Germinal und Fructidor
Eine namenkundliche Plauderei – Von Leo Stausberg
„Daß mein Urgroßvater, der Ackerer Anton Josef Seul, am 26. Ventose des Jahres 12 der fränkischen Republik zu Oberbreisig geboren sei und seine Ehefrau Maria Magdalena Schmilz, meine Urahne also, am 9. Fructidor des Jahres 11 ebendaselbst . . .“ also lautete die Auskunft des Standesbeamten. Ventose, Fructidor? — Diese ungewöhnlichen Monatsnamen vcranlaß-tcn mich, einmal einen Blick in jene Geschichtsepoche zu werfen, in welcher diese Namen auch in unserer Heimat im amtlichen Gebrauch gewesen sind.
Am 14. Juli 1789 war in Frankreich die Große Revolution ausgebrochen. Am 21. Januar 1793 fiel das Haupt des Königs Louis XVI. unter der Guillotine. Im revolutionären Überschwang der damaligen Zeit, den die bestechende Devise „Liberte – Egalite – Fraternite“ — Freiheit -Gleichheit – Brüderlichkeit“ kennzeichnet, hatten die Revolutionsmänner das Bestreben, den Beginn des neuen Zeitalters auch äußerlich für immer festzuhalten. Man erklärte den 22. September 1792 zum „Tag l“ der neuen Ära. Man erfand eine durchaus sinnvolle Serie neuer Monatsnamen, die den Jahreslauf klar erkennen ließen. Entsprechend den vier Jahreszeiten schuf man vier Gruppen von Monatsnamen, deren erste auf die Nachsilbe ,,-ose“: Nivose, Pluviose, Ventose; deren zweite auf ,,-al“: Germinal, Floreal, Prairial, deren dritte auf ,,-dor“: Messidor, Thermidor, Fructidor, und deren vierte auf: „-aire“: Vendemiaire, Brumaire, Frimairc — endete. 1794 besetzten die Revolutionsheere die Gebiete links des Rheines, die am 1. Oktober 1795 förmlich „für immer mit der Fränkischen Republik vereinigt“ wurden. Wir waren de jure Franzosen geworden. Seitdem finden sich für die nächsten 10 Jahre in unseren in französischer Sprache geführten Standesamtsregistern die oben genannten neuen Monatsnamen. Sie galten bis zum 31. Dezember 1805. Danach kehrte man auf Befehl des inzwischen zum Kaiser aufgestiegenen Revolutionsgenerals Napoleon Bonaparte zur alten Zeitrechnung und auch zu den alten Monatsnamen zurück.
Wir wollen nun jene zwölf Neuschöpfungen der Monatsnamen auf ihren Sinngehalt untersuchen! Der Monat Nivose. entsprach zeitlich, mit geringer Einschränkung eines um etliche Tage früheren Beginns, dem Januar. Das neue Wort bedeutet wörtlich „Schneemonat“. Das französische Wort für Schnee lautet „la neige“ und ist verwandt mit dem lateinischen „nix“ = „Schnee“, mit den Fällen: nivis – nivi – nivem. Dem Nivose folgte der Regenmonat „Pluviose“, Februar. „La pluic“ ist das französische Wort für „Regen“. Der regenspendende Gott der Römer hieß Juppiter Pluvius.
Dem März entsprach der Ventose = Windmonat. Die Substantiva sind: frz. = le vent, lat. = ventus = der Wind. Im April keimt die Saat; „germcr“ ist das französische Verb für „keimen“. So bildete man „Germinal“ = Keimmonat. Für den Blütenmonat Mai wählte man den Namen „Floreal“ — Blumenmonat. „La fleur“ (frz.) und „flora“ (lat.) von „flos – floris“ = Blüte, sind die zugrundeliegenden Bezugsworte. Grüne Wiesen und der erste Grasschnitt kennzeichnen den Juni. „La prairie“ frz., bzw. „pratum“ lat., heißt „Wiese“. Man denke auch an den „Prater“ zu Wien und die „Prärie“ in Nordamerika! So wurde der Wiesenmonat = Prairial bezeichnet.
In Anlehnung an ,,la moisson“ frz. = Getreideernte, bildste man für den Juli „Messidor“. „Thermidor“ — Monat der sommerlichen Hitze, meint den August! Das griechische Wort „thermos“ = Wärme stand hier Pate. „Les fruits“ (frz.) — das Obst, lat. fructus, werden im September geerntet. So deshalb der Monatsname: „Fructidor“. In Frankreich ist die wichtigste Ernte wohl die des Weines. Durch den Monatsnamen „Vendemiaire“ ersetzte man das Wort Oktober. Das lateinische Bezugswort ist: vendemia = Weinlese.
„La brume“ (frz.) heißt „der Nebel“. So ist der Monat November treffend als der Nebelmonat — „Brumaire“ charakterisiert. Auch der letzte Monat des Jahres ist als Frostmonat richtig angesprochen, französisch „Frimaire“ v. „froid“ = kalt, und „frissonner“ = frieren, frösteln. Der nach wenigen Jahren gescheiterte Versuch, die in der Tat zum Teil völlig sinnwidrig gewordenen, zum Teil nicht mehr verständlichen Monatsnamen aus der Römerzeit durch sinnvolle zu ersetzen, war vorher schon einmal unternommen worden, und zwar genau tausend Jahre früher durch Karl den Großen! Sein Chronist Einhard berichtet in seiner „Vita Caroli Magni“ darüber. Es sind die Namen: Wintarmanoth, Hornung, Lentzinmanoth, Ostarmanoth, Win-nemanoth, Brachmanoth, Hewimanoth, Aranmanoth, Witumanoth, Windumemanoth, Herbistmanoth und Heilagmanoth. Auch hier ist das Jahr des Bauern zugrundegelegt ähnlich wie bei den Monatsnamen der Französischen Revolution. Die von Kaiser Karl festgelegten Namen gehen wohl zum Teil auf germanische Überlieferung zurück. Einige haben sich auch durchgesetzt und hier und da erhalten. So finden wir noch bei Walter von der Vogelweide den Satz: „ . . .nü enfürhte ich niht den hornunc an die zehen …“ Was hatte Karl den Großen zu dem Reformversuch bewogen? Es erschien ihm mit Recht unlogisch, etwa den neunten Monat im Jahre, den siebenten zu nennen; denn das heißt ja „September“! Ebenso wie „Oktober“ der achte, „November“ der neunte und „Dezember“ der zehnte heißt. Die Römer begannen das Jahr mit dem März, nach dem Kriegsgott Mars so genannt, und so war dann der Dezember wirklich der zehnte Monat.
Bei Karl ist der Januar zutreffend der „Wintermonat“. „Hornung“ für Februar hängt mit „hiarn“ = hartgefrorener Schnee zusammen. „Lentzinmonat“ für den März, von lent = lang, besagt, daß die Tage länger werden. — Der April, bei Karl „Ostarmonat“, geht auf die germanische Frühlingsgöttin Austro oder Ostara zurück. So erhielt auch das meist in den April fallende Fest der Auferstehung Christi diese heidnische Bezeichnung = Ostern! Mai = Winnemanoth: winne – wunne = Weide, Wiese.
Erst eine spätere Deutung spricht vom Wonnemonat. — Brachmanoth war der Juni. Die Brache war der nach der Ernte umgebrochene = umgepflügte Acker, der ein Jahr unbepflanzt liegen blieb und als Schafweide diente. — Hewimanoth für den Juli geht auf Heu, das ist gehauenes, gemähtes Gras, zurück. — Aranmanoth heißt Erntemonat. „Arn“ und „Ern“ sagt heute noch der rheinische Bauer, wenn er von der Getreideernte spricht. Anderwärts sagt man „Aust“, das dann von „August“ abgeleitet ist. — Im September fuhr man das Holz ein für den Winterbrand. So ist „vitu“ das Holz und der Witumanoth danach benannt. Bei der karolingischen Bezeichnung „Windumemanothfür den Oktober stoßen wir, wie bei dem französischen „Vendemiaire“ (s. oben!) auf das lateinische Wort „vendemia“ — Weinernte. Im Französischen heißt dieWeinernte „la vendenge“. — „Herbistmanoth“ für den November enthält das Bezugswort „Herbst“, das ja auch eine ganze Jahreszeit meint. Auch hier liegt ein (althochdeutsches) Wort für „ernten“ zu Grunde: Das lateinische Wort „carpo“ = „ich pflücke“ ist hier heranzuziehen. „Herbist“ ist der Superlativ eines untergegangenen Verbs und heißt so viel wie „am besten zu ernten, schneiden bzw. pflücken“. Das auf die Geburt Christi bezogene karolingische Wort „Heilagmanoth“ verdrängte bewußt den Namen „Julmond“, der an das heidnische Julfest (Wintersonn wendfest) erinnerte. Noch heute heißt die Bescherung zu Weihnachten z. B. im Mecklenburgischen „Julklapp“ (vergl. Fritz Reuter: Ut mine Stromtid). Dem karolingischen und dem französischen Versuch einer Umbenennung der Monatsnamen ist in der jüngsten Vergangenheit ein dritter gefolgt, der sich ebenfalls nicht durchsetzte. Wir wollen diesen aus nationalistischen Tendenzen herrührenden Versuch im deutschen Sprachraum erwähnen, um die sprachgeschichtliche Untersuchung abzurunden. Die Bezeichnungen sind fast die gleichen wie bei Karl dem Großen. Nach: Wasserzieher,, Woher?“ Ableitungs-Wörterbuch der deutschen Sprache, Dümmler, Bonn 1959, lauten diese: Härtung, Hornung, Lenzing, Oster-mond, Wonnemond, Brachmond, Heuert, Ernting, Scheiding, Gilbhard, Nebelung u. Julmond.