Lachse leben wieder in der Ahr
Ein toter Fisch war die Sensation. Er lag im seichten Wasser am Ahrufer, direkt unterhalb der Lochmühle bei Mayschoß. Ein Lachs, 93 Zentimeter lang, ein männliches Tier, nach dem Laichakt war er verendet. Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft zur Förderung und zum Schutz der Ahr (ARGE Ahr) machten den Fund am 10. Dezember 2001. Für sie war der tote Fisch Beleg für den Erfolg des Projekts „Lachs 2000″ zur Wiedereinbürgerung von Wanderfischen, speziell von Lachsen und Meerforellen, in die Ahr.
Zwar war es nicht der erste Lachs, der nach seiner Jugend in der Ahr und seiner Wanderung ins Nordmeer den Weg zurück in sein Heimatgewässer gefunden hatte. Aber er übertraf alle anderen Rückkehrer an Größe. Darum wird er der Nachwelt erhalten und mit allen Zeichen der langen Reise, mit Verletzungen und Flossenschäden, präpariert.
Das geschieht im Institut für angewandte Ökologie in Kirtorf-Wahlen im hessischen Vogelsbergkreis, das das Wiedereinbürgerungsprogramm wissenschaftlich begleitet.
Im Lebenszyklus der Lachse ist es normal, dass die meisten nach der Eiablage verenden. Schließlich liegt ein hunderte Kilometer langer Weg gegen den Strom hinter ihnen, und das Geschäft der Fortpflanzung beansprucht die letzte Kraft.
Die Sensation: ein Lachs aus der Ahr
Darum hätte noch etwa Anfang des 19. Jahrhunderts niemand einen verendeten Lachs in der Ahr bestaunt. Die Fischart kam in Hülle und Fülle vor, und ein Gesetz begrenzte die Zahl der wöchentlichen Fischmahlzeiten, die ein Herr seinem Gesinde zumuten durfte. Das änderte sich, nachdem hohe Staustufen für die Bewässerung der Wiesen im Flusslauf installiert worden waren. Die Wehre verwehrten den Wanderfischen den Weg zurück in ihre Laichgewässer im Mittel- und Oberlauf und den Seitenbächen der Ahr. Den Rest gab die zunehmende Verschmutzung des Rheins den Wanderfischen. Sie starben aus.
Als am 25. Oktober 1999, vier Jahre nach Beginn des Wiedereinbürgerungsprogramms, der erste Lachsrückkehrer unter dem Heimersheimer Wehr gefunden wurde, feierten die Beteiligten, dass sich der Lebenszyklus des Ahr-Salms nach fast 100 Jahren wieder geschlossen hatte.
Freilich nicht von selbst. Seit 1995 war Jahr für Jahr Lachsbrut, zunächst als befruchtete Eier, dann aber vorwiegend als Jungfische, in den Flusslauf gesetzt worden. Insgesamt eine halbe Million Stück. Winter für Winter hatten Freiwillige die Fische an besonders gut geeignete Stellen gebracht Die Lachse entwickelten sich optimal. Bei einer Länge von 15 Zentimetern färbte sich ihr geflecktes Jugendkleid um, und als silbrige „Smolts“ machten sie sich auf den Weg ins Meer.
Vier Jahre nach Beginn des Projekts belegte der erste Rückkehrer das Gelingen. Voraussetzung waren erstens eine Verbesserung der Wasserqualität im Rhein und zweitens ein Rückbau der Wehre in der Ahr. An beidem wird weiter gearbeitet.
Das Umdenken setzte 1986 nach dem katastrophalen Fischsterben im Rhein ein, Folge von Chemieunfällen. Damals wurde die seit Mitte der 1950er Jahre bestehende Internationale Kommission zum Schutz des Rheins, in der alle Rheinanliegerstaaten zusammenarbeiten, aktiviert. Verbesserung der Wasserqualität und Minimierung des Schadstoff- und Nährstoffeintrags in das Gewässer wurden vereinbart.
Teil der Aktivitäten ist das Programm „Lachs 2000″ zur Wiederansiedlung der Wanderfische. Es wurde in der Sieg, im Saynbach und im Mühlbach gestartet. Die Ahr kam zwar erst später hinzu, erwies sich aber mit ihrem naturbelassenen Mittel- und Oberlauf und den zahlreichen Kiesbänken als ideales Brutgewässer.
Bezahlt wurden die bislang 250000 Mark für Besatzkosten und 180000 Mark für die wissenschaftliche Begleitung und Kontrolle aus Landesmitteln. Die Lachsbrut wurde aus Frankreich, aus Flüssen mit ähnlicher Wasserqualität, importiert. Und die Knochenarbeit beim Besatz der Ahr mit den Jungfischen übernahmen Freiwillige aus der Region ehrenamtlich.
An der Durchlässigkeit der Ahr nicht nur für Fische, sondern auch für Kleinstlebewesen wird im Rahmen der „Aktion Blau“ gearbeitet Anfang war 1997 der naturnahe Umbau des Bad Bodendorfer Wehrs. An Stelle der einstigen Staustufe plätschert nun ein Wildbach munter über eine steinige Rampe. Im Jahr 2000 wurde mit dem Heimersheimer Wehr ein für Fische praktisch unüberwindbares Hindernis beseitigt. Es folgten Umbauten im Bad Neuenahrer Kurgarten und der Umbau des Wehrs am Spielkasino. Entsprechende Maßnahmen an der Mittelahr stehen noch aus. „So schnell wie möglich soll alles fertig werden“, sagt Josef Groß, der bei der Struktur- und Genehmigungsdirektion Nord (SGD-Nord), Regionalstelle Wasserwirtschaft in Koblenz zuständige Sachbearbeiter.
Die Sache hängt vom Geld ab, das in der Regel zu einem Drittel vom Kreis und zu zwei Dritteln vom Land aufgebracht wird.
Mit Investitionen ist es nicht getan. Das Institut für angewandte Ökologie betreut das Wiederansiedlungsprogramm weiterhin wissenschaftlich. Mitglieder von Angel- und Sportfischervereinen, Fischereipächter und Naturfreunde haben sich dort zu Lachs-Warten ausbilden lassen und beobachten die Entwicklung ehrenamtlich vor Ort. Der besseren Übersicht soll eine Fang- und Kontrollstation dienen, die in Heimersheim vorgesehen ist. Aber die Finanzierung ist nicht gesichert.
Mit dem Wiederansiedlungsprogramm steht Rheinland-Pfalz nicht allein. Seit Anfang der 1990er Jahre ist Nordrhein-Westfalen beteiligt und plant nach den ersten Erfolgen bis ins Jahr 2010 weiter. Ähnlich ist die Lage in Rheinland-Pfalz. Ziel sind Bestände, die sich selbst erhalten können. Die Konsequenz wäre eine begrenzte Nutzung des Speisefischs. Aber eine solche Entscheidung muss von der natürlichen Entwicklung abhängig gemacht werden, sagt Lothar Jörgensen, der das Projekt als Fischereireferent bei der SGD-Nord betreut.
So bleibt der Lachsfang am Ahrufer für absehbare Zeit wohl noch Zukunftsmusik. Denn gemessen an dem Besatz sind die wenigen Rückkehrer, die gesichtet wurden, ein verschwindend kleiner Anteil. Aber mit ihnen ist bewiesen, dass die Wiederansiedlung aussichtsreich ist. Laichgruben in den Kiesbänken sind für die Fachleute außerdem Beleg, dass sich männliche und weibliche Lachse nach der Rückkehr aus dem Meer in der Ahr zur Paarung auch finden.