Geschichten aus „ohsem Doerf“

Es war vor vielen Jahren in unserem kleinen Dorf. Die Landstraße zog in es hinein, verengte sich, zeigte sich in groß gewölbtem Kopfsteinpflaster, machte Haus- und Hofgebäuden Platz, schickte hier und dort eine Gasse nach links oder rechts, wurde Hauptstraße und weitete sich wieder beim Verlassen auf ihrem weiteren Weg zum nächsten Dorf.

Mittelpunkt unseres Dorfes war die mächtige Trutzburg unseres Glaubens, die Pfarrkirche, in deren Schatten Pitters Kneipe demütig, aber dennoch ihrer Wichtigkeit bewußt sich duckte. Und in diesem unseren kleinen Dorf lebten seine Menschen in ihrer kleinen Welt. Die einen leise und zurückhaltend, die anderen laut und vorlaut. Die einen fleißig und strebsam, die anderen eher dem Tag überlassen und in ihn hinein. Die einen eher heiter und besinnlich, die anderen mehr „Labesse“, „Kommedemäche“ und ein wenig verquer. Die einen lebten als Einspänner oder. wie Hochwürden sie in seiner Wortwahl schlicht und einfach einstufte, als „Jung-Esel“. Die anderen als Zweispänner im Joch. wobei die Junggesellen Hochwürdens Argument wendeten, als Zweispänner muß jeder wie der andere. „Nix tue ohs, nue füe Oese.“

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Die Niederzissener Pfarrkirche St. Germanus – Mittelpunkt des Dorflebens

Dorfleben

Auf der Straße konnte man das Dorfgeschehen wie in einem offenen Buch verfolgen, genauer gesagt in der seitlichen Abflußrinne, liebevoll „Flössche“ genannt.

Hatte Billa für ihren Kolonialwarenladen die wöchentliche Warenergänzungslieferung erhalten und sprudelte aus nahezu allen Abflußrohren am Samstag grüngefärbtes Abwasser im „Flössche“. dann hatte Billa zur allgemeinen Steigerung der körperlichen Sauberkeit im Dorf ein Sonderangebot grünen Badesalzes geordert. So war unser kleines Dorf, so waren seine Menschen.

Jupp – „Herr Jenerahl“

Und einer dieser liebenswerten. ein wenig Verqueren Menschen war Jupp. Er war fleißig, hilfsbereit, kundig in allen „knibbeligen“ Arbeiten, die großes Alleskönnertum und viel Fingerspitzengefühl erforderten.

Und Jupp war „ohse Jenerahl“. Wie er zu diesem Ehrenrang gekommen war, wußte niemand mehr so recht zu sagen. Doch wenn er nach getaner Arbeit dann und wann den Weg in Pitters Kneipe im Schatten des Dorfdomes nahm, holte er einiges von dem nach, was er meinte, versäumt zu haben. Und immer wieder ertönte Jupps Kommando:

„Donn me noch ahnte, Pitter!“ Dessen Antwort kam stets prompt und präzise:

..Jawoll, Herr Jenerahl!“

Manchmal verließ „ohse Jenerahl“ schwankend, aber zielstrebig Pitters Kneipe Richtung Heim ganz am Rande unseres Dorfes. Eines Abends war es wieder spät geworden:

Jupp hatte sich bereits auf den Heimweg gemacht, als unterwegs ein kräftiges Gewitter losbrach. Es blitzte, krachte, donnerte, es regnete in Strömen. Eine ganze Woche lang ließ sich „de Jenerahl“ in seiner Kneipe nicht blicken.

Dann ging eines Abends die Tür der Kneipe auf. Jupp meldete sich mit einem leutseligen „Johde“ und orderte wie gewohnt. Und je öfter sein Kommando ertönte „Donn me noch ahnte!“ und er seine Attacken gegen die vollen Gläser voni-ug, umso umfassender wurde die Schilderung seiner tapferen Heldentat gegen die bösartigen Kriegslisten der allmächtigen himmlischen Heerscharen, die mit „Feue, Donne on och met Wasse“ angegriffen hatten. „Esch hann mesch hinje-schmess: se kohmen von owe. henne, von füe, on dann och noch vonn onne. met Wasse. Esch hann lang wähle möhse!“ Irgendwann hatte „ohse Jenerahl“ bei sich abschwächendem Kampfgetümmel, die himmlische Artillerie hatte wohl ihr Pulver weitgehend verschossen, heimlich den Rückzug in die heimische Etappe aus der feuchten Ackerfurche angetreten. Dort am heimischen Herd hatte Jupp bei liebevollen Sanitätsdiensten seiner Margrit eine gewaltige Erkältung auskurieren müssen.

Und dann kam eines Tages der Höhepunkt der Schlachten unseres „Generals“. An einem Wochenende hatte er mächtig Order gegeben:

„Pitte. donn me noch ahnte!“ Es waren nach langer Zecherrunde nur noch einige wenige „Klähfbotze“, die sich weit nach Mitternacht auf den Heimweg Richtung Oberdorf machten. War es nun die kühle Nachtluft, die für Klärung umnebelten Gedankenwirrwarrs zwar in geordnete Bahnen Sorge trug. aber Kühnheit und Phantasie der den Gedanken nicht lahmte – erst in kurzen, dann längeren Wonfolgen zugerufen, dann sich weitend zu Sätzen gewann langsam ein Plan Konturen, in dessen Mittelpunkt „ohse Je-nerahl“ stand, der sich während der ganzen Zeit mit Pin-Jupp bei der Nachhut, quasi das Trupp-ende sichernd, befunden hatte. Auf der Truppe und des Generals Weg heimwärts lag am Ortsrand der große Bauernhof, den Pitt-Jupps Eltern als Eigentümer bewirtschafteten.

„Attak-ke“

Nach einem halblauten Gewirr von Geräuschen. Stimmen brach plötzlich ein Höllenspektakel los, genauer zu orten aus Richtung der Stallungen, noch genauer aus… Da flammte über der gewaltigen Haustür des Haupthauses Licht auf. Pitt-Jupps Vater. gleichzeitg Jagdhüter des Dorfes, stand mit riesiger Flinte in der Hand unter dem Türbogen und donnerte – nein. nicht mit der Flinte, sondern mit seiner dröhnenden Stimme los:

„Batt jitt dat do? Batt es do loss?“ Pii-Jupp rief zurück:

„Bapp, de Jenerahl kämpf e schwäe Jefäsch!“ Und schon tönte aus lauten Schlachtgetöse des „Jenerahls“ strikte, schrille Aufforderung: „Atak – ke!“ Alle sahen bei voller Beleuchtung des Schlachtenszenarios „ohse Jenerahl“, steif sich rückwärts an die Tür des Fer-kelschweinestalls lehnend. laut befehlend „Attak-ke!“

Die kleinen Ferkel wetzten quiekend im Schweinsgalopp in ihrem Stall umher: die halbwüchsigen Schweine jagten laut grunzend umeinander: die Muttersau hatte neugierig ihren Kopf erhoben: nur der gewaltige Eber zuckte hin und her und versuchte, wohl herauszufinden, wer es gewagt hatte und wem es wohl auch gelungen war. ihm die Befehlsgewalt in seinem Hoheitsbereich zu entreißen. Etwa jener ständig „Attak-ke!“ krächzende Zweibeiner, der so seltsam hin- und herpendelte? Während sich derartige Gedanken möglicherweise im Kopf der Oberwutz wendeten. donnerte in dieses Schlachtenfurioso die mächtige Stimme von Pitt-Jupps Vater, besorgt um die Nachtruhe seiner Viecher und die der Seinen:

„Pitt-Jupp. mach desch erenn! Onn ie annere! Lohtjonn. soss brennen esch üsch ahne henne dropp!“

Nun war es an „ohsem Jenerahl“ und seinen Truppen, die Flucht, eher hastig und ungeordnet als wohl organisiert, anzutreten und langsam ebbte der Lärm des nächtlichen Schlachtengetümmels ab: nur dann und wann, aus der Ferne, ertönte ein gewaltiger Lacher. „Und „ohse Jenerahl?“

Lange sah Pitter seinen hochrangigen Stammgast nicht mehr, stattdessen hatten Pitters Eheweib Marie und des „Jenerahls“ Margrit das eine oder andere Likörchen miteinander geleert. Pitter aber war es, trotz aller Versuche, nicht gelungen, Näheres in Erfahrung zu bringen.

Ja, und dann war er plötzlich da, „ohse Jenerahl“ und prompt donnerte er wieder und wieder: „Pitter, donn me noch ahnte!“

Bis plötzlich, „ohse Jenerahl“ stand gerade mannesmutig mitten im schönsten alkoholischen Vernichtungskampf, die Tür aufflog, Jupps Margrit im Türrahmen stand und losdonnerte: „Jenerahl, awe nue bess zwöelf Ue!“

Die Tür flog zu, ein erstaunter Blick des ‚Generals‘, die Tür flog auf, es donnerte nach:  „Denge Feldwebbel!“ Von Stund an herrschte in unserem kleinen Dorf allgemeine Klarheit: „Ohse Jenerahl ess de Hühtere; awe de Feldwebbel säht, bo et längs jäht!“