Letzter Bauer, Poet und Heimatchronist – Späte Anerkennung als Autor für Hubert Esser (Winnen)
Letzter Bauer, Poet und Heimatchronist
Späte Anerkennung als Autor für Hubert Esser (Winnen)
Jochen Arlt
Im Leben blieb mir lang‘ verwehrt
was ich in der Jugend schon begehrt.
Mein Sinn stand stets nach Poesie d
och mal ein Autor – das ahnt‘ ich nie.
Im 74. Lenz war es dann soweit
meine Gedichte interessierten die
Öffentlichkeit. So wurd‘ ich Autor
im Rhein-Eifel-Mosel- Verlag eigentlich schade –
daß so spät kam der Tag.
Zwei von sieben Versen aus dem Gedicht „Des Schicksals späte Einsicht“. Zu Papier gebracht von Hubert Esser, seines Zeichens letzter praktizierender Landwirt Winnens. Darüber hinaus einziger Bauer links und rechts des Sahrbachtals mit poetischem Ackereggen.
„Du warst früher schon unser kleiner Goethe“, stellt Schwägerin Christine Mönch fest. In der Tat: Ob bei Familienfesten oder runden Geburtstagen vor Ort, ob bei Goldhochzeiten oder der kürzlichen Verabschiedung von Pastor Dr. Rolf Ehrhardt – seit Jahrzehnten begleitet Hubert Esser öffentliche Anlässe oder Feierlichkeiten im Heimatkreis mit Paar- und Kreuzreim. Sein persönlicher Fundus umfaßt inzwischen mehr als 100 Manuskripte, voll von Satiren, Erlebnislyrik oder köstlichen Humoresken, durchweg Lokalbezogenes.
Mit den eingangs zitierten Zeilen „Im 74. Lenz war es dann soweit / meine Gedichte interessierten die Öffentlichkeit“ meint der 76jährige die überregionale Resonanz auf sein schreibendes Tun. Unlängst nämlich war der WDR-Hörfunk zu Besuch, wenig später standen Vertreter der Tagespresse Spalier. Und gar keine Frage, daß hiermit auch die Leser des Heimatjahrbuches informiert werden.
„Den Stein ins Rollen brachte im November 1994 .Leben – alle Tage‘, das zweite Eifel-Lesebuch“, erzählt Esser stolz, „seitdem wissen endlich ein paar Leute mehr im Rheinland und in der Pfalz etwas über unseren von der Welt fast vergessenen Winkel.“
Allen Unwissenden sei gesagt, daß Winnen an den Ausläufern des Hochthürmen – Richtung Krälingen – liegt und zur Gemeinde Kirchsahr gehört. Dem 80-Seelen-Dort ist ein Wochenendgebiet angeschlossen, in dem auch zwei kölnische Schriftsteller Haus und Grund besitzen. Helma Verbeek-Cardauns (84) und Achim von Langwege (27) sind sich einig: „Hubert Esser ist eine große Persönlichkeit als Mensch und Kollege. Unersetzlich für Winnen.“Ähnlich scheint Kirchsahrs Bürgermeister Walter Brüg-gemann zu denken, denn er setzt seinen Nachbarn so oft wie möglich bei Heimattagen und entsprechenden Veranstaltungen ein.
„Kollege“ Esser ist übrigens von Kindesbeinen an „Autodidakt, auf der ganzen Linie“, wie er ohne Umschweife bekennt. „Den Volksschulabschluß habe ich zwar gemacht“, grient der erdige wie intellektuelle Bauersmann, „sonst aber lernte ich alles vom Lebensalltag und in der weiten Welt“. In den USA, während der Kriegsgefangenschaft, beispielsweise Englisch: „Ich kann Hemingway im Original lesen.“ Und: „Schon als Kind war ich nie verlegen zu reimen. Literarische Vorbilder gab es zu keiner Zeit.“
Unersetzlich war der junge Hubert bereits den Eltern in Stall und Flur. Unersetzlich blieb er der eigenen siebenköpfigen Familie, als er sie ausschließlich von der Landwirtschaft nicht mehr ernähren konnte: Von 1963 bis 1980 schaffte Hubert Esser für den Kampfmittelräumdienst im Auftrag des Landschaftsverbandes Rheinland (wofür ihm das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen wurde), erledigte früh morgens und abends Hof- und Feldarbeiten.
Neben eigenen Feldern und Wiesen gehören zum Esserschen Hof heute drei Kühe, zwei Schweine, zahlreiche Käfige mit Kaninchen und eine Hundertschaft Hühner. Die fünf Kinder des mehrfachen Großvaters sind längst flügge als Angestellte, promovierter Agrarwissenschaftler oder Gymnasiallehrer.
Winnens letztes Gehöft wird nach Esser senior freilich verwaisen: „Das ist der Fortgang der Dinge. Vom Leben habe ich unter anderem lernen müssen, was es heißt, eine schwer kranke Mutter und Frau über Jahre hinaus zu versorgen“, resümiert er nachdenklich. Jedoch, ganz nach Jean Paul folgt die Philosophie: „Es gibt keinen Schmerz, keine Mühen und Anstrengungen, denen nicht eine Freude entgegenstände. Das ist auch mit der Poesie so.“
Ach ja, eine späte Freude vielleicht ebenfalls – des Schicksals späte Einsicht in Kirchsahr: zum 80. Geburtstag des lyrischen Heimatchronisten ein Präsent in „gebundener Form“? Hubert Esser ist Jahrgang 1920; ergo für die Gemeinde Zeit genug, um die längst fällige Buchveröffentlichung mit seinen Gedichten aus Winnen und dem Sahrbachtal vorzubereiten…
Der Landwirt Hubert Esser bei der Arbeit.