Loblied auf die Lärche
von Toni Eich
Aus der Schattenstille des Tales reckt er sich empor, dieser eigenwillige Hang. Droben, auf seinen breiten Schultern, geht der Blick frei umher, entlang dem Waldgewoge der Eifel-berge. Freunde, ich muß da offen einbekennen: Läge es an mir, so stünden nur Lärchen diesen Hang hinan, der väterlich das alte Mühlenhaus mitsamt dem munteren Sang der quirlenden Wasser umfängt, alles Ungemach mit seinem breiten Buckel abwehrend. Ja, nur Lärchen müßten es sein, die gleich dem Fialenwald jenes schwurfingrigen gotischen Steinwunders am Rhein wie unirdische Wesen himmelwärts schwebten; — dieses Wunder aus Stein, das ein Sohn aus eifellän-dischem Geschlecht als Zeichen der Gläubigkeit seiner Zeit uns Heutigen mahnend aufgibt.
Nicht, als ob ich die anderen Bäume unseres heimatlichen Eifelwaldes gar verwürfe, o nein! Ich weiß wohl um die wehende Stille einer Eichen-Basilika, ich bewundere die entschwebende Schwere eines romanischen Buchendomes und die himmelanbetende Gotik einer Tanne. Die Bäume, der Wald, — sie alle sind mir gleich lieb. Doch die Lärchen fordern alle Liebe meines Herzens,
Seht nur! — Wie sie sich sanft wiegen mit ihrem bräutlichen Gezweig, wenn der Wind durchs Tal fächelt und müde die Höhe hinanschleicht, um die mittäglichen Stunden atemlos zu verschlafen. Wenn er dann übermütig herumflegelt und pausbackig ins Tal springt, treibt er ein schaukelndes Spiel mit den Lärchen. Oh! er fühlt sich wohl in ihren wiegenden Armen. Wie sie nur den Wildfang mütterlich an sich zieht und ihm besänftigend zuredet! Schier ein Doppelwesen haftet der Lärche an: jugendliche Anmut und sorgende Mütterlichkeit. Nicht nur im Lenz, auch sommerüber, weiht sie Hang und Tal mit dem Maiengrün ihrer feierlichen Zweige. Und wenn der Herbst seine Farben verkleckst, dann glüht sie im Farbenmeer, gleich einem Edelstem, um stumm ins Dunkel des Winters hinüberzuschweben. In dieser Totenstarre selbst strahlt ihr schnüriges Gezweig mit dem diamantenen Glitzern des Reifes mütterliche Heimlichkeit aus.
Wie es kam, daß ich die Lärche so herzhaft liebe? Ach, da war ein Ahn in meiner Sippe. Er war ein bescheidener Mensch, ein Schuster, den mitunter das Geringsein seines Handwerks schier verdroß, und der sich darum mehr den geistigen Dingen zuwandte.
Man merkte es seiner Rede an, die wohlgesetzt, gar philosophische Hintergründigkeit verriet. Dieser Ahn nun, er war mein erster Lehrmeister im weiten Garten der Natur, Er besaß einen lärchenen Schrank, in dem es sonderliche Dinge gab: Steine von traurigglühendem Glanz, aus der erstarrten Glut der Eifelerde geworden, Wurzeln und Stöcke von hexenhaftem Wuchs, große Seiten vergilbten Papiers, mit matt-bunten Pflanzen darauf gepreßt. Und schließlich altersschwere Bücher, so ein Sternbuch mit wunderlichen Gebilden. Nun, dieser Ahn verstand sich auch auf die Geheimnisse der Sternwelt. Und fürbaß, wäre nicht das Gespött der Dorfleute zu befürchten gewesen, — eines Tages hätte da ein magisches Rohr aus dem strohgedeckten Dach seines Hauses gelugt, mit dem Ahn dahinter, bäuchlings das Firmament erkundigend. Es gab noch ein anderes Buch von Bäumen und Sträuchern. Nichts Köstlicheres für mich Buben, darin zu blättern. Wenn schließlich die Seite mit den Lärchen meinen Blick fesselte, hielt er mit der Arbeit inne. Vieles wußte er darüber zu sagen, doch unvergessen bleiben jene Stunden der Muße, da wir im sprenkligen Schatten einer Lärche saßen, die von der Höhe herab das Dorf begrüßte und weit ins Tal hineinschaute. Als der HERR, so wußte er zu berichten, die Bäume geschaffen und die stattliche Zahl zufrieden überschaute, fiel sein Blick auf die Lärche, die ach so bescheiden dastand. Er wandte sich ihr in väterlicher Milde zu und trug ihr auf, ob der jugendlichen Anmut Täler und Höhen zu zieren. Er werde ihr eigens das frischgrüne Kleid des ewigjungen Lenzes leihen, das sie bis zum Herbst hin unangetastet tragen dürfe, um es dann gegen ein güldenes einzutauschen. Er wolle ihr nicht die schneeige Last des Winters aufbürden, deswegen gestatte er ihr als einzigem Baum ihrer Gattung, das Nadelkleid abzulegen. Nächsten Lenzes werde sie ein neues erhalten, hübsch gesteckt mit samtweichen Nadelbüscheln, so recht der bräutlichen Zeit angetan. Doch auch eine schwere Bürde harre ihrer, wenn sie bis zu den höchsten Höhen der Berge hinansteige, wo alles grünende Leben im Fels erstickt, und sie mütterlich ausharren müsse im ewigen Ansturm teuflischen Sturmes und eisigen Gekörns. Einsam möge sie auf den Höhen wachen, wie eine Mutter es zu aller Zeit tue, daß nichts Arges dem Leben widerfahre; selbst wenn sie auch Schaden erleide und ihr Wuchs verkümmere im ewigen Peitschenhagel des Sturmes, so sei sie immerdar der mütterlichen Sorge untertan . . .
Der Knabe wuchs heran. Vieles von dem, das der Ahn gelehrt, fand er bestätigt in den Schulbüchern, zwar nicht so geheimnisvoll, urgründig. Doch ebendies verhalf dazu, das so Erlernte tief einzupflanzen, daß es heute noch jugendfrisch vor ihm steht. Da kamen Zeiten des Unfriedens, die Welt loderte im Feuerschein des Krieges, den ein Strohkopf entfacht, und der auch mich zwang, den treuen Wanderstab gegen ein totkaltes Eisen einzutauschen. Da stand ich nun auf einsamer Höhe der geliebten Eifelheimat, zu ihrer Wehr, derweil pfeifend die Todesfrachten in heimatliches Land fuhren, hüben und drüben, — im schwesterlichen Land der Arden-nen. Was lag für den Einsamen näher, sich an den Stamm einer alten Lärche zu schmiegen, ach, wie ein Kind sie zu umarmen, das der Mutter Beistand sucht. Sie ächzte schwer bis ins Wurzelwerk, als ein Feuersturm losbrach, der ihr das gotische Fenster zu Häup-ten blutig schlug und mich zur Erde sinken ließ. Sie seufzte auf und senkte traurig ihre Zweige. Dankbar blickte ich zu ihr empor, zu ihr — der Mutter. Auf Jahre hin trug ich ihr Bild in mir, bis jüngst ich sie wiedersah. Mächtig wallte ihr samtiges Kleid, und fürwahr: zu Häupten trägt sie, zwar der Wunden unvergessen, wieder ihr spitzbogiges Fenster. Stumm grüßt sie herüber, dankbar betastete ich den tiefrissigen Stamm; ich wollte ihr danken für ihren mütterlichen Schutz, damals . . .
Ach ja, der Ahn ist längst dahingegangen, er ruht in heimatlicher Erde. Und glaubt es, eine Lärche schirmt sein Grab, von einem erhöhten Rund daneben, friedvoll schwebt ihr Gezweig hernieder. Ob wohl der Ahn mit ihr Zwiesprache hält?
Freunde, überdenkt einmal: die Lärche, ist sie nicht das Sinnbild des Friedens, im Leben wie im Tode . . .?