Galgen als Mahner und Schützer am Postweg
Galgen als Mahner und Schützer am PostwegVON DR. VALENTIN PALM | Zeichnung: Ernst Bootz |
So seltsam auch die Überschrift anmutet, zwischen Postillon und Galgen bestanden Beziehungen, besonders in Rheinland-Pfalz.
Zunächst sei daran erinnert, daß keine Berufsgruppe so oft die alten Hinrichtungsstätten zu Gesicht bekam, wie der Stand der reitenden und fahrenden Postillione. Fast solange, wie die Post sich nur der Landstraße als Verkehrsweg bediente, bestanden die Hochgerichte. Und da eine jede Herrschaft als Zeichen ihrer Macht über „Dieb und Diebin, Hals und Halsbein“ wenigstens einen Galgen an einer erhöhten Stelle in Straßennähe ragen hatte, gab es zur Zeit der deutschen Kleinstaaterei recht viele. Gerade die älteste Postlinie von Innsbruck nach Mecheln in den Niederlanden, die 1496 von Speyer bis Köln durchs Rheintal und seit 1500 von Speyer durch Rheinhessen, Hunsrück und Eifel führte, berührte auf rheinländischem Boden etwa hundert Länder und Ländchen, „weil hier die politische Zersplitterung bekanntlich am größten war. Allein im Räume des heutigen Kreises Kreuxnach, durch den seit 1500 ein 25 km langer Postweg führte, lassen sich mit Hilfe von Flurnamen (Galgenberg, Hochgericht, Rabenkanzel, Sünderpfad u. a.) über 30 Standorte eines ein-, zwei- oder dreibeinigen Galgens nachweisen. So mußte notwendig ein jeder Postreiter auf einer Dienststrecke von etwa 30 bis 40 Kilometer an einem oder mehreren Hochgerichten vorbei. Und da man den Tod durch Erhängen schon bei Vergehen anwandte, die heute mit Geld- oder Freiheitsstrafen geahndet werden, sahen die Postillione selten leere Galgen. So verurteilte das Ahrweiler Schöffengericht einen Landstreicher zum Galgentode, der den Opferkasten der Bachemer Kapelle erbrochen hatte. Der Graf von Virneburg ließ als Herr der Grafschaft Neuenahr einen rechtschaffenen Bachemer Bürger vor derselben Kapelle aufhängen, weil er freimütig es gewagt hatte, die Rechte der Stadt Ahrweiler an der Annakapelle zu verteidigen. Wie keinem anderen wurde den Postbedienten der Landstraße eindrucksvoll zur Anschauung gebracht, wie es denen ergeht, die nicht nach den Gesetzen lebten.
Doch die alten Postreiter begegneten nicht nur bei Tag und Nacht den Galgen, sie ritten sogar mit einem solchen. Jeder Postreiter trug im Dienst einen Galgen bei sich. Auf dem noch erhaltenen Poststundenpaß, einem Laufzettel, der mit dem Postsack empfangen und weitergereicht wurde, der 1506 den Weg von Mecheln nach Wien machte, stehen die Worte: Cito, citissime (schnell, sehr schnell) über dem Bild eines Galgens mit einem. Erhängten. Die Deutung des Bildes ergibt sich aus einer Dienstanweisung für Postillione, in der es heißt: „Die Boten sollen reiten bei dem Galgen Tag und Nacht bis zu des Kaisers Majestät.“ Wer also schuldhaft säumig wurde, hatte sich den Galgentod erwirkt. Diese seltsame Dienstaneiferung konnte ihren Zweck nicht verfehlen; denn es drohte nicht nur die entehrendste und höchste Strafe, sondern es kam auch wiederholt das psychologische Gesetz zur Geltung, wonach gleiche oder ähnliche Vorstellungen einander ins Bewußtsein rufen. Die häufigen Galgen am Postwege erinnerten den Postreiter an das Bild des Stundenpasses, über dem die Worte standen: Schnell, sehr schnell! So waren die Galgen am Postweg stumme Mahner zur rastlosen Eile. Oft ritt der Postillon kilometerweit im Anblick eines Galgens, und hatte er den langgeschauten hinter sich, trat auf der nächsten Anhöhe ein zweiter in sein Gesichtsfeld, vielleicht gar zwei und drei; denn manche Staaten umfaßten nur eine oder einige Gemarkungen. Verhüllte der Mantel der Nacht die aufdringlichen Mahner, so taten sie doch ihre Schuldigkeit, indem sie durch den Wind redeten, der dem Reiter die Leichendüfte entgegen- und nachschickte. Und selbst bei Dunkelheit und Windstille wußte sich der Postillon nicht der Einwirkung des Gerichtsplatzes zu entziehen; er kannte eines jeden Lage und mußte daran vorüber. Wenn schon am Tage solche Orte ihr Gruseliges hatten, dann gewiß in der Nacht. So kam der Postbediente niemals unbehelligt an den Galgen vorbei. Er mußte reiten — nach Dienstanweisung und tatsächlich — „bei dem Galgen“, „Tag und Nacht“.
Doch der Galgen war der Post und ihren Leuten auch ein Beschützer. Wehe dem, der einem Postreiter hindernd in den Weg trat oder ihm den Postsack raubte! Dem war der Galgen des Lebens Endstation. Auch dafür liefert das Rheinland ein Zeugnis. Arn 12. November 1792 fällte das Gericht zu Sobernheim an der Nahe folgendes Urteil: „Erstlich werden den Posträubern die Hände abgeschlagen. Dann werden die Köpfe abgehauen. Die beiden Körper weiden demnächst bei dem Hochgericht auf die Räder geflochten. Die abgeschlagenen Köpfe und Hände aber werden an den Ort gebracht, wo sie den Postillon beraubt haben, wo selbst zwei Schnellgalgen errichtet und auf solchen die Köpfe gesteckt, die Hände aber an den Galgen genagelt werden mit der beigehefteten Tafel, daß sie allda die Post beraubt haben.“ Schnell- oder Sondergalgen am Ort des Verbrechens waren sehr selten, ebenso auch eine aufschriftmäßige Verkündigung der Rechtsverletzung am Orte der Untat. Dadurch fällt auch ein Schlaglicht auf Bedeutung und Ansehen der Post im 18. Jahrhundert.
Galgen am Postweg, Mahner und Schützer zugleich.