Kurfürstliches Bad TONIS STEIN

GESCHICHTLICHE STUDIE VON LEO STAUSBERG

„Bad Tönisstein! — Dein Wappen ruft hervor
galante Zeit, Reifrock, Perücke, Degen,
Karossen, Sechserzug, Heiduck und Mohr
und Schäferspiel im Park auf stillen Wegen. —
Verliebter Menuette ferner Klang
umweht des Brunnentempels schlanke Säulen . . .
Dahin! — Vorbei! — Den Talweg braust entlang
die neue Zeit mit Lärm und Motorheulen . . .“

(Aus der Rhapsodie: „Lob der Heimat“ von Leo Stausberg)

In der Tat! Wer von den tausenden Autofahrern, die alljährlich vom zeitigen Frühjahr bis zum späten Herbst auf dem Weg zum Laacher See und seiner weltberühmten Abteikirche das Bad Tönisstein passierten, hat mehr als einen flüchtigen Blick für das bunte Wappen mit dem roten Kurhut über dem Portal des Kurfürstenhofes oder für den an der Straßenbiegung aufragenden zierlichen Brunnentempel! — Und doch lädt kaum ein Ort des an romantischen Landschaftsbildern so reichen Tales, in dessen bizarre Traßwände der Brohlbach und seine Nebenbäche sich eingruben, so eindringlich zu besinnlichem Verweilen ein. Dem aber, der sich dem Zauber des Ortes hingibt, der den Hauch der Geschichte, der hier weht, atmet, wird alsbald die Kunde davon, daß hier, wo mineralische Quellen der Tiefe entsteigen, bereits die Römer, die den Traß des Brohltales zum Bau ihrer Rheinkastelle brachen, Heilung von Rheuma und Gicht suchten. Es waren doch die Söhne einer südlichen Sonne, die allzu leicht im rauhen Klima Germaniens solchen Gebrechen verfielen! Untrügliche Zeugen hierfür sind die zahlreichen Asse und Denare, welche die Quellschächte hergeben, Weihegeschenke frommer und dankbarer Söldner an den Genius loci und die Quellnymphen. Auch in späteren Zeiten bildete Tönisstein eine begehrte Stätte. Eine Kapelle, die am Ende des 14. Jahrhunderts auf schroffem Traßfelsen errichtet wurde und neben einer ergreifenden Pieta Statuen des hl. Eremiten Antonius und des frommen Schäfers St. Wendelin barg, wurde in der Mitte des 15. Jahrhunderts Ansatzpunkt für ein Karmeliterkloster „zu sente Antoniussteyn“, das 1465 gegründet wurde und bis zur Franzosenzeit bestanden hat. Spärliche Ruinen der Kirche und die alte Klostermühle sind Zeugen einstigen Lebens. Die gotische Pieta samt der barocken Umrahmung wurde nach Kell gebracht und ist noch heutzutage das Ziel frommer Wallfahrer aus den umliegenden Dörfern. — Der Brunnen aus der Römerzeit, im Volke einst „Tillerborn“ genannt, erfuhr zu Beginn des 17. Jahrhunderts eine Erneuerung. Der „Tillerborn“ sowohl als auch der im nahen Pöntertal befindliche „Helpert“ (Heilbrunnen) lagen auf kurkölnischem Gebiet. Der letztgenannte Brunnen war ebenfalls den Römern schon bekannt. Auch hier fand man (im Jahre 1862) außer einer römischen Quellfassung zahlreiche Münzen aus mehreren Jahrhunderten römischer Herrschaft. 1887 wurde eine weitere Fassung ausgegraben, die mehrere hundert Münzen aus dem Zeitraum von 48 v. Chr. bis 408 n. Chr. enthielt. Auch drei Votivsteine kamen zutage. Einer trägt die Inschrift: „Apolliniet Nimpis volpinis Cassius gracilis veteranu(s) V.S.L.M.“d. i. „Der Veteran Cassius gracilis hat dem Apollo und den Volpinischen Nymphen sein Gelübde gerne und gebührlich entrichtet.“

Architekten-Modell (Original) der von Kurfürst Clemens-August von Köln i. J. 1759 erbauten Kapelle im Bad Tönisstein (Architekt: Henri Roth)

Vorweg sei gesagt, daß der „Helpert“ schon nachweislich 1501 im Besitz der Stadt Andernach war und zur Gewinnung von Sauerwasser genutzt wurde. Der 1487 in Andernach geborene Medicus Johannes Guinther, Professor in Straßburg und Pa= ris, gab 1565 eine Schrift heraus, welche die Heilkraft dieses „Heylborns“ pries. 1739 erwarb der Kölner Kurfürst Clemens August diese Quelle von der Stadt Andernach gegen Abtretung gewisser Teile der Andernacher Stadtbefestigung, die bis da= hin zu der dort befindlichen kurfürstlichen Burg gehört haben. Der bereits genannte „Tillerborn“ indes war schon früher von den Kölner Kurfürsten in Benutzung genommen worden. Von den fünfbayrischen Prinzen, die seit 1583 nacheinander den Kölner Kurhut trugen, mag schon der erste, Ernst, der von 1583—1612 regierte, den Ort zum Badeort erkoren haben. Von seinem Nachfolger Ferdinand (1612—1650) wissen wir, daß er häufig dort weilte und dann täglich das nahe Kloster St. Antoniusstein besuchte. Die Chronik dieses Klosters vermerkt, daß er zwei riesige, kunstvoll dekorierte Kerzen für das dortige Gnadenbild fertigen ließ. 1617 sind Baulichkeiten für das Bad nachgewiesen. Der Professor an der Universität der Freien Reichsstadt Köln, Petrus Holtzemius, der von 1607 bis 1651 auch kaiserlicher Pfalzgraf war, verfaßte im Jahre 1620 — wohl auf Veranlassung des Kurfürsten Ferdinand — eine medizinische Schrift, betitelt „Descriptio fontis medicati S. Antonii, vulgo Tillerborn dicti, prope Andernacum“ (d. i. „Beschreibung der Heilquelle des hl. Antonius, gewöhnlich Tillerborn genannt, in der Nähe von Andernach“). Seither wurde der Name „Tönisstein“ auch für das Bad gebräuchlich, — Kurfürst ‚Max Heinrich (1650—1688) erweiterte die Badeanlagen und errichtete im Jahre 1666 hier ein Schloß. Er war dem einsamen, idyllischen

Ort zugetan, der seinem eigenen weltfremden, scheuen Wesen entsprach. Er, der mit dem „roi soleil“, dem „Sonnenkönig“ Ludwig XIV. von Frankreich über alchimistische Probleme korrespondierte, in nutzlosen Experimenten — wie viele Zeitgenossen — den „Pierre philosophale“, den „Stein der Weisen“ suchte, verträumte seine Winter in den Mauern des Kölner Pantaleonstiftes, seine Sommer im Bad Tönisstein. Indessen spannen seine intriganten, frankophilen Freunde und Berater Franz Egon und Wilhelm Egon von Fürstenberg ihre Fäden zum „roi soleil“ und steuerten das kurkölnische Staatsschiff in das Unheil, aus dem unserer rheinischen Heimat das Schreckensjahr 1689 erwuchs, in dem zahllose Burgen, Kirchen und Klöster von den Söldnerscharen Ludwigs XIV. in Schutt und Asche gelegt wurden.

Die Tönissteiner Kuranlagen erfuhren von Max Heinrichs Neffen und Nachfolger Josef Clemens (1688—1723) weiteren Ausbau. Von ihm stammt der noch vorhandene Brunnentempel mit – seinen vier toskanischen Säulen und der welschen Dachhaube. Die ovale Brunnenfassung, aus der auch heute noch das mineralische Wasser, Blasen werfend, hervorpulst, trägt die Inschrift:

„ANNO 1700. J.C.C.Z.C.H.I.B.“

d. h. Josef Clemens, Churfürst zu Cöln, Herzog in Berchtesgaden (resp. Bayern). Auch der baufreudige und prunkliebende Kurfürst Clemens August (1723—1761), der Vollender des Brühler Schlosses, liebte Bad Tönisstein. Nach großzügigen Plänen begann er es auszubauen. Vieles davon blieb Projekt. Badehaus, Ballhaus und Kapelle wurden vollendet. Erkennbares wurde nicht in die Gegenwart hinübergerettet. Nur aus Zeichnungen und Plänen wissen wir um die Großzügigkeit der Anlage. Das sehen wir aus Skizzen von Renier Roidkin (1725) und J. Metz (1760). — Ein glücklicher Zufall bewahrte ein naturgetreues Architektenmodell der Kapelle bis heute. Der derzeitige Besitzer des Kurfürstenhofes konnte es vor einigen Jahren aus fremdem Besitz erwerben. Es befindet sich z. Zt. im erwähnten Hotel. Die Kapelle wurde 1759 konsekriert. Über sie heißt es im Band „Mayen“ der „Kunstdenkmäler der Rheinprovinz (1941.)“ von deinen: „Die leider untergegangene Kapelle war ein origineller, sonst im Rheinland nicht mehr auftretender Typ der Rokokoarchitektur mit dem deutlichen Streben nach ruhigeren und von der vorausgegangenen Zeit unabhängigen Gestaltungsformen in Grundriß und Aufbau. Die Einzelformen, namentlich an den Portalarkaden, sind eng verwandt mit dem Orangerieflügel des Schlosses Brühl und weisen deshalb auf einen mit diesem gemeinsamen Architekten H(enri) Roth hin.“ — Dem klassisch schönen Kapellen= bau entsprach die kostbare Ausstattung: drei Rokokoaltäre zu Ehren der Himmelfahrt Maria, der hl. Maria Magdalena und des hl. Hyazinthus. Zur Zeit des Kurfürsten Max Friedrich von Königseck wurden zwei derselben nach dem Brande des kurfürstlichen Schlosses zu Bonn in die neue Schloßkapelle gebracht. Diese Altäre gelangten später in die St. Annakirche nach Düren, wo sie leider den Bomben des zweiten Weltkrieges zum Opfer fielen. Für die Weltfreudigkeit des Kurfürsten Clemens August ist ein Spruch, der dazumal im Volksmund geprägt wurde, bezeichnend:

„Bei Clemens August trug man blau und weiß,
da lebte man wie im Paradeiß.
Bei Max Friedrich trug man sich schwarz und roth,
da litt man Hunger, wie die schwere
Not.“

Von dem Aufwand und Prunk, den der Fürst entfaltete, mögen auch die Bewohner des Brohltales profitiert haben. Er besuchte sein Bad Tönisstein keineswegs zu stiller Einkehr, wie es Max Heinrich oder zuvor Ferdinand zu tun pflegten. Mit dem ganzen Pomp jener Zeit, in Prunkkarossen, mit Komödianten und Sängerinnen und einem ganzen Hofstaat reiste er dorthin. Dabei benutzte er von Brühl her kommend den Weg, der durch das herrliche Vinxtbachtal bis Gönnersdorf und von dort am Frauenberger Hof und am Herchenberg vorbei ins Brohltal und weiter nach Bad Tönisstein führt. Er heißt heute noch der „Kutschenweg“ und ist als solcher auch auf dem Meßtischblatt verzeichnet. Der Frauenburger Hof aber war der Sommersitz der Fürstäbtissin des Stifts und Fürstentums Essen. Zum Fürstentum gehörte seit dem Ende der Karolingerzeit, seit 898, das sog. „Ländchen Breisig“ mit den Gemeinden Ober- und Niederbreisig, Brohl, Ober- und Niederlützingen und Gönnersdorf. Darin eingeschlossen lag die Burggrafschaft Rheineck, die seit den Tagen Barbarossas zum Erzstift Köln gehörte. Um die gleiche Zeit war auch in Andernach eine kurkölnische Feste erbaut worden, und das Amt Andernach war kurkölnisches Hoheitsgebiet. Dieses muß man wissen, um folgende Begebenheit verstehen zu können.

Seit 1726 hatte eine Prinzessin Franziska=Christine von Pfalz=Sulzbach das Fürstentum Essen inne. Sie war eine Base des Kurfürsten Clemens=August. Im Gegensatz zu ihrem weltfrohen Vetter war Franziska= Christine eine Frau von strengen Sitten. Als sie das allzu diesseitsfreudige Treiben in Bad Tönisstein erfuhr, beschloß sie, es, soweit es an ihr läge, zu unterbinden. Möglich auch, daß sie dabei einem Wink der päpstlichen Kurie folgte, denn wir wissen, daß der Kölner Kirchenfürst im Jahre 1755 eine Romreise unternehmen mußte, um „Verleumdungen“ zu entkräften. Die fromme Dame verbot dem Vetter kurzerhand die Durchfahrt durch ihr „Ländchen“, als er wieder einmal mit großem Gefolge, worunter sich zwei schöne italienische Sängerinnen befanden, das Vinxtbachtal hinaufzog. Er mußte umkehren. Erst als er vom kurkölnischen Andernach über das ebenfalls in seinem Hoheitsgebiet liegende Namedy einen Fahrweg hatte bauen lassen, der durch das Pöntertal nach Bad Tönisstein führte, konnte er wieder in sein Idyll reisen. Noch heute existiert der aus der Not und Laune eines Fürsten aus galanter Zeit geschaffene Weg und heißt „Kurfürstenweg“. — Der bereits erwähnte Bau der Kapelle zu Tönisstein im Jahre 1759 mag aus dem Bestreben Clemens August zu erklären sein, gegenüber Rom einen Gesinnungswandel zu dokumentieren. Als er auf einer Reise im Jahre 1761 in Ehrenbreitstein unerwartet starb, war die Glanzzeit des Bades Tönisstein vorbei. Von der Entfernung der Altäre aus der Kapelle unter Clemens August Nachfolger Max Friedrich von Königseck war schon die Rede. Auch der letzte Kurfürst von Köln, Max Franz, Sohn der Kaiserin Theresia, der 1784 zur Regierung kam, scheint keine Beziehungen mehr zu unserem Bad gepflogen zu haben. Er erbaute in dem bequemer zu erreichenden Godesberg nahe dem dortigen Mineralbrunnen die sogenannte Redotite, die heutigentags als „Gute Stube“ der Stadt Bad Godesberg weiterhin Zwecken der Repräsentation dient.

Die Franzosen beendeten 1794 die Feudalzeit. Auch Bad Tönisstein ging unter. Nach 1815-übernahm der preußische Staat das säkularisierte Erbe des französischen Staates. 1886 kaufte der Industrieunternehmer August Thyssen Bad Tönisstein und den Heilbrunnen, um die Quellen zur Gewinnung von Chemikalien, Salzen und Kohlensäure auszubeuten. Der Chemiker Dr. Carl Kerstiens erwarb im Jahre 1891 den Heilbrunnen im Pöntertal. Dort wurde das Hauptgewicht auf die Gewinnung von Tafelwasser gelegt. Die Quelle wurde in „Tönissteiner Sprudel“ umbenannt und erlangte Weltruf. Als im Jahre 1956 der Sohn des. Gründers, Dr. Rudolf Kerstiens, das ehemalige Bad Tönisstein mit großem Terrain hinzuerwerben konnte, in dem auch der Traßfelsen mit der Klosterruine St. Antoniusstein liegt, war alter Zusammenhang wiederhergestellt. Von den alten Bauten des Bades war wenig übriggeblieben. Nun erhielten Bad und Hotel ihre heutige Gestalt. Der Charakter eines mineralischen Moorbades verleiht der Kuranstalt eine Sonderstellung unter den rheinischen Bädern. Der Besitzer ist bemüht, die an dem Ort haftenden geschichtlichen Erinnerungen wachzuhalten. Der Kurgast, der Heilung in kräftigender Quelle sucht, wird — des sind wir gewiß — bald auch die besondere Atmosphäre des idyllischen Ortes ebenso liebgewinnen Wie jene Damen und Herren des Rokoko, die sich weiland hier ergingen!