenen Herchenbergs nördlich des Brohltals findet der Wanderer eine Kapelle, die ein Relief der Hl. Dreifaltigkeit von hohem Alter birgt, darauf die Inschrift: IN TRES UNUM (d. i. In Dreien Einer)! Des weiblichen Charakters wegen war auch die Umwandlung von Matronenkultstätten in Marienkapellen naheliegend. Um aber auch hier die heilige Dreizahl zur Geltung kommen zu lassen, erscheint da oft die beliebte Gruppe „Maria selbstdritt“, d. h. die Gottesmutter, die Mutter Anna und das Jesuskind, das zwischen den Frauen Platz nimmt. Hier gerade ist die Ähnlichkeit mit den Matronen, deren mittlere bekanntlich jugendlich gedacht war, besonders auffallend. Beispiele: die Plastik am Rathaus zu Andernach, die Gruppe auf einem Seitenaltar der Kirche zu Kell.
Auch die Drei Marien erscheinen im Eifelgebiet als christliche Nachfolgerinnen der Matronen. Es sind die frommen Frauen, von denen das alte Osterlied singt: „Am Sonntag, eh‘ die Sonn, aufging, eh‘ noch der helle lag anfing, besuchten der Marien drei das Grab des Herrn mit Spezerei.“ Hier laufen Fäden aus dem Rheinland bis an die Mündung der Rhone, wo in dem alten Zigeunerwallfahrtsort Saintes=Maries=de=la=Mer diese drei Marien: M. Jacobäa, M. Salome, M. Magdalena hochverehrt werden. Die Legende erzählt, sie seien hier an der Küste der Camargue zusamt ihrer schwarzen Dienerin Sarah einst ohne Steuermann gelandet.
Bei der stark verbreiteten Verehrung der Vierzehn Nothelfer ist zu beachten, daß sich unter ihnen nur drei weibliche Heilige befinden: St. Barbara, St. Katharina und St. Margarete. Auch sie können nach Ansicht mancher Forscher als Nachfolgerinnen der Matronen gelten. In der Pfarrkirche zu Oberbreisig zeigt ein altes Wandbild sie ohne ihre männlichen Kollegen: Margarete mit dem Wurm, Barbara mit dem Turm und Katharina mit dem Rad. Auch andere weibliche Heilige finden wir in der Dreizahl verehrt. Da thronen z. B. in der Kapelle zu Auw bei Bleialf: St. Adele, St. Clothilde und St. Irmine. Anderswo heißen sie Fides, Spes und Caritas, sind also Personifizierungen der durch St. Paulus formulierten Drei Göttlichen Tugenden: Glaube, Hoffnung und Liebe. Unter diesen Namen finden wir sie.in Kirmutscheid, in Bischof stein a. d. Mosel, in Heimbach a. d. Rur, in Kalterherberg im Venn, in Ufflingen (Luxemburg) und im Swister Türmchen bei Weilerswist verehrt. Gerade bei ihnen ist eindeutig, daß sie die Matronenkult=Tradition fortsetzen. Nicht nur, daß Grabungen beim Swister Türmchen Fundamente eines Tempels aus kelto=römischer Zeit bestätigt haben. Noch bis in die Gegenwart wallen zu dieser Stätte Frauen, die Kindersegen erflehen, und Mädchen, die einen guten Ehemann erbitten, heute wie vor 2000 Jahren! Ähnliches ist von der Kapelle unter der Burg Bischofstein bezeugt.
Im Dom zu Worms stand ich vor dem Scheingrab der hl. Jungfrauen (s. Bild!) Embede, Warbede und Willebede, zweifellos Verchristlichungen der schon genannten Bauerngöttinnen Ambet, Borbet und Wilbet. Die Sonnengöttin Borbet gab, nebenbei erwähnt, der Stadt Worms den Namen, der zur Römerzeit Borbetomagus lautete. In Schlehdorf bei Weilheim an der Bergstraße verehrt man St. Ainpet, St. Firpet und St. Gerpet, unverkennbare Umwandlungen der erwähnten Muttergottheiten. Die heutige Marienkapelle auf der Landskron hieß noch 1470 „der fünff Jungfern Capell“ und wird schon im Jahre 1212 erwähnt.
Der kurze Aufriß hat uns gezeigt, daß die alten Eifler der Kelten=, Römer- und Germanenzeit tieffromme Menschen waren, die in ihren Sorgen, die damals wie heute dem Gedeihen von Acker, Wiese, Wald und Vieh, Haus, und Hof, Familie und Sippe galten, zu ihren als helfend und segenspendend gedachten Matronen pilgerten, um von ihnen Schutz und Hilfe zu erflehen. Das Christentum, so wurde dargelegt, überwand den Kult dadurch, daß es ihnen im Lichte seiner Lehre in weiser Psychologie eine höhere Weihe gab. So kam der uralte Kult in christlichem Kleide auf unsere Zeit.
Die Matronen aber erhielten sich im Reich der Sage, des Märchens und des Kinderreims. Zahlreich sind die Sagen von „drei saugen Fräulein“, „drei weißen Frauen“, „drei Wiesenfräulein“, „drei Madammen“, die dem nächtlichen Wanderer freundlich erscheinen. Ebenso geläufig ist die weibliche Dreizahl dem Märchen. Es sei nur an das Grimmsche Märchen „Die drei Spinnerinnen“ erinnert. Volks= und Kinderlieder in großer Zahl singen von drei Jungfräulein u. ä. In der Liedersammlung „Des Knaben Wunderhorn“ von Arnim und Brentano sind deren sechs enthalten. Auch im Eifel-, Hunsrück= und Saarland werden noch heutzutage Kinderreime gesungen, die von drei Damen, Nonnen oder Jungfern erzählen. So fand N. Fox in Petersbach/Mosel:
„Sun kam eriwa. Sehest (Schatten) bleif
dadiwa.
Dadiwa eß e Codeshaus, da kirnt de liewe
Sun eraus.
Do seze dr e i N un e :
die aan wegelt Weid, die aan schbint Seid,
die ana hor’n Kindche greecht;
Bee (wie) soll eß heiße?“