Ich habe einen Engel
Toni Eich
Antoine de Saint-Exupéry, der französische Flieger und Schriftsteller, ob seiner Meditationen in die Reihe der Moralisten gehörig, sagte einmal: „Wenn Du in all Deiner Gnade mit dem Schritt des Engels auf den Menschen zugingest, würde der Mensch vollendet sein.“
Der Pütterich ist mein Pütterich, und er heißt auch Pütterich. Ich erfand diesen Namen eigens für ihn, obwohl ich mich eigentlich nach einem solideren aus der Heiligenschar hätte umsehen sollen. Dabei geriet ich schon gleich ins Gedränge. Gäbe er sich überhaupt mit jedweden Heiligennamen zufrieden? Wenn man bedenkt, daß einige, von den Säulen gestoßen, förmlich unter den Tisch fielen — so arg setzte ihnen die Reformsucht zu. Schaut nur St. Christophorus, den Patron des fahrenden . Volkes, was ist aus ihm geworden? Und St. Barbara, die Patronin der Schützen und Kanoniere! Wer soll ihnen fürderhin Beistand leisten bei ihrem lauten Geschäft? Nein, derlei Ungemach wollte ich dem Pütterich nicht antun, einen Namen zu tragen, der nichts mehr gilt. Und zudem weiß ich nicht, ob für ihn ein Heiligenname angemessen ist. Ist er dem Wesen nach nicht mehr als ein Heiliger, gewissermaßen ein „Vorgesetzter“ der erdentrückten Schar?
— Was sein Aussehen anbelangt: Das engelgleiche Bild mit den goldenen Schwingen, das sternlichte Strahlen… Ach, Engel
— gibt es die noch heute? Hand aufs Herz!
Wer hat nicht schon das unaufdringliche Geleit seines Schutzengels verspürt, den Hauch seiner schützenden Schwingen, in den Drangsalen des. Lebens? Freunde, denkt einmal an die sengenden Stahlgewitter! Wenn wir ehrlich sind…!
Beim Pütterich wollte ich in meinen eigensüchtigen Absichten nicht gar so hoch greifen. Versteht ihr? Ein Schutzgeist sollte er schon sein, aber deftig in seiner Art, nicht so engelzart. Da gibt es die pausbäckigen Putten. Mit den Engeln stehen sie auf gutem Fuß; der schäumende Barock schuf sie in Fülle. Sie umgaukeln neugierig die Altäre im Chor der Engel und wachen listig über das heilige Geschehen, lauschen den lispelnden Betern. Ein einziger Gedanke bewegte mich, als ich die Putte erstand, ihr, da sie nur gut eine Elle mißt, einen treffenden Namen zu geben. Drum wagte ich einen sprachlichen Gewaltakt, ohne Rücksicht auf grammatikalische Gesetzlichkeit. Ich verniedlichte ganz einfach den Namen; aus der Putte Wurde der Pütterich, aus dem weiblichen ein männliches Geschlecht, ohne anatomische Hintergedanken. Denn ich bedurfte ja eines männlichen Kampfgenossen in der Behauptung meines tätigen Lebens, das bedroht schien von der ordnungssüchtigen Hand meines weiblichen Hausgenossen.
Der Pütterich kam auf stille Weise in meinen Besitz. Ich erinnere mich noch: Es war ein sinkender Tag „von flaumweicher Stille und lilienreiner Friedsamkeit“ (Felix Timmermanns) in der adventlichen Mozart-Stadt, sternsilbriger Reif glitzerte allerwegen. Eine Freundin von kunstverständigem Sinn wollte mit dabei sein, als wir St. Blasius entgegenstrebten, jener Kirche, die sich mit wehrender Gebärde vor die drohende Wand des Mönchsberges zwängt. Da, an einem engbrüstigen Haus, vom Berg umdunkelt, das verheißungsvolle Wort: Antiquitäten.
Eine federnde Glocke lallte ein paar weinerliche Schläge in den schwarzen Hintergrund. Solche Läden müssen wohl dunkel sein, denn wieviel Traurigkeit verbirgt sich hinter den entthronten Kostbarkeiten aus alter Zeit. Ihre einst hehren Plätze vertauschten sie mit einem dunklen Verließ, einer Totenkammer gleich. Aus dem wesenlosen Dunkel löste sich eine rabenschwarze Gestalt. Es hätte eine Hexe sein können, denn es fehlte nur noch das wahrsagende Symbol der Eule auf ihren Schultern. Sie gab sich keineswegs so, recht vornehm, gar gebildet. „Eine Putte suchen Sie? — Vielleicht diesen Engel hier?“ Dabei griff sie in einen kupfernen Kessel. Schon quälte mich, außer der unwürdigen Lagerstatt, der Dualismus der Geschlechter. „Ja, gut, solch eine Putte“, sagte ich bestimmt. Flugs hielt die Schwärze den Pütterich hoch über uns, anmutig schwebend, wie ein Neugeborenes, gar rosig anzuschauen. Ich griff nach ihm, musterte die barocke Schönheit und reichte ihn der Freundin, deren kritischer Blick ein bewunderndes Nicken ablöste. Wir waren einer Meinung: ein edles Stück, der Engel, die Putte, der Pütterich, des Besitzes schon wert. Die Herkunft war nicht klar zu erhellen, wie’s bei „Findelkindern“ halt so ist. Er komme aus dem Ungarischen, gut an die hundertfünfundsiebzig Jahre alt; vielleicht aus dem Altargerank einer Kirche oder Kapelle, deshalb das angedunkelte Habit, von wehenden Kerzen angehaucht. Es könne auch sein, daß er aus einem der Herrenhäuser stamme, in die der lebensfrohe Barock seine Wellen geschlagen. Mag sein, daß er schon Tondichter gesehen, wie diesen Liszt, den Halbgott der damaligen Salons. Wer mag es ergründen? — Wir kauften ihn, nicht ohne ein unwürdiges Feilschen, wie es immer um die Ausgestoßenen anhebt. Die Schwarze packte den Pütterich in ein blaues, ausgedientes Papier; eine Zigarettenmarke firmierte würdelos darauf. So drängte es uns in ein Kaffeehaus; wir betranken den Kauf bei hinschmelzenden Weihnachtskrapfen, — das Erworbene ruhte willig auf einem Heizungsgatter. Ein schwingendes Bein und ein Patschhändchen fanden sich mit der Umhüllung nicht zurecht, er wollte offenbar schweben, der Pütterich. Man giftiger Blick peilte auf die dargebotenen Extremitäten. Ob wir gar ein Neugeborenes auszusetzen trachteten? Wer kann nur so heimtückisch denken, wenn wahre Kunst im Spiel ist… Nun, dem Auge des Gesetzes entzog sich der Pütterich durchaus nicht; aus seiner molligen Umhüllung in der Tragetasche hörte er dem heiteren Geplärr zu, wozu auch Zöllner, bei allem anerworbenen Ernst von amtswegen, versteht sich, fähig sein können. Dann ratterte er, in fröhlicher Runde, durch die reifglitzernde Nacht, der neuen Heimat entgegen…
Nun hat er einen würdigen Platz. Engelgleich schwebt er, thront er, hinterwärts verankert, über mir und meinem Tun. Herrlich anzuschauen! — Sein bubenfrohes Antlitz mit dem spitzbübischen Lächeln, umbauscht vom üppigen Haarschopf, die goldenen Flügel, der Lendenschurz, schamverhüllend, kein Gazetten-Nackedei — und schließlich die hilfreiche Gebärde, die den Engeln zueigen ist. Ob ich seine Profanierung nicht doch zu unschicklich anstellte, nur meiner durchsichtigen Absicht wegen? Engel hin — Engel her! Mir ging’s um einen sichtbaren Beistand, keinen aus unendlichen Fernen. Nein, er mußte augenblicklich gegenwärtig sein, wenn Unheil im Verzüge war; ein Gefährte sollte er sein. Wie tröstlich, wenn der Pütterich mein unstetes Tun beäugt, ein gütiges Lächeln mir zuweht und seine Arme ausstreckt, als wolle er helfen, der papierenen Flut Herr zu werden. Gebundenes und Ungebundenes türmt sich zuhauf. Dabei laufe ich mühsam den Gedanken nach, ordne sie in meinem Kopf, auf daß etwas Friedfertiges daraus werde. Aber, diese Unordnung, rundherum die papierene Flut, die ansteigt, wie das ungezügelte Wasser der Berge. Und dann noch die Anfeindungen des Weibervolks…! In dieser Not schickte ich mich an, eine Rede zu halten, eigens für den Pütterich bestimmt, keine geschliffene, von philosophischer Hintergründigkeit, nein, eine einfache sollte es sein, aber mit aller Bitternis der Klage.
Ich weiß, Pütterich, so hob ich an, du belächelst den papierenen Berg, du kannst es ob deines Wesens, aber beileibe nicht mein weiblicher Hausgenosse mit dem fürchterlichen Sinn der Ordnungsliebe, die jählings in die Papierflut fährt und alles zerstört, was ich mühsam an Unordnung geschaffen habe. Es gäbe ja keine Ordnung, wenn nicht die Unordnung da wäre. Drum erzeuge ich sie arglistig, damit das Weibervolk dagegen anstürme. Schütze mich, so flehte ich, vor diesen ordnungsheischenden Händen des weiblichen Hausgeistes in Gestalt der Angetrauten. Laß nicht zu, daß alles durch die dummen Eilfertigkeiten zuschanden wird, was ich mühsam zusammentrug, um mit meinen Sinnen und Gedanken darin zu tummeln. Schwebe herab, ich bitt‘ dich, lege dich trotzig auf den Berg der Unordnung und wehre jeden Zugriff des weiblichen Ordnungssinns notfalls mit geübten Flügelschlägen ab, einem erzürnten Schwänerich gleich.
Belächele das verwerfliche Tun, denn Lächeln in ein entwaffnendes Agens, gerade beim Weibervolk. Sei du mein Gefährte! — so sprach ich. Dem „Hausgesinde“ trat ich mutig entgegen: Stört nicht unsere Freundschaft, bedenkt, sie kann Berge versetzen, nicht den papierenen hierselbst, den ihr umkehren wollt in ein wesenlos Geordnetes, daß kein Berg mehr ist, wie jene mit ihren eigenwilligen Gründen und Flüchten, die unverrückbar sind, wie eben unsere Freundschaft. Also sprach ich! Es war ein Sieg, den wir fröhlich feierten — der Pütterich und ich.
Wie ist doch der Mensch in seiner Ruhelosigkeit, über die Herkunft dessen, was ihm in seinem eigensüchtigen Streben zugewachsen ist, nachzuforschen. Als wenn es nicht genügte, sich des Besitzes zu erfreuen. Dem listigen, zermürbenden Gedanken erlag auch ich. Des barocken Formenspiels ist gar viel am Pütterich aufgewandt. Der ihn aus dem Holze grub, war kein geringerer Meister gewesen, vielleicht ein bekannter, gar ein Schwanthaler, deren es 21 Plastiker aus dem Innviertel gab, in ununterbrochener Folge von über zwei Jahrhunderten, vom großen Thomas bis hin zum letzten, vom bayerischen Königshaus geadelten Ludwig, der die Bavaria in München und das Mozart-Denkmal in Salzburg schuf. Wie spreizte sich schon ganz meine Eitelkeit zu pfauenhafter Pracht. Du hast einen ‚Schwanthaler‘, einen echten, so jubelte es in mir. Zu früh des Jubels: Die meisten Schwanthaler brachten ihrem barocken Engel- und Puttenvolk unmerkliche Eigenheiten bei, den erhobenen Zeh am Fuß, den großen; er tanzt immer aus der Reihe. Auch hier keine Ordnung! Beim Pütterich stehen alle Zehen in Reih und Glied, fein geordnet. — So zerschellte an dem dummen Zeh, dem eigenwilligen, meine ganze Schwanthaler-Begeisterung. Ich erfuhr es augenscheinlich im Chorherrenstift zu Reichersberg, dahin man Scharen von Schwanthaler zusammengetragen hatte, fürwahr eine barocke Heerschau, in der ich mich verlor bei der verbohrten Suche nach dem eigenwilligen Zeh. Wahrhaftig, wie war er graziös aufgerichtet, als wolle er sich loslösen — entschweben. So war der Traum vom .Schwanthaler‘ dahin. Der Pütterich und ich — „wir schwiegen gesprächig…“ (K. H. Waggerl)
Einmal im Jahr wird der Pütterich erhöht, dann ist er ganz Engel, wie es ihm eigentlich auch zusteht. Dann, wenn die adventlich-weihnachtliche Zeit anhebt mit ihrem geheimnisvollen Wirken allüberall, mit den Düften von harzigem Holz und würzigem Backwerk und dem traulichen Kerzengeflimmer. Ja, dann erhält auch er seine Kerze, deren züngelnde Flamme Lichtkreise um ihn webt, ganz geheimnisvoll. Wenn schließlich der Weihnachtsabend kommt, dann möchte auch er sich aufmachen zur Krippe hin, um dabei zu seih mit dem armen Volk der Hirten, die da das Wunder bestaunen, wie ehedem, als der Engel die Botschaft verkündete. Am liebsten möchte er wachen Auges darüber schweben, daß nichts Arges dem Kinde widerfahre, wie es göttlicher Auftrag war. Mir scheint, der Pütterich fühlt sich nun ganz als Erzengel, allein schon der gewichtigen Größe wegen, gegenüber dem kleinen Volk bei der Krippe. Der Pütterich — ein Erzengel! Dein Ansehen steigt. Du bist ein Cherub — bei Gott! Engel, ach Engel, so etwas Unmodisches. Kein Astronaut hat sie bisher entdeckt, wie ein Abtrünniger vermeldete. Durchaus zu verstehen, wenn man ihre geheimen Zu-
flüchte in der unendlichen Weite des Himmelsdomes bedenkt, die noch kein Auge zu ergründen vermochte, geschweige denn ein glotzäugiges Teleskop. Und zudem, was schert sie die teufelschwänzige Ausgeburt der Technokraten, die da vergängliche Bahnen im Weltall zieht. Ihr Diesseitigen, ihr werdet sie auch nicht entdecken, da euch das Elixier des Glaubens fehlt. Verborgenes verbirgt sich euch. Ihr werdet’s nie verstehen. Wohl verstand es jener himmelstürmende Franzose mit dem heiligenhaften Namen — ein Engel hätte ihn erfunden haben können —, dessen junges Herzblut im vaterländischen Dienst in den dürren Sand der Wüste rann. Ich habe ihn verstanden, als ich sein Geleit wählte für mein unaufdringliches Bemühen, dem verborgenen Weben der Engel nachzuspüren. Freunde, so bin ich mit meinem Pütterich zu euch gekommen mit der ganzen Anmut und Fröhlichkeit seines hölzernen Daseins, aber auch mit der Verheißung einer erdenfernen Hilfe, zu der nur Engel fähig sind. Pütterich, du bist ein Engel — mein Engel…!