Jokkem der Lohgerber und die Kosaken

Das Jahr 1813 hatte die rheinische Bevölkerung mit neuen Hoffnungen erfüllt. Hatten doch die Leute unter den Kriegstributen der Franzosen arg zu leiden gehabt. Sollte nicht jetzt bald die Befreiuungsstunde schlagen, in dem sie vom Franzosenjoche erlöst würden? Fürwahr, die Anzeichen waren günstig. In der Neujahrsnacht 1814 hatte Blücher, genannt Marschall Vorwärts, den Rhein überschritten, und die verbündeten Heere faßten auf dem linken Rheinufer immer mehr Fuß. Da ist es kein Wunder, wenn nun die Franzosen noch schnell alles Wertvolle, dessen sie habhaft werden konnten, zusammenrafften und eiligst das Weite suchten. Trotz dieser unruhigen Zeit war im Januar des Jahres 1814 aus Leimbach der Lohgerber Jakob Müller, genannt Jokkem, zu Fuß ins rechtsrheinische Land gewandert, um dort seine Kundschaft aufzusuchen. Das Geschäft im Leder ging gut, und so konnte er bereits nach 14 Tagen die Heimreise antreten. An einem kalten Winterabend kam Jokkem bis Ahrweiler. Hier hatte er auch noch einige Kunden aufzusuchen. Den Abend wollte er in Ahrweiler verbringen. Am nächsten Tag hoffte er gegen Mittag in Leimbach einzutreffen. Doch vor dem unteren Stadttor erreichte ihn die Nachricht, daß am Mittag ein Trupp Kosaken ahraufwärts gezogen sei. Dies beunruhigte ihn sehr, wenn er an sein Weib zu Hause dachte. Er faßte schnell entschlossen den Plan, noch am selben Abend weiterzuwandern. So schritt denn Jokkem, nach kurzem Imbiß gestärkt, durchs obere Tor auf verschneiter Straße der Heimat zu. Alle Müdigkeit war vergessen. Langausschreitend ließ er bald die Winzerorte hinter sich. In Dümpelfeld erfuhr er, daß die Kosaken vor nicht langer Zeit gen Adenau gezogen waren. Je näher er der Heimat kam, beschleunigte er, von der Unruhe gepackt, seine Schritte. Seine Gedanken, nichts Gutes ahnend, eilten weit voraus. Kurz nach Mitternacht erblickte er in der hellen Winternacht die Dächer von Leimbach. Vom Eingang des Dorfes sah er, daß aus den kleinen Stubenfenster seines Hauses noch Lichtschimmer drang. Die kurze Strecke bis zu seiner Wohnung legte er im schnellen Lauf zurück. Durch das Fenster schauend, gewahrte er; wie seine Frau ängstlich am Ofen kauerte und einige Kosaken laut auf sie einredeten. Im Nu war Jokkem in der Stube und hatte das kleine Eckfensterchen geöffnet. Eingeschüchtert durch die robuste Gestalt des Jokkem, wußten die Kosaken nicht, wie ihnen geschah. Ehe sie sich recht besinnen konnten, flog schon der erste, von den kräftigen Fäusten des Jokkem gepackt, durch das kleine Fenster auf den Hof. Dem ersten folgte bald der zweite und diesem auch der dritte. Jetzt erst ging Jokkem zu seiner Frau und begrüßte sie. Diese hatte sich inzwischen von ihrem Schrecken erholt und erzählte, wie am späten Abend, während sie auf die Rückkehr ihres Mannes gewartet habe, einige Kosaken ins Dorf kamen und auf den Lichtschimmer hin mit Gewalt Einlaß begehrten. Aus Furcht habe sie jedoch die Gattertür fest verschlossen gehalten. Da versuchten die Reiter, die Tür einzurennen. Mit ihren langen Reitersäbeln schlugen sie heftig darauf los, daß die Sparren flogen. (An der Tür sind heute noch die Säbelhiebe zu sehen!) Dann sprengten die Kosaken mit einem Balken das Schloß. Mit unverständlichen Worten suchten sie nun ihre Wünsche klarzumachen. So kam Jokkem noch zur rechten Zeit und befreite für dieses Mal Leimbach von den ungebetenen Gästen.

Goebel