Hundert Jahre Dr. v. Ehrenwall’sche Klinik
Dr. Marianne Smolenski
Hundert Jahre sind eine kurze Spanne Zeit im Vergleich zu den vielen Jahrhunderten, in denen psychisch Kranke infolge unzulänglicher Kenntnisse über Ursachen und Verlauf von Krankheiten Urteile und Maßnahmen hinnehmen mußten, die ihre Leiden noch mehrten..
Doch Waren die letzten 100 Jahre die eigentlich bedeutsamen in der Geschichte der Psychiatrie, weil sie eine Wende brachten, für die zahlreiche Anstaltsgründungen dieser Zeit konkreter Beweis sein können.
Als am 1. April 1877 die Anstalt für Gemütsund Nervenkranke in Ahrweiler auf Initiative des damals in seiner Fachausbildung begriffenen Carl Alexander von Ehrenwall gegründet wurde, befand sich die psychiatrische Wissenschaft in den Anfängen einer Entwicklung, die sich bis in unsere Zeit mit zunehmenden Erkenntnissen vollzog und letzten Endes half, Vorurteile, Mißtrauen und Unverständnis gegenüber psychisch alterierten Menschen weitgehend abzubauen, sie als Kranke zu betrachten und nicht als rätselhafte Wesen, für deren gestörtes Verhalten man dem Zeitgeist entsprechend geheimnisvolle Erklärungen suchte.
In dieser Zeit der wachsenden Bemühungen um die psychisch kranken Menschen, erfüllt von dem Willen, einen Beitrag zu leisten zur Verbesserung ihrer meist schlechten Unterbringung und unzulänglichen Therapie, ließ Carl von Ehrenwall innerhalb der Stadt Ahrweiler zwei Häuser einrichten, später ein
drittes hinzubauen, die zunächst lediglich als Pflegeanstalt gedacht waren.
Zwei Jahre nach der Gründung, am 1. 10. 1880, übernahm Dr. von Ehrenwall die Leitung der Anstalt, nachdem er die staatliche Konzession erhalten hatte. Bald erkannte er, daß die innerhalb der Stadt gelegenen Gebäude ungeeignet waren für die Durchführung einer modernen Behandlung seelischer und nervlicher Störungen. Mit bewundernswertem Mut erwarb er 1881 ein größeres Gebäude vor dem Obertor der alten Stadt und entwarf einen Neubau, der eine offene Station für Nervenkranke und eine geschlossene für die Behandlung seelischer Störungen vorsah.
Dieser Bau wurde 1882 begonnen und in den Jahren 1886 bis 1888 zum größten Teil vollendet. Eine Klinik nach modernsten Gesichtspunkten entstand, die den Patienten nicht nur alle Möglichkeiten bester Therapie, sondern auch Behaglichkeit bot. Dabei lehnte sich die geschlossene Abteilung, vom psychiatrischen Standpunkt gesehen, durchaus an das Schema der von der Rheinprovinz in Bonn, Düren, Grafenberg und Andernach 1876 errichteten Anstalten an. Nur war das Erreichen der sicheren Unterbringung und Überwachung bei sorgsamster Pflege mit größeren Schwierigkeiten verbunden, da man auf Wachsäle verzichtete und den Patienten innerhalb der klinik möglichst viel Freiheit lassen wollte.
Inzwischen waren größere Aufenthaltsräume notwendig geworden. Daher errichtete man
1893, bewußt getrennt von den Patientenabteilungen, einen größeren Anbau, der Gesellschaftsräume, Musik- und verschiedene Spielzimmer enthielt.
Etwa Mitte der 90er Jahre kamen neue Anschauungen auf in der Behandlung der Geisteskranken. Die Bettruhe wurde als das zunächst Wichtigste aller seelendiätetischen Mittel anerkannt. Besonders bei frischen Erkrankungen depressiver Art unter Mitbeteiligung der körperlichen Sphäre im Sinne einer Gewichtsabnahme, Schlaflosigkeit usw. wandte man diese Behandlungsart mit gutem Erfolg an. Zur Unterstützung der Bettbehandlung trat bei allen stärkeren Störungen anstelle der früher gebräuchlichen Kaltwasserbehandlung das warme Bad, entweder als einfaches Bad, oder als sogenanntes prolongiertes oder Dauerbad.
Um diese Behandlung bei Schwerkranken durchführen zu können, schuf Dr. von Ehrenwall 1895 bis 1897 die Villa Griesinger, eine geräumige und hygienisch auf das beste ausgestattete Klinik, die durch Gärten getrennt, abseits vom Hauptgebäude und der offenen Abteilung lag. Hier wurden erregte, schwerkranke Patienten untergebracht, die einer sorgfältigeren Überwachung und Pflege und einer intensiven Bäderbehandlung bedurften. Vorbildlich an diesem Haus war die Dauerbäderanlage, die es infolge einer technisch feinausgearbeiteten Regulierungsvorrichtung ermöglichte, zahlreiche erregte Kranke in ständig zu- und abfließendem Wasser von gleicher Temperatur zu halten.
1902 erfuhr die Offene Abteilung eine notwendige Erweiterung durch den Neubau der Villa Sophia, westlich vom Hauptgebäude, die von prächtigen Parklanlagen umgeben wurde. Letztere boten, ebenso wie die nahen, schöngestalteten, klinikeigenen Waldanlagen, Möglichkeiten zu Spaziergängen und Liegeküren.
Zwischen Hauptgebäude und Villa Griesinger, inmitten der Gärten für die Patienten der geschlossenen Abteilung, entstand bis 1903 ein weiterer Bau, die Villa Maria, mit der in der ersten Etage befindlichen Wohnung des ärztlichen Direktors der Klinik. Die 2. und 3. Etage waren eingerichtet zur Aufnahme von Kranken der geschlossenen Abteilungen. Im
Parterre befanden sich Wirtschafts- und Diensträume.
Früh erkannte man die Notwendigkeit einer geeigneten Beschäftigungstherapie, von der Bemühung ausgehend, seelisch Kranke und Nervöse von ihrer egozentrischen Einstellung abzulenken, sowie von der Sorge getragen, die geschädigten seelischen Kräfte nach Möglichkeit zu erhalten und nutzbar zu machen. Auf dem Gebiet der Behandlung der Nervenerkrankungen brachte die elektrische Behandlung durch Massagegeräte und medicomechanische Apparate und die Therapie durch spezielle Arten von Bädern weitere Neuerungen mit sich.
Zur Ermöglichung der genannten Behandlungsarten wurde 1905 bis 1906 das Kurmittel-und Badehaus erbaut und mit ausgezeichneten Einrichtungen ausgestattet, durch die alle damals bekannten Maßnahmen der Elektro-und Balneotherapie in der Klinik angewandt werden konnten.
In den unteren Räumen des Kurmittelhauses befand sich zunächst der Turnsaal mit guten Geräten und Möglichkeiten zu gymnastischen Übungen und Spielen. Ihm schloß sich ein Saal für Handfertigkeitsarbeiten an mit Arbeitstischen und Instrumenten für Holzschnitzereien, Malerei, Modellieren in Ton, Lederschnittarbeiten, Phototechnik, Handarbeiten, wie Weben und Sticken.
Bemerkenswert ist, daß schon damals also in der Klinik eine sehr differenzierte Beschäftigungstherapie begann mit einer ebenso modern anmutenden Soziotherapie: Psychosen wurden von ihrer inneren quälenden Problematik abgelenkt und erfuhren die heilsame Wirkung des Tätigseins und Gestaltens.
1913 stellte von Ehrenwall seine Kurmittel- und Bädereinrichtungen auch den Kranken der Reichsversicherungsanstalt zur Verfügung und erwarb zu Wohnzwecken für sie ein auf der Walporzheimer Straße liegendes Anwesen mit Park, das Westsanatorium, so genannt, weil es von Berlin aus gesehen, das Sanatorium im Westen Deutschlands war.
1919 wurde das Gebäude des „Westsanatoriums“ von der Besatzungsbehörde beschlagnahmt und die Patienten der Reichsversicherungsanstalt in einzelne Flügel des Hauptgebäudes übernommen. Das Fehlen eines eigenen Hauses für das sogenannte Westsanatorium, das später in den Besitz der Reichsvermögensverwaltung überging, machte sich aber immer mehr bemerkbar, so daß von Ehrenwall sich veranlaßt sah, 1925 mit einem Neubau für die Kranken der Reichsversicherungsanstalt zu beginnen, der 1926 eingeweiht werden konnte.
Wie auf medizinischem Gebiet.so stand Dr. von Ehrenwall auch auf technischem Gebiet allen Erkenntnissen der Wissenschaft mit seltener Aufgeschlossenheit gegenüber. Schon 1887 führte er als einer der ersten in ganz Deutschland in seiner Kljnik mit eigener Stromerzeugung die elektrische Beleuchtung ein. Sie wurde im Beisein der Behörden und vieler Ärzte feierlich in Betrieb genommen.
Der Neubautrakt der Dr. v. Ehrenwall’schen Klinik
Sowohl die frühere, sogeannte gleislose elektrische Bahn Neuenahr — Ahrweiler — Walporzheim, als auch das Ahrweiler Kino und im Jahre 1919 die amerikanische Besatzung, bezogen den elektrischen Strom von der Ehrenwall’schen Zentrale, die noch im letzten Krieg die Stadt mit Strom versorgte, wenn die öffentliche Stromzufuhr versagte.
In einem Bericht über die Anstalt aus dem Jahre 1898 erklärt Dr. von Ehrenwall: „Der Umstand, daß die Stadt Ahrweiler keine Gasanstalt hatte, bahnte der Idee den Weg, meine Gebäulichkeiten mit der damals noch in den Anfängen befindlichen neuen Beleuchtungsart vermittels Elektrizität zu versehen.
Hatte 1886 die Elektrotechnik auch noch nicht den heutigen Grad der Vollkommenheit erreicht, so ließ sich doch voraussehen, daß elektrisches Licht, gegenüber der Petroleum-und Gasbeleuchtung, namhafte Vorteile ergeben würde, die sich in Kürze, wie folgt, zusammenfassen lassen:
- gleichmäßiges und wohltuend helles Licht,
- Sicherheit gegen Feuergefahr,
- keine Verunreinigung der Luft,
- keine unangenehme Wärmeausstrahlung,
- bequemes Anzünden und Auslöschen,
- stete Betriebsbereitschaft bei Tag und Nacht.
Für eine vielseitige Beschäftigungstherapie stehen neue Räume zur Verfügung Fotos: Kreisbildstelle
Das elektrische Licht vereinigt somit alle hygienischen Anforderungen für Kranken- und Heilanstalten in weitem Umfange in sich und stellt deshalb, von diesem Standpunkt aus betrachtet, die tadelloseste, zweckmäßigste und sicherte künstliche Beleuchtungsart dar.“
Über die eigene Wasserversorgung schreibt von Ehrenwall im gleichen Bericht:
„Da ferner 1886 für eine städtische Wasserleitung immer noch keine Aussichten vorhanden waren, sah sich die Anstalt auch behufs Wasserversorgung weiterhin auf sich selbst angewiesen, weshalb die Anlage eines Tiefbrunnens beschlossen wurde und damit in Verbindung die Herstellung eines eigenen Hebewerkes.“
Auch diese Eigenversorgungsanlage der Klinik mit ihrem sehr ergiebigen Tiefbrunnen wurde im letzten Krieg, als die städtische Wasserleitung zerstört war, Wasserquelle für die Bevölkerung.
Mit dem Maschinenhaus ließ von Ehrenwall 1886—87 eine Zentralstelle errichten, von der aus die gesamten Klinikgebäude nicht nur mit Licht, kaltem und warmem Wasser, sondern auch durch eine moderne Niederdruckdampfheizung mit Wärme versorgt werden konnten.
Die gleiche Zielstrebigkeit und Umsicht, mit der von Ehrenwall moderne technische Erkenntnisse für die Ausstattung seiner Klinik nutzte, leitete ihn auch, als bei schnell wachsender Patientenzahl die ausreichende Versorgung mit Nahrungsmitteln schwierig wurde. In seinem Bericht von 1898 lesen wir: „Wenngleich in der Umgebung von Ahrweiler ländliche Verhältnisse vorwiegen, so ist es dort doch in ökonomischen Dingen schlecht bestellt, weil die ganze Bevölkerung sich fast ausschließlich mit dem Weinbau befaßt und Ackerbau und Viehzucht nur in soweit treibt, als sie zum eigenen Haushalt nötig sind. Größere Viehhaltungen gibt es nicht, und so mußte z. B. der zu unserem Haushalt nötige Bedarf an Milch täglich aus den verschiedensten Stallungen mühselig beschafft werden.
Da diese Zustände auf die Dauer zu immer öfter sich wiederholenden Betriebsstörungen führten, andererseits die sich immer mehr vergrößernden Küchenabfälle zu einer rationellen Verwertung drängten, endlich der Pferdebestand der Anstalt auf 3 Stück gestiegen war, so waren wir gezwungen, eine eigene Ökonomie einzurichten.“
Sie wurde in den Jahren 1895—1897 erbaut und war in beiden Weltkriegen von entscheidender Bedeutung für die Ernährungssituation in der Klinik.
Bei der Entwicklung des so ausgedehnten und intensiv arbeitenden Klinikbetriebes war sowohl auf architektonischem Gebiet (vom Zentralbau mit seinem Korridorsystem zum Villensystem mit möglichster Vermeidung jeglichen Zwanges), als auch auf therapeutischem Gebiet stets aufmerksam die Entwicklung der psychiatrischen Wissenschaft berücksichtigt worden.
Überblicken wir die Entwicklung der Anstalt von ihren bescheidenen Anfängen in 2 bis 3 kleinen Häusern der Oberhut unserer Stadt, bis zu ihrer Ausdehnung am 50jährigen Bestehen im Jahre 1927, so bewundern wir den unermüdlichen Fleiß, die eiserne Energie, den Ideenreichtum und das gewaltige Maß an
geistiger und seelischer Spannkraft, an zäher Ausdauer und Geduld, mit der von Ehrenwall, der 1911 zum Geheimen Sanitätsrat ernannt worden war, sein Anliegen und Ziel verfolgte, als Arzt sorgend und mit dem Rüstzug moderner Erkenntnisse gewappnet, Krankheitserscheinungen zu bekämpfen, die jahrhundertelang nicht als echte Krankheiten erkannt worden waren, sondern Erniedrigung und Diskriminierung für die leidenden Menschen bedeutet hatten.
In seiner opfervollen und oft gefahrvollen Arbeit wurde er von Anbeginn unterstützt durch treue Helfer, gute Ärzte und Krankenpflegekräfte und seine unermüdlich tätige, umsichtig kluge Gattin im Innenbetrieb und der Verwaltung der Klinik.
Die Stadt Ahrweiler erkannte die Verdienste des Dr. von Ehrenwall, der ihr jahrelang auch als 1. Beigeordneter diente, anläßlich dieses Festes an, indem sie ihm den Ehrenbürgerbrief der Stadt überreichte und 3 Jahre später, zu seinem 75. Geburtstag, am 9.9.1930, eine Straße nach ihm benannte.
In den folgenden Jahren zog sich Dr. von Ehrenwall allmählich von der ärztlichen und später auch von der wirtschaftlichen Leitung der Klinik zurück.
Am 16. Juni 1935 starb er, kurz vor der Vollendung seines 80. Lebensjahres.
Seit 1920 war Dr. Emil Marx, der für die Klinikarbeit (in Würzburg bei Prof. REICH-HARDT, in Hamburg durch die Professoren NONNE und WEYGAND) vielseitig vorgebildete Schwiegersohn des Gründers, als Oberarzt in der Klinik tätig. Ende der 20er Jahre übernahm er ihre Leitung und lenkte die Geschicke des Unternehmens durch die schwierige Zeit nach 1933 und mit besonderem Einsatz und Mut während der Kriegsjahre 1939 bis 1945. In diesen Jahren scheute Dr. Marx trotz erheblichen persönlichen Risikos nicht davor zurück, Menschen, die wegen ihres Krankseins unter dem damaligen Regime gefährdet waren, Zuflucht und ärztliche Hilfe zu geben. Wie während des Krieges 1914/18, nahm die Klinik auch im 2. Weltkrieg Teillazarette für Nervenkranke auf. Dr. Marx verstand es trotz schwerster Bedingungen, das Unternehmen seiner Bestimmung zu erhalten, bei jahrelangem deutschen Lazarett (120 Betten), das er als Oberstabsarzt leitete, einem amerikanischen Kriegslazarett von März bis Juli 1945 und einem französischen Lazarett nach dem Krieg.
Dr. v. Ehrenwall’sche Klinik im Jahre 1898
Lith : Hill & Klein
Im Winter 1944/45 erlitt die Klinik durch Bombenvolltreffer erhebliche Schäden. Das Haus für Schwerkranke wurde völlig zerstört. 18 Menschen, Kranke, Schwestern und Pfleger kamen dabei ums Leben. In den Gärten befanden sich etwa 20 Bombentrichter, auch das Schwimmbad und das Okonomiegebäude erhielten Volltreffer.
Mit zunächst 40 Patienten wurde nach dem Kriegsende wieder angefangen. Durch intensive Wiederaufbau- und Renovierungsmaßnahmen gelang es Dr. Emil Marx mit tatkräftiger Unterstützung seiner Gattin, der Tochter desGründers, in den Nachkriegsjahren die Klinik so herzustellen, daß sie im Jahre 1950 einen Krankenstand von 160 Patienten aufweisen konnte. Bereits in den 20er Jahren war es das Bestreben von Dr. Marx gewesen, die diagnostischen und therapeutischen Einrichtungen des Hauses weiter auszubauen (Speziallabor für serologische Untersuchungen), damit sie den medizinischen Ansprüchen im Sinne moderner Psychiatrie und Neurologie gerecht werden konnten.
Zum 75jährigen Bestehen der Klinik am 1. April 1952 schreibt Dr. Marx: „Von jeher wurde in der Klinik der physikalischen Therapie (Bäder, Elektrotherapie, Massagen usw.) ein weites Feld eingeräumt. Später folgte im Zuge der Entwicklung die Somatotherapie der Psychosen (Stoffwechselkuren, Fieberkuren, die verschiedenen Arten der Schockbehandlung, Elektro-, Chemo- und Insulinschocktherapie) und nicht zuletzt, vielmehr in erster Linie, die Psychotherapie. Wie hier also einerseits mit Hilfe der oben erwähnten diagnostischen Einrichtungen und Methoden (Laboruntersuchungen, Elektrocardiogramm, Grundumsatzbestimmungen, Elektroencephalogramm) rein organische Erkrankungen herausgestellt werden können, so wird andererseits durch die verschiedenen psychotherapeutischen Methoden die Ursache und Entwicklung neurotischer Zustände und Haltungen bzw. das Wechselspiel zwischen Körper und Seele zu klären versucht. Von jeher wurde der größte Wert gelegt auf die individuelle Behandlung der Kranken, die den inneren Kontakt zwischen Arzt und Patient zur Voraussetzung hat. Wenn kürzlich auf einer Ärztetagung die Forderung aufgestellt wurde, Patient und Arzt sollen Partner sein, so wurde diese Forderung an der von Ehrenwall’schen Klinik schon immer erfüllt.“
Am 29. April 1967 starb die Tochter des Gründers, Frau Sophie Marx, geb. von Ehrenwall, die jahrzehntelang ihrem Gatten in opfervoller Mühe zur Seite gestanden hatte. Wirtschaftliche Leitung und Verantwortung gingen auf die Folgegeneration über.
Schon 1950 war der aus den Schulen von Prof. GRUHLE und Prof. MARTINI, Bonn und Prof. KRETSCHMER, Tübingen, kommende Dr. Otto Smolenski, wiederum Schwiegersohn des damaligen Leiters der Klinik, Dr. Marx, als Oberarzt in die Klinikleitung eingetreten.
Während der 50er Jahre hatte sich durch die Entdeckung und Entwicklung der Psychopharmaka eine Revolution in der Psychiatrie vollzogen. Die neuen medikamentösen Therapiemöglichkeiten wurden durch Dr. Smolenski energisch und umsichtig angewandt und differenziert.
Ältere, risikoreichere Therapieformen konnten dafür aufgegeben werden (elektrische und medikamentöse Schockbehandlung). Die sorgfältige und systematische Anwendung der Psychopharmaka veränderte das gewohnte Bild der psychiatrischen Kliniken, da die Krankheiten wesentlich weniger dramatisch verliefen und die Symptome sich schneller zurückbildeten. Psychotherapeutische Möglichkeiten erfuhren durch die neue Pharmakotherapie eine unverkennbare Bereicherung. Der Kreis der Behandlungsfähigkeit erweiterte sich wesentlich.
Selbstverständlich wurden frühzeitig neue technische Untersuchungsmethoden aufgegriffen (z. B. EEG, später Epho-EG, kürzlich erst das EMG) und auch das Labor großzügig auf den neuesten Stand fachgebundener Notwendigkeiten gebracht.
Dr. Otto Smolenski übernahm am 1. Januar 1964 die Alleinverantwortung für die ärztliche Leitung und löste damit Dr. Emil Marx ab, der aus Alters- und Gesundheitsgründen zurücktrat, nachdem er durch wechselvolle, schwerste Jahre die Klinik im Sinne ihres Gründers weitergeführt hatte.
Während vieler Jahrzehnte, praktisch über 2 Generationen, hielten die auf Dr. von Ehrenwalls Initiative installierte Technik und die Unterbringungsmodalitäten sowie die einst hochmodern konzipierten und ausgeführten Einrichtungen für Balneo- und Elektrotherapie den Zeitansprüchen, aber auch der ständigen Beanspruchung stand.
Als nun die 3. Generation 1967 auch die wirtschaftliche Leitung übernahm, sah sie sich vor die schwierige Aufgabe gestellt, die Klinik in großem Stil zu renovieren. Tiefgreifende Änderungen, sowohl in der Technik, als auch in der Unterbringung und innenarchitektonischen Gestaltung, ebenso in der Therapieabteilung mußten stattfinden, wenn die Klinik wiederum den Erfordernissen der Zeit angepaßt werden sollte.
Im Sommer 1967 wurde von den jetzt für die ärztliche und wirtschaftliche Leitung Verantwortlichen, Dr. Otto Smolenski und Dr. Marianne Smolenski, Bilanz gezogen, Bestand aufgenommen mit dem Zweck, eine Zielplanung für diese organisatorisch und baulich notwendige Neugestaltung zu finden. Dabei ergab sich, daß nach einer völligen Umgestaltung des Altbaus der Neubau eines Therapietraktes sowie einer Abteilung für offen unterzubringende Patienten notwendig sein würde.
Man begann Anfang Dezember 1967 zunächst mit der Renovierung eines kleineren Klinikgebäudes, die in der unglaublich kurzen Zeit von 2 Monaten geleistet werden konnte, dank des Einsatzes der heimischen Firmen, der eigenen Mitarbeiter und genauer Planungs- und Koordinationsarbeiten. Anfang Februar 1968 bezogen die Patienten wieder das Haus, nachdem die Technik verbessert, ein kleiner Anbau entstanden und die Innenausstattung völlig erneuert worden war.
Im Laufe des Jahres 1967 war auch die große Turnhalle im Therapiehaus instandgesetzt und
mit neuen Geräten wiederhergestellt. In der Zwischenzeit konnte Dipl. Ing. und Architekt Jos. Peter Jacobs aus Weinheim für die weitere Planung gewonnen werden.
Bewegungsbad mit Spezialeinrichtungen
Da die Heizungsanlage für den gesamten Altbau dringend der Erneuerung bedurfte, entstand der Plan für einen Anbau, der eine neue Heizzentrale enthalten sollte und im Sinne der Zentralisierung auch einen neuen, modernen Speisesaal, der es ermöglichte, 4 kleinere Speiseräume zusammenzulegen.
Der im April 1968 begonnene schwierige Anbau konnte im Juni 1969 eingeweiht werden. Bis zu diesem Zeitpunkt gelang es auch, die Hauptküche der Klinik umzugestalten und mit neuen Geräten zweckmäßig auszustatten, ebenso die Gefrier- und Tiefkühlräume. Die Heizzentrale war nicht nur für das alte Haupthaus ausgelegt, sondern auch schon für den im Plan bestehenden Neubau mit Therapie- und Bettentrakt, also eigentlich der erste Teil des neuen Hauses. Aber bevor
dieser Neubau weiterentwickelt werden konnte, war es unumgänglich, zuerst die völlige Umgestaltung des Altbaus zu leisten, was bedeutete, daß sämtliche Räume der Klinik, vom Keller bis unter das Dach, an die neue Heizzentrale anzuschließen, d. h. von der alten Dampfheizung auf die neue Warmwasserheizung umzustellen waren.
Im Zuge der gesamten großzügigen Renovierung, bei der auch Duschen und Toiletten ausreichend neu installiert wurden, mußten Treppenhäuser abgerissen, tragende Wände versetzt werden, um neue Zuordnungen zu schaffen. Es würde zu weit führen, diese enormen Arbeiten detailliert zu schildern, die nur möglich waren durch sorgfältige Abtrennung der jeweiligen Baustellen gegenüber dem laufenden Klinikbetrieb, durch ständige Wachsamkeit bei der Abstimmung und Koordination der einzelnen Firmen untereinander, aber auch durch tatkräftige Unterstützung der Mitarbeiter der Klinik einerseits, oder ihr verständnisvolles, geduldiges Durchhalten andererseits. Erwähnt sei nur noch, daß wir in den geschlossenen Abteilungen die alten, ausgedienten Drehflügelfenster ersetzten
durch verschließbare Fenster mit großen, durchgehenden Scheiben aus schlagfestem Glas, die so wenig wie möglich den Eindruck des Ungewöhnlichen erwecken sollten.
Als endlich alle Stationen den speziellen Bedürfnissen entsprechend neu ausgestattet und möbliert, alte und neue Architekturen harmonisch aufeinander abgestimmt waren, durfte 1972 der Umbau der alten Klinik als beendet angesehen werden.
Im Juni 1971 hatte die Situation am Haupteingang eine gute Modernisierung durch Überdachung und Fortfall aller hinderlichen Stufen erfahren.
Am 30. September 1.971 wurde das alte, einst vorbildlich gewesene Maschinenhaus abgerissen, der hohe Schornstein gesprengt und Platz geschaffen für den Neubau.
Nachdem nun im Monat Juni 1972 endgültig die Baustelle für das neue Gebäude eingerichtet werden konnte, kam mit dem Inkrafttreten des Krankenhausfinanzierungsgesetzes am 29. Juli 1972 eine völlig neue Situation auf die Krankenhausträger zu.
Ein Besuch des Herrn Staatssekretärs Dr. Schmitz in Ahrweiler klärte die Lage. Die Klinik wurde nach eingehender Besichtigung mit der Hälfte ihrer Betten in den Betten-bedarfsplan des Landes Rheinland-Pfalz aufgenommen und der Neubau nach genauer Einsicht und Besprechung der Pläne als zur Hälfte gefördert erklärt. Die Dr. von Ehrenwall’sche Klinik darf diese Förderung auch als Anerkennung für den mühe- und opfervollen Einsatz ihres Gründers und der beiden nachfolgenden Generationen werten.
Ende August 1972 begannen die Rohbauarbeiten für das neue Gebäude, das in 4jähriger komplizierter, durch verschiedene widrige Umstände, sich immer wieder hinauszögernder Arbeit entstand, (allein die sorgfältige absolute Abdichtung des Schwimmbades dauerte über 1 /2 Jahr) und in den vergangenen Monaten dieses Jahres schließlich fertiggestellt werden konnte. Der Neubau schließt in unmittelbaren Verbindungen an den Altbau an und umfaßt:
im Erdgeschoß die technische Verteilungszentrale, das Notstromaggregat, die Schwimmbadtechnik, Garagen, Wäscherei, Wirtschaftsräume und ein großes Labor;
im Hochparterre, der Therapieabteilung, ein Bewegungsbad (8X14 m), das mit Spezialeinrichtungn für Lähmungsfälle ausgestattet ist, eine Gegenstromanlage besitzt und technisch ausgerichtet ist für die Füllung mit Salzwasser in der Konzentration des Meerwassers, zwecks Erhöhung der Tragfähigkeit; ferner Unterwassermassagen, Stangerbad, Vierzellenbad und medizinische Wannenbäder, Fuß- und Armwechselbäder, Sauna, eine Abteilung für die Verabreichung von Fango und Massage, eine Abteilung für Elektrotherapie, sowie neben der Möglichkeit einer Behandlung an Thomsen-Tischen, eine Halle für Krankengymnastik und eine Terrasse für gymnastische Übungen im Freien;
in den 3 Obergeschossen die Krankenzimmer . mit Duschen und Toiletten, Ein- und Zweibettzimmer, gemäß den in fast hundert Jahren gemachten Erfahrungen wohnlich und ansprechend gestaltet, 3 Stationsbäder, Arztzimmer, Schwesternzimmer und Stationsküche, einen Aufenthaltsraum und einen Raum für Gruppentherapie.
Über die feierliche Einweihung dieses Neubaues am 17. 9. 76 durch Herrn Staatsminister Dr. Heiner Geissler wurde bereits im letzten Heimatjahrbuch berichtet.
In den der Einweihung folgenden Monaten gelang es, trotz großer zeitlicher Schwierigkeiten, das alte Therapiehaus so umzugestalten, daß Räume mit Möglichkeiten zu vielseitiger Beschäftigungstherapie entstanden und ein Tagungsraum, in dem dann am 18.11. 77 der Festakt zum 100jährigen Bestehen der Klinik stattfinden konnte.
Über 100 Gäste, Vertreter des Ministeriums, der Universität, aus Politik, Verwaltung und öffentlichem Leben, sowie der .Ärzteschaft und der Kirchen, der Mitarbeiter der Klinik und der Patienten aller Stationen, erlebten eine würdige Feier, in der Aufmerksamkeit und Dank für eine ungewöhnliche Leistung von überregionaler Bedeutung zum Ausdruck gebracht wurden, für ein Werk, das sich in der Klinik mit modern und breitgefächerter diagnostischer und therapeutischer Einrichtung darstellt, als solches die besondere Anerkennung der Landesregierung hat und vorbildlich für eine neuropsychiatrische Klinik dieser Größenordnung genannt wurde.