Leben und Wirken des Landrats des ehemaligen Kreises Adenau,des späteren Ministerialdirektors DR. ERICH KLAUSENER
Von Stefan Baur |
Die preußische Staatsregierung entsandte zum 1. November 1917 — mitten im ersten Weltkriege — den aus dem Kriegsdienst entlassenen Ulanen=Offizier d. Res., zuletzt Ordonnanzoffizier im Inft.-Regt. 175, Dr. Erich Klausener als Landrat in den Kreis Adenau.
Klausener wurde am 25. a. 1885 als Sohn des Geheimrates Peter Klausener und dessen Ehefrau Elisabeth Biesenbach, Tochter des Justizrates und preußischen Landtags: abgeordneten Biesenbach, in Düsseldorf geboren. Der Vater, der aus einer Aachener Kaufmannsfamilie stammte, hatte als Landesrat bei der Rheinischen Provinzialverwaltung das Wohlfahrtsreferat zu betreuen. Sein Name ist verbunden mit einer großen Zahl von Wohlfahrtseinrichtungen, wie Arbeiterkolonien, Fürsorge für entlassene Strafgefangene und Blindenanstalten. Die Berufswahl fiel Klausener nicht schwer, nachdem er erwogen hatte, welche Berufe er nicht wählen wollte. Den Plan, Geistlicher zu werden, gab er früh auf.
Länger überlegte er, ob er Mediziner werden sollte. Hier erschien ihm vor allem der Beruf des Chirurgen anziehend. Auf der Prima gab er dann diesen Plan auf. Jetzt wurde ihm klar, daß er Jurist werden sollte. In seinen Aufzeichnungen schreibt Klausener 1925: „Ich habe keinen Augenblick daran gedacht, Rechtsanwalt oder Richter zu werden. Der Gedanke, den mein Vater lebhaft unterstützte, daß ein Richter nur tätig wird, wenn man die Sache an ihn bringt; daß er die Täter bestrafen, aber nicht die Schlägerei hindern kann, den Rechtsstreit entscheiden, aber nicht vorher zu den Streithähnen hingehen darf, ihn zu verhüten; daß aber vor dem Verwaltungsbeamten, insbesondere dem Landrat, das ganze Leben offen liegt, zum Hingreifen offen, war für mich entscheidend und ist bis heute entscheidend geblieben. Bis jetzt habe ich in 21 Jahren noch keinen Tag meine Berufswahl bereut.“ Nach dem juristischen Studium in Bonn, Berlin und Kiel legte er 1906 das Referendar=Examen und 1910 das Assessor-Examen ab. 1911 erwarb er den Doktor jur. und rer. pol. in Würzburg mit der Dissertion „Das Koalrtionsrecht der Arbeiter.“ Sein beruflicher Werdegang bis zur Beru= fung als Landrat weist folgende Stationen auf: 1911 Landratsamt in Neustadt (Ober= Schlesien), 1913 Reg.=Assessor und Hilfsarbeiter im Preuß. Handelsministerium. Dr. Klausener hat als 13. Landrat seit Bestehen des Kreises Adenau — 1816 — nur für die kurze Zeit vom i. 11. 1917 bis 15. 10. 1919 die Kreisgeschäfte geführt. Der Kreis wurde als der ärmste Kreis Preußens bezeichnet. Er umfaßte eine Fläche von 549,67 qkm mit rd. 25 ooo Einwohnern in sechs Ämtern.
Die Tätigkeit des jungen, 32jährigen Landrats fiel in eine turbulente Zeit, wie keine seit Bestehen der landrätlichen Verwaltung zu verzeichnen war. In der ersten Hälfte der zweijährigen Dienstreit war noch Krieg mit der Kriegs=, d. h. Zwangswirtschaft, Während in der zweiten Hälfte die Besetzung durch fremde Truppen mit allen unangenehmen Folgen in Erscheinung trat. Kriegswirtschaft und Besatzung brachten für die Bevölkerung Lasten nie gekannter Art. Für die landrätliche Verwaltung ergaben sich von Tag zu Tag neue Probleme, die gemeistert werden wollten. Es hieß hier eine Synthese zu finden zwischen den Erfordernissen der Kriegsführung und der Besatzung einerseits und den gerechten Anliegen der Bevölkerung andererseits.
Für diese Aufgabe war der sozial denkende und handelnde Landrat wie geschaffen. Seine innere Einstellung hatte er wohl aus dem Elternhaus, insbesondere durch die Tätigkeit seines Vaters bei der rheinischen Provinzialverwaltung mitbekommen. Auf jeden Fall hob sich diese Eigenschaft merk= lieh gegen die mehr aristokratisch=konservative Einstellung seiner Vorgänger ab. Seine Feindschaft gegen den Bürokratismus, sein Verhandlungsgeschick, seine Umgangsformen und das Verständnis, das er dem Anliegen auch des kleinsten Mannes entgegenbrachte, haben die damals auftretenden Schwierigkeiten überwinden helfen. Die nach Schluß des Krieges zurückflutenden Truppen, die auftretenden Arbeiter= und Soldatenräte, die nachrücken* den fremden Heere, der Zusammenbruch von vielem bis dahin Gewesenen erforderte an der Spitze der Kreisverwaltung eine starke und geschickte Persönlichkeit. Und die war ohne Zweifel Landrat Dr. Klausener. Obwohl seine Tätigkeit im Kreise Adenau 45 Jahre zurückliegt und verhältnismäßig kurz war, ist sein Name in der Bevölkerung nicht vergessen. Sein menschliches Verständnis und sein soziales Wirken wurden angenehm empfunden. U. a. galt seine besondere Fürsorge den Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen; veranlaßte er doch den Artikel= Schreiber, die Kriegsopferorganisation im Kreise aufzubauen, der er sich selbst zur Vortragstätigkeit zur Verfügung stellte. Auf allen Gebieten der Wohlfahrt war er fördernd und helfend tätig. Er war im wahrsten Sinne des Wortes ein Volkslandrat, wie eine Frau aus dem Volke beim Abschied des Landrats zum Ausdruck brachte.
Nicht vergessen werden darf sein Einsatz bei zwei Katastrophen im Jahre 1918: einer weiten Überschwemmung und einem entsetzlichen Eisenbahnunglück bei Hönningen/Ahr. Tatkräftig leitete er persönlich die Hilfsaktionen.
Im Herbst 1919 wurde Klausener im Alter von 34 Jahren als Landrat nach Recklinghausen, dem größten preußischen Kreis, versetzt. Während der Kreis Adenau durch die Landwirtschaft geprägt war, hatte Recklinghausen mit seinen damals 230 000 Einwohnern den Charakter eines ausgesprochenen Industriekreises.
Die Aufgaben, die Klausener hier erwarten, waren naturgemäß vielseitiger und schwieriger als in der damals noch stillen Eifel. Die sozialen, gesellschaftlichen und politischen Gegensätze — durch die November=Revolution 1918 und den Zusammenbruch des Kaiserreiches bis in die Tiefe aufgewühlt — beherrschten die Atmosphäre. Spartakistenaufstand und Kommunistenterror machten das Leben in Recklinghausen im Frühjahr 1920 bis zur Befreiung durch die Reichswehr unerträglich. Drei Jahre später, 1923, besetzten französische und belgische Truppen das Ruhrgebiet. Klausener wurde verhaftet, weil er einen Polizeibeamten verteidigte, der sich schützend vor die Bevölkerung des belgisch besetzten Teiles seines Kreises gestellt hatte. Die Inhaftierung erfolgte in den Gefängnissen in Duisburg und Moers. In der Kriegsgerichtsverhandlung in Sterkrade wurde er zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt, die er bis Ende Juni abzubüßen hatte. Erst im Dezember 1925 konnte Klausener nach Aufhebung des Ausweisungsbefehls seine Tätigkeit in Recklinghausen wieder aufnehmen.
Im Oktober 1924 wurde er als Ministerialdirektor in das Preuß. Wohlfahrtsministerium in Berlin berufen. Diese Berufung hat er wohl neben seinen Kenntnissen und Fähigkeiten seinem warmen sozialen Mitgefühl und dem daraus entsprungenen Handeln zu verdanken. Die Berichterstattung über sein fünfjähriges erfolgreiches Wirken in Recklinghausen würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Dafür jedoch sei angeführt ein Zitat aus der Rede des Professors Dr. Weskamp anläßlich der Verabschiedung des Landrats in der Sitzung des Kreistages vom 24. November 1924:
„Die Notleidenden konnten sich keinen besseren Fürsprecher und Anwalt aussuchen, als sie ihn in Herrn Dr. Klausener gefunden haben. Aber noch eines möchte ich hervorheben: Dr. Klausener ist ein Mann von hervorragender Gesinnung, und in aller Festigkeit seines Charakters und bei der Zähigkeit seines Willens ist er stets ein Mann des Friedens und des Ausgleichs gewesen. Und so hat er es verstanden, alle Parteien zu sachlicher Arbeit ohne Parteigezänk zusammenzufassen.“
Seine Tätigkeit im Preuß. Wohlfahrtsministrium war für den Kreis Adenau insofern von Bedeutung, als er sich 1925 auf Bitten und Vorstellungen einer Kreistagskommission unter Führung des Kreistagsmitgliedes Franz Xaver Weber, Adenau, bereit fand, für die Genehmigung des großen Notstandsprojektes, dem „Bau einer Automobil-Renn- und Prüfungsstraße im Kreise Adenau“ einzusetzen. Dafür sei ihm noch über das Grab hinaus gedankt.
Kurz darauf erfolgte seine Berufung in das Preuß. Innenministerium als Leiter der Polizeiabteilung. Auch hier war seine Tätigkeit fruchtbar. Erinnert sei nur an drei große Polizeigesetze, die in dieser Zeit verabschiedet wurden: das Polizeikostengesetz, das Polizeibeamtengesetz und das Polizei-Verwaltungsgesetz.
Nach der Machtübernahme durch den Nationalsozialismus mußte Klausener als politischer Beamter mit seiner Verabschiedung rechnen, zumal er sich geweigert hatte, die Polizeiakten mit unrühmlichen Blättern von „Alten Kämpfern“ herauszugeben. Als die SS diese belastenden Akten gewaltsam beschlagnahmen lassen wollte, ließ Erich Klausener durch die herbeigerufene Reichs» wehr die SS mit leeren Händen nach Hause schicken. Göring entband ihn im Februar 1933 von seinen Dienstpflichten im Innenministerium, entließ ihn jedoch nicht aus dem Staatsdienst, und zwar mit Rücksicht auf sein Amt als Vorsitzenden der Katholischen Aktion. Am 1. März 1933 wurde Klausener die Abteilung für Schifffahrt im Reichsverkehrsministerium übertragen. Damit war seine Kaltstellung als politischer Beamter besiegelt.
Ministerialdirektor Dr. Klausener hat sich seit 24. Oktober 1928 als. Vorsitzender der Katholischen Aktion des Bistums Berlin große Verdienste erworben, aber auch den Haß der Machthaber des Dritten Reiches zugezogen. Klausener, nach Charakter und Beruf ein Mann der Tat, war wie geschaffen für den Posten des Leiters der Katholischen Aktion. Es würde zu weit führen, an dieser Stelle seinen persönlichen Einsatz, seine Sorgen und seinen Kampf im Aufbau und zur Stärkung des Laienapostolates im Dienste der katholischen Kirche in der Hauptstadt und in der Diaspora-Diözese schildern zu wollen.
1934 drängten vor allem Göring, Himmler und Heydrich, letztere als Exponenten der SS, zur Macht. Sie mußten den Untergang des SA=Führers Rohm herbeiführen, um ihren Aufstieg zu sichern. An dem Tag, an dem Hitler das Zeichen zum Losschlagen gegen die SA gab, wollten sie außer mit den SA=Führern noch mit anderen Gegnern abrechnen. Und so stellten die oben Genannten Listen auf mit den Namen der Persönlichkeiten — sorgfältig numeriert —, die am bald kommenden „Tag der Rache“ zu ermorden seien. Der am 24. Juni 1954 in Hoppegarten abgehaltene Katholikentag, auf dem Dr. Klausener die Schlußansprache hielt, besiegelte endgültig sein Schicksal. Er wurde in die Mordaktion des 30 Juni 1934 mit einbezogen. Viele Jahre später gab Göring in der Nürnberger Haftzeit zu, daß er auch für den Mord an Klausener die Verantwortung trage. Gründe für sein Handeln waren Klauseners Tätigkeit als Katholikenführer und weil er gegen Nationalsozialisten während der Zeit der Weimarer Republik in der Polizeiabteilung „gewütet“ habe.
Am 30. Juni 1934 wurde Dr. Klausener in seinem Dienstzimmer im Reichsverkehrsministerium hinterrücks erschossen. Der Mörder rief vom Dienstapparat Klauseners
Heydrich an: „Befehl ausgeführt.“ Daraufhin erhielt er vom Gestapochef den weiteren Befehl, den Mord als Selbstmord darzustellen.
Schnellhandelnd war es der Familie Klausener möglich, in sieben Zeitungen, darunter auch in der Adenauer Zeitung, die Todesanzeige zu veröffentlichen. Durch Eingriff der geheimen Staatspolizei mußte in der Anzeige in fünf Zeitungen das Wort „Vaterland“ nach dem Wort „Opfers“: für Familie, Kirche und Vaterland“ gestrichen werden. Im Beisein des Bischofs Dr. Bares und der Mitglieder des Domkapitels feierte Pfarrer Coppenrath am 7. Juli 1934 in der Friedhofskapelle des St.= Matthias-Friedhofes in Berlin=Mariendorf das Requiem für Erich Klausener. Im Anschluß daran wurde die Urne mit der Asche Dr. Klauseners in geweihter Erde beigesetzt.
Von Adenau und der Hocheifel aus haben wir den Werdegang, das Wirken und das Sterben des Landrats Dr. Klausener mit großem Interesse und innerer Anteilnahme verfolgt. Dieser hervorragende Verwaltungsbeamte und treue Christ hat es verdient, daß ihm ein Denkmal in dem ,,Heimatjahrbuch für den Kreis Ahrweiler“ gesetzt wird.
QUELLEN UND LITERATUR: Walter Adolph, Erich Klausener, Berlin 1955.