Geburt und Taufe im Eifeler Brauchtum
Ein richtiger „Kalendermann“ darf nicht mit dem nach „Wissenschaft“ riechenden Titel unter die Zuhörer treten!
VON HERMANN OTTO PENZ
Nicht erst der bereits geborene Mensch wird in der Eifel vom Volksbrauchtum begleitet, sondern schon der noch nicht geborene, also das noch namenlose menschliche Wesen im Mutterleib. Das ist so zu verstehen, daß der werdenden Mutter ein ganz besonderer Schutz und eine ganz besondere Verehrung nicht nur von der eigenen Familie, sondern auch von der ganzen Dorfgemeinschaft entgegengebracht werden. Die im Hochdeutschen gebräuchliche Redensart „die Frau ist schwanger“ gibt es in unserer Mundart nicht, genauso wie es das Tätigkeitswort „gebären“ nicht gibt. Wir sagen das viel liebevoller: „Sie ist nicht mehr allein“ oder „sie geht mit einem Kind“, wenn wir ausdrücken wollen, daß die Frau ein Kind erwartet. Alle schlechten Eindrücke werden tunlichst von der werdenden Mutter ferngehalten. Man bemüht sich, ihr nur Freude zu machen, ihr alle beschwerlichen Arbeiten abzunehmen und hilft so, daß das neue Leben in ihrem Schoß ohne seelische Belastungen der Mutter und damit auch des werdenden Lebens heranreifen kann. Es ist beachtlich, daß in alten Zeiten die werdende Mutter auch unter dem besonderen Rechtsschutz des Volkes stand und derjenige um ein Mehrfaches bestraft wurde, der gegen die werdende Mutter straffällig wurde. Das Kind, wenn es dann zu Welt gekommen ist, wird nicht wie im Hochdeutschen als „Säugling“ bezeichnet oder, noch schlimmer, mit dem englischen „Baby“ versehen, sondern mit dem liebevollen Wort „Ditzchen“ bedacht. Folgerichtig ist die Hebamme auch die „Ditzchesmöhn“. Die Ditzchesmöhn ist also die „Kleinkinder-Tante“, die die Kinder „holen hilft“, wie die Mütter ihre Kinder, die etwas älter sind, belehren. Stellen die Kinder die Frage an die Eltern: „Wo kommen denn die Kinder her?“, so bekommen sie häufig die Antwort: „Die Kinder werden bei der Ditzchesmöhn bestellt, und die Ditzchesmöhn holt sie aus dem Pütz“, also aus dem Brunnen. In manchen Dörfern sagt man auch, die Ditzchesmöhn hole die Kinder aus dem Bach oder einem hohlen Baum. Die pädagogische Lüge vom Klapperstorch ist erst in jüngster Zeit mehr und mehr in unsere Dörfer eingezogen. Man sagt den Kindern im vorschulpflichtigen Alter, und selbst auch älteren nicht die Wahrheit aus der Erkenntnis heraus, daß ihnen noch nicht die nötige Reife gegeben ist, das Geheimnis, wie neues Leben entsteht, zu begreifen.
Taufakt
In unseren Eifeldörfern, soweit sie noch überwiegend von landwirtschaftlich tätiger Bevölkerung bewohnt werden, ist ein Junge als Neugeborenes immer höher im Kurse als ein Mädchen, vor allen Dingen dann, wenn es sich um die Erstgeburt handelt, also um denjenigen, der voraussichtlich später den Bauernhof übernehmen und weiterführen soll. Zum Teil hängt das sicherlich damit zusammen, daß die Jungen im landwirtschaftlichen Betrieb als Arbeitskräfte gefragter waren als die Mädchen, es hat mit einer menschlichen Minderbewertung der Mädchen sicherlich nichts zu tun. Aber ein Mädchen, so sagt der Bauer, bringt nicht soviel ein, es heiratet häufig zeitig und ist, vom Wirtschaftlichen aus gesehen, für die bäuerliche Familie „verloren“. Zurück zu Sitten und Brauchtum, die im Zusammenhang stehen mit Geburt und Taufe: Da ist zunächst festzustellen, daß auch heute noch die Nachbarschaftshilfe groß geschrieben wird. Bei einer Geburt treten also die Frauen der Nachbarschaft, nicht nur die Frauen der Verwandtschaft, in Erscheinung. Sie kümmern sich in rührender Weise um die Frau, die ein Kind zur Welt gebracht hat, um die „Kindbetterin“, wie sie sagen. In der gleichen Weise kümmern sie sich auch um „et kleen Ditzche“. Reihum gehen die Frauen der Nachbarschaft zur Hilfeleistung in das Haus der Kindbetterin und übernehmen dort die Versorgung des Haushalts, die Pflege des Kleinkindes und der bettlägerigen Frau. Einer Frau und Mutter, die ein uneheliches Kind zur Welt gebracht hat, verhielt man sich früher bedeutend reservierter: menschlich hart und unerbittlich, bedachte man sie sogar häufig mit Spott, indem man ihr einen gebastelten Strohmann vor die Tür stellte oder in einen nahen Baum hängte. Sie genoß also nicht die Fürsorge der Nachbarschaft und des Dorfes, wie dies der Mutter eines ehelichen Kindes gegenüber der Fall war. So hart und grausam das sein mag und so sehr wir das heute ablehnen, so müssen wir dieses Verhalten verstehen aus der Sorge um Zucht und Ordnung im Dorf und aus Sorge um das geordnete Weiterbestehen der Familie. Leider Gottes bekam es das uneheliche Kind von klein an immer wieder zu spüren, daß es ein „Bankert“ sei. Mehr und mehr setzt sich die Auffassung durch, daß auch ein solches Kind Achtung verdient und daß man, wenn die Dinge schon einmal so liegen, als Christenmensch verpflichtet ist, der Mutter des unehelichen Kindes und dem Kinde selbst Beistand und Hilfe zu leisten. Nun, das Kind ist da, und es taucht die Frage auf, wann es getauft werden soll. Man schiebt die Taufe nicht gern auf die lange Bank; im allgemeinen wird das Kind an dem Sonntag, der dem Geburtstag folgt, zur Kirche gebracht und dort getauft. Die Kindesmutter kann daher an der Taufhandlung meistens nicht teilnehmen. Deshalb trägt die Hebamme, die Ditzchesmöhn, oder die jüngste der Nachbarsfrauen das Kind zur Kirche. Pate und Patin halten das Kind nur beim eigentlichen Taufakt. Es ist eine große Ehre, um die Patenschaft gebeten zu werden. Man sucht sehr kritisch den Paten und die Patin aus, die „Gevattersleute“, wie man auch sagt. Im Volk ist man der Meinung, das Kind nehme Eigenschaften der Paten an. Daraus spricht die Vorstellung, daß die Paten Vorbilder in ihren Lebensauffassungen und in ihrer Lebensführung sein und sich in besonderer Weise um das Kind kümmern sollen. Sie sind geistig mit dem Kind verwandt. Wenn es nicht nahe oder weitere Blutsverwandte sind, so sind es Nachbarsleute. Es wird jeweils ein männlicher Pate und eine weibliche Patin gewählt, ganz gleich, ob das Neugeborene ein Junge oder ein Mädchen ist. Sehr häufig bekommt auch das Kind den Namen des Paten oder der Patin, wenn es nicht den Namen eines Großelternteiles erhält. Letzteres tut man in der Eifel sehr gern, weil man der Meinung ist, daß die Großeltern in den Enkeln fortleben, in ihnen auferstehen. Daraus spricht sicherlich die Erfahrung vieler Generationen. Tatsächlich stellt man ja immer wieder fest, daß die Großeltern sehr häufig ein besonders gutes Verhältnis zu den Enkelkindern haben und daß die Enkel sehr häufig Eigenschaften der Großeltern über ihre Eltern ausgeprägt vererbt bekommen haben. Nur noch ganz selten kommt es vor, daß man mehrere gleichgeschlechtliche Kinder einer Familie mit dem gleichen Großelternamen versieht. Dies sei nur hier angeführt als Beweis dafür, daß man sehr gern den Namen von Großeltern verwendet. Doppelnamen kommen vor, sind jedoch nicht die Regel. Der Rufname ist übrigens das ganze Leben hindurch wichtiger als der Familienname. Man redet sich mit dem Vornamen an. Wir kennen ja viele Beispiele dafür, daß ganze Familien nicht so genannt werden, wie ihr Familienname lautet, sondern nach dem Vornamen eines Urahns. Nun, wir müssen die Taufgesellschaft noch von der Pfarrkirche bis zurück nach Hause zum „Kindcheskaffee“ begleiten. Nach der kirchlichen Taufhandlung geht es zunächst in eine nahegelegene Wirtschaft, wenn die Pfarrkirche nicht im Ort liegt, wenn man also noch einen längeren Weg zum Heimatort vor sich hat. Sehr häufig gibt es dort nicht nur eine Tasse Kaffee, es werden vielmehr auch alkoholische Getränke genossen, so daß die Heimkehr oft eine recht „wackelige“ Angelegenheit wird.
Frauleutskaffee
Zu Hause angekommen, findet dann der eigentliche Kindcheskaffee, der Taufkaffee, statt, meist ein „Weiberfest“, also ein „Frauleutskaffee“, zu dem Verwandte und Nachbarschaft eingeladen werden. Das Kind bekommt Geschenke, und bei Kaffee, Kuchen und Gebäck geht es sehr lustig her. Während des Taufkaffees versorgt die jüngste Nachbarsfrau das Kleinkind und dessen Mutter. Die jüngst verheiratete Frau wird bei dieser Gelegenheit übrigens offiziell in den Kreis der verheirateten Frauen aufgenommen. Das Brauchtum um Geburt und Taufe ist in unseren Bergen noch sehr lebendig. Ich bin auch der Meinung, es sollte unter aller Mithilfe wachgehalten werden, denn die Heimat ist ja nicht nur ein geographischer Begriff, das sind nicht nur schöne Berge, weite Wälder und schmucke Dörfer, die Heimat ist auch ein Personenverband, der die gleiche Sprache spricht, der ähnliche Auffassungen vertritt wie man selbst; und diese geographische Heimat, die auch Personenverbands-Heimat ist, die soll doch nur ein kleiner Vorgeschmack der ewigen Heimat sein; sie soll dem Menschen das Gefühl geben, daß er in ihr geborgen und zu Hause ist und daß aus diesem Grunde er sich in ihr so wohl fühlt. Besonders im Kindesalter wird das Heimatgefühl geweckt, es sollte auch im Kindesalter gepflegt werden; aber auch die Erwachsenen sollten dem Brauchtum die entsprechende Beachtung schenken und diese Dinge nicht belächeln und zuschauen, wie der moderne Zeitgeist all diese schönen Sitten und Gebräuche achtlos oder gar verächtlich beiseite schiebt. Wir sollten stolz darauf sein und bemüht sein, diese Bräuche zu pflegen.