Löwenzahn und Rittersporn

Plauderei über bildhafte Blumennamen

VON LEO STAUSBERG

Unsere Ahnen liebten die Blumen. Ihnen waren diese Gotteswunder vertrauter als uns heutigen Menschen. Das beweisen die treffenden und bildhaften Namen, die sie denselben gaben. Unsere Vorfahren erwiesen sich dabei nicht nur als feine Naturbeobachter, sondern auch als gemütvolle Dichter.

Zahlreichen Blumennamen liegt der Vergleich mit der heimischen Tierwelt zugrunde. Das scharfgezackte Blatt des Löwenzahns erinnert an den zahnbewehrten Rachen des Königs der Tiere, an den auch das Löwenmaul denken läßt. Der Fruchtstand der Bärenschote sieht wie die Tatze von Meister Petz aus, der unsern Urvätern als jagdbares Tier noch wohlbekannt gewesen ist. Auch Bärenfuß, Bärenlauch und Bärenklau sind hier zu nennen. Der Wolf, einst der Schrecken des deutschen Waldes, heute nur mehr eine Märchenfigur, war bei manchen Blumen namengebend: Wolfsmilch, Wolfstrapp und Wolfsauge. Nach dem wehrhaften Wildschwein nennen sich die stachelige Eberwurz und die Eberraute. Noch viele andere Säugetiere und deren Eigenheiten sah man in Blumen; Hasenohr und Fuchsschwanz, Katzenpfötchen und Mäusegerste, Hirschzunge und Geißblatt, Bocksbart und Schafgarbe, Roßminze und Hundskamille. In der Vogelwelt haben ihre Paten: Storchschnabel und Taubenkropf, Gänsedistel und Hahnenfuß, Lerchensporn und Kuckucksnelke, Schwalbenwurz und Schwanenblume, Habichtskraut und Wachtelweizen.

Andere Tiergattungen begegnen uns in Natterkopf und Natterwurz, Schlangenwurz und Froschlöffel, Lausekraut und Flohkraut. — Viele Metaphern beziehen sich auf den menschlichen Leib. Es war ein fester Volksglaube, daß die Ähnlichkeit gleichzeitig einen Fingerzeig für die Heilkraft bestimmter Pflanzen gebe. So kennen wir Milzkraut und Lungenkraut, Leberblümchen und Herzblatt, Augentrost und Zahnwurz, Brustwurz und Beinwell. Hierher gehört auch das Knabenkraut, dessen Wurzelstock wie eine Kinderhand aussieht. — Wichtig und begehrt waren von altersher Metalle u. Münzen. Auch sie waren bei der Namengebung der Blumen beteiligt: hochgeschätzt als Heilpflanze war das Tausendgüldenkraut; wir nennen das Heller= und das Pfennigskraut, die Goldnessel und die Silberdistel, die Bleiwurz und das Eisenkraut.

Der Heiligenkalender war unseren Vorfahren geläufiger als uns. So erklärt es sich, daß Blumen, die um den Festtag eines Heiligen blühten, seinen Namen bekamen. Die Gunst des Heiligen verlieh ihnen vielfach heilende Wirkung. Das deutet auch die Tatsache an, daß die Namen mit „=kraut“ gebildet sind: Rupprechts=, Christophs», Jakobs-, Johanniskraut, Basilien- und Benediktenkraut, Barbara= und Kunigundenkraut, Bertrams= und Siegmarswurz.

Die hohe Verehrung, die man der „himmlischen Frau“ zollte — bei den Germanen der Heidenzeit waren es Frigga, später die Himmelskönigin Maria —, fand in poesievollen Blumennamen ihren Ausdruck. Dabei ist der Name „Maria“ nur selten verwendet. In der Regel sind die Namen mit „Frau“ gebildet; „frowe“ — Herrin zu „fro“ = Herr. „Unsere liebe Frau“, so umschreibt auch das christliche Volk noch gerne den Namen der Gottesmutter. So finden wir denn: (Unserer lieben) Frauenschuh, Frauenmantel, Frauenflachs, Frauen=Spiegel, Frauenherz. — Aber auch des Teufels gedachte man beim Anblick bizarrer Blütenformen und greller Farben, so: Teufelskralle. Teufelsauge, Teufelsabbiß. Alte Mythen begegnen uns in: Drachenwurz, Hexenkraut, Nixenblume, Donardistel und Bilsenkraut (zu: Bilwiß). Vereinzelt nur treffen wir auf alttestamentliche Namen: Aronstab und Salomonssiegel. — Daß auch die christlichen Hochfeste in Blumennamen erscheinen, ist erklärlich: Osterglocke, Osterluzei, Pfingstrose und Pfingstnelke, Christrose. Christliche Symbole sah man in der Bitteren Kreuzblume und der Passionsblume, aber auch in der Kapuzinerkresse und im Pfaffenhütchen. Ihrer markanten Form verdanken den Namen: Rittersporn und Eisenhut, Helmkraut und Schildampfer, Kaiserkrone und Königskerze, Türkenbund und Hirtentäschel, Klappertopf und Fingerhut, Schnee= und Maiglöckchen, Glockenblume und Kuhschelle.

Nach Himmelskörpern nannte man: Sonnenblume, Sonnenröschen, Sonnentau, Mondraute, Sternmiere und Sterndolde. Unsere Darstellung will nicht erschöpfend sein; es konnten nur Beispiele gegeben werden. Den Schluß möge eine Gruppe von allegorischen Blumennamen bilden, die dem, der zu hören versteht, ganze Geschichten erzählen. Sie sind uns von Kindheit an vertraut und begegnen im Volkslied und im Märchen: Vergißmeinnicht, Stiefmütterchen, Männertreu, Maßliebchen, Schlüsselblume, Mädesüß, Wegwarte, Ehrenpreis, Jelängerjelieber, Kräutchen Rührmichnichtan, Tausendschön. Der zünftige Botaniker mag wohl die weise Nase rümpfen und dem wissenschaftlichen Namen den Vorzug geben. Der dichtende Volksmund will aber jene oft uralten Namen nicht missen; dem Volkskundler sind sie Offenbarungen des deutschen Gemütes und des Reichtums unserer Muttersprache. Auch zeugen die sinnvollen Namen von der Naturverbundenheit unserer Ahnen.

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