Goldener Eifelherbst

Von Harry Lerch

Er ist vorbei, der Sommer, der uns gut getan. Wir sind die Costa brava entlanggefahren, wir sahen Syrakus und auf Mallorca den Tempel der Liebe von George Sand und Frederic Chopin.

So schön es war — wir sind fast müde davon. Wir sollten etwas für uns tun . . . Da wissen wir von einer Landschaft, die wir anbieten, ohne Konsumwünsche zu wecken. Sie ist überwölbt von einem Himmel besonderer Art. Gewiß, das kann wenig sein oder viel. Wir glauben aber — verliebt in diese Landschaft in Moll —, daß sie viel „bietet“, wenn wir darunter nicht immer sogleich das Luxusrestaurant oder die Boutiques von Tropez verstehen.

Immerhin: was bietet sie nun eigentlich, diese Landschaft? Wir reden von der Eifel, von ü der diese Bilder einen Begriff geben, von einem Land der Maare, der Wälder und Burgen, stillen Seen und Straßen. Sie ist eingespannt in das große Viereck von Köln, Aachen, Trier, Koblenz. Da rauchen jetzt die Kartoffelfeuer, und wer diesen herben, würzigen Rauch sich um die Nase wehen läßt, hat ein gutes Stück Leben gewonnen. Graue Tage sind vor uns, die langen Nächte des Winters, wir gehen dem November entgegen, dem frühen Dunkel bald nach der Mitte des Tages. Aber noch ist Licht in der Landschaft, noch sind goldene Tage, noch ist Sonne und der Wolkenhimmel über uns. Wer fährt mit?

Der Wagen hält an. Wir sind rechts herangefahren, seitab vom rauschenden Sog der Straße. Und jetzt steht uns etwas Besonderes bevor. Wir drehen den Zündschlüssel ab. Der Motor verebbt. Nun ist Stille. Weitab der leise Strom des Verkehrs, nur soviel, daß wir wissen: von dort kommen wir. Wer eine Minute verweilt, hat schon etwas vom stillen Zauber dieser Landschaft gewonnen.

Fern der Himmel ist hell von des Herbstes Sonne, und wenn sie für eine Stunde verborgen ist, deckt sie ein Himmel von allen Nuancen des Grau. Das ist gebaut aus Rauch wie Blei und Basalt und wiederum so zart wie das Grau im Reiherflügel, aus Strömung und Stille, Silber und Seide, Licht und Leuchten, wie Schiefer und Gneis, Granit und Graphit. Und dazwischen wie der Quarz im Gestein die hellen Gefilde des Himmels, die von der Sonne Strahl bald wieder durchbrochen sind: Schwertspiele des Lichts.

Für alle Fälle den Regenumhang über die Schultern und nun in diese Landschaft. Das Auge sieht den dunkel gezackten Saum des Horizorits, und wer Glück hat, hört unversehens einen hellen, wehenden Schrei vom Himmel: da ziehen in gezeichnetem Vogelflug die Kraniche übers Land, zum Süden hin, wo wir gewesen sind. Aber es genügt auch, daß ein Krähenschwarm den Himmel mit wehendem Flügelschlag durchpflügt. Der Himmel, dieser Himmel! Nicht so blau wie bei Claude Lorrain, eher der Himmel auf den Radierungen Rembrandts: gebaut und gefügt wie ein Gebäude aus Strömung und Luft!

Ein anderes spüren wir auch: den Duft der Erde. Das ist gut wie Brot. Wie lang ist’s her, daß wir als Kinder übers Land gingen neben dem Pflug oder gar das Gespann führen durften. Wie gut, zwei Pferde noch einmal zu sehen mit nickenden Köpfen, den Bauern am Pflug hinterdrein. Wie gut, diese Schritte zu gehen, da wir ja immer fahren. Wie gut, den Hang hinaufzuklettern, weil er einen noch weiter gebreiteten Blick verheißt. Das Herz macht noch mit. Aber das Rauchen, die Konferenzen, das schwere Essen, die Whiskygläser — wir sollten etwas mehr für uns tun. Es muß nicht gleich eine Jagdhütte in der Eifel sein (obwohl das eines der schönsten Güter dieser Erde ist), Haben wir sie nicht, sollten wir doch manchmal in dieses Land fahren.

Eifelherbst an der Nürburg . . . . noch finden die Schafe Futter auf der gereiften Grasnarbe.
Foto: H. Esch

Wie die Luft schmeckt! Nicht ohne Stolz nennen die Menschen hier ihre Landschaft Eiflia sacra, die heilige Eifel. Ihnen heilig, weil sie ein Stück Land ist, das wenig verspricht, aber vieles hält.

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Immer wieder verwandelt sich der Himmel. Jetzt taucht ein Hauch Rosa ein, ein Streifen Geld und blasses Violett in die Wolkenbänke. Und da der Hang! Dort der Streifen Wald! Da die Windkiefer, einsam auf dem Plateau, gezaust und gebogen vom Wind und dennoch fest in Wurzeltiefe!

Lebt sie, die Eifel? Haben wir zu viel versprochen? Carl Simrock und Gottfried, Kinkel, Jacob Burckhardt und die Männer des politischen Maikäferbundes haben sie entdeckt vor hundert Jahren und ihre herbe Romantik. Sie ist kein Armutsland, sind ihre Dörfer auch nicht reich, vielmehr ist diese Eifel immer erneut des Entdeckens wert.

Da, ein Sprung Rehe wechselt über die Lichtung! Der Himmel ist nun noch lichter, farbiger und leuchtender: die Sonne nimmt Abschied von uns. Da huscht ein Eichhorn den Stamm hinauf — wann haben wir das zuletzt gesehen? Ein Bauer zieht vorbei mit dem Gespann. Die Tiere dampfen und verströmen ein Behagen, weil sie dem Stall entgegengehen. Sie sind müde, und wir auch. Aber welche durchpulste, wohltätige, erfrischende Müdigkeit! Anders als nach einer Gasterei, wohliger als nach einem Tag zwischen Telefon und Diktat, Asphalt und Neonlicht.

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Sind wir auf einmal neue Menschen? Was hat uns so gut getan? Die Schritte durch das raschelnde Laub, das Farbenspiel von bunten Wäldern und Himmel? Das Atmen, als wir den Hang hinaufzogen und für den schnelleren Herzschlag bedankt waren durch einen Blick im größeren Horizont?

Im fernen Dorf läuten die Glocken. Bald ist Abend. Sehen wir, daß wir einen Tisch unter der Lampe finden. Lange hat uns das Brot nicht so geschmeckt wie an diesem Abend. Draußen ist bald Nacht. Aber dieser Eifelhimmel wird uns lange vor Augen sein in den Wochen, die nun dunkler werden. Der goldene Eifelherbst bleibt hell in unseren Herzen.