„In Burgbrohl – das wissen alle! – da gibt es eine Kaiserhalle“ – Zur Hundertjahrfeier der Kaiserhalle Burgbrohl
„In Burgbrohl – das wissen alle! -da gibt es eine Kaiserhalle“
Zur Hundertjahrfeier der Kaiserhalle Burgbrohl1)
P. Drutmar Cremer OSB
In den letzten Jahren ist im Bewußtsein der Menschen wieder das Gespür für die Qualität alter, vergangener Zeiten gewachsen. Selbst die Jugend interessiert sich in den akuten Spannungen der augenblicklichen, sozialen Lebensangebote für die Strukturen früherer Zeiten, ja man spricht sogar von nostalgischen Lebenshaltungen. Nostalgie heißt aus dem Griechischen übersetzt „Heimweh“.
Kann man soweit gehen? Vieles hat sich in den letzten hundert Jahren stark verändert. Vieles mit beachtlichem, menschlichem Gewinn, manches Wertvolle aber wurde auch im Fortschritt der Erkenntnis und Technik, in den sozialen, wirtschaftlichen, aber auch in den religiösen und kulturellen Entwicklungen aufgegeben und das nicht immer zum Vorteil. Die Bevölkerung von Burgbrohl und des Brohltales schaute im September 1996 auf das 100jährige Bestehen der Kaiserhalle zurück. Sie ist am Gedächtnistag der Schlacht von Sedan, am 2. September 1896 vor allem mit Hilfe einer Musikkapelle von Pionieren aus der damaligen deutschen Garnison Metz eingeweiht worden.
Das läßt uns zurückschauen. Wir halten den Atem an, Erinnerungen steigen auf. Es mag äußerst interessant und wohl auch nützlich sein, wenn wir zurückschauen und fragen: Was geschah eigentlich hier vor der letzten Jahrhundertwende? Wer lebte und starb? Und wie bieten sich die sozialen Verhältnisse jener Zeiten im Vergleich zu unserer Gegenwart an? Was ereignete sich vor allem in Burgbrohl selbst?
Entwicklung der sozialen Verhältnisse
Es ist ganz erstaunlich, wie enorm sich die menschlichen sozialen Verhältnisse weiter entwickelt haben. Ich darf aus einem kleinen Artikel der Frankfurter Allgemeinen zitieren: „Um 1895 hatte das Deutsche Reich fast 52 Millionen Einwohner. Sie teilten sich in 11 Millionen Haus halte, was heißt, daß durchschnittlich 4-5 Menschen in einem Haus oder einer Wohnung beieinander wohnten. An sogenannten Ein-Personen-Haushalten wurden nicht mehr als 788.000 gezählt. Heute sind es, bei insgesamt 81 Millionen Einwohnern, knapp 13 Millionen. Die Zahl der Geburten übertraf diejenige der Todesfälle erheblich, die Statistik kam auf einen Überschuß von 725.000 Menschen im Jahr. Inzwischen hat sich das Verhältnis umgekehrt. Es sterben mehr Deutsche als geboren werden.“ Unter den damals vorkommenden Krankheiten galt die Tuberkulose als die mit Abstand gefährlichste, die heute in Europa fast kaum noch vorkommt und dazu geheilt werden kann. Mehr als 123.000 Menschen pro Jahr fielen ihr zum Opfer. Allein die zwölfköpfige Familie des Erbauers der Kaiserhalle verlor zwischen 1880 und 1910 neun Mitglieder, davon sechs an Tuberkulose. In der Dritten Welt, vor allem in Afrika, grassiert sie heute noch fürchterlich. Die Weltgesundheitsorganisation bezifferte ihr Vorkommen letzthin weltweit mit 3,1 Millionen Fällen. Auf 10.000 Einwohner kamen damals keine 5 Ärzte, heute sind es mehr als 30. Die medizinische Versorgung hat sich ungeheuer entwickelt. Heute gibt es viele Krankenhäuser, die sich wirtschaftlich nicht mehr halten lassen und als unbezahlbar gelten. Denken wir doch nur an das Krankenhaus Burgbrohl.
Die sogenannte Volksschule war tatsächlich noch wirklich eine „Schule des Volkes“. Nur ein Bruchteil der Kinder aus höheren Schichten besuchten ein Gymnasium. Heute sind die Gymnasien fast zahlreicher besucht als die Hauptschule.
Vor genau 100 Jahren waren von den 52 Millionen Einwohnern in Deutschland erst 10 Millionen wahlberechtigt, also jeder Fünfte. 42 % der Bevölkerung, überwiegend Männer, zählten zu den Erwerbspersonen und nur 6 Millionen der
Berufstätigen waren Frauen. Heute ist das völlig anders.
37% der Erwerbstätigen suchten ihr Einkommen in der Landwirtschaft und lagen somit mit dem produzierenden Gewerbe gleichauf. Heute haben sich die Anteile völlig verschoben. Wir sind mehr und mehr zu einem Industrie- und Exportland geworden.
Nur jeder 6. Bewohner des Deutschen Reiches war Mitglied einer gesetzlichen Krankenversicherung. Die Rentenversicherung befand sich noch im Aufbau und umfaßte einen Bestand von 320.000 Fällen. Es wäre interessant, nähere Einzelheiten aus dem Bereich des Verkehrs zu erfahren, aber die amtlichen Statistiken scheinen zu fehlen. Ich möchte glauben, daß es gerade der ganze Umfang jener mobilen Entwicklung der menschlichen Gesellschaft im Zug, im Auto und später auch im Flugverkehr das Bewußtsein und die Lebenseinstellung des Menschen unserer Gegenwart und des sozialen Fortschritts durch die Versicherungssysteme völlig verändert und den Anspruch auf Sicherstellung höher geschraubt hat, und zwar so hoch, daß eben gerade diese hochgesetzten Erwartungen heute zu einem großen Problem werden und den industriell-wirtschaftlichen Standort Deutschlands als Exportland weithin gefährden.
So etwa können wir das Lebensklima vor 100 Jahren in Stichworten im Vergleich zu den heutigen Verhältnissen beschreiben. Die Menschen lebten damals einfach, ärmer, anspruchsloser, in größeren sozialen Unterschieden als heute.
Natürlich wird es immer arme, sehr arme Schichten und reiche, sehr reiche Kreise in unserem Lande geben. Es wäre etwa kurzsichtig und falsch, wenn wir heute die Armen im Lande verschweigen würden.
Gerade durch die in den letzten Jahren ansteigende Arbeitslosigkeit sind die sozialen Spaltungen und Spannungen erneut aufgebrochen. Aber insgesamt sind die sozialen Sicherheitssysteme im sozialen Krankenwesen, im Arbeitsleben und im Rentenwesen und damit auch in der Altersvorsorge enorm und beachtlich verändert und gestiegen.
Lebensverhältnisse im Brohltal
Wie sah es in Burgbrohl selbst aus? Zweifellos hat sich das Dort im unteren Brohltal schon in jenen Jahren günstig entwickelt, günstiger noch als in den noch mehr ländlich orientierten Regionen des oberen Brohltales. Dabei spielte die Herrschaft der Bourscheids schon früh eine bedeutsame Rolle, die eine rege Bautätigkeit entfalteten; dann die Tatsache, daß Burgbrohl den Sitz der Verwaltung übernahm und sich hier schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts Industrie angesiedelt hatte. Die Steinindustrie suchte ihre Möglichkeiten, auch die Wasserindustrie. Die Bevölkerung kam ganz allmählich zu etwas mehr Wohlhabenheit, wenn auch in kleinen, bescheidenen Schritten. Auch das stolze Bewußtsein der Burgbrohler entwickelte sich langsam mit leicht städtischen Akzenten und Vorstellungen. „Et könnt sech noch kääne Jäld aus em Ärmel schüddele, awwer at a paar Joe dono han se all gestronzt, en Burechbrohle Dreiviirelshär se senn. Stiikum woren se suwisu stoolz, dat es esu jebliewe bess heut!“
Es lebten in Burgbrohl – und darauf dürfte die Bevölkerung wirklich stolz sein – eine Anzahl unternehmenstüchtiger Männer, die erfinderisch waren und dazu ein ausgeprägtes soziales Verantwortungsgefühl besaßen.
Schon im Jahre 1889 hat der Bauunternehmer Wilhelm Bell in einer privaten Aktion eine Wasserleitung in Burgbrohl gebaut, die erst im Jahre 1902 von der Gemeinde Burgbrohl übernommen wurde.
1891-1895 entwickelte sich ein wahres Kohlensäurefieber. Sieben Firmen – so heißt es in den Annalen – bohrten nach Kohlensäure. Schon seit 1832 benutzte die damals schon hochgeachtete Firma Rhodius Kohlensäure für die Erzeugung von Bleiweiß und dieses Material wurde wichtig für die Herstellung von Farben und Schutzanstrichen.
Im Jahre 1903 gab die Firma Rhodius schon 137 Mitarbeitern Arbeit und Brot, sicher eine beachtliche Leistung in den Anfängen der ländlichen Industrialisierung.
1898 wurde ein Elektrizitätswerk errichtet und der Ausbau eines bescheidenen, elektrischen Ortsnetzes begonnen.
1898 wurde auch eine freiwillige Feuerwehr gegründet, die neben ihrer allgemeinen Nützlichkeit und technischen Bedeutung wohl bald auch eine der beliebten und tragenden Gemeinschaften in Burgbrohl wurde, die viele Menschen zusammenführte und der Einheit diente besonders auch an Festtagen mit „Blächmusick“. Der erste Feuerwehrhauptmann war Adolf Müller, Mitarbeiter bei der Firma Rhodius und Großvater von Edeltrud Kauth. Schon 1913 hatte die Feuerwehr 54 aktive und 18 inaktive Mitglieder.
Am 21. Februar 1900 wurde das kleine Burgbrohler Krankenhaus mit 20 Betten feierlich eingeweiht. Soweit ich erkennen kann, war dieses Haus für kranke, bedürftige Menschen das erste seiner Art im Brohltal, das sich in fast 100 Jahren als außerordentlich segensreich für die Menschen dieser ländlichen Region und weit darüber hinaus erwiesen hat. Um so bedauerlicher ist es, daß gerade dieser Segen des Brohltales offenbar heute nicht mehr bezahlbar sein soll. Man darf gesellschaftskritisch fragen: Ist das humaner Fortschritt? Was regiert wirklich:
Der Mensch mit seinen Bedürfnissen oder eine unbezahlbar gewordene „Technik“, die den sozialen Dienst der Liebe ersetzen soll?
Schon im Jahre 1895 wurde der erste Spatenstich zum Bau der Brohltaleisenbahn getan, übrigens unterhalb dieser Kaiserhalle in Burgbrohl und wieder durch die private Initiative von Wilhelm Bell und der Industrie des Brohltals. Wilhelm Bell wurde von der Eisenbahngesellschaft der Grundstückserwerb übertragen und außerdem baute er mit seiner Firma die neue Bahn vom Tunnel am Ortseingang bis nach Weiler aus. Am 15. Januar 1901 wurde die Brohltalbahn eingeweiht und im folgenden Jahr 1902 beförderte sie 88.700 Personen und 86.528 Tonnen Güterwaren. Die Gesamteinnahmen im Jahre 1902 beliefen sich auf 172.212 Reichsmark. Es blieb ein Gewinn von 58.828 Reichsmark. Der damalige Fahrpreis von Burgbrohl nach Brohl am Rhein betrug in der 3. Klasse vierzig Reichspfennige und in der 2. Klasse 70 Reichspfennige. Wahrscheinlich saßen die Fahrgäste in der 2. Klasse auf plüschüberzogenen Bänken und in der 3. Klasse durften die Gäste auch Kaninchen, Hühner und Hunde mitnehmen als pure unbezahlte Gepäckstücke – versteht sich.
Auch wenn berichtet wird, daß im Jahre 1903 aus dem Landkreis Mayen noch 331 Personen ausgewandert sind, also man von insgesamt ärmlichen Zeiten besonders auf dem Lande sprechen darf, so ist doch gerade im unteren Brohltal zu Anfang des Jahrhunderts ein starker Aufschwung festzustellen. Die Menschen fanden hier zumindest wohl mehr Arbeit durch die wachsende Industrie. Im ganzen waren dennoch die sozialen Verhältnisse angespannt und kärglich. Zur genaueren Beurteilung sollte man wissen, daß um das Jahr 1907 der Arbeiter in einem Trassbetrieb 2,90 RM pro Tag und ein Former bei „Stein & Ton“ pro Tag 5 RM verdiente. Bei einem Tagelöhner gab es damals dreimal im Jahr Fleisch: Ostern, Kirmes und Weihnachten, bei einem reichen Bauern zweimal in der Woche. Hauptnahrungsmittel waren Pellkartoffeln, Bohnen, Kohlgemüse, Brot.
Zeichnung der Burgbrohler Kaiserhalle aus dem Jahre 1895.
Die Bevölkerung jedoch wuchs, was daraus zu ersehen ist, daß in den Jahren 1884,1893 und 1903 wegen des zunehmenden Bedarfs drei Schulgebäude in Burgbrohl neu gebaut werden mußten.
Plan und Bau der Kaiserhalle
Zu Beginn der 1890er Jahre kam es zum Plan und Bau der Kaiserhalle, die im September 1896 eingeweiht wurde. Wieder ist der persönliche Einsatz, der Mut und die Tüchtigkeit des Bauunternehmers Wilhelm Bell auch bei diesem Werk entscheidend. Wer war eigentlich dieser bemerkenswerte Mann Wilhelm Bell, der für viele Unternehmungen in Burgbrohl zuständig war? 1849 in Burgbrohl geboren, übernahm er das kleine Baugeschäft seines Vaters. Er baute Häuser, Fabriken, Straßen und auch Teile der Brohltalbahn. Ein Höhepunkt war der eigenwillige Bau der Kaiserhalle, für die er sich leidenschaftlich einsetzte und sogar nach Berlin-Charlottenburg reiste, um die Genehmigung zu erlangen. Ein Burgbrohler Unternehmer mit
Energie, Phantasie und enormer Weitsicht. Er baut schon früh die Burgbrohler Kanalisation und Wasserleitung. Ein geschätzter Bürger mit Ehrenämtern in Gemeinde, Kreis und Sparkasse bedacht. Eine Anzahl seiner Urenkel – Damen und Herren – leben noch heute in Burgbrohl. Der Name dieser Halle hat nichts zu tun mit einem geplanten Besuch Seiner Majestät. Sicher aber darf man annehmen, daß die Verehrung des Kaisers auch im Rheinland bei der Wahl des Namens eine entscheidende Rolle gespielt hat.
Neue Pfarrkirche
Im Jahre 1909 erhielt die neue Pfarrkirche zu Ehren Johannes des Täufers ihre Weihe. Auch darin mag man heute eine äußere Umschichtung der wachsenden Bevölkerung und eine Veränderung der sozialen Verhältnisse erkennen. Die neue Kirche liegt frei und leicht erkennbar auf der südlichen Talseite. Auf Burgbrohler Dialekt: „Se leit am Widdehoff“, also auf kirchlichem Eigentum.
„De aale Kerech“ – wie die Burgbrohler sagen -„leit diräckt onnech de Burech“, also im Schatten des mittelalterlichen Feudalismus, in dem die weltliche Herrschaft auf die kirchliche Atmosphäre und Entscheidungen noch wesentlich Einfluß nahmen. Das kommt auch typischerweise baulich zum Ausdruck, denn die alte Kirche liegt gleichsam unter den Flügeln der Burgbrohler „Burgherren“.
Die neue Kirche leitete schon durch ihre freie Lage, bewußt oder unbewußt, ein demokratisches Zeitalter ein. Die Bürger und Christen wurden allmählich auch religiös mündiger, selbstbewußter und vielleicht durch ihre Sozialstruktur auch etwas „eigenwilliger“ als die Menschen in den anderen Ortschaften ringsum. „Relijoon em Dreiviirelstakt“, dafür sind die Burgbrohler seit Jahrzehnten bekannt. Sie gelten pastoral als etwas schwierig. Sie haben den Hauch des leicht Liberalen in sich. „Bluußnetzevill.“ An den Sonntagmorgen, an denen nicht wenige Burgbrohler Bürger zum Autorennen am Nürburg-ring fuhren, wurde rasante Schnelligkeit auch in den Sonntagsmessen vorgenommen. Dechant Hammes als Rudolf Carraciola am Burgbrohler Hochaltar! Er kannte seine Burgbrohler. Man erinnert sich bisweilen an die Devise der alten, kölnischen Mentalität: „De leewe Jott es net esu!“
Vielleicht ist die Kaiserhalle auch in diesem geistigen Zusammenhang zu sehen. Genau gegenüber auf der anderen Talseite war sie erbaut, möglicherweise aus dem Erwachen eines gesunden Bürgersinns. Mit einem Spritzer Stolz und eigenständigem Bewußtsein wurde die neue Kirche im neugotischen Stil mit spitzem Turm errichtet, vielleicht ein Symbol für den Höhendrang des betenden Menschen, so war die Kaiserhalle schon 15 Jahre früher als damals technisch einmalige Kuppelhalle erbaut worden. „De Petersdom“ für Bürger im Brohltal. „Dat wae net berechent. Da wor jekonnt.“
Die Kaiserhalle, „de joot Stuff von de Burechbroole“, war ein Gegenstück zur neuen Kirche und doch geschah nichts ohne den Einfluß der Kirche, gleichsam „am Pastue vorbei. Sos hart et och jequalmt.“
Burgbrohl mit der neuen Kaiserhalle nach 1896
Gesellschaftlicher Mittelpunkt Kaiserhalle
In der Chronik von Burgbrohl wird von Ereignissen berichtet, die deutlich darauf hinweisen, daß die Kaiserhalle im Mittelpunkt gesellschaftlicher Ereignisse stand.
Am 22. Juni 1913 wurde dort das 25jährige Regierungsjubliäum des Kaisers festlich gefeiert. Um 19.30 Uhr begann ein allgemeines Volksfest. Es sang der Kirchenchor und der Männergesangverein „Liedertafel“. Wir lächeln heute, wenn wir hören, der Turnverein stellte zwei gut gelungene Pyramiden. „Könnt ie och dat noch vüestelle? De Mannsleut en schwarz-weiße Trikos met Hälepe? Un de Schnorres, jezwirwelt bi däe vom Kaise?“ Die Vertreter der Ortsverbände traten auf: Eine Huldigung aller Vereine. Die Festrede hielt damals Dr. Andreae. Ein Feuerwerk wurde an beiden Kirchen abgebrannt. Der Musikverein, „Harmonie“ wirkte zusammen mit der Feuerwehrkapelle. Wer konnte damals ahnen, daß schon ein Jahr später eine schwere Zeit über unser Land hereinbrach. Am 1. August 1914 wurde zum Ersten Weltkrieg mobil gemacht. Der Krieg brachte viel Leid auch ins Brohltal, viel Entbehrung und Hunger dazu.
Es wird berichtet, daß in den Hungerjahren 1918, undzwaram 17. November, inder Kaiserhalle eine Bürgerversammlung stattfand, bei der wegen angeblicher Unregelmäßigkeiten beim Lebensmittelamt eine Kontrollkommission für Lebensmittelverteilung eingesetzt wurde. Als Leiter wurde Dr. Andreae bestimmt und der noch allseits in Burgbrohl bekannte Friseur Peter Simon.
Am 1. Dezember 1918 wurden die zurückgehenden deutschen Truppen in der überfüllten Kaiserhalle begrüßt. Am 7. Dezember zogen die ersten amerikanischen Truppen ein. Es brach eine leidvolle Nachkriegszeit an, aber das Leben entwickelte sich weiter.
Im Jahre 1922 – so ist es in den Annalen niedergelegt – wurde das Burgbrohler Kriegerdenkmal eingeweiht mit anschließender kräftiger Feier in der Kaiserhalle.
Im August 1924 fand das 25jährige Stiftungsfest der Feuerwehr in der Kaiserhalle seinen festlichen Höhepunkt. Viele Einwohner von Burgbrohl erschienen. Unzählige Vereine traten auf, dazu 25 Feuerwehren aus der ganzen Region.
Im Mai 1927 wurde in der herrlich geschmückten Kaiserhalle das 25jährige Jubelfest der Jungfrauenkongregation festlich begangen. „Maria Stuart“ wurde aufgeführt in Kostümen, die vom Stadttheater Koblenz ausgeliehen waren. Für die mitspielenden Damen war ein Theaterfriseur aus Düsseldorf angereist. Der schlichte Dorffriseur geriet in Vergessenheit. Die Burech-brohle Dreiviirelshäre liebten schon immer die großen Auftritte. Im Juli 1932 fand das 75jährige Bestehen des Männergesangvereins „Liedertafel“ seinen Höhepunkt.
Ich selbst kann mich noch gut daran erinnern, daß festliche Ereignisse der Kirche und der Gemeinde in der Kaiserhalle ihren traditionellen Höhepunkt erlebten, etwa das Kostümfest zu Fastnacht oder der Tanz zur Kirmes Ende August.
„Mie klääne Dötz“ von sieben bis acht Jahren drückten unsere Nasen platt an den Scheiben des Eingangs. Denn wir waren noch nicht zugelassen, wenn die Chansons und Schlager jener Zeit um die Mitte der dreißiger Jahre erklangen, begleitet etwa von der Feuerwehrkapelle, bei der„Wissens Fritz“, Schuster, Milchmann, Tanzlehrer, Feuerwehrmitglied und Dorforiginal zugleich, die dicke Trommel schlug und mit einem Riesenblechdeckel den Effekt deutlich erhöhte. Welch eine harmlose Geselligkeit wurde lebendig, wenn in einer Lautstärke, die fast bis zum Rhein zu hören war, gesungen wurde „Fahr mich in die Ferne, mein blonder Matrose!“ oder „Gib acht auf den Jahrgang!“ oder eine der bekanntesten Fastnachtsschlager jener Tage, geradezu ein Evergreen der rheinischen Fröhlichkeit bis heute: „Du kannst nicht treu sein, nein, nein, das kannst du nicht!“ Bi hüürt sech dat im Burechbrohler Dreiviirels-Takt an? „Dau kanns net treu senn, nä, nä, dat kannste nett…“ Es kam schließlich 1939 eine wahrhaft schwere und belastende Zeit, der Zweite Weltkrieg mit seinen Einquartierungen während des Krieges, gegen Ende mit den Fliegerangriffen und mit den vielen täglichen Aufregungen und Bedrohungen, mit der Unterversorgung und schließlich nach dem Krieg mit der amerikanischen und französischen Besatzung. Dazu stellte sich der sprichwörtliche Hunger und das soziale Elend der Nachkriegszeit ein.
Ist es ein Wunder, wenn durch die Belastungen und die vielfältigen Neuansätze der Epoche nach 1945 auch die menschlichen Sorgen und die gesellschaftlichen Gepflogenheiten im Brohltal einen erheblichen Wandel erlebten? Somit geriet schon im Kriegsverlauf die Kaiserhalle als Begegnungsstätte in Vergessenheit und Verfall. Sie wurde als bäuerlicher Geräteschuppen und als Garage benutzt. Jahrzehnte später bemühte sich Josef Degen um das Jahr 1971 um eine Wiederbelebung und nach manchen Spannungen in den Gruppierungen der Gemeinde wurde ein Bürgerverein gegründet, der nach intensivem Einsatz und nach der Bündelung der Kräfte vieler und mit starker, finanzieller Unterstützung des Landesamtes für Denkmalpflege am 14. Mai 1983 das Richtfest feierte. Am 27. Oktober 1984 wurde die restaurierte Kaiserhalle neu eingeweiht und der Öffentlichkeit übergeben.
Veranstaltungen, Begegnungen, Feste und Ausstellungen fanden seitdem hier ihren würdigen Rahmen und ich meine sagen zu dürfen, die Kaiserhalle hätte wieder einen entsprechenden Platz auf der gesellschaftlichen Ebene des gesamten Brohltales. Darüber dürfen wir uns sicher freuen. Heutzutage verfügt fast jede Gemeinde der Verbandsgemeinde Brohltal über ein eigenes Bürgerhaus.
Unter allen neu erbauten Häusern zur Begegnung der Bürger, der Vereine, der Verwaltung und zu Fest und Feier besitzt die Kaiserhalle durch ihre Geschichte und durch ihre bauliche Form sicher einen akzentuierten Eigenwert. Die „Burechbrohler Dreiviirelshäre“ sind zwar nicht mehr Sitz der Verwaltung, aber-und das wissen alle – sie haben eine Kaiserhalle! Lassen Sie mich das zum Schluß lächelnd im Dialekt sagen: „In Zesse es – o Scheiwe – Kleiste! – heutse daach de Bürjemeiste. Mie awwer han – dat wessen all – emme noch de Kaise – hall!“
Anmerkung:
Der“ Text der Festansprache kann hier nur stark gekürzt abgedruckt werden.