„… gib uns und aller Christenheit den langgewünschten Frieden“
VON FRIEDHELM SCHNITKER
Votivstein bei Burg Rheineck
Am Fuße der Bergkuppe, auf der Burg Rheineck sich am Vinxtbach erhebt, steht am Südhang in einem Sattel ein Denkmal, „aus Basaltlava und Tuff in dreiseitigem Aufbau von zwei Geschossen, am unteren auf drei Tafeln geistliche Sprüche, am oberen die Inschriften“ (Kunstdenkmäler). Auf zwei der Tafeln sind die geistlichen Sprüche, die wohl eher als Bittgebete zu bezeichnen sind, verwittert und nur noch mit Mühe zu entziffern. Sie lauten:
„Voll Danckgefuehl verlangen wir/
Dein Lob nur zu vermehren/
Darum wir lassen setzen hier/
Dies Denckmal Dir zu Ehren.
Auch bitten wir o milder Galt/
Die wir Dich herzlich lieben/
Gieb uns und aller Christenheit/
Den langgewünschten Frieden.“
Am unteren Geschoß des Denkmals lesen wir in einem Chronogramm die Namen der Stifter und das Jahr der Errichtung:
„Honora medicum propter necessitatem, Honora S. Symphorianus propter favorem. DoMInl affines sChoVrp et sChVbach.“ (= 500 +1000 + 1 + 1 + 1 + 100 + 5 + 100 + 5 +100 = 1813)
Burggrafschaft Rheineck
Im Jahre 1654 wechselt die Burggrafschaft Rheineck ihren Besitzer. Graf Philipp aus dem saarländischen Geschlecht von Warsberg verkauft sie an den österreichischen Grafen Rudolf von Sinzendorf. Diese Grafen von Sinzendorf haben jedoch nie auf Rheineck residiert, sie setzten Erbpächter auf die Burg.
Im Verlaufe des Dritten Eroberungskrieges Ludwig XIV. gegen die Pfalz besetzten französische Truppen im Jahre 1689 unter dem berüchtigten General Marquis de Sourdis die Burg und äscherten sie ein. Nach Wiederaufbau der Wirtschaftsgebäude und Restaurierung des Bergfriedes und der Burgkapelle zerstörte ein Brand am Pfingstmontag des Jahres 1785 die aufgebauten Teilbereiche der Burganlage. Johann Schourp, zuvor Forstbeamter der Grafen Sinzendorf, hatte seit 1749 bis 1781 das Amt des Verwalters inne. Von 1781 bis 1787 folgt ihm im Amte auf Burg Rheineck sein Sohn Johann Adam Schourp. Als die französischen Revolutionstruppen 1794 das Rheinland besetzen, ist das Ende der Herrschaft des Adels auf dem linken Rheinufcr gekommen. Burg Rheineck geht in französischen Staatsbesitz über und wird 1805 als Domäne versteigert. Eigentümer wird der bisherige Verwalter und Sohn Johann Adam Schourps, Wenzeslaus Schourp, dessen Ehefrau eine geborene Schubach aus Breisig war.
Dieser Wenzeslaus Schourp läßt 1813 eingangs geschilderten Votivstein errichten. So ist das Chronogramm für 1813 in der Fügung „Domini affines“ nicht wie bisher als die „Grenznachbarn“, sondern als die „verwandten Herrschaften (Familien)“ zu interpretieren.
Das Jahr 1813
Im Verlaufe des Napoleonischen Krieges gegen Rußland scheint das Jahr 1812 für den Bereich unserer Heimat verhältnismäßig ruhig verlaufen zu sein. Die „grande armee“ war nach Rußland abgezogen, so daß wenig von den kriegerischen Ereignissen dieses Jahres verspürt wurde. Die Kriegswirren des Jahres 1813 jedoch tragen Not, Elend und Krankheit in die Rheinlande. Man vergleiche hierzu eine Schilderung für das benachbarte Remagen aus dem Jahre 1813:
Foto: Kreisbildstelle
Votivstein bei Burg Rheineck
„ . . . Das erste Viertel des Jahres 1813 zeichnete sich besonders dadurch aus, daß verschiedene kleine Reste der in Rußland erfrorenen französischen Regimenter die Stadt passierten; das zweite Vierteljahr durch die sehr häufigen Durchmärsche und Einquartierungen der teils neu errichteten, teils ergänzten französischen Regimenter… Am 2. November erschien am frühen Morgen ein Schiff mit zweihundert, teils Kranken, teils Verwundeten, am hiesigen Rheinufer. Der auf dem Schiff befindliche Arzt forderte den Ortsvorstand auf, diesen Kranken und Verwundeten einige Nahrung reichen zu lassen. Da auf dem Schiffe das Nervenfieber herrschte, zeigten sich die Einwohner um so mehr bereit, die Erfrischungen an den Rhein zu bringen, damit keiner der Insassen an Land zu gehen brauchte, um so der Ansteckungsgefahr vorzubeugen. . . . Mit herzlichem Danke verließen diese Kranken den Ort Remagen, der sie so gastfreundlich aufgenommen hatte, ließen aber unglücklicherweise das Nervenfieber zurück. Zwei der hiesigen Bürger, welche das Schiff bestiegen hatten, wurden von der Krankheit ergriffen und herrschte diese sechs Monate in Remagen, während dieser Periode erkrankten 130 Einwohner, wovon 48 starben!“
So lassen sich die auf den Tafeln des Votivsteins eingemeißelten flehentlichen Bittsprüche zur Rettung aus den Notläufen dieser Zeit in diese Epoche einordnen.
Deutung der Inschrift
Nun läßt sich auch der in den „Kunstdenkmälern“ falsch zitierte und somit unverständlich gebliebene Satz „Honora medicum propter necessitatem“ (statt „Honora predium …“) leicht deuten; denn in von der Geißel der Epidemie beherrschten Tagen der Not bedarf man des Arztes. („Achte den Arzt, da du seiner bedarfst.“) Im Dunkeln blieb bisher in der Deutung der zweite Satzbestandteil: „(Honora) S, Symphorianus propter favorem.“ Alle Deutungen gingen davon aus, daß der hl.
Symphorianus hier als Patron der Steinmetze und Steinhauer geehrt wird wegen der erwiesenen Gnade beim schnellen und unfallfreien Wiederaufbau der Wirtschaftsgebäude unter Wenzeslaus Schourp. Doch verehrten die talrheinecker Steinbrucharbeiter und Steinmetze die hl. Barbara als ihre Schutzpatronin. Der Kult des hl. Symphorianus ist jedoch in Frankreich weitverbreitet, die Familie Schourp aber stammt, wie viele Breisiger Familien, aus eben diesem Lande.
Der hl. Symphorianus wurde nach der erst im 5. Jahrhundert auf Grund von Dokumenten aus der Zeit des Martyriums verfaßten Passio wegen Verspottung heidnischer Kulte unter dem römischen Kaiser Decius (249 bis 251), dem ersten Herrscher pannonisch-illyrischer Herkunft, inhaftiert. Decius forderte von allen Untertanen, besonders von seinen Soldaten, die Darbringung eines öffentlichen Opfers, dessen Vollzug von eigens bestellten Behörden durch Bescheinigung bestätigt wurde. Wegen seiner Weigerung, diesem Befehl nachzukommen, wurde Symphorianus enthauptet.
Der Heilige zählt in der Hagiographie zu den als „Quattuor Coronati“ (Vier Gekrönte) bekannten Märtyrern, die alle aus Panno-nien stammen sollen.
Symphorianus ließ sein Leben in einer Zeit, in der die gegen die Christen aufgebrachte Menge diese für Krieg, Hunger und Pest verantwortlich machte; bis heute gilt dieser Heilige besonders in Frankreich als Schutzpatron gegen Pest, Epidemien, Hungersnöte und Kriegswirren.
Hier nun schließt sich der Kreis unseres Deutungsversuches. Dem Lobgesang auf Gott als Walter und Lenker der Zeitenläufe und Herrscher des Friedens ordnet die aus Frankreich stammende Familie Schourp den Dank für den durch den dort sehr verehrten Heiligen gewährten Schutz gegen Krankheit und Kriegsnöte bei. Sie vergißt jedoch nicht, in ihren Dank den irdischen Helfer in Zeiten der Epidemien und Not, den Arzt, miteinzuschließen.