Karl May in Brohl. Am 12./13. Juni 1897 besuchte der Erfolgsautor eine Stammtisch-Gesellschaft in Brohl
Generationen von Jugendlichen, aber auch Erwachsene haben mit Begeisterung die spannenden Reiseschilderungen und Abenteuerbücher von Karl May (1842-1912) gelesen. Die Helden Kara BenNemsi, Old Shatterhand und der edle Indianerhäuptling Winnetou sowie der lustig-listige Hadschi Halef Omar sind bis heute vielen ein Begriff. Ein Lieblingsautor der Jugend ist Karl May dennoch gewiss nicht mehr.
Zur Popularisierung der Werke und weiten Verbreitung haben vor allem seit den 1960er Jahren die Winnetou-Filme mit Pierre Brice und Lex Barker beigetragen. Auch erfreuen sich bis heute die Winnetou-Festspiele in Bad Segeberg (seit 1952) und in Els-pe/Sauerland (seit 1958) gro-ßer Beliebtheit.1)
Über 100 Millionen Exemplare soll die Gesamtauflage seiner Werke betragen, die in 28 Sprachen übersetzt wurden. Seit 1892 sind 74 Bände erschienen. Eine Gesamtausgabe mit 100 Bänden ist vorgesehen.
Gekauft werden die dicken Wälzer Karl Mays nach wie vor, ob sie auch in dem Umfange wie früher gelesen werden, ist indes fraglich.
Ansicht von Brohl, um 1900
Sie vermitteln aber dem Leser, der in sie eintaucht, sich auf sie einlässt, nach wie vor ein eindringliches, spannungsreiches und phantastisches Bild vom Orient und von Nordamerika.
Enthusiastische Verehrer der Werke in früherer Zeit
Dass sich mit diesen Reisebeschreibungen und Abenteuerbüchern Ende des 19. Jahrhunderts sogar ganze Stammtischgesellschaften von Honorationen enthusiastisch beschäftigten, ist alledings heute kaum noch vorstellbar. Wo Karl May auftrat, strömten die Leser in großer Zahl zusammen. Lesungen und Vorträge des Erfolgsautors waren oft Massenveranstaltungen. So auch in München am 5. Juli 1897. Dort „musste die Polizei vor dem Münchner Hotel Tref-ler Hunderte von anrückenden Lesern mit der Feuerwehrspritze von der Straße vertreiben.“2) Ein Beispiel für „Starrummel anno 1897″.
Karl May reiste im Sommer 1897 von Hamburg an den Rhein, in die Pfalz, nach Insbruck und München. Am 12. Juni machte er auch Station in Brohl am Rhein. Seinen Besuch hatte er in dem Hafenort nicht angekündigt. Im Gasthaus Drolshagen, das heute nicht mehr besteht, stieß er auf einen Kreis von gestandenen Bürgern.3) Wer zu dieser illustren Runde zählte, ist nicht bekannt. Eifrige Leser Karl Mayscher Werke trafen sich aber in diesem Gasthaus wohl regelmäßig und diskutierten begeistert die Werke des verehrten Autors.
Brohl um 1900
Brohl hatte vor 1900 1.346 Einwohner, von denen 1.287 der katholischen Kirche angehörten, 49 waren evangelische Christen, 4 Juden. Der Ort zählte 196 Wohnhäuser mit 253 Haushaltungen mit zwei und mehr Personen,4) besaß einen Rheinhafen und eine Bahnstation. In Planung befand sich eine Schmalspurbahn durch das Brohltal, die 1901 eröffnet wurde (der heutige Vulkan-Expreß). Die neue katholische Pfarrkirche St. Johannes stammte dem Jahr 1891. Der Ort am Rhein war industriell geprägt.
Der Besuch
Die Brohler Stammtischgesellschaft – heute würden wir von einem Fan-Club des Autors sprechen – hatte u. a. zu verschiedenen Anlässen Telegramme mit Glückwünschen an Karl May gesandt.
Aber auch in Briefen „des öfteren bei passenden Gelegenheiten ihre Bewunderung für den gefeierten Schriftsteller zum Ausdruck gebracht“.5)
Karl May hatte auf diese Post aus Brohl geantwortet. Ein Dankschreiben von seiner Hand hatten die Bewunderer gerahmt und zusammen mit einer Photographie des Schriftstellers in ihrem Stammlokal aufgehängt.
Karl May erhielt oft körbeweise Fan-Post, um deren Beantwortung er sich persönlich kümmerte.
Die Briefe aus Brohl müssen ihn auf seiner Reise im Sommer 1897 zum Besuch der Verehrer angeregt haben. Vielleicht geht sein Halt in Brohl aber auf eine persönliche Einladung zurück. Über den Anlass und die näheren Umstände liegen leider keine Unterlagen vor. In Begleitung seiner Ehefrau Emma fand sich Karl May am 12. Juni 1897 im Lokal Drolshagen ein. „Als der erst unerkannt Hinzugekommene aus seinem Incognito heraustrat, entstand die größte Überraschung, die sich bald in lebhaftem Jubel Luft macht. Bis in die tiefe Nacht hinein weilte der berühmte Reisende im Kreise seiner Leser, die sich an seiner interessanten Erzählkunst nicht satthören konnten und Hunderte von wissbegierigen Fragen stellten. Da erfuhr man von Winnetou und anderen mündlich, worüber man so vieles gelesen.“6) Dies ist der wenige Tage in später am 16. Juni 1897 in der Sinziger Zeitung erschienenen Pressemeldung zu entnehmen.
Von Karl May ist bekannt, dass er sich in solchen Gesellschaften sehr wohl fühlte. Auch in Brohl trat er als „Dr. phil“ auf, führte einen Titel, den er nie erworben hatte.
Vielfach versicherte er bei Veranstaltungen dieser Art, dass alles von ihm Beschriebene nicht erfunden, sondern auch Erlebtes sei. Er gab sich als polyglotter Globtrotter aus, der angeblich 40 Sprachen sprechen und 1.200 verstehen konnte.
„Diese Auftritte setzten in anderer Ebene, außerhalb des Kriminellen, die früheren Hochstapeleien des Pseudologen May fort und sind ein erstes großes Beispiel modernen Starrummles“.7)
May schlüpfte vor seinem Publikum in die Rolle, die ihm zugedacht wurde. Er erfüllte als Held die an ihn gestellten Erwartungen nach abenteuerlichen Erzählungen. Er wurde der Erzähler in seinen Romanen.
Karl May als „Kara Ben Nemsi“, um 1896
Biographische Enthüllungen, eine Entzauberung des Autors fand bei solchen Begegnungen natürlich nicht statt. Vielmehr wurde der Mythos, der Autor Karl May als Held, weiter aufgebaut und durch das mündliche Fortspinnen der Abenteuererzählungen untermauert.
Dass die Brohler Anhänger begeistert, ja überglücklich über den prominenten Besucher waren, ist verständlich. Der Autor blieb zur Freude der Runde sogar noch über Nacht in Brohl. „Am anderen Morgen sammelte sich zum Frühschoppen bald wieder ein Kreis um den Genannten, der ihn denn auch um 2 Uhr zum Bahnhof geleitete.“
Das nächste Reiseziel wird in der Pressemitteilung nicht genannt.
Sein „Versprechen, nächsten Herbst wiederum den Rhein zu besuchen“, löste Karl May nicht ein.
Aufschlussreich ist noch die Bemerkung gegenüber den Brohler Lesern, dass er beabsichtige, „seine Werke dramatisch (zu) bearbeiten“.8) Auch hierzu ist es nicht gekommen.
Allerdings hat Karl May in den nächsten Jahren noch eine Reihe Werke geschaffen, die bei der Brohler Leser-Gemeinde gewiss auf großes Interesse stießen, da sie ja durch die Begegnung mit dem Autor noch zusätzlich motiviert wurden.
Der Besuch des Erfolgsautors in Brohl kann als typisch für ähnliche Auftritte Mays vor seiner Leserschaft gewertet werden.
Von den dürftigen Lebensumständen, in die Karl May hineingeboren wurde, erfuhren die Leser ebenso wenig wie von der traumatischen Zeit des Autors in Gefängnissen.
Biographisches
Karl May wurde am 24. Februar 1842 in Ernstthal geboren.9) Der damals etwa 3.000 Seelen zählende Ort liegt zwischen Zwickau und Chemnitz. Karl war das fünfte von insgesamt 14 Kindern einer Weberfamilie.
Bis zum 4. Lebensjahr war Karl May aufgrund einer Infektion blind. Durch eine Operation erhielt er seine Sehkraft zurück.
Er schloss die Ausbildung zum Volksschullehrer erfolgreich aber, geriet aber anschließend mit dem Gesetz in Konflikt. Die Wegnahme einer Uhr, Tabakspfeife und Zigarrenspitze trug ihm sechs Wochen Gefängnis ein.
Zwischen 1864 und 1874 verbrachte er wegen weiterer geringfügiger Eigentumsdelikte und Hochstapeleien insgesamt 8 Jahre im Gefängnis und Zuchthaus.
1874 begann er zunächst für Wochenzeitschriften mit Dorfgeschichten, Humoresken, historischen und exotischen Novellen seine Arbeit als freier Schriftsteller.
1880 heiratete er seine Lebensgefährtin Emma Pollmer, von der er 1903 geschieden wurde. Seine zweite Frau war die verwitwete Klara Plöhn.
In den 1890er Jahren erfolgte der beispiellose Aufstieg zum Erfolgsautor, vor allem mit den klassischen Reiseerzählungen und Abenteuerromanen.
1896 konnte sich aufgrund des großen kommerziellen Erfolgs seiner Werke den Erwerb einer repräsentativen Villa in Radebeul bei Dresden leisten, die er „Villa Shatterhand“ nannte. Auf u. a. auch im Versandhandel angebotenen Post-karten posierte er in Kos-tümen seiner Helden.
1899/1900 besuchte May erstmals den Orient, 1908 die USA.
Karl May starb am 30. März 1912 in Radebeul.
Seine letzten Lebensjahre waren überschattet von Anfeindungen und Prozessen wegen Verleumdung, man warf ihm u. a. vor, er sei ein „Verderber der deutschen Jugend“. Solche Verleumdungen hat die treue Brohler Stammtich-Gesellschaft gewiss entrüstet zurückgewiesen.
Quellen und Literatur:
Über den Besuch Karl Mays in Brohl unterrichtet uns die Sinziger Zeitung Nr. 67 vom 16. Juni 1897. Auf diesen Pressebericht stützen sich auch die Ausführungen.
Anfragen an das Karl-May-Archiv blieben bis jetzt ohne Antwort.
- Forst-Battaglia, Otto: Karl May. Traum eines Lebens – Leben eines Träumers. Bamberg 1966.
- Gagelmann, Rainer: Soll die Jugend Karl May lesen? Bamberg 1967.
- Gemeindelexikon für das Königreich Preußen XII. Provinz Rheinland. Berlin 1897.
- Hommen, Carl Bertram: Geliebte Heimat zwischen Laacher See und Goldener Meile. Bad Breisig 1989.
- Klußmeier, Gerhard/Hainer, Paul: Karl May – Biographie in Dokumenten und Bildern. Hildesheim, Zürich, New York 1992.
- Lowsky, Martin: Karl May. (Sammlung Metzler Nr. 231) Stuttgart 1987.
Anmerkungen:
- vgl. Lowsky
- Lowsky, S. 29
- Sinziger Zeitung Nr. 67 vom 16. Juni 1897
- Gemeindelexikon 1897, S. 36f.
- Sinziger Zeitung Nr. 67 vom 16. Juni 1897
- Ebenda
- Lowsky, S. 29
- Sinziger Zeitung Nr. 67 vom 16. Juni 1897
- Zur Biographie s. u. a. Klußmeier und Lowsky.