Heimersheim – von einer „gefreiten“ Siedlung zu einem Stadtteil von Bad Neuenahr-Ahrweiler
Wer heute das Städtebuch Rheinland-Pfalz-Saarland von Erich Keyser aus dem Jahre 1964 aufschlägt, findet darin ausführliche Artikel über Koblenz, Ahrweiler, Remagen oder Bad Neuenahr. Vergebens sucht man Heimersheim. – Nun ist sicher unstreitig, dass Heimersheim im 19. und 20. Jahrhundert nicht die Bedeutung von Ahrweiler oder Bad Neuenahr hatte, aber den Ort und seine Geschichte ganz der Historie dieser beiden Orte unterzuordnen, käme einer Missachtung der Vergangenheit der einst „gefreiten Siedlung“ Heimersheim gleich.
Als Gottfried Kinkel 1846 dieses Fleckchen Erde besuchte, gefiel ihm offenbar Heimersheim mindestens ebenso wie Ahrweiler, den Ort Neuenahr gab es damals noch nicht. Er schrieb, nachdem er die Landskron erstiegen hatte: „Die Aussicht von dieser ganz freien Bergwarte spottet jeder Schilderung: Sie beherrscht Rhein und Ahr gleichzeitig. Nach Westen erschließt sie das fruchtbare untere Ahrtal, rechts von köstlichen Weinlagen eingefasst, die sich fortziehen, bis wo ferne die Berge von Walportzheim das Thal sperren, links von einem mehr bewaldeten Höhenzug abgeschlossen, der mit der Basaltkuppe des Neuenahr herübergrüßt. Mitten inne aber im erweiterten, mit grünen Saaten bedeckten Thalgrunde die lustige Ahr … drüben, eine Stunde entfernt das alte Ahrweiler mit den grauen Thoren und Thürmen, näher bei uns eine Reihe lieblicher Dörfer und Obsthaine, unter denen sich am anderen Flussufer Heimersheim durch das zierliche, fast wie ein stumpfes Modell gebildete Kirch-lein auszeichnet, dicht unter uns Heppingen mit des Brunnens geschäftiger Regsamkeit und am jähen Abhang die arbeitenden Winzer.“ – Kinkel war angetan von Heimersheim, wo ihm die Kirche als besonderes Kleinod des Ortes auffiel.
Wie aber war das Leben an der unteren Ahr vor 150 – 200 Jahren?
Es herrschte noch eine andere Lebensart – auch in Heimersheim. Zwar klagten manche damals über die „unfahrbaren Straßen“, man meinte aber auch dazu, sie seien „eine Wohltat und nützlich für die Landesverteidigung, weil sie den Verkehr im Lande“ aufhielten und so den Orten manchen Vorteil brächten. Andererseits blieben manche feindlichen Heerhaufen wegen der miserablen Straßen lieber fern. – Wer 1864 eine Fahrt von Neuenahr nach Heimersheim oder zum Apollinarisbrunnen machen wollte, mietete sich einen Lohnkutscher, der l Taler verlangte. Billiger aber komme man weg – wie Weidenbach berichtete –, wenn man sich einen Esel oder ein Maultier miete: „Der Esel kostet inclus. Führer pro Stunde 10 Silbergroschen, ein Maultier 15 Silbergroschen‘‘. Man sieht: Die Welt ging noch nicht so kopfüber in Hetze und Eile.
Natürlich ließ die Hygiene oft zu wünschen übrig. So heißt es noch 1853 beim Umbau des Pfarrhauses von Heimersheim in einem Bericht des Bauplaners, dass „das Schlafzimmer der Magd voll Wanzen und Leus“ sei. Und auch 1910 stellte ein Gutachten fest, der Ort sei völlig „von Tuberkulose verseucht“, und gerade deshalb würden die Vinzentinerinnen, die damals ein kleines Klösterchen im Ort gründeten, ein reiches Betätigungsfeld finden. Baden wäre also angebracht gewesen, aber am wenigsten dürfte eine Heimersheimer Pfarr-Magd oder ein Heppinger Winzerknecht das Bad, das damals seinen Anfang nahm, genutzt haben.
Heimersheim war – anders als das benachbarte Ahrweiler – ursprünglich Reichsgut, das dem Kaiser direkt unterstand. Es war zunächst ein Ort im Remagener Bezirk, wurde dann aber dem Fiskus Sinzig zugeschlagen. In und um Heimersheim und Heppingen erlangten die Herren der Landskron, die ursprünglich wohl Sinziger Amtleute waren, mehr und mehr Rechte. Der Herzog von Jülich übernahm schließlich um 1300 das Reichsgut Sinzig als Pfand. Damit erlangte er in dem Ort, der sicherlich in römischer und frühfränkischer Zeit schon eine Besiedlung kannte, wichtige Rechte. Aber auch die Abteien Prüm, Steinfeld oder Köln-Deutz legten Wert auf Besitz in und um Heimersheim, wo die Weinerträge gerade für Klöster von großer Bedeutung waren.
Aufnahme der Heimersheimer Kirche, 2003
Die Entwicklung eines eigenen Gerichtsstandes in Heimersheim hängt mit der Verbindung des Ortes nach Sinzig zusammen, wo der Vogt das Herrengeding abhielt. Ein Schöffengericht, das ein eigenes Siegel führte, gab es in Heimersheim, hier wurde freiwillige Gerichtsbarkeit geübt, und hier wurden die Güterkäufe im Schöffenbuch festgehalten. Das Schöffensiegel ist – neben dem Pfarrsiegel – seit etwa 1400 bezeugt. Übrigens ist im Jahr 2001 im Metternicher Archiv in Prag eine schöne Form des Heimersheimer Gemeinde-Siegels aus dem Jahre 1481 neu aufgefunden worden. Die schriftlichen Zeugnisse der Heimersheimer Geschichte sind also nicht nur in Koblenz, Düsseldorf, Köln oder Trier erhalten, sie sind auch bis Enghien bei Brüssel oder bis Prag gekommen.
Befestigung
Der Ort, der durch seine Lage in der Nähe der Rheinschiene in besonderer Weise gefährdet war, erhielt eine Befestigung mit Toren und Türmen schon im 15. Jahrhundert, vielleicht schon früher. Die Befestigungen sind – neben dem Markt – ein deutliches Zeichen für eine gefreite Stellung des Ortes. Vermutlich aber ist Heimersheim nie offiziell zur Stadt erhoben worden, wenn es auch als „oppidum“ in Jü- licher und Ahrweiler Quellen genannt wird. Den Einwohnern fehlte, obwohl sie sich „burger“ nannten, eine besondere Rechtsstellung, wie wir sie an anderen Orten finden. Damit gehört Heimersheim in den sogenannten Kreis der „Städte minderen Rechts“, wie sie sich gehäuft in der Nordeifel finden. Sicher stand das befestigte „oppidum“ Heimersheim seit dem Mittelalter im Schatten des größeren Ahrweiler, das jedoch eine ganz andere historische Vergangenheit hatte. Wie die Chronik des Kalvarienberges rühmt, dass es in Ahrweiler vier W gebe, nämlich Wein, Wasser, Wiesen und Weizen, so konnten die Heimersheimer dasselbe von sich behaupten, aber noch ein fünftes W hinzufügen: Wald und Waldrechte. Stadtherr in Ahrweiler war immer der Landesherr, der Erzbischof von Köln, besondere Rechte – etwa in der Justiz oder bei der Besetzung der Bürgermeisterstelle – hatte dort allerdings auch der Abt von Prüm als größter Grundherr.
Die Heimersheimer Befestigung brachte den Einwohnern natürlich einen gewissen Schutz, aber vor wiederholten Plünderungen und Einäscherungen war man dennoch nicht immer sicher. Als im Juli 1646 das Weimarer Regiment unter Kapitän Roswurm das Land unsicher machte, wurde zunächst das kleinere Heimersheim erstürmt und geplündert, es folgte die Belagerung und Erstürmung von Ahrweiler. Einzelne Heimersheimer waren bei der nahenden Gefahr in das sicherere und größere Ahrweiler geflüchtet, und als auch Ahrweiler fiel, wird eines Heimersheimer Kirchenmannes, Christianus Develich, in besonderer Weise gedacht. Er stellte sich mutig, obwohl schwer verwundet, den plündernden Soldaten entgegen, weil sie nicht davor zurückschreckten, die Gotteshäuser zu schänden und die Kirchengeräte zu rauben. Er wurde bei seinem mutigen Vorgehen schließlich jämmerlich erschlagen und ließ – wie es in der Chronik heißt – wie ein christlicher Märtyrer sein Leben. Die wilde Soldateska hatte er nicht zurückhalten können.
Damit wären wir bei der religiösen Haltung der Heimersheimer. Dazu heißt es beispielsweise 1743 in einem Visitationsbericht, dass alle Einwohner die hl. Messe regelmäßig besuchten, dass kein öffentlicher Sünder in der Gemeinde lebe und dass es an Sonntagen keinerlei Unordnung gebe. Für den guten Geist in dem kleinen Ort spricht, dass es hier ein kleines Hospital und eine Armenstiftung bereits im 17. Jahrhundert gab. Auch die große Zahl der Geistlichen, die aus dem Ort hervorging, wirft ein Bild auf die religiöse Haltung der Einwohner. – Diese religiöse Einstellung der Heimersheimer hat wohl auch dazu beigetragen, dass der Kreisleiter zu Ahrweiler in einer finsteren Zeit 1937 an den Regierungspräsidenten nach Koblenz berichtete: „Die politischen Verhältnisse des ganzen Ortes Heimersheim (sind) nach wie vor recht trostlos, ja nahezu unhaltbar. Dies könnte geändert werden, wenn der junge Lehrer, der … in dem kleinen Ort Nierendorf mehr oder weniger politisch vereinsamt, nach H. versetzt werden könnte.“ Gegen den heftigen Protest der Heimersheimer wurde noch im selben Jahr Lehrer Siebenborn, dem man die Hauptschuld an den politischen Verhältnissen im Dorf gab, zwangsversetzt; ein linientreuer Pädagoge übernahm seine Stelle.
Großes Leid brachte in manchen Jahren das Ahrhochwasser, das bis in unsere Zeit immer wieder riesige Schäden verursacht. Dieses Hochwasser kam – vor allem in Zeiten ohne moderne Warnsysteme – oft so unerwartet plötzlich, dass Menschen und Vieh sich nicht immer rechtzeitig in Sicherheit bringen konnten. So heißt es im 18. Jahrhundert bei einem Hochwasser (1719) über Heppingen: „Die Allee (=die Bäume) auss der erden geworffen, die Pöst (= Pfosten) aus dem garten biss nach Lörssdorf getrieben, das Paviment domus satrapae (=Herrenhauses) aufgehobben, zwei knechte haben sich auff die baum salvirt, die Amtsverwalterin mit Angreiffung eines Ast an einen baum sich kümmerlich salvirt, so lang, biss sie endtlich durch hülff und Darreichung ist erretet worden.“ Solcher Berichte gibt es eine Vielzahl, sie zeigen, dass das Leben an der unteren Ahr also nicht immer nur „Weintrinken, Fröhlichkeit und Schützenfeste“ bedeutete.
Neben dem Weinbau hat die Landwirtschaft bis in die neueste Zeit den Ort entscheidend geprägt. In den fruchtbaren Talauen um Heimersheim gab es durch die Hochwässer der Ahr zwar immer wieder Schäden, aber dennoch brachten gerade hier Obstwiesen gute Erträge. So lässt sich schon im 17. Jahrhundert das Keltern von Äpfeln zum sogenannten Viez oder Apfelmost feststellen. Neben Traubenwein war also auch der Apfelwein schon früh in Heimersheim bekannt. Schließlich hatte Heimersheim einen umfangreichen Waldbestand. Es waren um 1600 rund 600 Morgen. Der Wald lieferte nicht nur das notwendige Bauholz, er diente auch zur Schweinemast. Daher ist es erklärlich, dass es in Heimersheim um 1800 fast so viel Schweine, auf jeden Fall aber mehr Rindviecher als Einwohner gab. So haben neben dem Weinbau die Land- und die Waldwirtschaft im Ort für eine ausgeglichene Struktur gesorgt, so dass bei einem Misswachs des Weines nicht das ganze Wirtschaftsleben zusammenbrach, wie man das bei der Monokultur einiger Weinorte an der mittleren Ahr oder an der Mosel erlebte. Landwirtschaftliche Erzeugnisse wurden vor allem in den Raum Bonn – Köln exportiert, günstige Wasserwege erleichterten diesen Handel. Handwerker gab es zwar immer, aber sie waren im Ort selbst nicht bestimmend. Von überregionaler Bedeutung scheinen lediglich die Weber gewesen zu sein. Insgesamt aber spielten die Handwerker keine große Rolle. Das zeigt sich auch darin, dass es zwar Bruderschaften gab, dass aber die üblichen Zünfte, wie wir sie aus größeren Städten kennen, offenbar keine Rolle spielten.
In Heimersheim erinnert man sich mit einer gewissen Wehmut an die Anfänge der Badekultur an der unteren Ahr. Schon im 16. Jahrhundert wurde bei Heimersheim ein Sauerbrunnen freigelegt. Das Wasser galt als heilsam und wärmend. Vor der Zeit Napoleons wird der Heppinger Sauerbrunnen wiederholt in den Quellen erwähnt. Er brachte der Gemeinde geringe Einnahmen, denn der Brunnen wurde immer wieder verpachtet. Um 1830 gab es auf Heimersheimer Gemarkung eine Quelle, vermutlich der alte Sauerbrunnen, dessen Wasser zum Trinken genutzt wurde. Einen entscheidenden Einschnitt brachte dann das Jahr 1852.
Damals wurde eine 18 Grad warme Quelle, der Apollinarisbrunnen, zwischen Heppingen und Neuenahr entdeckt. Im Jahre 1855 werden zwei Brunnen auf Heimersheimer Grund erwähnt. Es heißt damals, dass sie„eigenthümlich der Gemeinde Heimersheim gehören“.
Die Verantwortlichen in Neuenahr erkannten rasch, welche Bedeutung diese Quellen hatten. Das alte „Nouwenare“, dessen Name für Burg, Berg und Grafschaft im Mittelalter bezeugt ist, hatte das Glück, durch die Mineral- und Badequelle sich BAD Neuenahr nennen zu dürfen; es wurde durch den Zusammenschluss der Orte Beul, Wadenheim und Hemmessen seit 1875 zu einem zentralen Ort an der unteren Ahr. Wie es kam, dass Heimersheim hinter Neuenahr in die zweite Reihe gesetzt wurde, ist ein Kapitel für sich. Wie oft in solchen Fällen, hängt es sicher mit der Weitsicht und der Wendigkeit der führenden Persönlichkeiten zusammen, die im 19. Jahrhundert das Geschick der Gemeinden bestimmten. Auf jeden Fall wollten die Verantwortlichen in Neuenahr, dass die Gemeinde Heimersheim ihnen Gelände oder Rechte abtrat. Zu spät merkten die Heimersheimer, welchen Fehler sie – oder ihre Gemeindevertreter – gemacht hatten. Als man die Abtretung in Heimersheim rund 20 Jahre später rückgängig machen wollte, war es zu spät. Die Bürger des Ortes reichten bei der Bezirksregierung 1876 ein Gesuch ein, in dem sie die Grenz-Regulierung ablehnten, weil dadurch „das ganze bedeutende Etablissement der Actiengesellschaft Apollinarisbrunnen aus der Gemeinde Heimersheim ausscheidet und in die Gemeinde Neuenahr übergeht“. Damit verliere Heimersheim „die Haupt-Steuerquelle“. Es kam zu einem Rechtsstreit, der bis zu den höchsten Instanzen durchgefochten wurde. Heimersheim wurde zwar zunächst entschädigt, aber bereits 1902 musste es eine beachtliche Summe wieder zurückzahlen. Für Heimersheim, das genau so gut wie der Nachbarort ein Badeort hätte werden können, waren die Weichen um 1900 anders gestellt. Heimersheim war dazu verurteilt, ein Dornröschendasein im Schatten des aufblühenden Bad Neuenahr zu führen. Während es 1907 bereits 49 Hotelbetriebe in Bad Neuenahr gab, hatte Heimersheim nur ein Hotel. Im 20. Jahrhundert hatten die Heimersheimer zunächst keinen direkten Vorteil mehr von dem Geschehen im benachbarten Badeort. Wohl kamen ab und zu einige wanderfreudige Gäste bis in den romantischen Ort – aber die ließen wenig Geld hier. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg begann der Fremdenverkehr in Heimersheim eine größere Rolle zu spielen, heute zählt man rund 60 Betten im Ortsteil.
Seit 1969 ist Heimersheim ein Ortsteil von Bad Neuenahr-Ahrweiler. Seinen eigenen Charakter aber hat die Siedlung dadurch gewahrt, dass die Reste der alten Stadtbefestigung teilweise erhalten blieben. So ist zwar Heimersheim dem größeren Nachbarort eingegliedert, aber ihren Stolz und eine gewisse Selbstständigkeit haben die Heimersheimer bis heute bewahrt. Schließlich haben sie eine mindestens ebenso reiche lokale Geschichte wie das künstlich gewordene Bad Neuenahr.
Anmerkung:
1) Gekürzte und überarbeitete Fassung eines Vortrages, der am 27. Februar 2002 bei der Vorstellung der Mappe „Heimersheim“ des Rheinischen Städteatlas gehalten wurde.