Lernfähigkeit fördern statt „intellektuelle Stopfgänse“ züchten – Das Rhein-Gymnasium im Porträt
„Man sollte die deutsche Sprache feierlich zu Grabe tragen, denn nur die Toten haben genügend Zeit, um diese Sprache zu lernen“, bemerkte Mark Twain über das Deutsche, mit dessen Erwerb er wahrscheinlich zu kämpfen hatte. Was für den amerikanischen Schriftsteller galt, gilt nicht weniger für die Migranten in Deutschland, somit auch im Kreis Ahrweiler, allerdings mit dem Unterschied, dass sie nicht darum herum kommen, Deutsch zu lernen.
Situation der erwachsenen Migranten
In der Diskussion um das Thema Einbürgerung und Zuwanderung werden auch hier bei uns oft die mangelhaften Deutschkenntnisse der ausländischen Bevölkerung kritisiert. Migrantinnen und Migranten werden als Uninteressierte dargestellt und beschuldigt, trotz langem Aufenthalt in Deutschland die Sprache nicht ausreichend zu beherrschen. Aber wie viel Deutsch erwartet ein Deutscher von einem Migranten? Wieviel Deutsch muss einer können, um als vollwertig angesehen zu werden? Bei uns lebende Migrantinnen und Migranten lernen – genauso wie alle anderen Ausländer in der Welt auch – die Sprache des Aufnahmelandes in dem Umfang wie ihr Bildungsstand, ihre Zukunftspläne und persönlichen Bedürfnisse es von ihnen verlangen und ihr Portemonnaie es erlaubt. Die Kosten der angebotenen Sprachkurse liegen zwischen 50 und 900 E im Monat. In den letzten 30 Jahren hatte sich ein kompliziertes Fördersystem herausgebildet, das entlang der aufenthaltsrechtlichen Trennlinien zwischen den einzelnen Migrantengruppen verlief: Kurse für Aussiedler und anerkannte Flüchtlinge mit Bleiberecht wurden gefördert und in geringerem Maße wurden Sprachkurse für Arbeitnehmer aus Mitteln des Bundesarbeitsministeriums vom Sprachverband angeboten.
Im Kreis Ahrweiler bieten die Kreisvolkshochschule und Ausländerbeiräte Sprachkurse für die nicht geförderten Gruppen. Der ökumenische Flüchtlingshilfeverein Rhein-Ahr e.V. führt für Asylbewerber kostenlose Kurse durch, die von der Caritas finanziert werden.
Eine Neukonzeption der Sprachförderung, die eine getrennte Förderung der einzelnen Migrantengruppen abschaffen würde, sollte mit dem geplanten Zuwanderungsgesetz nun kommen. Erstmals sollte es einen Rechtsanspruch auf einen Deutsch- und Integrationskurs für Neuzuwanderer geben. Für diese Gruppen war auch eine Teilnahmeverpflichtung vorgesehen. Wie es nach der Ablehnung des Gesetzes nun weitergehen wird, ist unklar.
Sprachförderung in der Schule
Im Bereich der schulischen Bildung sind die Mängel spätestens mit der PISA-Studie offenkundig geworden. Im November 2002 waren bei einem in Hannover an 20 Schulen durchgeführten Deutschtest 555 von 1.379 Kinder durchgefallen. An diesen Schulen liegt der Anteil an Migrantenkindern bei 40%.
Der eigentlich überraschende Befund der PISA-Studie: Vergleicht man Jugendliche mit gleicher Lesekompetenz, ist keine Benachteiligung von Jugendlichen aus Zuwandererfamilien mehr nachweisbar. Das heißt, für Kinder aus Migrantenfamilien ist die Sprach- und Lesekompetenz die entscheidende Hürde in ihrer Bildungskarriere.
In der schulischen Integration hat sich das Modell einer Kombination von Deutschunterricht für Anfänger in Form von Intensivkursen, Deutsch-Förderunterricht, der den Regelunterricht begleitet und integrierter Deutschförderung, d. h. sprachbewusster Unterricht in allen Fächern durchgesetzt.
Die Praxis hat gezeigt, dass eine konsequente Umsetzung dieses Modells erfolgversprechend sein könnte, dass diese Umsetzung aber häufig unterbleibt.
In einigen europäischen Ländern, wie z. B. Finnland, werden Schüler mit mangelnden Sprachkenntnissen zunächst in separaten Klassen sprachlich fit gemacht. Die Befürchtung, separate Lerngruppen für ausländische Schüler würden dem Ziel der Integration zuwiderlaufen, bewahrheitet sich nicht, wenn die Rahmenbedingungen stimmen, wie etwa beim Modellprojekt einer „internationalen Klasse“ an der Emil-Thoma-Realschule in Freiburg/Breisgau.
In der Berufsbildenden Schule in Bad Neuenahr-Ahrweiler gibt es Angebote der Deutschförderung vor allem in den Klassen der Berufsvorbereitung und der Berufsgrundbildung. Die geringe Ausbildungsbeteiligung ausländischer Jugendlicher lässt jedoch vermuten, dass die Förderung nicht ausreicht.
Die Gymnasien schließlich betrachten Deutschförderung nicht als ihre Aufgabe.
Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr: Frühförderung in den Kindergärten
In einigen Städten des Landes Rheinland-Pfalz ist die Sprachförderung ein wichtiger Baustein im pädagogischen Konzept der Kindergärten und Kindertagesstätten. Grundgedanke ist, bestehende Unzulänglichkeiten in der Beherrschung der deutschen Sprache auszugleichen oder zu reduzieren, bevor die Kinder in die Schule kommen und aus dem Sprachproblem schnell weitere persönliche und soziale Probleme entstehen.
Aus der Mehrsprachigkeitsforschung ist bekannt, dass sich die Zweitsprache umso besser entwickelt, je solider die Basis in der Muttersprache ist. Deshalb sollte die Förderung von Deutsch als Zweitsprache mit einer Aufwertung der Herkunftssprache der Familie eingehen.
Auf dieser Basis läuft z. B. seit 1999 in Neustadt an der Weinstraße eine Initiative zur Deutschförderung für Migrantenkinder im Kindergarten. Die Förderung umfasst dreimal eine Stunde in der Woche und erstreckt sich über ein ganzes Kindergartenjahr. Die Arbeit an der Sprache ist altergemäß, sehr praktisch und an den Grundsätzen eines Lernens mit allen Sinnen orientiert. Die Kinder erfahren Sprache. Wichtig ist die Kooperation mit den Eltern, die den eingeschlagenen Weg unterstützen müssen. Sinnvoll war hierbei die Einrichtung eines Deutschkurses für Mütter in einer der Tagesstätten. Ein Jahr lang erfolgte die Finanzierung durch Spenden. Inzwischen trägt die Stadt die Kosten für diese Maßnahme. Eine Evaluation im Jahr 2000/2001 durch externe Fachleute ergab, dass alle beteiligten Kinder von der Sprachförderung profitiert hatten.
Die Landesregierung von Rheinland-Pfalz hat daraus gelernt und stellt seit dem letzten Jahr Fördermittel von jährlich 100000 E zur Verfügung. Die Träger der Kindertagesstätten können diese Fördermittel beantragen, wenn sie zusätzlich Angebote zur Sprachförderung einsetzen möchten. In Bad Neuenahr-Ahrweiler haben zwei Kindergärten davon Gebrauch gemacht. Dort erhalten Kinder und Mütter eine Sprachförderung in den vertrauten Räumen der Kindertagesstätte.
Themen wie Sprachentwicklung und Sprachförderung haben in den beteiligten Kindergärten einen deutlich höheren Stellenwert bekommen. Die Erzieherinnen achten heute mehr darauf, wie die Kinder sprechen und auch darauf, wie sie selbst mit den Kindern sprechen. Dies kommt allen Kindern zugute, auch den Deutschen.
In den letzten 20 Jahren haben die Sprachentwicklungsstörungen bei allen Kindern zugenommen.
Zukünftig müssen auch die Kommunen ein verstärktes Engagement zeigen, um zur Erweiterung der Sprachförderung in den Kindergärten und der Fortbildung von Erzieherinnen und Erziehern im Bereich der Sprachentwicklung beizutragen.
Es handelt sich um ein gesamtkulturelles Problem, nämlich welches Gewicht eine Gesellschaft der Sprache beimisst.
„Ohne Sprache geht es nicht“, so betont auch die Ausländerbeauftragte von Rheinland-Pfalz.
Sprache ist ein entscheidender Schlüssel für einen erfolgreichen Schulbesuch und eine gelungene Integration. Gutgebildete Menschen, die in mehreren Sprachen und Kulturen aufgewachsen sind, stellen ein wichtiges Potential für die Zukunft dar. Das gilt selbstverständlich auch für unseren Kreis.