Histörchen aus alter Zeit

NEUERZÄHLT VON WALTHER OTTENDORFF-SIMROCK

Gaslaternen

Ja, Gaslaternen, die haben es in sich!! Es ist vielfach so, daß, wenn sie brennen sollen, kein Licht da ist, und wenn sie nicht zu brennen brauchen, strahlen sie in voller Helle. Aber daß Gaslaternen auch wissen, wenn sie nicht mehr zu brennen brauchen und sich von selbst das Lebenslicht ausblasen, ist eine Geschichte, die unserem Johann in Neuenahr tatsächlich einmal passierte. Johann war ein Freund des Rotweines und hatte in seinem Leben wohl etliche Fuder davon getrunken. Sein Lieblingsaufenthalt war das Lokal des Winzervereins, Eines Nachts, so zwischen 12 und i Uhr, kam er nach einer feuchten Sitzung mit einiger Schlagseite aus dem Winzerverein und stapfte nach Hause. Sein kleiner Hund war wie immer sein treuer Begleiter. Als er nun auf dem Bürgersteig an der ersten Gaslaterne vorbeischritt, ging das Licht plötzlich aus. Johann sieht das, schaut nach der Laterne empor und schüttelt den Kopf. Bei der nächsten Laterne wiederholt sich das gleiche Schauspiel. Was soll das denn heißen, brummte Johann vor sich hin und betrachtete die Laterne etwas genauer. Er konnte aber nichts Verdächtiges sehen und ging weiter. Genau wie die zwei vorigen Laternen machten es noch drei weitere, bis Johann endlich vor seiner Wohnung stand. Da schlug die Glocke eins, und den nächtlichen Wanderer erfaßte ein leichter Schauder.

Am anderen Morgen beim Frühstück fragte seine Frau, was ihm denn eigentlich fehle, er sei in der Nacht so unruhig gewesen und mache auch heute früh ein sehr griesgrämiges Gesicht. „Ja“, sagte er, „da ist mir diese Nacht etwas passiert, was ich nicht verstehen kann“, und er erzählte seiner Frau, was er Seltsames mit den Laternenlichtern erlebt habe. Darauf meinte seine Frau, deshalb brauche er doch nicht so griesgrämig zu sein, das seien dumme Jungenstreiche gewesen. Er meinte: „Nun, daran habe ich auch schon gedacht, aber es war zwischen 12 und i Uhr nachts, also um Mitternacht. Wenn das nur nichts zu bedeuten hat!“ Aber es hatte nichts zu bedeuten, denn Johann hat diesen Weg, ebenfalls um Mitternacht, noch sehr oft bis zu seinem Lebensende gemacht.

Doch das junge Volk, das diesen Streich ausgeheckt hatte, hat sich köstlich amüsiert, am meisten aber über das kluge Hündchen, Johanns Begleiter. Dieses lief vor seinem Herrn an den GasJaternen vorbei, sah aber den quer über den Bürgersteig gespannten Zwirnsfaden, der von geschickten Bubenhänden sodann am Laternenpfahl hochgeführt und recht sinnvoll an dem den Zufluß des Leuchtgases regelnden Hebel befestigt worden war. Johanns Hündchen, wie gesagt, sprang jedesmal über den Zwirnsfaden hinweg, was überaus possierlich anzusehen war. Seinem Herrn aber blieb es vorbehalten, mit eigenen Füßen und Beinen die Laternen zum Erlöschen zu bringen und durch die Dunkelheit zu stolpern.

Der Heubauer

Es war in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, als ein Bäuerlein aus der Eifel mit einer Fuhre Heu, die er zu Geld machen wollte, in den Badeort Neuenahr einbog. Gedankenvoll, wie er wohl das Heu an den Mann bringen könnte, wurde er von einem gutgekleideten Herrn angehalten; der fragte ihn, ob er das Heu verkaufen wolle. Der Frager war aber kein anderer als Jodokus, Diener bei einem Badearzt. Das Bäuerlein lächelte vergnügt und sagte „ja“. Da zog Jodokus etwas umständlich eine der vielen Visitenkarten, die er als Diener des Badearztes eifrig von dem Schreibtisch seines Herrn gesammelt hatte, goldumränderte Vi-sitGnkärtlein von vielen Badepatienten, die hohe und höchste Namen trugen, aus seiner Tasche, händigte eine dem Bauern aus und schickte ihn mit seiner Fuhre nach dem Hauptportal des Kurhotels. Dort solle er halten, eine Probe des Heus unter den Arm nehmen und auf Zimmer 24 im ersten Stock anklopfen. Die Dame, die dort wohne, habe ihren Vierspänner mitgebracht und brauche gutes Heu.

Jodokus schärfte dem Bäuerlein ein, sich von dem Portier, der in seinem roten Bart am Eingang stände, nicht abweisen zu lassen, denn das würde der versuchen. Der Portier habe nämlich bis jetzt immer das Heu für das Gespann der Dame besorgt, diese sei jedoch mit der letzten Lieferung unzufrieden. Ebenso solle er sich nicht von den Kellnern wegschicken lassen. Er möge der Dame einfach seine Visitenkarte übergeben, dann würde diese sofort das Heu kaufen. — Froh, so schnell das Heu loszuwerden, befolgte das Bäuerlein den Rat des Jodokus.

Vor dem Hauptportal des Kurhotels machte er Halt, nahm einen Arm voll Heu und wollte ins Kurhotel eintreten. Dann kam ihm aber der Portier entgegen und wollte ihn abweisen. Doch dieser hatte die Rechnung ohne den Bauern gemacht. Der nahm eine drohende Haltung an, zeigte mit nicht mißzuverstehender Gebärde auf seinen dicken Knotenstock und schob den Portier beiseite, indem er ihm noch allerhand zurief, das im Zusammenhang mit dessen bisheriger Heulieferung an die Dame stand. „Schwindler“ und „Betrüger“ waren noch die zartesten Ausdrücke, die er dem Rotbärtigen an den Kopf warf. Der Bauer stieg die teppichbelegte Treppe hoch, während der Portier händeringend nach den Hausdienern und Kellnern rief.

Ein derbes Anklopfen an der Tür des Zimmers Nr. 24 wurde mit einem sehr feinen „Entrez“ beantwortet. Der Bauer trat mit seinem Heu ein, und in demselben Augenblick schrie die Dame auf und fiel in Ohnmacht. Der Bauer, ganz verdattert, ließ sein Heubündel fallen, warf den Knotenstock in die Ecke und bemühte sich, die Dame aufzuheben. Mittlerweile hatte der Portier seine Streitmacht beisammen, und alle setzten gemeinsam dem Bauern nach. Im Zimmer der Dame angekommen, sehen die Kellner, Hausdiener und der Portier, wie der Bauer die Dame in seinen Armen hält, und glauben an einen Überfall. Einige galante Arme entfernen die Dame behutsam aus den derben Fäusten des Bauern und tragen die Ohnmächtige auf das Ruhebett. Andere nicht so galante Fäuste befördern gleichzeitig den armen Bauern aus dem Zimmer und werfen ihn unter Püffen die Treppe herunter. Vor der Türe findet sich der Bauer erst nach geraumer Zeit zurecht; dann aber schwingt er die Visitenkarte dem Portier entgegen. Dieser schaut darauf, und da kommt ihm die Erleuchtung, daß hier ein toller Streich seines Freundes Jodokus dahinter stecke. Dem Bauern sagte er aber nichts davon, sondern beruhigte ihn, er möge sehen, wo er das Heu anderwärts los würde. Schimpfend fuhr das Bäuerlein mit seinem Heu weiter, jedoch nicht eher, bis seine zwei öchslein ihre keineswegs goldumränderte oder gar kleine „Visitenkarte“ ebenfalls noch vor dem Kurhotel abgegeben hatten.