Kalendertage prophezeien das Wetter

VON PETER HERBER

Aus den Jägern, Sammlern und nomadisch umherschweifenden Urmenschen der Älteren Steinzeit entwickelten sich, wenn auch zunächst zögernd und langsam, seßhafte Bodenbesteller, Bauern. Diese Umstellung, wir dürfen sie schon Umwälzung nennen, wurde grundlegend für die gesamte heutige menschliche Kultur; sie vollzog sich intensiver in der Jüngeren Steinzeit. Von den Anfängen der Bödenbearbeitung mit Asthaken, Wurzelknorren oder Tierhörnern und Knochen bis zu den modernsten Landmaschinen zeigt die Entwicklungskurve keinen steilen Anstieg. Das dauerte sehr, sehr lange, es mögen 10000 bis 8000 Jahre her sein. Bald schon wird der „junge“ Bauer erkannt haben, daß Säen und Ernten, Erfolg und Ertrag aus seinem „landwirtschaftlichen Betrieb“ in erster Linie vom günstigen oder schlechten Wetter abhängig waren; er wird rasch eingesehen haben, daß er bei Mißernten dem Unwetter — hier ungünstigem Wetter — hilf- und wehrlos ausgeliefert war. Ebenfalls wird er aus dem Gefühl der Abhängigkeit und der bitteren Lebensnotwendigkeit den Wunsch gehegt haben, die, seine Arbeit an erster Stelle beeinflussenden Wetterabläufe kurzfristig oder gar für längere Zeitabschnitte in etwa vorauszuerkennen. Das bedurfte natürlich ständiger Beobachtungen, die wiederum den Blick für diese Dinge schärften. In gewissen Rhythmen und zu bestimmten Zeiten im Jahr sich wiederholende Witterungserscheinungen fanden in primitiven Regeln, wenn man sie so schon nennen darf, ihren Niederschlag. Sie wurden Erbgut aller Generationen.

Der große griechische Dichter Hesiod (8.—7. Jahrh. v. Chr.), selbst ein Bauernsohn — die Menschen seiner Zeit waren, von einigen Künstlern und Werkern abgesehen, alle Bauern —, sammelte in seinem Buch „Werke und Tage“ eine Fülle von Wetterregeln, die jedoch meist auf astrologischen Anschauungen fußten. Solche Regeln wurden im alten Griechenland zur allgemeinen Einsicht öffentlich in den sog. Steckkalendern, den Parapagmen, ausgestellt. (Vorläufer unserer heutigen Wettervorhersage.) Aratos (3. Jahrh. v. Chr.) und Virgil, der größte römische Dichter (70—19 v. Chr.) brachten in ihren Büchern: „Phänomena“ — Die Himmelserscheinungen und „Prognostika“. — Die Wetterzeichen, ebenso „Georgika“, — über die Landwirtschaft den gesamten jahreszeitlichen Wetterablauf in Verbindung mit dem vermutlichen Einfluß der Gestirne, also ebenfalls aus astrologischer Schau. Das darf von unsern germanischen Vorfahren zunächst auch behauptet werden. Doch als bodcnvcrbundeiies Bauernvolk, verwachsen mit der Scholle, schlicht und erdennah, sahen sie im ganzen Naturgeschehen eine einzige „Wetterstation“. Die gestaltenden Naturkräfte betrachteten unsere Ahnen nicht anders als Handlungen ihrer Gottheiten. Frühling, Sommer und Mittwintertag, also besonders in den Jahreszeiten, da die Hauptwitterungsverhältnisse sich grundlegend änderten, wurden den Göttern zu Ehren, aber auch um sie günstig zu stimmen, neben ausreichenden Opferfeiern rauschende Feste mit maskeraden Umzügen veranstaltet. Aus allen diesen Festlichkeiten ragten die „12 wihen nahten“ hervor. Das war um die Wintersonnenwende (Weihnachten). Baldur, der Leuchtende, der Gott des Lichtes, der Wärme, des Wachstums, erlag dem Schusse Hödurs mit einem Pfeil vom Mistelzweig.

Von der Mistel kam häßlicher Harm, da
Hödur schoß.
Seit ihn schlug sein blinder Bruder,
ist des Tages Glanz geschwunden.

(SIMROCK)

So sahen die Ahnen den immer tiefer steigenden Sonnenlauf vom Sommer zum Winter. Doch zur Wintersonnenwende erwachte er wieder zu neuem Leben. Die Sonne stieg nun täglich höher. Hoffnung auf Helle und Wärme, auf neues Wachsen und Ernten stimmte die Herzen froher. 12 Tage und 12 Nächte lang wurde gefeiert. In den bescheidenen Räumen, mit immergrünen Zweigen geziert, standen Tag und Nacht besonders hergerichtete, zum Teil symbolische Opferspeisen; brennende Strohräder rollten von den Bergen und Hügeln zu Tal; mit allerlei Mummenschanz verkleidete Buben und Mädchen durcheilten die Fluren und Gewanden, Bosheit und Arglist der Unholden zu vertreiben, und lange gehegte Feindschaften suchten die Aussöhnung. Doch weit mehr: Peinlich genau wurde der Wetterablauf in den „wihen nahten“ verfolgt; denn, so glaubte man, die Witterung eines jeden Tages dieser heiligen Zeit sei bestimmend für jeden Monat des kommenden Jahres. Bei der Christianisierung der Germanen fiel es nicht schwer, heidnische Anschauungen in den christlichen Gedanken- und Glaubenskreis zu übertragen:

Weißer Christ und weißer Baldur,
lichte Engel, lichte Elben,
Jüngerschaß und Heerbanntreue
ganz dasselbe, ganz dieselben.

(WEBER, DREIZEHNLINDEN)

So haben sich denn auch viele der erworbenen Beobachtungen im Wettergeschehen rasch an die alljährlich wiederkehrenden kirchlichen Fest- und Heiligentage gebunden; es entstand der bunte Kranz all der vielen Wetter- und Bauernregeln, teils gereimt nach schlichter Landvolkssprache.

Eine Sonderstellung unter den Bauernregeln nehmen die sog. Los-, Lur- oder Notelstage ein. Eine kurze Worterklärung mag den Sinn dieser Tage rasch verständlich machen: Lostage sind eigentlich Hörtage. Althochdeutsch: hlosen, -hören; altniederdeutsch: hlust-Ohr; alemannisch: losen-hören; englisch: listen-horchen; danach mundartlich: luren, laustem für hören, horchen. Die Jägersprache kennt keine Ohren des Hochwildes; sie spricht von Luser, Loser, Lauscher. „Lur ens he — hör mal zu!“ „Dat es ene Luuse“ — das ist einer, der überall hinhört und alles erfährt, ein Schlauberger. In dem Wort Notelstage steckt das lateinische nota — merke; ähnlich: Notizen, Noten in der Musik, in Bewertungen für Leistungen und Kenntnisse zusammengefaßt: Los-,  Lur- und Notelstage sind die Namen im Volksmund, auch heute noch, für jene Kalendertage, an denen Bauern, Winzer, Forstleute und alle, die irgendwie stark vom Wetter abhängig sind, ganz besonders den Wetterablauf beobachten und daran eine langfristige Vorhersage anknüpfen, meist 40 Tage. Dabei spielt noch die uralte Vorstellung der 40tägigcn Monatsdauer eine gewisse Rolle, vielleicht auch die „heilige Zahl 40″. Wir kennen insgesamt 85 Lostage. Diese Vielzahl — etwa jeder 4. Tag des Jahres — bekräftigt den steten Wunsch des Landvolkes, eine längere Vorschau in das „Wettergeschehen zu bekommen, seinen vermutlichen Weiterablauf vorher zu sagen. Hier einige der heute noch bekanntesten:

Wie sich das Wetter von Christtag bis Dreikönige
verhält, so ist das ganze Jahr bestellt.
Jänner muß vor Kälte knacken,
wenn die Ernte gut soll sacken.
Im Januar soll man lieber einen Wolf als einen
Bauern im Felde sehn.
Wenn der Bär Maria Lichtmeß seinen Schatten
sieht, muß er noch mal 40 Tage in seine Winterhöhle. 
(2. Febr.)

Mattheis macht oder bricht Eis. (24. Febr.)

Ist’s an Sankt Gorgen schon, wird man’s 40 Tag
so sehn. 
(23. April)

Solange die Frösche vor Markus geigen, so lang sie
nach Markus schweigen. 
(25. April)

Macht Medardus naß, regnet’s ohne Unterlaß,
(8. Juni)

Wenn die Sieben Schläfer erwachen,
wird der Himmel weinen oder lachen.
Lacht er, kannst du sicher sein:
sieben Wochen Sonnenschein.
Weint er, kannst du ruhig wetten:
nichts wird dich vor Regen retten. (27. 
Juni)

Regnet’s an Maria Heimsuchungstage,
hat man 6 Wochen Regentage. (2. 
Juli)
(MARIA SIEF.)

Ist’s Petrus bis Laurentius heiß,
bleibt der Winter lange weiß. 
29. Juni-10. Aug.)

Wie sich’s Wetter an Maria Geburt verhält,
so ist es noch weitere 4 Wochen damit bestellt.
(8. Sept.)

Wie das Wetter an Ägidius,
so es 4 Wochen bleiben muß. 
(1. Sept.)

Gießt Sankt Gallus wie ein Faß,
wird der nächste Sommer naß. 
(16. Okt.)

Wie Sankt Martin führt sich ein,
so wird zumeist der Winter sein. 
(11. Nov.)

Wenn Christkindlein Regen weint,
vier Wochen keine Sonne scheint.

Diese kleine Auswahl möge genügen!

Wie hoch Volksdenken und -glauben, gewöhnt und geschult durch vielhundertjährige Beobachtungen und überliefert durch alle Generationen — ob die Mutmaßungen und die Erwartungen sich erfüllen, sei hingestellt — die Lostage einschätzte, beweist wohl am besten der heftig entbrannte Streit bei der Einführung des Gregorianischen Kalenders 1582, der dem Julianischen um 10 Tage voraus War. Eine ungewöhnliche Verschiebung der gewohnten Regeln, gebunden an die Kalenderheiligen, war die Folge. Nur ein Beispiel: Sankt Luzen macht den Tag stutzen. Das war der 23. Dezember, der erste Tag nach der Wintersonnenwende, einer der wichtigsten Lostage. Heute hat Luzia ihren Festtag am 13. Dezember. Ein alter Reim gibt so treffend den Unwillen, fast die Empörung, über die Einführung des Gregorianischen Kalenders wieder:

BabstWas hast du angericht
mit deinem heillosen Gedicht,
da
ß du verkehrt hast die Zeit,
dadurch irr gemacht uns arme Leut,
daß wir nun mehr kein Wissen haben,
wenn man soll pflanzen, seen, graben.
Haben uns gericht in das Jahr
nach unsrer Bawren Regel zwar.
Das will jetztunder nimmer sein,
Ursach weil du mit falschem Schein
hast gemacht ein newen Kalender,
unsers alten ein großer Sehender.

Wie aber steht die moderne wissenschaftliche Wetterkunde zu den Lostagen? Fast alle Mutmaßungen, Regeln, Vorschauen, die den Wetterablauf kommender Wochen in Beziehung zu einem bestimmten Tag setzen, sind wertlos, wenn dabei die Astrologie und im Unterbewußtsein schlummernde abergläubische Vorstellungen eine Rolle spielen. Das beweisen die seit etwa 90 Jahren gesammelten Erfahrungen der exakten Arbeit der „Wetterfrösche“. „Trotzdem ist in manchen Regeln mehr als ein Körnchen Wahrheit enthalten, und ihre Richtigkeit wird auch von der wissenschaftlichen Wetterkunde bestätigt, weil sie auf der Tatsache fußen, daß das Wetter in Westeuropa zwischen Perioden ozeanischer Witterung mit kühlen, regnerischen Sommer- und warmen, regenreichen Wintertagen und Perioden kontinentalen Wetters mit klarer, kalter Winter- und trockener, heißer Sommerwitterung hin und her schwankt, daß aber ein bestimmter Witterungscharakter sich gewöhnlich durch längere Zeit erhält.“ (Schmidt, Volkskundliche Plaudereien, Bonner Buchgemeinde, Seite 9.)

Nach der gleichen Quelle hat Prof. Spitaler von der Deutschen Universität Prag die Hieb- und Stichfestigkeit von 93 Bauernregeln, darunter auch viele Lostage, überprüft und kam zu folgendem Ergebnis: 9 richtig, 11 konnten als zuverlässig gelten, 17 unsicher, 44 keinen Wert, 12 ganz unrichtig. Insgesamt garantieren etwa 29% für eine gewisse Sicherheit. Auch die heutigen Wettervorhersagen, fußend auf genauesten Registrierungen der Wetterämter durch ihre mehr als 11000 Beobachtungsstellen für das westeuropäische Klimagebiet treffen erfahrungsgemäß nicht alle ins Schwarze. Ohne sie aber bestände eine große Lücke in den Berichten der Presse, des Rundfunks und des Fernsehens über den Ablauf des Tagesgeschehens, soweit es vom Wetter abhängig ist.

Lostage, Lurtage, Notelstage, mögen sie auch bei manchem eine krause, verschleierte Vorstellung hervorrufen, so wäre es zutiefst bedauerlich, wenn auch sie durch all die Erkenntnisse der Jetztzeit in unserer naturverbundenen Vorstellungswelt mehr und mehr verblassen würden.

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