„geheime gärten rolandswerth“
Die geheimen gärten rolandswerth bergen ohne Frage ein Geheimnis. Oder bieten sie gar mehrere Geheimnisse? Nur eines ist sicher und gänzlich ohne Geheimnis: geheim im Sinne von verschlossen sind sie nicht! Ganz im Gegenteil sogar. Die geheimen gärten rolandswerth, sie sind so öffentlich, wie es diese Parkanlage noch nie war.
Je geheimnisvoller der Namen also klingt, desto öffentlicher ist der Zugang. Denn als Park der Familie Hentzen war die Grünanlage mit Villa am Rhein und Blick auf die vorgelagerte Insel Nonnenwerth privat und verschlossen. Als Botschaftsresidenz war sie Sicherheitsbereich, später dem Bundesvermögensamt und anschließend der Stadt Remagen überantwortet. Aufgrund ihrer Verwilderung letztlich unzugänglich und nun erst, als Kunstwerk, als geheime gärten rolandswerth endlich !!! – öffentlich.
Die neue Geschichte des alten Villenareals beginnt im März 2002. Nachdem der Ortsbeirat von Rolandswerth und dessen Vorsitzende Herr Schönenborn und Herr Willeke das ARP MUSEUM angesprochen hatten, stellte nach dreimonatiger Planungsphase das Künstlerpaar Bittermann & Duka aus Berlin ihren ersten Entwurf vor. Ihre Reputation war vor allem ihr Projekt für die Künstlergärten in Weimar, aber auch, dass sie über das Verhältnis von Geistesgeschichte und Kunst genauso wie über Bild und Realität hervorragende Texte und Konzepte publiziert hatten.
Die erste Konzeption für den verwahrlosten Park der ehemaligen Besitzer Hentzen war folgerichtig auch „nur“ ein Bild. Mitten in einer sich selbst überlassenen Natur steht in diesem ein Betonturm. Kästen und Buchstaben „zieren“ ihn rundherum. Doch auch er droht schon von der Natur rückerobert zu werden. Efeu und andere Kletterpflanzen überwuchern ihn im Bild – einer Computersimulation -: ein Baum wächst aus ihm heraus und rund um ihn herum wildert das Gestrüpp.
Dieses Bild – mittlerweile im Besitz des ARP MUSEUMs – war das Herzstück einer höchst komplexen Gesamtkonzeption für den alten Hentzenpark. Das Künstlerpaar Bittermann& Duka hatte dieses Bild und andere entworfen, um schon einmal einen imaginären Blick in die Zukunft des alten Industriellenareals zu ermöglichen.
Und heute? Seit Juni 2003 ist die erste Phase der Umwandlung vom verschlossenen Privatpark zum öffentlichen Garten als Kunstwerk abgeschlossen. Der neue Eingang ist realisiert, der rheinseitige Ausgang ist wieder offen und durch ein Satzfragment betont, der Turm steht inmitten des alten Parks und das vormalige Gewächshaus ist ein Informationsort.
Die Entwürfe, die Imaginationen von Bittermann&Duka, ihre Bilder sind Realität geworden. Ein abstraktes Konzept ist nun für die Bürger begehbar, eine Idee schon nach zwei Jahren Planung Wirklichkeit: die geheimen gärten rolandswerth sind öffentlich. Nur der geistig-philosophische Grundgedanke, der auf einem Satz des Dichterphilosophen Novalis aus dessen „Allgemeinen Brouillon“ (1798) fußt, birgt ein Geheimnis. Es ist das der neuen Bestimmung des Parks als Kunstwerk.
Eingangstor zu den „geheimen gärten rolandswerth“: „Die vollendete Speculation…“, 2003
Gleich einem Stein, dessen Oberfläche für jedermann sichtbar ist, dessen Inneres aber oft millionenjahre alte Geheimnisse birgt, sind die geheimen gärten rolandswerth öffentlich, in ihrem Kern aber geheimnisvoll. Das Novalisfragment „Die vollendete Speculation führt zur Natur zurück“ findet sich im Park verschlüsselt geschrieben und auch der Name des Dichters. Am Eingang, am Turm und am Ausgang trifft der Spaziergänger auf Buchstaben, die in ihrer Ganzheit das Textfragment ergeben und an den Bänken sind die Lettern zu lesen, die den Dichternamen erkennen lassen.
Vor allem diesen Satz gilt es nun in den geheimen gärten rolandswerth aufzuspüren und zu enträtseln, will man sich nicht damit begnügen, in einem Park zu sein, sondern auch noch seinen geistigen Hintergrund begreifen. Betritt man die geheimen gärten rolandswerth durch den Haupteingang, so durchschreitet man ein feststehendes weißes Tor mit einem Eingang für Erwachsene und mit einem für Kinder. Die Eingänge haben keine Türen, sie sind nicht abschließbar. Es sind bloße Öffnungen, die es jederzeit jedermann ermöglichen, in das „Bild“ der Künstler einzutreten. Eine weiße, künstliche Fläche, welche die geheimen gärten rolandswerth aus ihrem urbanen Umfeld hebt, die janushaft Innen und Außen trennt und verbindet.
Mit dieser Fläche beginnt das Kunstwerk. Sie zeigt den Beginn, d.h. die ersten drei Wörter des Satzes von Novalis „Die vollendete Speculation…“. Diese präsentieren sich auf der Frontfläche des Tors in lebhaften, unterschiedlichen Schrifttypen, die in ihrem spielerischem Rhythmus von Silhouetten von Fledermäusen begleitet werden. Die Wörter erfasst man in der Regel erst nach einiger Zeit. Und auch dann ist es so, als ob die Buchstaben und der Sinn der einzelnen Wörter immer wieder hinfort getragen werden, kaum zu bändigen sind. Sie fliegen in die Gärten hinein und man folgt ihnen unwillkürlich, um die weiteren Teile des Satzes von Novalis aufzuspüren. Goyas Fledermäuse, die dem Titelblatt der Capricchos (1797-98) entstammen und um das Motto „Der Traum der Vernunft erzeugt Ungeheuer“ schwirren, deuten dabei das Reich des Unbewussten, der Träume, der Phantasien an. Diese romantische Welt stellt sich der Vernunft und der Wissenschaft im aufklärerischen Sinne entgegen. Eine magische, auch unheilsvolle Welt wird beschworen – ein Spiel mit dem Gleichgewicht zwischen Realität, Idee und Phantasie im Menschen sowie zwischen Mensch, der Welt und der Natur.
Der Besucher, der die Welt der geheimen gärten rolandswerth weiter aufspürt und den tänzelnden Wortteilen und den Fledermäusen folgt, gelangt zu dem Herzstück des Gartens: einem hohen und massiven Pflanzenturm aus Beton, auf dem die Buchstaben des Wortes „FUEHRT“ angebracht sind. Plötzlich, so scheint es, tritt man in die Sphäre eines in sich ruhenden Giganten, der die Leichtigkeit, Lebendigkeit und Unentschiedenheit der Wörter des Eingangstors fixiert und auf seine Oberfläche bannt. Deutlich, fest und unverrückbar treten nun die in Beton gefertigten Buchstaben hervor. Man hält inne. Und man versucht, indem man den Turm umrundet, die versetzt zueinander angebrachten Buchstaben zu einem Wort zusammenzuführen. So kommt man der Lösung des begonnenen Wörterrätsels der geheimen gärten rolandswerth näher.
Nach einigen Umrundungen und unterschiedlichen Blickwinkeln, angetrieben von dem Bedürfnis, Buchstaben und Worte in einen Sinnzusammenhang zu bringen, steht der Betrachter nun an der Stelle, die das Wort von oben nach unten lesbar freigibt. Nicht nur die Blicke der Betrachter, der Suchenden umgarnen und beleben diesen rohen Betonturm, sondern auch die noch zarten, aber schon bestimmten Triebe von Clematis, Efeu, Geißblatt und wildem Wein. Langsam und kontinuierlich werden sie dieses neuzeitliche architektonisch-skulpturale Gebilde – den Turm – einwachsen und ihn so sowohl als Kunstwerk wie auch als Teil der Natur bestehen lassen.
Zwischen den Ranken der Pflanzen entdeckt man nach genauerem Hinschauen auch unterschiedlich große schwarze Kästen. Es sind Quartiere für Fledermäuse, für Arten, die den Garten ohnehin schon bewohnen und solche, die sich dort ansiedeln sollen bzw. können. Und neben den Fledermausbehausungen gibt es noch Nistkästen für Wildbienen, die tagsüber den Turm beleben. Die Nächte aber gehören schon jetzt den Fledermäusen.
Der so belebte Pflanzenturm, das Zentrum des Kunstwerks, führt und lenkt den Blick und den weiteren Weg des Besuchers und Suchenden auf den Geist, die Schönheit und Üppigkeit der geheimen gärten rolandswerth. Die Begegnung mit der Natur unter dem Horizont des Satzfragmentes von Novalis und seiner romantischen Geisteswelt, initiiert darüber hinaus auch eine Begegnung des Suchenden mit sich selbst, eine, die sich fundamental unterscheidet von einer reinen Naturerfahrung.
Pflanzenturm „FUEHRT“, 2003
Die noch diffuse Andeutung beim Eintritt in das Innere der Gärten erhält so mehr und mehr mit Blick auf den Gedanken von Novalis, demzufolge „die vollendete Speculation“, die zu ihrem Ende gebrachte Aufklärung also, zur Natur zurück führt, ihre zu reflektierende Dimension. Das Umherspähen (lat. speculari), das Auskundschaften gerät zu einer Art Erkenntnisform der Reflexion, in dem Geist und Natur im Verhältnis zu den Wissenschaften gesehen werden. Der Turm vereinigt diese unterschiedlichen Ausgangspositionen und bietet dem Besucher, dem Erkennenden, damit die eigentliche Reflektionsebene der geheimen gärten rolandswerth an.
Rheinseitiger Ausgang: „…zur Natur zurück“, 2003
Im Zentrum des Inneren des Gartens angelangt und innegehalten, führt der Weg nun weiter zum Ausgang in Richtung Rhein. Von Weitem schon sind große weiße, massive Buchstaben zu erkennen. Wie auf Stelzen stehend scheinen diese nach unten hin zu zerlaufen – tief und schwer in den Boden hinein. Diese merkwürdig amorphen, tulpenartigen Buchstaben ergeben die Wörter „zur Natur zurück“ und bilden damit das Ende des Satzes von Novalis. Vom Parkinneren her sind die drei Wörter spiegelverkehrt zu lesen. Nach den typografisch unterschiedlichen, aber stets lebendigen Buchstaben des Eingangstors, die den Besucher dazu verführen wollen, das Innere des Gartens zu betreten, und den festen, unverrückbar und klaren Buchstaben am Turm, beschließen am Ausgang Buchstaben den Satz von Novalis, die naturalistische Formen angenommen haben und sich mit ihrem Untergrund, der Natur, zu verbinden scheinen, ja aus ihr zu wachsen vorgeben. Sie führen eben auch typografisch zur Natur zurück, aber auch aus den geheimen gärten rolandswerth, dem Kunstwerk hinaus – und laden sie ein, vom rückwärtigen Ausgang aus nochmals einen kleinen Spaziergang der Erkenntnis zu unternehmen.