„Kuck mal, wo wir wohnen“ – Ortsführer Heimersheim von Schülern der Grundschule
Die Einladung ist klar formuliert: „Von Kindern für die Leute“ lautet der Untertitel eines ungewöhnlichen Ortsführers, den Schülerinnen und Schüler der vierten Klassen der Grundschule Heimersheim in Bad Neuenahr-Ahrweiler geschrieben haben. Die Leute, also die Erwachsenen, sollen sich einmal anschauen, wie die Kinder ihr Umfeld sehen. Und dabei lässt sich viel Neues auch für die Erwachsenen entdecken.
Manches, was hier an historischen Daten zusammen getragen ist aus Heimersheim, Heppingen, Gimmigen, Kirchdaun, Lohrsdorf und Ehlingen, werden auch viele Erwachsene nicht kennen – etwa, dass Heimersheim früher eine Mädchenschule hatte und dort bis 1960 Unterricht gegeben wurde und wo sie stand. „Heute ist die Mädchenschule ein Wohnhaus, wie man auf dem Foto sieht“, informiert der Ortsführer „Kuck mal, wo wir wohnen“. Zu erfahren, was den Kindern wichtig ist, kann dem Erwachsenen durchaus wertvolle Impulse geben. Nicht nur, wenn einer der jungen Autoren das Fehlen eines Spielplatzes bemängelt (Neubaugebiet in Lohrsdorf), sondern auch, wenn er etwas über seine Heimatgefühle sagt: „Am besten gefällt uns der Wald, der ringsherum ist. Das ist unser Lieblingsspielplatz. Wir schnitzen uns viele Stöcke und spielen damit. Ich kann mir gar nicht vorstellen, woanders zu wohnen.“ (wieder Lohrsdorf).
Zunächst einmal ging es den Klassenlehrerinnen Ursula Röcke und Julia Schäfer aber nicht darum, den Erwachsenen die Augen zu öffnen. Vielmehr wollten sie die Schüler motivieren, viel Neues zu entdecken. Sich mit der Heimat auseinanderzusetzen, steht übrigens auch im Lehrplan für das vierte Schuljahr. So erlebten die Klassen im zweiten Schulhalbjahr bei den Arbeiten für den Ortsführer Unterricht außerhalb der Schule, bei der Pirsch durch das Dorf, bei der intensiven Betrachtung der Heimersheimer Kirche, beim Besuch im Schloss Metternich in Heppingen oder auf der Wanderung nach Kirchdaun. Schauen, suchen, finden, fragen, aufschreiben, abmalen, berichten, neu formulieren, Schönschrift anwenden, das sind Schritte, die nicht nur konkret das Werk vollenden, sondern auch bei den Akteuren neue Erkenntnisse wecken. Wer sucht und fragt, findet und hört Vieles, entdeckt Verborgenes – und lernt dabei, ohne dies als Lernen zu erleben. Zusammenhänge werden klar, Plätze, Kirchen und Häuser bekommen einen anderen Stellenwert, wenn man etwas über sie weiß. So werden die Kinder kundig in Fragen zu ihrer Heimat.
Arbeit ist eine gute Schule. Jedes Kind träumt davon, so zu arbeiten wie die Erwachsenen. Deshalb stürzten sich die Schülerinnen und Schüler mit großer Begeisterung auf das Projekt des Ortsführers. Sie machten ein Interview mit dem Heppinger Burgherren Graf Metternich, sie fragten ihre Großeltern nach dem Kirmesleben früherer Tage aus, sie besuchten mit einer kleinen Gruppe das Kreisarchiv (dort beeindruckten sie weniger alte Bücher als eine mechanische Schreibmaschine!) und luden den früheren Schulleiter Adams in die Schule ein. Aber damit war das Werk noch nicht vollendet. Es galt zu sortieren, zu kürzen, nachzubessern, nach Bildern zu suchen – und alles pünktlich fertig zu haben, schließlich stand der Termin der Vorstellung in der lokalen Presse am vorletzten Schultag unerbittlich fest. Sie haben es bewältigt, eine Erfahrung, an die sie sich wohl ihr ganzes Leben erinnern werden. Grafiker Thomas Glöckner, als Vater eines Viertklässlers ohnehin von der Aktion „betroffen“, nahm sich professionell der Unterlagen an und formte ein stattlichen Heft von 32 Seiten daraus. Als nach der Vorstellung in den Heimersheimer Geschäften und anderswo die Hefte auslagen, werden die Kinder „heimlich“ danach geschaut haben – mit einem sehr guten Gefühl im Bauch. Das Heft wird übrigens für 3,50 Euro verkauft, der Überschuss fließt dem Ruanda-Projekt der Grundschule Heimersheim zu.
Die Projektgruppe der Grundschule mit ihrer Lehrerin Ursula Röcke vor dem wieder aufgebauten Heimersheimer Westtor, 2003
Auch wie die Arbeit bewältigt wird, ist eine wichtige Erfahrung. Der pädagogische Hintergrund dazu heißt Teamarbeit. In kleinen Gruppen sammelten die Kinder ihre Eindrücke, meist in ihrem Heimatdorf, werteten sie aus und präsentierten sie den übrigen. So wurde jeder im kleinen Kreis vorbereitete Beitrag im großen Kreis besprochen, gegebenenfalls auch kritisiert. Jedes Kind kam die Rolle des Kritikers, ein anders Mal eventuell auch in die Rolle des Kritisierten. Wie geht eine Klasse damit um? Wie gut der Zusammenhalt ist, zeigt sich beispielsweise darin, ob der Autor eines kritisierten Textes ausgelacht oder gestärkt wird. All das gehört zur Projektarbeit, wie sie im vierten Schuljahr an den Grundschulen statt findet.
Mit Fleiß, Ausdauer und Begeisterung
erarbeiteten die Grundschüler die
Texte, 2003.
Hatte alles die Zustimmung gefunden, folgte der weniger beliebte Schritt der Reinschrift. Unliniertes Papier war Bedingung – eine schwierigkeit, an der manch ein Kind zu „kauen“ hatte. Arbeit ist eben nicht immer schön. Bei diesem Punkt ging es aber darum, die Authentizität der jungen Autorinnen und Autoren zu wahren – ausschließlich abgetippte und sauber gesetzte Texte hätten weniger daran erinnert, dass der Ortsführer von Kindern gemacht ist. Bis auf wenige Ausnahmen wurde auch nur auf von den Kindern verfasste Texte zurück gegriffen. Nur bei schwierigen Zusammenhängen – etwa zu Themen der Geschichte – fanden hier und da Zitate aus Büchern und anderen Unterlagen Gnade vor der großen Redaktionskonferenz.
Aus der Welt der Erwachsenen haben die Jungen und Mädchen einiges erfahren in der halbjährigen Projektarbeit. Eine umgekehrte Wirkung ist ebenfalls möglich, wenn der Erwachsene sich darauf einlässt und den Ortsführer sorgfältig liest. Zum Beispiel die Erwähnung des früheren Klosters Cassiusstift in Gimmigen. Zu sehen ist davon heute nur noch ein kleines Stück Mauer. Damit lässt es der Erwachsene bewenden. Kinder haben einen anderen Blick: „Es ist eine alte Schiefermauer, wo heute noch Eidechsen wohnen“.