Kempenicher Originale
Dörfliche Begebenheiten aus früherer Zeit
Manfred Becker
Der Postbältes
Balthasar Schmitz, der legendäre „Postbältes“, war geboren im Jahre 1820 in Kempenich. Von Beruf war er Postschaffner, in seiner karg bemessenen Freizeit Musiker.
Um den Postbältes und seinen Freund Salomon Kempenich ranken sich viele Legenden und Anekdoten, beide waren stets lustige und schelmische Erdenbürger. Läutete einmal nachts in einem Nachbardorf um 24 Uhr, zur Geisterstunde, das Kapellenglöckchen, dann wußte man, Bältes und Salomon kehrten mal wieder von einer Tanzveranstaltung heim, mit dem Schalk im Nacken. Die Baßgeige des Bältes soll sogar im Winter als Schlitten gedient haben, wenn er nachts einen vereisten Hang herunter kam.
Bis zum Jahre 1901, also bis zum Alter von 81 Jahren, holte der Postbältes jeden zweiten Tag die Post in Adenau, am anderen Tag wurde diese in Kempenich und den Nachbardörfern ausgetragen. Sein Lohn waren 300 Taler im Jahr. Hochbetagt ist der Bältes im Jahre 1910 verstorben.
Die „Leise-Zwillinge“
Geboren waren die Gebrüder Hannes und Josef Schmitt im Gasthaus „Zur grünen Eiche“, dort wo heute das Jugendheim steht. Beide hatten sieden Krieg 1870/71 mitgemacht.
Als sie noch in die Schule gingen, in die alte Schule in der heutigen Marienapotheke, da kam eines schönen Tages der Schulrat und hielt seine Visitation ab. Dabei wurden die Kinder ganz gehörig mit allerlei Fragen genervt. So unter anderem auch über die Orte im damaligen Palästina.
Am Nachmittag saßen Hannes und Jüppchen im Bruch, am Wege nach Spessart. Der Schulrat kam vorbei und erkundigte sich, ob er richtig sei auf dem Wege nach Spessart. Da sagte Hannes zu Jüppchen: „Da kannst du mal die feinen und klugen Herren sehen, heute morgen wußte er wo Bethlehem und Jerusalem liegen, und jetzt weiß er nicht einmal wo Spessart liegt.“
„Kellesch Sebastian“
Sebastian Keller war am 28. 6.1846 in Kempenich geboren. Er lebte in der „Suppejass“, dem heutigen Entenpfuhl, gegenüber dem jetzigen Gemeindeschuppen des Werner Neiß.
Sebastian Keller war sehr kinderlieb, was alte Bildaufnahmen beweisen. Auch er war stets zu Streichen aufgelegt, die jedoch von sehr harmloser Art waren. Hochbetagt ging er um das Jahr 1920 in ein Altenheim nach Adenau. Im Jahre 1923 bestellte er sich am 1. Maisonntag eine Kutsche und fuhr als „Graf Schlendrian“ zur Kempenicher Kirmes.
„Kochs Tünn“ alias Dr. Koch.
Der wohl originellste Karnevalist von Kempenich war Toni Heuser, auch Kochs Tünn, oder Dr. Koch genannt. Er war der Sohn des letzten Köhlers von Kempenich, des Theodor Heuser, welcher 1936 verstorben ist.
Kochs Tünn war ein Freund von Dr. Fackeldey, dem damaligen Dortdoktor. Beide versuchten sich immer wieder reinzulegen und dies mit List und Tücke.
Dr. Fackeldey ging, wie es sich seines Standes gebührte, zur Jagd. Eines Tages kündigte er seinem Freund Tünn einen Pirschgang zum „Engelner Bösch“ an. Toni stellte darob auf die Lichtung vor dem Jagdstuhl, einen Holzbock auf, verkleidet mit einer Kuhhaut. Aus zwei dürren Ästen wurde ein Geweih hergerichtet. In mondheller Nacht hat dann Dr. Fackeldey einige Schüsse auf den vermeintlichen Hirsch abgefeuert, doch dieser kam zu seiner Verwunderung nicht zu Fall.
Die Rache folgte an Karneval. Tünn war Kommandant der Stadtsoldaten und probierte vor dem Rosenmontagszug seinen Helm an. Dr. Fackeldey hatte jedoch am Sitzen des Helmes einiges auszusetzen. Mit dem Vorwand, er müsse die Helmform leicht verändern, ging er aus dem Zimmer. Er bestrich den Helm innen mit Leim, kam zurück und drückte den verleimten Helm dem Toni aufs Haupthaar. Tünn, schon leicht angeseuselt, bemerkte den Streich nicht. Nach dem Umzug jedoch, war der Helm so fest mit dem Haupte verbunden, daß es größte Mühe kostete, bis man den Helm nach Tagen vom Kopf gelöst hatte.
Der „Nähte Bischof“
Richtig hießerwilhelm Kaitz und stammte aus Netterhöfe, einem Flecken unweit von Kempe-nich. Seinen Lebensunterhalt bestritt der wakkere Junggeselle vom Kleinhandel und Schafehüten. Mitunter besorgte er auch für die Metzger der Umgegend das Schlachtvieh, welches er oft von weither herbeitrieb.
An seinem Wohnhaus in Netterhöfe führte er keine Reparaturen aus, da ihm hierzu die Mittel fehlten und er auch keinen besonderen Wert darauf legte. Der Basaltsturz über der Haustür hatte sich gelockert. Es war eine Frage der Zeit, wann dieser Sturz einbrechen würde. Die Dortbewohner machten den Gendarm auf den gefährlichen Zustand aufmerksam und dieser erschien denn auch bei Wilhelm, um ihn zur Beseitigung der Gefahrenstelle aufzufordern. Der Gendarm stand in der Tür, Wilhelm saß beim Frühstück in der Küche, mit dem Rücken zur Tür. Der Gendarm sprach: „Herr Kaitz, wollen sie nicht endlich den schadhaften Sturz befestigen lassen?“ Wilhelm sagte gelassen, ohne sich umzudrehen: „Wie, seit ihr der Maurer, dann gebt euch an die Arbeit.“
Nachdem das Haus ganz zerfallen war, zog Wilhelm 1945 zu seiner Schwester Grit nach Kempenich. Hier führte er sein ruhiges und beschauliches Leben fort. Er läutete für den Küster die Kirchenglocken und war auch sonst ein frommer Mann. Keinen Gottesdienst ließ Wilhelm aus, was ihm den Namen „Nähte Bischof“ einbrachte.
Der „Flonte Hannes“
Johann Baltes war ein höchst knurriger und eigenwilliger Junggeselle. Er war sehr groß und von hagerer Gestalt. Da er sich über alles ärgern konnte, war er dem Spott der Dorfjugend ständig ausgesetzt. Besonders schlimm war es stets am 1.Mai, also indersogenannten Hexennacht. Dann wurde sein Holzschuppen ausgeräumt, bis zum letzten Gerät. Es folgte immer ein großes Palaver und eine Anzeige beim Ortspolizisten.
Dieser wurde schon ärgerlich, wenn der Hannes nach einem bösen Streich bei ihm auftauchte, um Anzeige zu erstatten. Wurde der Hannes jedoch einmal verschont, so war ihm dies auch nicht recht. Dann zeigte er sich stets in der Mainacht, damit die Jugend auf ihn aufmerksam wurde.
Einmal sollten sich drei böse Buben bei Hannes entschuldigen für ihre Schandtat. Der Hannes lag noch im Bett und drehte sich nicht um, als die drei das Wohn- und Schlafzimmer betraten. Bei ihm gäbe es keine Entschuldigung, meinte er. Da nahm einer der Unholde die Schuhcreme aus dem Karton unter dem Bett und rieb dem Hannes die Glatze ein, der darauf zornig und schwarz, im Nachthemd die Übeltäter bis auf den Burgberg verfolgte.
Peter Hoffmann – „der Schlau“
Ein eiserner Junggeselle war Peter Hoffmann, ob seiner vielen Talente „de Schlau“ genannt. Auch er war in der „Suppejass“ beheimatet, einem Eldorado Kempenicher Originale. Landwirtwar er von Beruf und lebte sehr bescheiden auf einem alten beengten Bauernhof Ecke Entenpfuhl – Hinterdort. Er war ein Meister der Fotografie und viele alte Bilder von Kempenich und seinen Bewohnern verdanken wir ihm. Auch in der Kunst des Holzschnitzens war er bewandert. Viele wertvolle Figuren hat er mit Meisterhand geschaffen. Als Goldschmied betätigte er sich ebenfalls, die Aufsatzkugel sowie der alte Kirchenhahn wurden von ihm vergoldet. Peter Hoffmann war ein vielseitiger Mensch, jedoch immer sehr eigenwillig und leicht reizbar.
Viele Anekdoten sind mit seinem Namen verbunden. So hatte „Schlau“ bereits als einer der Ersten ein Motorrad. Eines schönen Sommertages fuhr er mit dem Motorrad gegen Mayen. Auf dem Rücksitz saß seine Schwester, Jelen-kirchs Grit. Nun hörte der Schlau nicht gut, da er schon betagt war. Auf der holprigen Schotterstraße hatte er schließlich seine Schwester kurz hinter Kempenich verloren. Als er in Mayen seine Schwester zum Absitzen aufforderte, sah er erstaunt, daß diese fehlte.
Dechant Simon
Im Jahre 1901 kam der in Ehrenbreitstein geborene Wilhelm Simon als Pastor nach Kempenich. Auch Wilhelm Simon war ein Original von besonderer Art. Noch heute wird sein Name oft genannt, denn der Seelenhirte regierte mit harter Hand seine Schäfchen.
Schon damals war es eine Unsitte, daß am Sonntag während der heiligen Messe die Männer vor der Kirche standen und sich unterhielten. Der streitbare Dechant trieb sie dann stets mit dem Weihwasserquast in die Kirche und schimpfte dabei fürchterlich.
Dechant Simon besaß zwei große Schäferhunde. mit denen er in regelmäßigen Abständen seine Kontrollgänge durchs Dorf vornahm, Tauchte er auf. war die Straße leergefegt von Menschen, denn alle hatten Angst vor dem gestrengen Herrn.
Als er 1915 Kempenich verließ, um Pastor in der Moselgemeinde Lay zu werden, hatte er viel für Kempenich getan. Unter anderem wurde unter ihm die Erweiterung der Pfarrkirche vorgenommen. Er verfaßte eine Heimatchronik, die für uns sehr wertvoll ist.
Dies waren nur einige Kempenicher Originale. Heute sind wir arm geworden an solch ausgeprägten Charakteren. Dies ist schade. Trugen doch gerade diese Originale zur Lebensfreude bei. obwohl sie selbst dies kaum bemerkt haben dürften.