Hofgut Hombach
EINE WÜSTUNG IM RINGENER WALD
Von Leo S t a u s b e r g
Unter „Wüstungen“ versteht der Historiker ehemalige Siedlungen, die aus Irgend einem Grunde völlig aufgegeben wurden. Vielfach geschah das in Kriegs- und Notzeiten. Solche Örtlichkeiten sind deshalb meist vom Hauch geheimen Grauens umwittert und irgendwie „verrufen“. Unser Kreisgebiet weist verschiedene Wüstungen auf. Genannt seien Cregelingen bei Löhndorf und Einsfeld bei Bandorf. Auf der „Grafschaft“ ist außer dem Hambachshof, dem der folgende Beitrag gilt, auch das ehemals wichtige Herrengut Grevelo auf dem „Scheid“, dem alten Versammlungsort der Grafschafter Bauern, bei Eckendorf spurlos untergegangen.
Wer auf einer Fahrt durch die Grafschaft nach Ringen kommt, schaut unwillkürlich zur Kirche empor, die sich inmitten des Dorfes auf einem Hügel erhebt, den eine hohe Grauwackenmauer wehrhaft umzingelt. Ein Kirchlein stand wohl schon seit der Merowingerzeit auf diesem Hügel; denn Sankt Dionysius, der Stadtheilige der merowingischen Hauptstadt Paris, ist ihr Patron. Da „Ringehoven“, wie es ehedem hieß, einen Dingstuhl besaß, so mag auf dem Hügel auch „Ring und Geding“ getagt haben. Seit tausend Jahren bestattete man hier auch die Toten des Kirchspiels, zu dem seit jeher Ringen, Bölingen und Beller gehörten. Erst 1917 wurde am Ortseingang ein neuer Friedhof angelegt. Noch umsäumen etliche Dutzend schlichter, dauerhafter Grabsteine die gepflegte Rasenfläche des alten Kirchhofes. Die ältesten Jahreszahlen weisen in die Zeit kurz nach dem Dreißigjährigen Kriege. Wir lesen Familiennamen, die meist noch lebenden Geschlechtern angehören: Ulrich, Krupp, Kohlhaas, Radermacher, Krämer, Kündgen u. a. Die jetzige Kirche ist eben erst fünfzig Jahre alt geworden. Der stattliche Turm jedoch trägt im Portalbogen und auf den schmiedeeisernen Ankern der Stirnwand die Jahreszahl 1773.
Die Turmkanten aus hellem Berkumer Trachyt heben sich wirkungsvoll von den rostfarbenen Grauwacken der Wände ab. Mit dem Kirchturm hat es eine eigene Bewandtnis: Seine Steine stammen von einem alten Herrenhof, der einstmals mitten in den ausgedehnten Ringener Waldungen lag und der im Jahre 1768 niedergelegt wurde. Es war der Hambachshof. Heutzutage ist er ohne Spur verschwunden, und Wälder rauschen dort, wo einst der Pflug über Äcker ging und wo Kühe auf Waldwiesen grasten. Nur der kundige Waldgänger kennt noch einige Distriktsnamen und Ortsbezeichnungen, die auf den Hof hinweisen: „Hambachsgarten“, „Hambachspütz“, „Hambachsköpfchen“. Die Alten im Dorfe erzählen noch dann und wann vom „Hoomichshär“, den der Urahn noch gekannt habe.
Die Anfänge des Waldgutes sind in Dunkel gehüllt. Bereits im Jahre 1140 ist von einem Waldhof die Rede, der zwischen dem Hubach (= Hohenbach, Hambach), dem heutigen Marienthaler Bach, und Vettelhoven lag und den ein Lehensmann des Saffenberger Grafen, der Ritter Rudolf vom Turm, dem neugegründeten Kloster der Augustinerinnen zu Marienthal schenkte. Es ist naheliegend, daß es der Hambachshof war, denn ein anderes Gut existiert in dem angegebenen Distrikt nicht. Kurz nach dem Dreißigjährigen Kriege gehört der Hof der Gemeinde Ringen. Wie sie in den Besitz des Hofes gelangte, ist nicht bekannt. Den Zehnten zahlt die Gemeinde an den Grundherrn in der „Vischel“, „quod mirandum est“, d. i. „was verwunderlich ist“, so notiert der Ringener Pfarrer im Jahre 1767. Die älteste sichere Urkunde über den Hambachshof stammt aus dem Jahre 1729. Im genannten Jahre verkaufte die Gemeinde Ringen dieses Besitztum mit Genehmigung des Kurfürsten Carl Philipp von der Pfalz, Herzogs von Jülich, als des zuständigen Landes- und Lehensherrn, an den Präfekten des Amtes Neuenahr, Herrn Johann Chrysanth von Reinbach. Den Verkauf vermittelte der Ringener Schultheiß Heinrich Wolber, Sohn des 1670 verstorbenen Hofmanns Edmund Wolber vom Rittergut Seligerhof bei Bölingen. Ehe wir auf diesen Verkauf, der der Gemeinde großen Schaden bringen sollte, näher eingehen, wollen wir die Persönlichkeit, die den Hof erwarb, beleuchten. Johann Chrysant Reinbach (auch Reimbach und Rheinbach) war ein Sproß einer kurpfälzischen Beamtenfamilie. Von ihm hören wir erstmalig im Jahre 1702. Damals war er Schultheiß in Heppingen, wo seine Frau Maria Katharina Christine Gramer begütert war. Er bat um Erlaß einer Steuerschuld, da ihm die französischen Kriegsvölker alles genommen hätten. Es tobte damals der Spanische Erbfolgekrieg, in den auch unsere Heimat durch die Parteinahme des Kurfürsten von Köln für den „Sonnenkönig“ hineingeriet. Am 28. 5. 1704 wurde dem Ehepaar Reinbach ein Sohn Johann Heinrich aus der Taufe gehoben. Es blieb wohl das einzige Kind und ist anscheinend vor den Eltern gestorben,. Im Jahre 1716 wurde Reinbach zum kurpfälzischen Vogt (Präfekt) der Grafschaft Neuenahr ernannt. Er behielt dieses wichtige und einträgliche Amt bis 1743. Zweifellos zeugt diese Berufung von persönlicher Tüchtigkeit Reinbachs. Daß er in Verfolgung seiner eigenen Interessen ziemlich bedenkenlos war, zeigt folgender Vorfall: Nach Absetzung des Pfarrers von Beul (Neuenahr) Rudolf Herolt im Jahre 1717 hatte Reinbach das Mo-bilar aus dem Pfarrhaus in seine Wohnung nach Heppingen schaffen lassen und händigte es dem neuen Pfarrer Anton Josef Forsbach erst aus, als ihn die Regierung zu Düsseldorf mit einer Strafe von 25 Goldgulden bedrohte. — Bei einem Wolkenbruch am 1. 8. 1719 ward das Heppinger Anwesen Reinbachs von den Wasserfluten des Ahr schwer heimgesucht. Die umgebenden Gartenmauern wurden eingedrückt und die Bäume der Parkallee entwurzelt. Reinbachs Gattin und zwei Knechte retteten sich mit Mühe auf treibende Baumstämme. Vielleicht war diese Katastrophe mitbestimmend für den Entschluß der Eheleute Reinbach, sich nach einem anderen Wohnsitz umzusehen. Zu seinem Amt als Vogt erhielt Reinbach weitere Ämter und Titel. Seit 1724 erscheint er als kurpfälzischer Hofrat, seit 1733 als Regierungsrat und Resident beim kurkölnischen Hofe und bei der freien Reichsstadt Köln. 1737 fungiert er im Auftrage des Kurfürsten Karl Philipp von der Pfalz, Herzogs von Jülich. In dieser Eigenschaft weist er u. a. den Freiherrn von Hallberg, Herrn zu Gelsdorf, in den Besitz der Gerichtsbarkeit, der Jagd- und anderer Rechte in den fünf Pfanddörfern Wormersdorf, Ersdorf, Groß- und Kleinaltendorf und Holzweiler ein.
Nach diesem Blick auf den Werdegang des Vogtes Reinbach wenden wir uns wieder jenem Hof verkauf des Jahres 1729 zu. Der Ringener Schultheiß Heinrich Wolber scheint mit dem Vogt eng befreundet gewesen zu sein, hatte dieser doch bei dem Söhnchen Wolbers Pate gestanden. Schon 1726 war indes dieser Knabe gestorben. Sein Grabstein auf dem Ringener Kirchhof trägt die Inschrift: „1726, d. 25. Juli, starb Johanes Chrisantus Wolber, Junglein. Henricus Wolber, Prejor. Margareta Schuth, Conjuges. R. E. I. P.“
Die Verkaufsurkunde über Hofgut Hambach von 1729 unterzeichneten außer dem Schultheißen Wolber folgende Ringener Schöffen: J. Jacob Kohlhaas, Zachäus Ulrich, der Förster Peter Roden und der Vorsteher Johann Vinck. Es sei hierzu bemerkt, daß sich die Namen des Försters und seiner Ehefrau Margareta Bach noch auf einem hohen Basaltlavakreuz im Ringener Wald befinden, darunter die Jahreszahl 1722. Von dem Vorsteher Vinck stammt das alte Gehöft neben dem Gasthof Schmitz in Bölingen, denn eine Inschrift dortselbst sagt:
„DIESER PAV STEET IN GOTTES HANT. TER PEWAR IN FVR FVER VND PRANT. JOHANNES VINCK. CHRISDINE KRVPS. TEN 21. JVNEVS ANNO 1728.“
Vogt Reinbach ließ seinen neuerworbenen Hof im Wald „mit großen Kosten“ zu einem stattlichen Herrensitz ausbauen. Die Bewirtschaftung geschah, wie vorher schon, durch „Hofmänner“ (villici), deren Namen sich noch aus den Ringener Kirchenbüchern ermitteln ließen (s. w. u.). Seit 1743 konnte sich der Vogt als Ruheständler ganz der Bewirtschaftung des Waldhofes widmen. Aber schon 1747 starb seine Gattin, und er selbst folgte , ihr 1753 im Tode. Beide fanden auf dem räumlich näher liegenden und von Hambach aus bequemer zu erreichenden Kirchhof in Holzweiler ihre Ruhestätte, wozu der Pfarrer von Ringen die Erlaubnis gab. Im Kirchenbuch von Ringen ist vermerkt: „Joes Chrysanthus de Reinbach obiit 12. 5. 1753 in Hambach, uxor eius Catharina Cramer ibidem 7. 5. 1747.“
Da keine Leibeserben vorhanden waren, zog der Kurfürst und Herzog von Jülich Carl Theodor von der Pfalz als Lehensherr das adelige Gut als erledigtes Lehen ein. Er zwang die Gemeinde Ringen, es für 2000 Imperiais (Goldgulden) zurückzukaufen. Für die kleine Gemeinde, die wenig mehr als 300 Seelen zählte, bedeutete das einen schweren Schlag. Es erwies sich zudem als schwierig, einen Pächter zu finden, da niemand lange „an diesem abgelegenen und gefahrvollen Orte“ — „in loco isto abstracto ac peri-culoso“ — wohnen mochte. Man bedenke, daß die Zeiten drangvoll waren und unsere engere Heimat viel unter der Einquartierung und den Kontributionen durchziehender französischer und kurkölnischer Truppen zu leiden hatte! Deshalb entschloß sich die Gemeinde schließlich dazu, den Hof Hambach niederzureißen und sein Areal aufzuforsten. Hierüber liegen zwei Niederschriften des Ringener Pfarrers Max Heinrich Schefer aus den Jahren 1767/68 vor. Diese decken auch, auf, welcher Zusammenhang zwischen dem Abbruch des Hofes und dem Kirchenneubau von 1773, wie eingangs andeutet, besteht. Die Berichte lauten in Übersetzung: „Dieses Landgut Hambach liegt zwischen Mariendahl und Holtzweiler und umfaßt viele Waldungen, eine umfangreiche Landwirtschaft, einen Garten und Wiesen. Es gehört zur Pfarrei Ringen und gibt, was verwunderlich ist, den Zehnten an den Grundherrn in Fischel (Vischel). Dieses Hambach wurde vor etwa 30 Jahren (1729) von der Gemeinde Ringen — was sehr vom Übel war! — an Herrn Johann Chrysanth Reinbach, Präfekt zu Neuenahr, verkauft, welcher diesen Edelsitz mit größten Kosten ausbaute. Dort ließ er sich mit der Erlaubnis und Gnade unseres erlauchten Kurfürsten nieder und beschloß allda sein Leben. In Holtzweiler wurde er unter Wahrung der Rechte und mit Erlaubnis des Pastors Johannes Paes (von Ringen) beigesetzt. Die Gemeinde Ringen kaufte diesen Edelsitz nach dem Tode des Herrn Reinbach (1753) von unserem erlauchtesten Kurfürsten für 2000 Imperiales zurück. In den folgenden Jahren war der Hof von Hofmännern bewohnt, die ihre Pacht an die Gemeinde entrichteten. Da aber die Pächter aus dem Waldgut angeblich zu wenig Gewinn erzielten und niemand an diesem abgelegenen und gefährlichen Ort wohnen wollte, hat unsere Gemeinde Ringen diesen Edelsitz (nobile praedium) bzw. die Gebäude (auf Abbruch) verkauft und die in der Tat weit zerstreut liegenden Ländereien zur Aufforstung (pro Sylvis) bestimmt. Dies hinterließ zur Kenntnis der Herren Nachfolger M. H. Schefer, Pastor.“
Im folgenden Jahre trägt derselbe Pfarrer darunter ein:
„Am 2. Januar 1768 begann unsere Gemeinde Ringen das oben erwähnte Landgut, nachdem sie Balkenwerk und Bedachung verkauft hatte, zu zerstören, die Steine und anderes Verwendbare abzufahren und nach Ringen zu schaffen zum Bau der neuen Kirche resp. des Turmes. Möge Gott dieses so dringend notwendige Werk segnen!“
Im Herbst 1773 ist der Neubau der Kirche vollendet. Das besagt folgende Taufbucheintragung: „Natus et in nova ecclesia primus baptizatus est 29 novem-bris 1773 Peter Jos. Radermacher, filius Mathias Radermacher et Mechtildis Schefer.“ — Es mochte für den ersten Täufling in der neuen Kirche als gutes Omen gelten, daß ihm diese Ehre zuteil ward.
Seit 1900 ist der damals errichtete Kirchenbau durch einen Neubau ersetzt, welcher der inzwischen auf 900 Seelen angewachsenen Gemeinde mehr Raum bietet. Der Turm aber steht noch fest und wohlgefügt und bewahrt in seinem Steinwerk die Erinnerung an den verschwundenen Hambacherhof.
Fügen wir dieser Darstellung noch ergänzend hinzu, was Kirchenbucheintragungen über Hambacher Hofmänner aussagen: „Der am 26. 5. 1683 geborene Gottfried Eichas, Sohn des villicus Jacob Eichas vom Seligerhof, heiratet als Hofmann von Hambach die Catharina Wintzen.“
Am 25. 2. 1734 heiratet Heribert Münch, villicus auf Hambach, die Gertrud Schmilz, Witwe des Gottfried Schlugh. Er stirbt am 10. 8. 1760.
Am 30. 6. 1763 bringt der Hofmann von Hambach Heinrich Küntgen, der die Eva Weber aus Beller geheiratet hat, seine Tochter Maria Ursula zur Taufe. — Am 24. 1. 1767 starb die ehrbare Jungfrau Maria Apollonia Küntgen, Tochter der obengannten Eheleute.
Heinrich Küntgen war demnach der letzte „villicus Hambachensis“. Als Kuriosum seien noch folgende Eintragungen mitgeteilt: „Am 6. 1. 1763 wurde mit Genehmigung des Pfarrers von Ringen in Holzweiler getauft: Mathias Moreng i,Morin), der auf Landgut Hambach geboren war. Eltern: Josef Moreng und Katharina Rysers, „vagabundi ex provincia Gallicana“ (d. i. Zigeuner aus der Provence in Frankreich). Am 30. 4. 1779 ist dieser „vagabundus Gallus“ Josef Moreng gestorben. Er hatte auf Hof Hambach als Knecht gedient.
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Während das in dieser Abhandlung Dargestellte gänzlich aus dem Gedächtnis der Ringener entschwunden ist, erzählt sich der Volksmund vom „Hambachsherrn“ mit Oberzeugung folgendes:
„Der Hoomigshäär“ sei stets zur Christmette nach Ringen geritten. Um ihm im Dunkeln den Weg zu weisen, hätten die Glocken bis zu seiner Ankunft geläutet werden müssen. Damals bestand die Chaussee nach Reinbach noch nicht und die alte „Kirchgaß“ verlief vom Wald her am Seeligerhof längs des „Asbachs“ hinter Bölingen vorbei, überquerte an der „Rutsch“ den alten Weg nach Ahrweiler und führte durch die „obere Kant“ nach Ringen. In einer Christnacht nun habe man lange vergebens geläutet und gewartet. Ein Unheil ahnend, seien die Bauern zum Hambachshof geeilt. Dort habe man den „Här“ samt seinem Gesinde erschlagen aufgefunden. — Die Daten der Kirchenbücher wissen, wie wir gesehen haben, nichts von dieser Bluttat. Daß der Waldhof als „gefahrvoll“ galt, sagte uns jene Eintragung des Pfarrers. Das mag zur Bildung der Sage beigetragen haben. Vergessen wir auch nicht, daß plündernde Heerhaufen mehr als einmal den einsamen Hof heimgesucht haben mögen. Es ist zudem nicht zweifelhaft, daß in unseren Waldungen nicht nur Raubgesindel leicht Unterschlupf finden konnte, sondern auch noch Wölfe lebten. Heißt es doch noch in einer Notiz von 1814: „In der Gegend von Remagen sind mehrere Wölfe gespürt worden, die die dortigen Schafherden verheerten.“
An der Auffahrt zum „Hambachskopf“, die sich vom Marienthaler Bach her steil an einen Hang hinaufwindet, steht im Gebüsch ein altes Steinkreuz ohne Inschrift und Jahreszahl. Wie mir ein alter „Waldläufer“ sagte, soll dort einst ein Mord geschehen sein. Sicher ist es ein Unglückskreuz von hohem Alter, das mit dem verschwundenen Hambachshof in Beziehung zu bringen wäre. Aber es schweigt dem neugierigen Forscher, und ewiges Schweigen des Waldes deckt auch die Stätte des verschwundenen Adelshofes Hambach.