Im Schneckentempo zur »Rennstrecken-Taufe«
Eröffnungsfeier am Nürburgring – persönlich erlebt
Udo Konz
Es war kein Samstag aus dem Bilderbuch. Dieser 12. Mai, an dem Zehntausende gespannter Rennsportfreunde zum ersten Male zum neuen Nürburgring pilgerten, sprach dem Wonnemonat höhn. Wo hatten die Termingestalter nur ihre Zuversicht hergenommen! Den Eisheiligen Pankratius hatten sie in ihrer Rechnung ganz einfach ignoriert, aber dieser frostige Geselle ließ sich auf den rauhen Eifelhöhen natürlich nicht kaltstellen. Frohgemut setzte ich mich in Bad Neuenahr ins Auto. Nachdem die Geldgeber der Rennstrecke ihre Unstimmigkeiten über die Finanzierung begraben, die Grundsatzentscheidung für den neuen Sproß nach einigen Turbulenzen schließlich in Bonn gefallen war – was sollte da eigentlich am Eröffnungstag noch passieren? Eitel Sonnenschein schien programmiert. Aber der trübe Himmel über dem Ahrtal verhieß wenig Gutes. In Ramersbach wunderte ich mich über die leere Straße. Hatte ich mich im Tag vertan? Wo blieben die angekündigten Besuchermassen? Hatten die verkehrsregelnden Maßnahmen so durchschlagende Wirkung? Ungläubiges Staunen dann auf der Höhe von Kempenich. Eine kilometerlange Schlange, die sich den Hügel hinaufwand und in einer Waldschneise verschwand – Ende und Länge offen.
Wenn da noch die Kühlung versagt: Anfahrt zur Nürburgring-Eröffnungsfeier
Auch im Programm der Eröffnungsfeier: Faszinierende Demonstration mit dem Auto
Bald hing ich mitten drin. Leerlauf, Anfahren, nach wenigen Metern Schrittempo wieder die Bremsleuchten des Vordermannes. Nieselregen setzte ein; die Eifellandschaft verlor, durch die schlierige Windschutzscheibe betrachtet, viel von ihrem herben Charme. Zur Fortbewegung im Schneckentempo kam persönliches Pech. Das Kühlsystem versagte, die Kontrollnadel des Temperaturanzeigers näherte sich unaufhaltsam dem Rotbereich. In Hohenleimbach füllte ich Wasser nach. Eine freundliche Wirtsfrau half mit ein paar Litern und gab die wenig tröstliche Mitteilung, daß andere das gleiche Pech gehabt hätten. Über Feldwege und Nebenstraßen ging es nur mühsam dem in Ferne gerückten Ziel Nürburgring entgegen – Vorantasten im Stau konnte ich dem angeschlagenen Motor nicht mehr zumuten.
Die letzten Kilometer doch wieder im Stau. Ein zerstörter Pkw am Straßenrand belehrte, daß Passieren der Schlange mit hohem Risiko verbunden war: Gegenverkehr drohte. An der Döt-tinger Höhe dann das Aus. Dicke weiße Dampfschwaden signalisierten: der Motor spielt nicht mehr mit. Nach halbstündigem Fußmarsch endlich an Start- und Ziel. Über vier Stunden (kann man das noch »Fahr«-zeit nennen?) für etwa 30 Kilometer.
Zeit zum Verschnaufen ist an der Strecke kaum. Auf morastigen Wegen kaum Vorankommen, die Masse Mensch sucht ihren Zuschauerblock. Die unübersichtliche, winzige Beschilderung half da kaum. Gedränge vor den viel zu schmalen Eingängen. Das Programm der abwechslungsreichen Eröffnungsfeier entschädigte dann für einiges. Zunächst betonten Ministerpräsident Bernhard Vogel und der Aufsichtsratsvorsitzende der Nürburgring GmbH, Dr. Wolfgang Brix, den Stellenwert der neuen Piste. Sie soll vor allem den schwachen Wirtschaftsraum Adenau aufpäppeln.
Der Ministerpräsident nannte die Eröffnungsfeier einen »Festtag für die Eifel und das Land Rheinland-Pfalz«, zugleich apostrophierte er die Übergabe der neuen Rennstrecke als einen Meilenstein in der Geschichte des Nür-burgrings und des Motorsports. Die modernste Rennstrecke Europas und vielleicht sogar der ganzen Welt, so Vogel weiter, vermittele ein Höchstmaß an Sicherheit für Fahrer und Zuschauer; sie sei darüber hinaus ein ideales Testgelände für das Auto der Zukunft, das sich vor allem durch Umweltverträglichkeit auszeichnen müsse. Und wie wichtig die Autoindustrie für das hiesige Bundesland sei, zeige der Umstand, daß jeder fünfte Arbeitsplatz in Rheinland-Pfalz direkt oder indirekt vom Auto abhänge.
Unter den Zuschauern: Ministerpräsident Dr. Bernhard Vogel (2. v. r.) und der Minister für Wirtschaft und Verkehr, Heinrich Holkenbrink (r.)
Fotos: Kreisbildstelle
Das erste Rennen auf dem neuen »Ring«: leistungsgleiche Mercedesfahrzeuge beim Start
Im Folklorecorso zeigte der Landkreis Ahrweiler, . . . : Festwagen von Bad Neuenahr-Ahrweiler
Im neuen Nürburgring erblickte der Ministerpräsident auch eine »einzigartige Chance« für den Fremdenverkehr in der Eifel. An den Mittelstand in und um Adenau richtete erden Appell, die günstigen Voraussetzungen durch eigene Investitionen und Initiativen weiter zu entwickeln.
Mit stürmischem Beifall bedacht wurde der bunte Folklorecorso des Landkreises Ahrweiler. Für die vielen hundert Teilnehmer, die sich auf diesen Festtag vorbereitet hatten, war dies ein kleiner Ausgleich für die Zeit der Vorbereitung und das Frösteln in Wind und Regen. Besonders die Majoretten in ihren kurzen Röckchen konnten einem schon leid tun.
Der Zuschauer aus Köln, Düsseldorf oder Essen wird sicher mit Erstaunen wahrgenommen haben, was der Kreis Ahrweiler so alles zu bieten hat. Da ließen ansehnliche Weinköniginnen den naheliegenden Schluß zu, daß an den Hängen der Ahr ein wohlschmeckender Tropfen wächst, machten die Badestädte in dezenter Weise auf sich aufmerksam, »verkaufte« sich der Landkreis als ein Wanderparadies. Kein Zweifel, dieser vielbeinige Folkloreumzug war ein bunter Bilderbogen des pulsierenden Lebens an Rhein und Ahr und in der Eifel. Hier wurde vor 100000 Zuschauern und einem Vielfachen dessen an den Bildschirmen eine wohl einmalige Gelegenheit der Selbstdarstellung genutzt. Wer den Vorzug eines Sonderausweises hatte, konnte eine wohl einmalige Ansammlung von aktuellen und ehemaligen Stars der Vollgasbranche in Augenschein nehmen: James Hunt, Denis Hulme, Niki Lauda, Alain Prost und viele andere mehr. Die Fans hinter den Zäunen hatten indes keinen Grund zum Däumchendrehen. Oldtimerfahrzeuge, das erste Rennen auf der neuen Piste überhaupt mit leistungsgleichen Mercedes-Fahrzeugen und halsbrecherische Motorradakrobatik einer Polizeistaffel waren einige der Blickfänge.
was er alles zu bieten hat: Burgenwagen der Verbandsgemeinde Altenahr
Das naßkalte Wetter ließ gelöste Stimmung dennoch nicht aufkommen. Wehe dem, der unter seinem Ostfriesennerz nur ein T-Shirt anhatte! Ein wenig Trost fanden jene an den Weinständen, wo Rotwein von der Ahr ausgeschenkt wurde. Ein wohltemperierter Tropfen war da hochwillkommen.
Am späten Nachmittag ging es mir dann wie vielen unter den 100 000: Ich wollte nicht mehr. Das Open-air-Konzert in den Abendstunden, wo die vermeintliche Attraktion »Nena« nicht auf den Höhen der Neuen deutschen Welle ritt, schenkte ich mir. Versäumt hatte ich, wie sich später herausstellte, nicht viel. Fußmarsch zurück zum fahrbaren Untersatz, der einsam und verlassen am Straßenrand stand. Der Motor war glücklicherweise so weit abgekühlt, daß ich Bad Neuenahr noch am gleichen Tag erreichte. In der gut geheizten Wohnung kehrten die Lebensgeister bald wieder zurück. Die Videoaufzeichnung von der Eröffnungsfeier schien mir wie ein Bericht von einem anderen Stern. Wie Fernsehkameras doch Eindrücke verfälschen können! Nichts ersetzt halt das persönliche Erleben. . .