Im Rhythmus der Jahreszeiten – Das dörflich-ländliche Leben früherer Zeiten
Im Rhythmus der Jahreszeiten
Das dörflich-ländliche Leben früherer Zeiten
Werner Müller
Mechanisierung und Technisierung der landwirtschaftlichen Betriebe haben das Leben der bäuerlichen Bevölkerung und in den landwirtschaftlich geprägten Dörfern in den letzten Jahrzehnten wesentlich verändert. Daher ist es sicher interessant, daß dörflich-ländliche Leben darzustellen, wie es früher im Jahresablauf verlief.
Das Leben spielte sich im Rhythmus der Jahreszeiten ab. Im Frühjahr, nach der Schneeschmelze, wurden in den Wiesen die Bachläufe gereinigt und von zu starkem Bewuchs befreit, damit das Schmelzwasser besser abfließen konnte und auf der abgetrockneten Wiese das Gras besser und schneller wachsen konnte. Auf dem Heimweg von dieser Arbeit wurden oft an den Wegehecken die über das Jahr benötigten Besen-, Gabel- und Schaufelstiele geschnitten.
Die Rohlinge wurden zum Bäcker gebracht, der sie nach dem Brotbacken zum »Bäen« in den noch heißen Backofen schob. Diese Behandlung der Stiele, die solange im Backofen blieben, bis die Rinde abplatzte und das Holz darunter braun wurde, erhöhte die Lebensdauer der Naturstiele ungemein. Oft hielt ein solcher Stiel länger als die Gabel- oder die Schaufel, in die er einst eingepaßt worden war.
Die eigentliche Feldarbeit begann, sobald die Märzsonne die Felder abgetrocknet hatte. Hafer und Gerste wurden gesät, nachdem das Saatbett hergerichtet worden war. War das Wetter gut, war die Saat schnell erledigt. Aber oft verzögerte Regenwetter diese Arbeit bis in den April.
Stallmist und Jauche, die sich den Winter über in erheblichen Mengen angesammelt hatten, mußten aufs Feld gebracht werden. Der eigene Dünger galt immer als der beste und billigste. Es wareine schwereArbeit, den Stallmist von Hand aufzuladen. Die noch dampfende Fuhre wurde mit Pferd zum Feld gefahren und hier mit dem Karst in kleinen Haufen verteilt abgeladen. Mit der Gabel erfolgte dann eine gleichmäßige Verteilung über das Feld. Beim anschließenden Pflügen achtete man besonders darauf, daß der Stallmistteppich in die Furche gebracht wurde, um eine gute Verrottung und Düngewirkung zu erzielen.
Je nach Witterung begann ab Mitte April das Kartoffelsetzen. Früher wurden die Kartoffelfurchen einzeln mit dem Pflug aufgezogen. Ab den zwanziger Jahren setzte sich mehr und mehr der »Jäter« durch, mit dem man gleichzeitig drei Furchen aufziehen konnte. Während das Gespann noch die Furchen zog, banden sich die Kartoffelleger – meist Frauen und ältere Kinder – die Legeschürzen um, die mit Setzkartoffeln gefüllt waren. Beim Legen achtete man auf einen Legeabstand von rund 30 cm innerhalb der Furche. Jede Kartoffel wurde festgetreten, damit diese bei späterer Bearbeitung nicht so leicht herausgezogen wurde. Anfängern beim Kartoffellegen wurden zum besseren Gelingen ihrer Arbeit empfohlen, bei jeder gelegten Kartoffel den Spruch hinzusagen: »Deine Kopp bie meine Kopp.« Während des Kartoffellegens zog der Fuhrmann die nächsten Furchen und gönnte dann den Pferden eine Pause. Er selbst hängte sich den Säkorb um und streute den Dünger über die Furchen. Zur Brotzeit setzte man sich auf zusammengefaltete Kartoffelsäcke und langte an der improvisierten Tafel tüchtig zu.
Waren die Kartoffeln gesetzt, wurden die Knollen gesät und der Mineraldünger auf die Winterfrucht ausgebracht. Es gab noch keine mechanischen Düngerstreuer. Der Landwirt verteilte den Dünger mit der Hand aus dem umgehängten Säkorb gleichmäßig über das Feld. Besonderer Wert wurde auf die gleichmäßige Verteilung gelegt, damit im Getreidefeld durch mehr oder weniger dicht gestreuten Dünger später keine Streifen in der Vegetation sichtbar wurden, sondern alles gleichmäßig grün war. Sonst hätte es geheißen: »E hätt newech de Botz jeschmeß«, also den Dünger schlecht verteilt. Mit dem Distelstecher ging es in das Wintergetreide, um den lästigen Plagegeistern den Garaus zu bereiten, damit diese zur Erntezeit nicht in die Finger pickten. Distelstechen war eine der beschaulichen Arbeiten, bei der einem Blick zum Himmel oder in die Natur nichts im Wege stand. Mit einem Butterbrot und einigen Äpfeln in der Tasche konnte man es schon aushallen! Bei der Markusprozession, die sich am 25. April durch die Feldflur bewegte, sollte nach alter Regel der Roggen so hoch sein, daß sich darin eine Krähe verstecken konnte. Manch kritischer Blick ging während des Gebets nach rechts und links, und derein oder andere überlegte, ob man den Wuchs des Getreides nicht mit einer Nachdüngung fördern solle.
Ab Mitte Mai waren die Knollen soweit. Das Vereinzeln stand an, eine beschwerliche Arbeit, die durch das ständige Bücken ins Kreuz ging. Oft bekam man hier auch den ersten Sonnenbrand.
Bald war die Heuzeit da. Morgens in der Früh hörte man schon die Sensendengier, die ihre Sensen für einen guten Gras- oder Kleeschnitt schärften. Wo es möglich war, wurde mit Pferdekraft und der Mähmaschine gemäht. Für viele steilere und nicht befahrbare Wiesen blieb jedoch nur die Sense übrig. Waren Klee und Gras etwas angewelkt, wurden die Mahden mit der Gabel von Hand gleichmäßig auseinandergebreitet, damit alles schnell trocknete. In gleicher Weise wurde das angetrocknete Gras von Hand gewendet, so daß die Sonne auf das nach oben gedrehte Grün schien. Das Heu wurde schließlich zusammengebracht und auf Hoppen aufgesetzt, Das Aufsetzen verlangte ein gutes Maß an Erfahrung, damit die Hoppen nicht beim ersten Windstoß umgeworfen wurden.
Zur Heueinfuhr wurde derAckerwagen in einen Erntewagen umgewandelt. Die Langrute, ein kräftiger Rundholzbalken, der Vorder- und Hinterwagen zusammenhielt, wurde gewechselt. Der Wagen wurde dabei um die Hälfte verlängert. Außerdem wurden die Ernteleltern aufgelegt und die Bindevorrichtung angebracht. Für die Beteiligten war das Heuaufladen eine verhältnismäßig leichte Arbeit im Vergleich zum Abladen in den engen, heißen Scheunen.
Im Juni kamen oft verschiedene Arbeiten zusammen. Neben der Heuernte stand das Säubern der Rüben- und Kartoffelfelder von Unkraut an. Die Kartoffeln mußten außerdem gehäufelt werden.
Anfang Juli wurde die Arbeit etwas weniger. Die ersten Prognosen zur neuen Ernte wurden erstellt und die Erntegeräte überprüft. Das »Reff« und die dazugehörende lange Sense wurden einsatzbereit gemacht. An der Mähmaschine wurde die Ablagevorrichtung für das Getreide, Zeppelin und Ablagerost angebracht, und an den Dreschmaschinen wurden letzte Reparaturen ausgeführt.
Die eigentliche Ernte begann, wenn der Roggen, »et Koe«. reif war. Wintergerste wurde früher wenig angebaut. Zuerst wurde das Kornfeld »angemäht«, ein anderthalb Meter breiter Streifen wurde entlang der Feldgrenze von Hand gemäht, aufgerafft und zu Garben abgelegt, die dann mit einem »Bännel« – einem Bündel zusammengedrehter Getreidehalme – zugebunden wurden. Am Ende des Feldes mähte man noch einen sogenannten Kopf frei, damit man sich mit dem Fuhrwerk drehen konnte. Mit der Mähmaschine legte der Fuhrmann in gleichen Abständen »Gelecke« ab. Die Raffer brachten das gemähte Getreide mit Hand und Sichel zu Garben zusammen, die mit dem »Bännel« gebunden wurden. Je dreizehn Garben stellte man zu einem Kasten auf. Wie oft diente ein solcher Kasten als Unterschlupf, wenn man von einem Gewitter überrascht wurde!
Bei der Getreideernte 1938
Nach dem Roggen wurde in gleicher Weise Weizen und Hafer geerntet. Das Einfahren der abgetrockneten Garben mit dem Erntewagen erfolgte entweder in die Scheune oder auf den »Baar« am Standort der Lohndreschmaschine. Diese Dreschmaschine wurde ursprünglich mit einer Lokomobile, später mit einem Elektro- oder Dieselmotor angetrieben. Das Anlegen des »Baar« war eine Kunst: Von derersten Lage durften keine Ähren auf die Erde kommen. Die Mitte mußte stets höher als der Rand bleiben, damit der Regen nach außen abfloß. Die Fläche mußte waagerecht bleiben, und die Größe war insgesamt so zu bemessen, daß man mit den Garben der letzten Fuhre den Getreidebaar zulegen konnte. Abgedeckt wurde mit einigen Lagen Stroh, über das man Drähte spannte, die an Feldsteinen verankert wurden.
Auf dem Dreschplatz wurden zunächst Einzelfuhren direkt vom Wagen gedroschen. Es handelte sich um die Ernte von Kleinlandwirten mit ein bis zwei Erntewagen oder um den Sonderdrusch von Saatgetreide. Anschließend wurde die Dreschmaschine in die Gasse des Dreschplatzes gefahren und so aufgestellt, daß jeweils vier Parteien an einem Standort dreschen konnten. Um einen reibungslosen Ablauf sicherzustellen, waren zehn bis fünfzehn Personen nötig, die in Nachbarschaftshilfe zusammenkamen.
Im September begann die Kartoffelernte. Sie zog sich bis in den November hin, als die Kartoffeln noch mit dem Karst ausgegraben wurden. Der Einsatz von Vorratsrodern, die nach dem Ersten Weltkrieg aufkamen, beschleunigte die Ernte. Es konnte jetzt auf Vorrat, »de Spräet«, gerodet werden, so daß die Raffer tagsüber genug zum Auflesen hatten. Waren die Kartoffeln gerodet, wurden die Pferde an den Wagen gespannt, der die Fracht dann zum Bahnhof Brohl brachte, wo die Kartoffeln in Waggons verladen wurden. Eine Wagenladung umfaßte drei Stöße mit je 15 Säcken und 5 Säcken quer darübergelegt, also rund 50 Zentner. Eine solche Fahrt nach Brohl dauerte mit dem Verladen der Kartoffeln hin und zurück vier bis fünf Stunden. Nach der Rückkehr zum Kartoffelfeld wurde ein weiterer Wagen beladen, der die Kartoffeln in den heimischen Kartoffelkeller brachte. In der Blütezeit des Kartoffelanbaus wurden in der Wassenacher Gemarkung über 300 Morgen Kartoffeln angebaut. Deshalb reichten die heimischen Kräfte zur Ernte nicht aus, obwohl die Kinder eigens Kartoffelferien erhielten und bei der Ernte mithalfen. So kamen junge Männer und Frauen vom Hunsrück nach Wassenach, um im Tagelohn bei der Kartoffelernte zu helfen.
Um 1900: Trotz Dreschmaschine waren immer noch viele Hände beim Dreschen notwendig
Nach den Kartoffeln waren die Knollen an der Reihe. Zunächst legte man eine »Knollenkaule« zwei Pflugscharen tief an, um die Knollen frostsicher einmieten zu können. Von Hand wurden die Knollen ausgezogen, in Reihen abgelegt und anschließend mit dem Beil vom Blattwerk befreit. Die »abgeköpften« Knollen wurden auf die »Schöppkah«, eine zweirädrige Karre, geladen und zur Kaul gebracht. Hier wurden die Knollen von Hand aufgestapelt und über einer aufgelegten Strohlage mit Erde abgedeckt. Da die Knollenblätter meist verfüttert wurden, konnten die Knollen nicht alle auf einmal geerntet werden. Daher wurden zwischendurch die Kartoffelfelder saatfertig gemacht. »Et Echkrompere raffe«, das Auflesen der restlichen Kartoffeln, die bei der Ernte auf dem Feld verblieben waren, brachte um diese Zeit schon recht kalte Finger.
Anfang November, zum Martinstag, waren Ernte- und Bestellarbeiten weitgehend abgeschlossen. Die letzten Felder wurden noch gepflügt, und vom Dreschplatz brachte man das Stroh in die Scheunen. Ebenso wurde der Knollenkeller bis an die Decke gefüllt, um bei ungünstiger Witterung nicht den Bedarf aus den Kaulen decken zu müssen.
Um diese Zeit stand auch Waldarbeit an. Das Brennholz für den Winter wurde geschlagen. Gleichzeitig schnitt man Birkenreisig, aus dem man den Winter über beim Kesselfeuer Reisigbesen band. Einige diese Reiser bewahrte man auch für Sankt Nikolaus, der sie als Ruten den »bösen Kindern« aushändigte.
Die Winterarbeit war überwiegend an Haus und Hof gebunden. Das Ackergerät wurde überprüft, defekte Wagenräder kamen zum Stellmacher und anschließend zum Schmied. Eggenschlitten, Pflugschleppen und Holzzähne der Egge wurde in Heimarbeit in Ordnung gebracht. Ebenso gehörte zur Winterarbeit das Flicken der Getreide- und Kartoffelsäcke. Zu den täglichen Besorgungen kam noch das Schneefegen im Hof, um die Pferde regelmäßig bewegen zu können, alles Arbeiten, die schließlich mit dem Winterende von der Feldarbeit wieder abgelöst wurden.