„Histörchen“ aus dem Brohltal
Friedhelm Schnitker
„Sabotasch — Mine — bumbum —“
Es war vor vielen Jahren in einem kleinen Ort im Brohltal. Der große Krieg war zu Ende gegangen und nun waren französische Besatzungstruppen in dem Dorf einquartiert worden.
Auch Pitte, der Schmied, und seine Frau, ‚et Julche‘, noch ’statse Leut‘ in den besten Jahren, hatten ihre ‚joht Stuf räumen müssen; ab sofort wurde der vorher von Julchen nur zum ‚Sonndacnsnommedachskaffetrinke‘ freigegebene Raum als Schreibstube benutzt. Pitte freute sich insgeheim über die vermehrte Benutzung, glaubte er doch, bald selber Nutznießer der vom Feind aufgeweichten Haltung seines Julchens zur ‚joht Stuf werden zu können.
Härter hatte ihn dagegen die Besetzung des ehelichen Schlafzimmers getroffen. Nun mußten beide in Kammern unter dem Dach mit einfachen Matratzenlagern vorlieb nehmen. Pitte knurrte etwas wie ,, on dat wollen feurije Franzmänne“ sein; dies wiederum nötigte Julchen ein nur schwer zu unterdrückendes Lächeln über das Lamentieren ihres Ritte betreffend „Arnour Adieu“ un ‚kä Karessiere mih ab.
Es war ein schon recht kühler Herbsttag. Ritte hatte den ganzen Tag hart am Amboß gearbeitet und den großen Schmiedehammer geschwungen. Julchen hatte die letzten Äpfel von den Bäumen hinter dem Haus geerntet.
Die beiden südfranzösischen Soldaten hatten ihre abendlichen Schoppen Rotwein getrunken und sich zur Ruhe begeben, das Schweigen abendlicher Müdigkeit breitete sich über das alte Fachwerkhaus — als plötzlich gellende Schreie aus dem Ehegemach ertönen, ‚Sabotasch — Mine — bumbum‘ schreien die ‚Franzmänne‘, als sie in langen weißen Unterhosen wie von Geisterheeren gejagt die Treppe herunterstürmen. Zitternd gehen sie im Flur hinter der großen Truhe in Deckung. Mit erhobenen Händen nähert sich Julchen; ihr Ritter hat Mühe, mit der linken Hand seine Hose in angemessener Position zu halten und mit der rechten ‚dem Ohm Jupp sei Sechel‘ drohend zu schwingen.
Nach vielem Hin und Her in Französisch und Brohltaler Platt, begleitet von wilden Gesten, donnert plötzlich Pitters Baßstimme in dröhnendem Lachen durch den Flur und dann erklingt Julchens helle Stimme: ‚Nix Mine — nix Sabotasch — nix bumbum, in eurem Bett, dat es doch ohs Wärmflasch, ie Ohse‘.
Noch lange wurde an diesem Abend erste private deutsch-französische Verständigung geprobt, feierten „franzüseche Runde“ und „Ähfele Appeldrank“ frühe Versöhnung.
„Michel, bat michste do?“
In eben diesem kleinen Dorf des Brohltals lebte vor vielen Jahren der ‚Fussech Michel‘, von Beruf Bauer, im Nebenberuf Küster und Organist, aus Berufung Junggeselle.
Bisher hatte er tapfer allen weiblichen Versuchungen widersagt, seinem großen Namenspatron St. Michael gleich, dessen große Statue in der kleinen Pfarrkirche er als Küster in seine Obhut und Pflege genommen hatte.
Nur mit dem ‚Hehr‘, dem Pfarrer, lag er seit Jahren in einem liebevollen Kleinkampf. Hatte der Pfarrer dem ‚Hök don me jröhn an‘ seines Küsters widerstanden, so warteten alle Gläubigen am nächsten Sonntag auf Michels Rache. Nach dem Evangelium intonierte er Tauet Himmel, den Gerechten‘, ihm egal, ob im Wonnemonat Mai oder zur Fastenzeit. Die hinten in der Kirche stehenden Männerreihen, die vom Pfarrer besonders nachdrücklich beim Weihegang vor dem Amt mit Weihwasser genäßt wurden und von ihm als ‚Weihwasserkesselkompanie‘ kriegerisch angegangen wurden, vernahmen Michels deutliche Stimme zu seinem Helfer am Blasebalg: ,,Jüppche, pomp, de Hehr ärjert sech, mie kritschelen (schnell spielen) noch en Strohf“. Bei der Bittprozession flehte der Pfarrer Gottes Segen auf Feld und Flur herab, während Michels trockener Kommentar oft nur lautete: „Do hielf kä Bede on kä Singe, do mohs Mes dran“.
Nun waren die Tage der Kirmes wieder herangekommen. Michel hatte einen Sack Hafer extra an den Müller verkauft, um genügend Kirmesgeld zu haben.
Am Montag hatte Michel in lustiger Runde mit seinen Freunden tüchtig gebechert und war nun wankend auf dem Weg zu seinem Haus am Ortsende. Waren es nun die Teufelchen im Wein oder die Geister im Schnaps, am Haus des unverheirateten Gritche hielt er an, lehnte sich schwer gegen die Haustür. die plötzlich wie geheimnisvoll nachgab und Michel landete sanft in den kräftigen Armen des Gritche.
Michels Freunde, die einen Teil des Weges hinter ihrem Freund hergezogen waren, staunten über ihren Freund, traten näher und schauten durch die Fenster des Hauses — Gritche hatte vergessen, die Fensterläden zu schließen — und sahen, wie et Gritche sich um Michel bemühte, mit ‚Streuselkoche‘ beginnend, ihn zu traktieren und zu attackieren. Plötzlich erklang mit Donnerstimme wie Gottes Strafgericht die Frage von draußen: „Michel, bat michste do;‘? — Wie von Furien gehetzt konnten seine Freunde Michel durch das Zimmer sausen sehen, laut kreischend: „De Hehr hat mingem Michel Beschäl jedonn, nau kütte — Michel, loss mech leve, schlahch mech net fräck“.
Seit jenem Abend hatte der ‚Hehr‘ den bravsten Küster und Organisten, wie er voller Bewunderung feststellte, und der hl. Michael in Michel einen noch treueren Bewunderer, der dem irdischen Abbild seines Namenspatrons frische Blumen und ab und an eine liebevolle Staubpflege zuteil werden ließ.