Letzte Not und Heimkehr der Siebenbürger Sachsen
VON HEINRICH O. OLBRICH
Unsere Kartenskizze führt uns in den Raum Mitteleuropas, der von dem charakteristischen Gebirgszug der Nord-, Mittel- und Südkarpaten wie von einem riesigen Hufeisen umfaßt wird. Die nach Westen sich weit ausbreitende fruchtbare Ebene war die Heimat der Siebenbürger Sachsen und an der Donau der Banater Deutschen, Unsere Skizze erläutert uns, daß das Gebirge der Karpaten das ganze Siedlungsgebiet von Osten her wie ein gewaltiges Naturbollwerk abschließt. Bereits im 12. Jahrhundert haben ungarische Fürsten deutsche Bauern ins Land gerufen, um das später bezeichnete „Burgenland“ und die „Zips“ landwirtschaftlich zu erschließen und die Pässe der Karpaten gegen die Einfälle von Ostvölkern zu befestigen. Die Könige von Ungarn erteilten diesen deutschen Einwanderern „Freiheitsbriefe“, welche den Siedlern weitgehende Vorrechte in politischer und kirchlicher Selbstverwaltung feierlich zugesichert haben. Diese Siedlungsgebiete der Deutschen trugen den Ehrennamen „Königsboden“ oder „Bruderschaften der königlichen Städte“.
Im Jahre 1212 rief König Andreas von Ungarn den deutschen Ritterorden in das Burgenland mit der besonderen Aufgabe, die Grenze im Karpatenbogen zu befestigen. Der Orden errichtete zahlreiche Burgen und legte Wehrdörfer an. Da er aber eine zu selbständige Macht im Staate entfaltete, mußte er 1225 Ungarn wieder verlassen. (Der Orden übernahm anschließend die Christianisierung und Besiedlung Ostpreußens.) Die Großtat der deutschen Siedler bestand neben der grundlegenden Förderung der Landwirtschaft in der Gründung von Städten, die nach dem Vorbild ihrer deutschen Heimat unter Beachtung von rechtlich festgefügten Formen errichtet worden sind. So bildete das „Nürnberger“ oder das „Wiener“ oder das „Iglauer“ Stadtrecht die jeweils beispielhafte Städteordnung.
Das Siedlungsgebiet der Siebenbürger Sachsen in Rumänien und Ungarn.
Das Kernstück der Stadt bildete die Burg, an die sich die Bürgergemeinde anlehnte. Diese setzte sich bevorzugt aus Handwerkern, Kaufleuten oder sonstigen bevorrechtigten Einwohnern zusammen.
Die Städte erlebten rasch einen blühenden Aufschwung, denn sie wurden wirtschaftliche und kulturelle Mittelpunkte, in denen sich das Zunftwesen handwerklich und künstlerisch entfalten konnte. Die Bürger gelangten zu großen Reichtümern und erbauten prächtige Rathäuser, prunkvolle Patrizierhäuser und herrliche Dome, welche die Jahrhunderte bis in die Gegenwart überdauerten.
Als Folge der Vernichtung des ungarischen Heeres durch die Türken bei Mohacz 1526 und einer ersten vergeblichen Belagerung Wiens im Jahre 1529 hielten die Türken noch über 150 Jahre den größten Teil Ungarns und damit das deutsche Siedlungsgebiet besetzt. Die Deutschen gerieten in türkische Tributabhängigkeit und wurden durch fortgesetzte Hinfalle stark geschädigt. Erst nach der zweiten erfolglosen Türkenbelagerung Wiens im Jahre 1683 konnte Ungarn endgültig befreit werden.
Erneut setzte eine kraftvolle Wiederbesiedlung durch angeworbene deutsche Zuwanderer ein. Sie halfen den einst vertriebenen und nun zurückgekehrten madjarischen Adelsgeschlechtern und den mit großen Ländereien ausgestatteten tapferen Feldherren aus den Türkenkriegen beim Wiederaufbau. Zu letzteren gehörten Prinz Eugen und das Geschlecht der Grafen Merci.
Diese Epoche friedlicher Entwicklung hielt bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges an, erhielt aber danach schwerste Rückschläge durch die politische Neuordnung Südosteuropas als Folge der Zerschlagung des Habsburger Reiches.
Die einst geschlossenen deutschen Siedlungsgebiete wurden zerrissen und ihre Bewohner in das Los nationaler Minderheiten gedrängt. Die Anfeindungen gegen die „wohlhabenden Deutschen“ in Stadt und Land wurden immer größer.
Die furchtbarste Katastrophe erlebten diese Deutschen beim Zusammenbruch der deutschen Ostfront 1944. Es setzte nun eine planmäßige Enteignung und Ausweisung der Deutschen ein. Diese völkerrechtswidrige Maßnahme gegen die Deutschen wurde durch die Potsdamer Deklaration 1945 von den Siegermächten als rechtmäßig erklärt.
Ungarn führte die Vertreibung nur teilweise durch, erließ aber umfassende Enteignungsgesetze. In Rumänien wurde die Ausweisung durch folgende Tatsache gehemmt: Die Bevölkerung der Städte Siebenbürgens war überwiegend deutsch und stellte den Grundstock für die vorhandenen Industrien durch Techniker und Arbeiter. Die nach 1945 etwa 200 ooo zurückgebliebenen Deutschen erhielten von der Regierung Rumäniens bestimmte kulturelle Freiheiten durch eigene deutsche Volks- und Mittelschulen, einem Technikum und einer Zeitung.
Foto: Kreisbildstelle
Bauernstube in Siebenbürgen
Die Ärmsten von den Ausgewiesenen waren jene, die in die Hände der Russen gefallen und verschleppt worden sind. Wie es ihnen ergangen ist, möge der Leser einem auszugsweisen Erlebnisbericht entnehmen: „Ich war elf Jahre in Sibirien gefangen, kam im Dezember 1955 in meine Heimatstadt Kronstadt zurück und fand ein vollkommen verändertes Bild vor. Zwei Jahre mußte ich als Schwarzarbeiter tätig sein. Die kommunistischen Machthaber haben es nicht zugelassen, daß ich in meinen Beruf als Studienrat zurückkehren konnte.
Zum Glück hatte ich auch einige Semester Architektur studiert und erhielt daraufhin die Genehmigung, als Baumeister tätig zu sein. Erst nach weiteren zehn Jahren, 1965, konnte ich als Spätheimkehrer endlich in die deutsche Heimat zurückkehren. Meine vier Kinder mußte ich in Siebenbürgen zurücklassen.“
Foto: Kreisbildstelle
Neusiedlung Drabenderhöhe im Oberbergischen
Einem Teil der Vertriebenen von diesem wackeren Volksstamme gelang es, nach Österreich zu entkommen, wo er hilfreiche Aufnahme und eine neue Heimat gefunden hat. Die Masse von ihnen erreichte das Bundesgebiet, wo sie verschiedenenorts in kleinen Gruppen Arbeit fanden. Größere Ansiedlungen erfolgten im Raum Trier und in Westfalen im Raum Oberhausen, wo sie in Bergwerken Arbeit fanden.
Trotzdem die Siebenbürger in allen Teilen des Bundesgebiets zerstreut leben, kommen sie alljährlich zu Pfingsten in der südfränkischen Stadt Dinkelsbühl zu ihrem Heimattag zusammen. Hier wurde vor drei Jahren zu Ehren ihrer Toten durch die Vertreibung eine Gedenkstätte errichtet. Bei diesem Treffen wurde immer wieder ihr großer Wunsch zum Ausdruck gebracht, hier ein siebenbürgisches Kulturzentrum zu schaffen.
1962 wurde diese Idee in die Tat umgesetzt. Geeignetes Siedlungsland bot der Ort Drabenderhöhe, der zur Gemeinde Bielstein im Oberbergischen gehört. Siedler aus 89 Orten des alten Siebenbürgen haben sich hier zu einem neuen Werk zusammengetan und errichteten mit Hilfe zweier Siedlungsgesellschaften rund 250 Häuser, Wohnraum für etwa 1200 Menschen.
Im Zentrum der Siedlung wurden ein Altenheim, ein Jugendheim, ein gedecktes Schwimmbad und für die Schule ein Erweiterungsbau mit zehn Klassen errichtet. Die ganze Siedlung ist nach altem Brauchtum straßenweise in Nachbarschaften aufgegliedert. Die Vorteile dieser Anordnung sind: leichte und einfache Verständigungsmöglichkeit; alle Nachbarväter und -mütter haben darin ihren bestimmten Wirkungskreis. Die Siedler sind stolz darauf, daß sich die Einrichtung der alten Nachbarschaften — wie einst in ihrer alten Heimat — hier bestens bewährt, namentlich auf sozialem Gebiet. Als ständiges geistiges Bindeglied dient ein Nachrichtenblättchen „Unser Bote“. Die Straßen dieser Siedlung tragen die Namen alter Landschaften und Orte in Siebenbürgen. Da die Siebenbürger Sachsen ein recht musikalisches Völkchen sind, ist es nicht verwunderlich, daß sie hier ein ansehnliches Blasorchester von 30 Mann aufgestellt haben, um alle kulturellen Veranstaltungen und den Volkstanz zu umrahmen. Wir wollen nur wünschen, daß sich diese Siedlung weiterhin bestens entwickelt.