IN MEMORIAM Dr. Georg Habighorst
VON JOHANNES ROTH „MITTEN IN DEM LEBEN SIND WIR VOM TOD UMFANGEN.“ |
Mit tiefer innerer Erschütterung mag mancher der ernsten Eingangsworte des alten Kirchenliedes sich bewußt geworden sein, als am Morgen des 9. Dezember 1958 in Stadt und Land unserer Heimat bekannt wurde, daß der Landtagsabgeordnete des Kreises Ahrweiler, Sanitätsrat Dr. Habighorst, in der vorhergegangenen Nacht plötzlich und unerwartet in die Ewigkeit verschieden sei. Nachdem er noch am Vortage bis in den späten Abend in der Landeshauptstadt Mainz seiner parlamentarischen Arbeit als Abgeordneter und insbesondere als Vorsitzender des Haushalts= und Finanzausschusses des Landtages von Rheinland=Pfalz nachgegangen war, setzte wenige Stunden später jäh und unerbittlich — allzu früh nach menschlichem Hoffen und Ermessen — der Tod seinem irdischen Leben und Wirken ein Ende. Sein Hinscheiden löste in allen Schichten der Bevölkerung Bestürzung und Trauer aus. Geboren am 26. Oktober 1899 in Essen, studierte Georg Habighorst nach Ablegung der Reifeprüfung in Bonn, Düsseldorf, München und Göttingen Medizin und bestand 1923 Staatsexamen und Doktorpromotion. Bereits zwei Jahre später ließ er sich in der Kreisstadt Ahrweiler als praktischer Arzt nieder. Wenn es ihm schon bald gelang, in einer schnell wachsenden Praxis die Hochachtung und das Vertrauen seiner aus allen Schichten der Bevölkerung kommenden Patienten zu gewinnen, so war dies einmal seinem beruflichen Können als Arzt zuzuschreiben, für das die sichere Kenntnis und Beherrschung aller medizinisch wissenschaftlichen Untersuchungs= und Behandlungsmethoden nur die eine, allerdings unabdingbare Grundvoraussetzung darstellt. Dr. Habighorst verkörperte jedoch mit dieser fachlich beruflichen Qualifizierung in hervorragendem Maße jene besondere menschliche Art und Haltung, die erst den Mediziner zum Arzt, den Wissenschaftler zum Helfer leidender Menschen macht. Aus dem Wissen um die leibseelische, psychosomatische Ganzheit und Einheit des Menschen und aus seinem berufsständischen, auf christlicher Welt= und Lebensauffassung gegründeten Ethos des Helfenwollens erwuchs ihm jenes mitfühlende Verstehen, das in der Begegnung mit dem Kranken als Zuspruch, Trost und Aufmunterung heilsam werden und wirken konnte. Ihm war der Eid des Hippokrates1) nicht literarische Reminiszenz aus der Geschichte der Medizin, sondern verpflichtende, im Gewissen bindende Richtschnur ärztlichen Handelns. So genoß er über ein Menschenalter hindurch ein ungewöhnliches Maß echten Vertrauens und mancher Kranke hat bei ihm Hilfe und Heilung gefunden, ohne je vor der Arztrechnung bangen und um das Honorar sich sorgen zu müssen. Daß eine so weltoffene und dynamische, von starkem Willensimpuls getragene Persönlichkeit sich früh schon aktiv dem öffentlichen Geschehen in Gemeinde und Staat zuwandte, ist kaum verwunderlich. Bereits in den letzten Jahren der Weimarer Republik gehörte Dr. Habighorst dem früheren Zentrum an, und noch im März 1953 kandidierte er für diese Partei. Mehrmals hatte er nach 1933 Haussuchung und Verhör durch die damalige Gestapo, die gefürchtete Geheime Staatspolizei des Hitler=Regimes, zu überstehen. Nach dem Zusammenbruch im Frühjahr 1945 stellte er sich rastlos und uneigennützig in den Dienst der Allgemeinheit. Die Fülle der ihm in Stadt, Kreis und Land übertragenen Ämter und Pflichten vermag die Last und beängstigende Vielfalt der Aufgaben nur anzudeuten, die er im Bewußtsein persönlicher Verantwortung als Christ und Demokrat übernahm; ihre Bewältigung erforderte in den schweren Nachkriegs= und Besatzungsjahren die ganze gläubige Kraft und den nie verzagenden Optimismus seiner starken Persönlichkeit, die dem Fremden schon äußerlich durch ihre hohe Gestalt und ihr gemessen straffes Auftreten zu imponieren vermochte. Größer noch wurde der Kreis der politischen Aufgaben und schwerer die Last der Verantwortung, seitdem er 1946 in die Beratende Landesversammlung und seit 1947 in drei Legislatur=Perioden in den Landtag von Rheinland=Pfalz gewählt wurde. Wie vorher im überschaubaren Bereich des kommunalen Gemeinschaftslebens, erwiesen sich auch hier alle politischen Vorhaben und Beschlüsse immer und naturgemäß zuletzt als Probleme ihrer Finanzierung. Der Arzt aus Ahrweiler schreckte vor ihnen nicht zurück, sondern wurde bald so sehr ein selbständig urteilender und erfahrener Finanzfachmann, daß man in ihm, nachdein er lange Jahre als Vorsitzender den Haushalts= und Finanzausschuß des Landtages geleitet hatte, den künftigen Finanzminister unseres Landes sehen durfte. Doch nicht nur bei der Finanz» und Haushaltsgestaltung, sondem auch in den anderen Fragen der Landespolitik hatte sein Urteil Gewicht und Resonanz, mochten ihm selber auch — bedingt durch Bildungsgang und Beruf — die kulturellen und schulischen Dinge und die Aufgaben staatlicher Gesundheitspflege und Sozialhygiene besonders am Herzen liegen. Immer erwies er sich gerade dadurch als Politiker von Geblüt und eigenständiger Kraft im Sinne Eduard Sprangers2), daß er politische Fragen in der Vielfältigkeit ihrer Bezüge und Aspekte zu durchdringen vermochte, über der notwendigen Erörterung der Teilprobleme jedoch nie den Blick für das Ganze verlor, sondern das Einzelne differenzierend und wertend in die Gesamtkonzeption christlicher und demokratischer Politik einzuordnen wußte. Die Verdienste des Verstorbenen um unseren Heimatkreis sind groß und unbestritten, Weinbau und Landwirtschaft verdanken ihm viel, Schulen und Straßenbau wurden von ihm tatkräftig gefördert. Rastlos und uneigennützig, unbeirrt durch hämische Bekrittelung und politisches Kannegießertum, hat er als Arzt und als Politiker sein Werk getan und im Dienst für die Gemeinschaft sich verzehrt, sich vollendet. Die Kluft zwischen Geist und Politik — oft beklagt als Erbübel deutscher Intelligenz — hat in seinem Leben nicht existiert. Sein Tod riß eine schmerzliche Lücke in den schmalen Bestand von Menschen, die fähig, aber auch bereit und willens sind, ihre Kraft für das allgemeine Wohl einzusetzen und in politischer Arbeit und Verantwortung dem Wagnis des Lebens in der Öffentlichkeit sich hinzugeben. Möchte sein Wirken für Volk und Heimat uns allen bewegendes Vorbild werden!
1) Hippokrates, geb. 460 v. Chr., gest. zwischen 377 und 359, berühmtester Arzt des griech. Altertums, Vater der Heilkunde genannt; er suchte als erster die Medizin wissenschaftlich zu begründen und baute methodisch auf scharfsinniger Beobachtung, Erfahrung und individueller Behandlung auf. Der das ärztliche Berufsethos umreißende sog. Eid des Hippokrates lautet: „Meine ärztlichen Verordnungen werde ich zum Nutzen der Kranken geben, soweit ich es vermag und verstehe. Was Verderben und Schaden bringt, will ich von ihnen fernhalten.“ — Man erinnere sich an die Praktiken mancher KZ=Ärzte des sogen. Dritten Reiches!
2) Eduard Spranger, Lebensformen, 8. A. 1950, unterscheidet als die sechs Grundtypen menschlichen Kulturschaffens den theoretischen, ökonomischen, ästhetischen, sozialen, politischen u. religiösen Menschen.